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Finnland will „recyclingstarke Abfallwirtschaft“

Die im europäischen Vergleich eher moderate Recyclingquote bei Siedlungs­abfällen von rund 42 Prozent (Stand 2016) soll bis zum Jahr 2030 auf 55 Prozent steigen. Vorgesehen ist außerdem, das Abfallaufkommen vom wirtschaftlichen Aufschwung zu entkoppeln.

Finnlands Abfallwirtschaft gilt als fortschrittlich. Das nordische Land senkte seine Deponierungsquote von Siedlungsabfällen kontinuierlich auf drei Prozent (Stand 2016) und belegt damit im europäischen Vergleich den achten Rang. Noch zu Beginn des Jahrtausends wurden 61 Prozent der Abfälle deponiert. Der starke Rückgang ist auf Investitionen von mehr als einer Milliarde Euro in die kommunale Abfallwirtschaft zurückzuführen – vor allem in neue Müllverbrennungsanlagen, die die energetische Verwertung der Industrieabfälle auf 55 Prozent anhoben.

Mit umfangreichen Kapazitätsausweitungen bei Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle ist daher nicht zu rechnen, auch weil sich deren Aufkommen nach Einschätzung des finnischen Verbands der kommunalen Abfallentsorger KIVO nur gering erhöht und sich voraussichtlich auf einem Niveau etwas unterhalb von drei Millionen Tonnen pro Jahr stabilisieren wird. Der neue Fokus der Regierung liegt laut dem nationalen Abfallwirtschaftsplan 2023 auf einer abfallvermeidenden und recyclingstarken Entsorgungswirtschaft nicht nur bei Siedlungsabfällen, sondern im Besonderen auch bei biologisch abbaubarem Abfall, Elektroschrott und Bauschutt. Mit neuen Maßnahmen möchte Finnland die im europäischen Vergleich eher moderate Recyclingquote bei Siedlungsabfällen von rund 42 Prozent (2016) auf 55 Prozent bis 2030 anheben. Zusätzlich ist die Entkopplung von wirtschaftlichem Zuwachs und Abfallaufkommen ins Auge gefasst.

Neue Investitionen fließen bei den kommunalen Betrieben daher eher in effizientere Sortieranlagen mit hoher Automatisierung und in neue IT-Systeme. „Die meisten IT-Systeme in der Abfalllogistik und der Rechnungsstellung sind auf dem Stand der 1990er Jahre und müssen deshalb modernisiert werden“, weiß KIVO-Entwicklungsleiter Timo Hämäläinen und glaubt, dass deutsche Unternehmen diesbezüglich gute Absatzchancen haben, „weil solche Softwarelösungen in Finnland nicht in großem Stil entwickelt werden.“ Bei KIVO haben sich mit 33 kommunalen Entsorgungsunternehmen fast alle öffentlichen Abfallbetriebe zusammengeschlossen, um die Skaleneffekte zu erhöhen.

Gesetzesreform stärkt private Entsorger

Durch die Abfallgesetzesreform, die zu Jahresbeginn 2019 in Kraft trat, sind die privaten Entsorger primär auch für Abfälle aus dem öffentlichen Sozial-, Gesundheits- und Bildungsbereich zuständig. Der Verband der privaten Entsorgungsunternehmen YTP erwartet daher sowohl zunehmende Investitionen als auch einen stärkeren Wettbewerb zwischen den Anbietern. „Der steigende Wettbewerbsdruck wird effizienzsteigernde Investitionen fördern“, sagt Riikka Kinnunen, ehemals Expertin bei YTP und nun Geschäftsführerin des finnischen Metallschrottverbands. „Außerdem sehen wir einen hohen Investitionsbedarf bei der Sortierung von Bauschutt und Siedlungsabfällen vor der Verbrennung und bei innovativen mobilen Recyclinglösungen im ländlichen Raum.“ Nationale Schaufensterprojekte werden bis 2023 im EU-geförderten Programm „Circwaste“ (www.materiaalitkiertoon.fi/en-US [1]) mit 20 Partnern umgesetzt und bieten Kooperationsmöglichkeiten für deutsche Unternehmen.

Lösungen für Lebensmittelabfälle

Regierungsziel ist außerdem, biologisch abbaubaren Siedlungsabfall besser zu verwerten, um 2030 eine Recyclingquote von 60 Prozent zu erreichen. Zum Beispiel sind Biogasanlagen geplant, die in Gebieten mit großer landwirtschaftlicher Tätigkeit und in der Nähe von Lebensmittelherstellern entstehen können. In Finnland – als einzigem Land – kooperiert Ikea mit dem Gasanbieter Gasum, um die Lebensmittelreste der Möbelhausrestaurants an Ort und Stelle per Gasifizierungsanlage in Biogas für den Straßenverkehr umzuwandeln. In der Stadt Espoo wurde Anfang 2018 die erste Tankstelle eröffnet. Insgesamt gibt es in Finnland fünf Ikea-Filialen. Allein von den Restaurantabfällen sollen 25 Gasfahrzeuge ganzjährig versorgt werden. Die Regierung will das Volumen der Lebensmittelabfälle bis 2030 halbieren. Nennenswertes Beispiel in der Vermeidung solcher Abfälle ist die von einem finnischen Start-up entwickelte App „ResQ“. Damit können Restaurants und Cafés Produkte, die sie aus dem Filialverkauf genommenen haben, zu einem deutlich reduzierten Preis verkaufen. Im Einsatz ist die App vor allem in Finnland, aber auch in Schweden und in kleinerem Umfang auch in den deutschen Städten Berlin und Duisburg. Durch die App werden den Unternehmensangaben nach pro Monat mehr als 67.000 Portionen vor dem Abfall gerettet und umgerechnet 167 Tonnen CO2-Emissionen eingespart.

Klein, aber innovativ

Finnland verzeichnet nur wenige lokale Hersteller von entsorgungstechnischen Maschinen und Anlagen. Dazu gehören der EBS-Anlagenbauer BMH Technology (www.bmh.fi [2]), der Hersteller von Abfallpressen und -behältern Europress Group Oy (www.europress.fi [3]), der Produzent von Abfall-Halbunterflursystemen Molok (www.molok.com [4]) sowie der Bergbau-, Abwasser- und Gasifizierungsspezialist Outotec (www.outotec.com [5]). Auf der Fachmesse IFAT 2018 in München präsentierten sich 28 finnische Unternehmen, darunter auch ZenRobotics. Das Unternehmen bereichert Sortieranlagen um künstliche Intelligenz, die es durch maschinelles Lernen ermöglicht, dass verschiedene Abfallarten erkannt und getrennt werden. Eine Anlage baut das Unternehmen derzeit für die Alba Group im Raum Leipzig. Auch sonst sind finnische Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft sehr innovativ und organisieren sich in Clustern, wie zum Beispiel bei Cleantech Finland (www.cleantechfinland.com [6]) und im großen Forschungscluster Telaketju zum Textilrecycling (https://telaketju.turkuamk.fi/telaketju-2/ [7]). Finnlands Innovationsfonds Sitra veröffentlicht eine Liste der interessantesten Unternehmen in der Kreislaufwirtschaft (www.sitra.fi/en/projects/interesting-companies-circular-economy-finland/ [8]).

Transparente Auftragsvergabe

Öffentliche Entsorger schreiben ihre Investitionsvorhaben in der zentralen Datenbank für öffentliche Ausschreibungen „Hilma“ unter Ü www.hankintailmoitukset.fi auf Finnisch und Schwedisch aus. Die Auftragsvergabe ist transparent. Interessierte Unternehmen können sich auch an die Deutsch-Finnische Handelskammer wenden. Üblicherweise informieren sich die kommunalen und privaten Entsorgungsunternehmen auf Auslandsmessen, zum Beispiel der Leitmesse IFAT, über neue Produkte und Technologien. Geeignete Veranstaltungen in Finnland sind die alle zwei Jahre stattfindende Messe Infratech beziehungsweise Yhdyskuntatekniikan näyttely oder die überregionale Abfallentsorgungstagung Jätehuoltopäivät, die allerdings auf Finnisch durchgeführt wird. Auch deutsche Unternehmen, die in Finnland produzieren oder dorthin exportieren, unterliegen bei diesen Produktkategorien der Herstellerverantwortung und sind für die Entsorgung folgender Produkte verantwortlich: Kfz, Reifen und Kfz-Ausrüstung, elektronische Geräte, Batterien, Papier- und Druckerzeugnisse sowie Verpackungen. Weitere Informationen, unter anderem zum Beitritt zu einer Herstellerorganisation, listet die finnische Umweltbehörde unter www.ymparisto.fi/en-US/Consumption_and_production/Waste_and_waste_management/Producer_responsibility [9] auf.

Im innergemeinschaftlichen Warenverkehr der EU sind die Regelungen des europäischen Umsatzsteuerkontrollverfahrens zu beachten. Informationen hierzu finden sich auf der Internetseite des Bundeszentralamtes für Steuern (www.bzst.bund.de [10]). Hinsichtlich der Normierung gelten die einschlägigen EU-Richtlinien (siehe etwa die Website des Deutschen Instituts für Normung e.V., www.din.de [11]). Ausführliche Informationen zum Wirtschafts- und Steuerrecht stehen unter www.gtai.de/recht [12] sowie zu Einfuhrregelungen, Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen unter www.gtai.de/zoll [13] zur Verfügung.

Verfasser: Marc Lehnfeld, Quelle: Germany Trade & Invest

Foto: pixabay

(EU-Recycling 02/2019, Seite 24)