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Recycling in Europa: Die Kluft wächst zwischen Ist und Soll

Es wird teuer, falls die EU-Mitgliedstaaten die Abfallwirtschaftsziele nicht erreichen.

Die Europäische Union visiert Recyclingquoten für das Jahr 2035 an, die bei mindestens 65 Prozent liegen; für Deponierung sind höchstens zehn Prozent vorgeschrieben. Diese Raten setzen sich aus unterschiedlichen Vorgaben aus Abfallrahmen-, Deponie-, Verpackungs-, ELV-, Batterie- und WEEE-Richtlinien zusammen. Schon heute klaffen zwischen den für 2020 vorgesehenen und erreichten Quoten Lücken, die sich bis 2035 stellenweise noch deutlich erweitern. Die EU hat jetzt eine Studie erstellen lassen und veröffentlicht, die zeigt, wie groß diese Lücken in den Mitgliedstaaten bereits heute ausfallen, bis 2035 ausfallen werden und dann zusätzliche Kosten erforderlich machen.

Umsetzungslücke für Siedlungsabfälle: sieben Prozent

Im Moment beläuft sich die Umsetzungslücke auf sieben Prozent für alle Siedlungsabfälle und es wird erwartet, dass sie künftig auf 16 Prozent ansteigt. Bei Kommunalabfall-Deponien beträgt die Kluft vier beziehungsweise 17 Prozent. Verpackungsabfälle hinken um 0,1 und zukünftig um 2,1 Prozent hinterher. Die Behandlung von Altfahrzeugen weist schon jetzt eine Lücke von 3,0 Prozent bei Wiedergewinnung und 0,5 Prozent beim Recycling auf und liegt bei Batterien und Akkus bei 2,2 Prozent. Für Abfalltransporte wurden 2011 rund 20 Prozent als illegal vermutet; neuere Daten deuten darauf hin, dass 37 Prozent der Transporte von Elektro(nik) und Altfahrzeugen nach Afrika oder Asien gehen. Schätzungsweise werden bis 2030 rund 30,8 Millionen Tonnen an Lebensmittelabfällen aus Einzelhandel und Privatkonsum zu wenig behandelt werden.

Die Quoten hinsichtlich der 2035 auf Deponien zu bringenden Kommunalabfälle werden in Griechenland, Kro­atien und Zypern um mehr als 60 Prozent verfehlt; Malta erreicht sogar 72 Prozent. Mengenmäßig zählen Spanien, Italien, Frankreich und Polen zu den größten Abweichlern. Die Reduktion von biologisch abbaubaren Siedlungsabfällen in der EU 28 weist bereits jetzt eine Umsetzungslücke von 5,5 Millionen Tonnen auf, die sich zukünftig auf 7,7 Millionen Tonnen erhöhen wird. Als negative Spitzenreiter stechen Griechenland, Kroatien, Zypern und Malta hervor, die die Messlatte um 101, 80, 59 und 49 Prozent verfehlen werden. An der Abfallmenge gemessen, zählen Griechenland, Rumänien und Spanien zu den deutlichsten Ausreißern.

Besondere Lücken im Kunststoff- und Aluminium-Recycling

Bei den Verpackungsabfällen soll die jetzige Umsetzungslücke im Recycling der EU28 von 931.513 Tonnen im Jahr 2030 auf über drei Millionen Tonnen anwachsen; mengenmäßige Spitzenreiter sind hier Polen (mit rund 676.000 Tonnen), das Vereinigte Königreich (rund 600.000 Tonnen), Frankreich (rund 500.000 Tonnen) und Italien (knapp 400.000 Tonnen). Laut Eurostat werden dabei im Jahr 2030 die Lücken bei Kunststoff- und Aluminium-Recycling mit über 1,9 Millionen Tonnen am größten, gefolgt von Papier/Karton-Recycling mit rund 1 Million Tonnen vor der Behandlung von Fe-Metallen, Glas und Holz.

Auch bei den Sammelquoten der Elektro(nik)geräte-Abfälle soll die Kluft zwischen Ist und Soll von jetzt 22.631 auf zukünftig 1,26 Millionen Tonnen anwachsen. Hier fallen im Hinblick auf Mengen besonders Deutschland mit knapp 350.000 Tonnen und Frankreich mit rund 315.000 Tonnen auf – noch weit vor Polen mit rund 100.000 Tonnen und den anderen Staaten. Größter Abweichler ist Lettland mit 38,7 Prozent. Nach Verschärfung der Sammelquoten im Januar 2019 werden freilich nur vier Mitgliedstaaten innerhalb der Zielvorgaben liegen. Bei den Erfassungsquoten für Batterien tut sich – bei allerdings schlechter Datenlage – zurzeit eine Lücke von 4.631 Tonnen auf, zum größten Teil verursacht von Italien mit rund 2.600 Tonnen, Spanien mit rund 800 Tonnen und Polen mit über 700 Tonnen. Die prozentualen Quotenabweichungen der Mitgliedstaaten liegen alle unter der Marge von 17,8 Prozent, die Malta erreicht.

Die Umsetzungslücke in der EU 28 bei Wiedergewinnung und Wiederverwendung von Altfahrzeugen summiert sich bis dato auf knapp 192.000 Tonnen, woran Italien mit knapp 135.000 Tonnen den hauptsächlichen Anteil beiträgt. Italien steuert auch rund 27.000 Tonnen von etwas über 32.000 Tonnen zur Lücke in Recycling und Wiederverwendung bei. Die höchste Abweichlerquote von den Zielvorgaben erzielt Malta mit 50 Prozent.

Mangelhafte Umsetzung – hohe Folgekosten

Es gibt eine Reihe quantifizierbarer Auswirkungen der Abfallwirtschaft, die von verloren gegangenen Abfallmengen bis hin zu Folgekosten von Emissionen auf die Gesundheit der Bevölkerung reichen. Die Autoren der Studie geben aber auch offen zu, dass sie die Negativeffekte von unzulässigen Deponierungen sowie illegalen Exporten, aber auch die nicht realisierten Marktvorteile durch eine Kreislaufwirtschaft sowie reduzierte Kosten für die Gewinnung von Rohstoffen Überlaufeffekte nicht in Zahlen ausdrücken können. Außerdem seien Überlaufeffekte in Richtung energetischer Nutzung, unlauterer Wettbewerb aufgrund von ungleicher Implementierung, Gerichtskosten bei Rechtsstreitigkeiten und steigende Verwaltungsaufwendungen für die Industrie nicht abschätzbar.

Dennoch kommen die Verfasser der Studie zum Schluss, dass durch mangelhafte Umsetzung der 2020er-Ziele der Abfall-, Verpackungs- und Deponie-Richtlinie europaweit erwartungsgemäß acht Millionen Tonnen Material nicht recycelt, fünf Millionen Tonnen an biologisch abbaubaren Abfälle auf die Deponien gebracht und 30,8 Millionen Tonnen an Lebensmitteln nicht verwertet werden. Auf 2035 hochgerechnet, ergibt sich ein Minus von 20 Millionen Tonnen an nicht recyceltem Material und ein Mehr von 42 Millionen Tonnen auf den Deponien. Hinzu kommen die Folgekosten von 20,6 Millionen Tonnen CO2.

107 Milliarden Euro zur Realisierung zukünftiger Vorhaben

In barer Münze ausgedrückt, stehen – um die Lücke gegenüber den Zielen des Kreislaufwirtschaftspakets zu schließen – bereits jetzt 1,7 Milliarden Euro an; zur Erfüllung zukünftiger Vorgaben sind zwölf Millionen Euro fällig. Um die UN-Zielsetzung für nachhaltige Entwicklung bei Lebensmitteln zu erreichen, werden 92 Milliarden Euro nötig sein. Und um illegale Deponierungen zu verhindern, sind schon jetzt Kosten zwischen drei Millionen und 1,3 Milliarden Euro veranschlagt. Um die gegenwärtigen Vorgaben zu erfüllen, müssten im Altfahrzeug-Sektor 150 Millionen Euro und bei Elektro(nik)geräten 1,4 Milliarden Euro nachgeführt werden. Insgesamt belaufen sich die Schätzungen für Europa auf rund vier Milliarden Euro zur Erfüllung der gegenwärtigen Aufgaben und 107 Milliarden Euro zur Realisierung zukünftiger Vorhaben.

Wie erwähnt, summieren sich die reinen Materialwerte zum Erreichen der großen 2020er-Ziele europaweit auf insgesamt 1,715 Milliarden Euro, die sich nach Mitgliedstaaten aufschlüsseln lassen. Dabei liegen Spanien (553 Mio. €) und Rumänien (445 Mio. €) weit vor dem Vereinigten Königreich (177 Mio. €), Portugal (127 Mio. €), der Slowakei (83 Mio. €) und Griechenland (82 Mio. Euro). Sozusagen (noch) schuldenfrei sind Österreich, Belgien, Tschechische Republik, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Litauen, Luxemburg, die Niederlande und Schweden, also knapp die Hälfte der EU-28. Um die Lücken zu künftigen Zielen zu schließen, müssen alle Mitgliedstaaten in ihre Taschen greifen. Als Spitzeneinzahler fungieren das Vereinigte Königreich (1.181 Mio. €), Italien (1.161 Mio. €) und Frankreich (1.151) Mio. €), gefolgt von Spanien (860 Mio. €), Deutschland (842 Mio. €) und Polen (631 Mio. €). Europaweit stehen insgesamt 8,2 Milliarden Euro zum Ausgleich von Umsetzungslücken an.

Jährlich 35 Tonnen Verlust an Edelmetallen

Was die WEEE-Richtlinie anlangt, klafft in Europa eine weitere Lücke von einer halben Milliarde Euro gegenüber der Vorgabe für 2019. Die gleiche Summe wäre fällig, um den Auflagen für Glas, Kunststoff und Metallen zur Wiederverwendung von Elektro(nik)-Produkten nachzukommen. Schätzungen zufolge gehen dadurch jährlich 35 Tonnen an Edelmetallen verloren: 25,1 Tonnen Silber, 7,6 Tonnen Gold und 2,5 Tonnen Platingruppen-Metalle – momentaner Marktwert: 300 Millionen Euro. Hinzu kommt eine Umsetzungslücke gegenüber der Altfahrzeug-Direktive von 146 Millionen Euro und gegenüber der Batterie-Richtlinie von 4.631 Tonnen.

Diese Zahlen sollten laut Hinweis der Studien-Verfasser aufgrund der Datenlage nicht als letztendlich gültig angesehen werden. Dennoch dürften sich die Kosten dafür, dass die europäischen Abfall-Richtlinien nicht vollzogen wurden, im Jahr 2018 auf 3,2 bis 4,8 Milliarden belaufen haben. Zusammen mit den entsprechenden Kosten für Nichtvollzug bei Luft, Natur und Biodiversität, Wasser, Chemikalien, Industrie-Emissionen und -Unfallrisiken wären in diesem Jahr bereits Ausgaben in Höhe von 29,7 bis 79,6 Milliarden Euro beziehungsweise 54,7 Milliarden Euro im Mittel notwendig gewesen, um mit den gesetzlichen Anforderungen mitzuhalten.

Eine Empfehlung zum politischen Handeln liefert die Studie nicht. Sie klärt allerdings darüber auf, dass Umsetzungslücken für die Gesellschaft kostspielig sind und sich auf verschiedene Art und Weise manifestieren können – so, wie sich beispielsweise ein niedriges Niveau beim Abfallrecycling in nicht verwirklichten Marktchancen ausdrückt.

Die 166 Seiten starke Studie zu „The costs of not implementing EU environmental law“ kann unter http://ec.europa.eu/environment/eir/pdf/study_costs_not_implementing_env_law.pdf [1] heruntergeladen werden.

Foto: RealPhotoItaly / fotolia.com

(EU-Recycling 06/2019, Seite 6)

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