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Die Recyclingbranche ringt um Image und Identität

Beim Kongress des Bureau of International Recycling (BIR) in Singapur beschäftigten sich die Delegierten des Internationalen Handelsrats mit den aktuellen Herausforderungen des Wirtschaftszweigs.

Gerade in jüngster Zeit hat das Recycling in der Öffentlichkeit die Bedeutung erlangt, die ihm seit langem zusteht: Die Wiederverwertung gebrauchter Materialien trägt jährlich 350 Milliarden US-Dollar zum globalen Bruttosozialprodukt bei – eine Summe, die im Jahr 2025 nach den Vorhersagen 500 Milliarden US-Dollar erreicht haben soll. Für das gleiche Jahr gehen Fachleute davon aus, dass die Recyclingwirtschaft für die Einsparung von einer Milliarde Tonnen an Kohlenstoffemissionen verantwortlich zeichnen wird. Angesichts dieser günstigen Prognosen zeigte sich der scheidende BIR-Präsident Ranjit Singh Baxi (J&H Sales International, Großbritannien) davon überzeugt, dass die Branche eine „glänzende Zukunft“ habe.

Trotz dieser guten Aussichten herrschen für die Unternehmen der globalen Recyclingindustrie jedoch keine paradiesischen Zustände, denn die Branche hat verschiedene Herausforderungen zu bewältigen. Das gilt nicht nur für die Veränderungen in der chinesischen Importpolitik, die den Handel mit Recyclingmaterialien behindern, sondern auch für das negative Image der Branche im Hinblick auf Kunststoffabfälle. Es war deshalb nicht verwunderlich, dass der Vorsitzende des Internationalen Handelsrats, Michael Lion (Everwell Resources Ltd., China), beklagte, dass die Branche ein „Problem mit der Identität und dem Image“ habe, zumal „gewisse Teile“ der Medien die Branche unbegründeter Kritik ausgesetzt hätten – und einige Verbraucher den Eindruck erweckten, sie seien die Recycler.

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Ranjit Singh Baxi

Um das Imageproblem zu lösen, schlugen BIR-Generaldirektor Arnaud Brunet und Tom Bird (Chiho Environmental Group, Hongkong) vor, die Öffentlichkeit in Aufklärungskampagnen zu informieren, dass die Recyclingwirtschaft die Lösung ist. Nach Ansicht von Adina Renee Adler, Direktorin für internationale Beziehungen des US-amerikanischen Institute of Scrap Recycling Industries (ISRI), sollten die Unternehmen des Wirtschaftszweigs den Medien berichten, was sie tun, wer sie sind und welchen Beitrag sie leisteten. Ein weiteres Thema war die vom ISRI-Vorsitzenden Brian Shine gewünschte engere Zusammenarbeit mit Produzenten, um die recyclingorientierte Produktgestaltung zu fördern. Der globale Kunststoffverbrauch steige und deshalb sei eine solche Kooperation erforderlich, bestätigte der neue Vorsitzende des Kunststoff-Komitees, Henk Alssema (Vita Plastics, Niederlande).

Was Chinas Importpolitik und ihre Auswirkungen auf Lieferanten von Recyclingstoffen angeht, so wird die Volksrepublik nach Meinung von Tom Bird ein Schlüsselmarkt bleiben. Ranjit Singh Baxi und Murat Bayram (European Metal Recycling Ltd.) sprachen über ein „Leben nach China“, zumal Materialströme in andere Länder umgeleitet wurden. Qualität sei künftig der Schlüssel zum Erfolg, so Bayram, denn Schrott werde heute, morgen und übermorgen benötigt. Ein großer Teil der Materialien, die nun zu neuen Zielorten geleitet würden, endeten nach wie vor in China. Und deshalb könne China bei dieser Gleichung nicht außer Acht gelassen werden, meint David Chiao (Uni-All Group Ltd, USA).

Optimistischer Ausblick

Nach der Wahl in die neue Position innerhalb des BIR zeigte sich Tom Bird davon überzeugt, dass der Weltrecyclingverband nicht nur als „Stimme“ der gesamten Recyclingbranche fungieren, sondern auch seinen Mitgliedern zuhören müsse. Er hält es auch für wichtig, dass der Industrie-Nachwuchs unterstützt wird, damit die „Stars der Zukunft“ in der Organisation eine aktivere Rolle übernehmen.

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Tom Bird

Tom Bird nutzte auch die Gelegenheit, seinen Vorgänger im Amt, Ranjit Singh Baxi, für seinen entschlossenen Einsatz angesichts vieler Hürden zu loben. Der scheidende BIR-Präsident hatte in seiner Rede die Unterstützung, die er in seiner Amtszeit erhalten hatte, betont. Er sei besonders stolz auf zwei Entwicklungen: die Gründung des „Global Recycling Day“ und den ersten BIR-Kongress in Indien, der im Oktober 2017 in New Delhi stattfand, sagte Ranjit Baxi. Er schloss seine Rede mit der Aufforderung, zu handeln, um dem wachsenden Problem hinsichtlich der Behandlung von End-of-Life-Produkten zu begegnen. Solange es keine Koordination von Herstellern und Recyclern gebe, werde man die Herausforderungen nicht meistern, betonte er.

In dem sich anschließenden Gastvortrag sprach Dr. Gabrielle Walker, internationale Wirtschaftsexpertin und Strategin, über Klimawandel, soziale Verantwortung der Unternehmen, Kapitalstrukturen und künftiges Konsumverhalten. Ihren Worten zufolge haben die zurückliegenden 18 Monate eine „seismographische Verschiebung“ in der Aufmerksamkeit der Unternehmerschaft im Hinblick auf die vielen Gefahren des Klimawandels gebracht. Sie stimmt Experten zu, dass ein Mehr an Recycling Kohlenstoffemissionen stark senken kann – dies setze die Recyclingindustrie in das rechte Rampenlicht.

Markt-Unsicherheiten

Schon im „BIR World Mirror“ (Ausgabe April/Mai) zum Thema „Ferrous Metals“ hatte Greg Schnitzer, Präsident der Fachsparte Eisen & Stahl, auf die aktuellen Unsicherheiten hingewiesen, die das Marktgeschehen beeinflussen. Gemeint war unter anderem der Produktionsrückgang in einigen Märkten, der auch China zugeschrieben wird. Wie er berichtete, soll die Volksrepublik in diesem Jahr mehr als 950 Millionen Tonnen Rohstahl erzeugen. Er zeigte sich aber auch davon überzeugt, dass die Märkte auf klare Entscheidungen reagieren werden.

Dass auf Eisen- und Stahlschrott nach wie vor nicht verzichtet werden kann, unterstrich die zehnte Ausgabe der jährlichen Statistik „World Steel Recycling in Figures“, die von Rolf Willeke, Statistik-Beirat der Fachsparte, und Daniela Entzian zusammengestellt wurde.

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Rolf Willeke

Im Jahr 2018 stieg die weltweite Rohstahlproduktion nach den Zahlen der World Steel Association um 4,5 Prozent auf 1,808 Milliarden Tonnen. Über die Hälfte dieser Menge – 928,3 Millionen Tonnen – wurden in der Volksrepublik China erzeugt; gegenüber dem Vorjahr wuchs der Output um 6,6 Prozent. Eine Zunahme der Rohstahlproduktion legten auch die USA (+ 6,1 Prozent auf 86,6 Millionen Tonnen), Russland (+ 1,7 Prozent auf 72,8 Millionen Tonnen) und die Republik Korea (+ 2 Prozent auf 72,5 Millionen Tonnen) an den Tag. Im Gegensatz dazu sank die erzeugte Menge in der EU-28 um 0,5 Prozent auf 167,7 Millionen Tonnen.

Im Hinblick auf den Schrottverbrauch führt die Volksrepublik China die Statistik an, denn das Land steigerte den Einsatz von 147,9 Millionen Tonnen im Jahr 2017 auf 187,8 Millionen Tonnen im vergangenen Jahr. Laut Willeke erhöhte sich 2018 der Anteil von Stahlschrott in der chinesischen Stahlproduktion auf 20,2 Prozent. Den Angaben zufolge ist die erhöhte Nutzung von Schrott hauptsächlich der Tatsache zuzuschreiben, dass die chinesische Regierung strengere Umweltstandards gesetzt hat. Um die höheren Standards für Schadstoffemissionen einzuhalten und Produktionsbeschränkungen zu vermeiden, haben die Betreiber von Blasstahlkonvertern (Basic Oxygen Furnace – BOF) ihren Schrotteinsatz erhöht. Hinzu kommt, dass etliche Elektrolichtbogenöfen (Electric Arc Furnace – EAF) installiert werden beziehungsweise geplant sind; die mit EAF produzierte Menge lag 2018 bei 120,7 Millionen Tonnen (2017: 54 Millionen Tonnen). Nach den Informationen sind weitere Investitionen in die Schrottverarbeitung vorgesehen, vor allem im Shredderbereich.

Auch in der Europäischen Union nahm der Schrotteinsatz zu – um 0,3 Prozent auf 93,81 Millionen Tonnen. Prozentual etwas stärker erhöhte sich der Schrottkonsum in den USA (+ 2,2 % auf 60,1 Millionen Tonnen), Japan (+2,1 Prozent auf 36,5 Millionen Tonnen) und Russland (+5,5 Prozent auf rund 31 Millionen Tonnen). Im Gegensatz hierzu sank der Schrottverbrauch in der Türkei um 0,4 Prozent auf 30,1 Millionen Tonnen und in der Republik Korea um 2,3 Prozent auf rund 30 Millionen Tonnen. Nach der Statistik erreichte die Menge an Stahlschrott in den sieben wichtigsten Ländern und Regionen 469 Millionen Tonnen, was eine Zunahme im Umfang von 10,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutete. Wie Rolf Willeke hervorhob, repräsentiert die Schrotttonnage die verifizierten Daten von 81 Prozent der globalen Stahlproduktion. Für den weltweiten Schrotteinsatz sei man auf Schätzungen angewiesen.

Im Jahresvergleich erwies sich die Türkei erneut als international größter Schrottimporteur, obwohl die eingeführte Schrottmenge sich um 1,5 Prozent auf 20,660 Millionen Tonnen ermäßigte. Hauptlieferant waren die USA (3,705 Millionen Tonnen). Die Republik Korea führte 6,393 Millionen Tonnen (plus 3,5 Prozent) ein, während Indien 6,330 Millionen Tonnen (plus 18,0 Prozent) aus dem Ausland bezog. Als international führender Schrottexporteur erwiesen sich nach wie vor die EU-Mitgliedsländer, die 2018 insgesamt 21,436 Millionen Tonnen (plus 6,7 Prozent) Stahlschrott ins Ausland verkauften. Hauptabnehmer war mit 11,091 Millionen Tonnen die Türkei, die allerdings im Jahresvergleich 5,7 Prozent weniger Material in Europa einkaufte.

Geringerer Schrotteinsatz

[4]Es gebe gewichtige Gründe, bei der Metallerzeugung Schrott als Rohstoff zu bevorzugen, hieß es während der Sitzung des Komitees Rostfreie Stähle & Speziallegierungen. In seiner Präsentation unterstrich der Gastredner Robert Messmer, Analyst des österreichischen Beratungsunternehmens Steel & Metals Market Research, dass rostfreier Stahlschrott nicht nur die kostengünstigste Möglichkeit für Schrott verbrauchende Werke darstelle, sondern auch Gegenstand einer wettbewerbsorientierten Preisbildung sei. Während Ferrolegierungen eine Preisuntergrenze hätten, könnte rostfreies Material billiger werden. Gleichzeitig produziere dieser Schrott weniger Schlacke und führe im Vergleich zur Produktion mit Ferrolegierungen zu geringeren Karbon-Emissionen. Als weiteren Pluspunkt führte der Redner die wachsende Materialverfügbarkeit an.

Allerdings seien die meisten neuen Anlagen für einen niedrigen Schrotteinsatz konzipiert, schränkte Messmer ein. Unter anderem sorgten Verunreinigungen sowie Probleme mit der Dichte für Unterbrechungen im Schmelzprozess. Auch Handelsrestriktionen in mehreren Ländern würden den Einsatz von rostfreiem Stahlschrott hemmen. Für das Jahr 2018 gab der Referent die weltweit produzierte Menge an nicht rostendem Stahl mit 52,43 Millionen Tonnen an; die Zunahme um 4,8 Prozent liege an dem Wachstum von 181,2 Prozent in Indonesien. In diesem Jahr soll die im Land erzeugte Menge um weitere 29,6 Prozent steigen, was nach seiner Prognose die Weltproduktion auf 53,82 Tonnen anheben würde. Messmer geht jedoch nicht davon aus, dass Indonesien seine Schrottimporte stark erhöhen wird. Seiner Ansicht nach bleibt Indien der prominenteste asiatische Käufer. Laut Vegas Yang (HSKU Raw Material Ltd, China) hat Indien die Schrottimporte in den vergangenen Monaten zurückgefahren, da im Land preiswerterer Schrott zu besseren Konditionen vorhanden sei.

Weitere Hürden für Importe in China

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Die Organisatoren der BIR-Konferenz in Singapur zählten mehr als 900 Teilnehmer aus rund 60 Ländern

Ab Juli dieses Jahres gibt es in China Importbeschränkungen für acht weitere Abfallarten, darunter Kupfer- und Aluminiumschrott, erfuhren die Anwesenden in der Sitzung der Fachsparte NE-Metalle. Dies erfordert den Angaben zufolge ein Einfuhrlizenzsystem, über dessen praktische Details es im Mai noch keine Informationen gab, berichtete das BIR. Daneben spürt die Branche nach wie vor die negativen Auswirkungen des Handelskrieges zwischen der Volksrepublik China und den USA. Laut David Chiao (Uni-ALL Group, USA), Vorsitzender der Fachsparte NE-Metalle, haben sich die Handelsmuster verändert. So lieferten die USA deutlich weniger Aluminium- und Kupferschrott an China; der Importanteil der beiden Metalle aus dieser Quelle auf dem chinesischen Markt sei im März dieses Jahres auf vier bis zwei Prozent geschrumpft. Dagegen sei Malaysias Anteil am chinesischen Schrottimportmarkt von zwei Prozent auf fast 15 Prozent bei Kupfer und Aluminium gestiegen.

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Neuer BIR-Präsident

Die Generalversammlung des BIR bestätigte Tom Bird als neuen Präsidenten des Weltrecyclingverbandes. In den nächsten zwei Jahren wird er das Bureau of International Recycling nach innen und außen vertreten; in seiner Position kann er – wie sein Vorgänger Ranjit Baxi – noch einmal wiedergewählt werden. Tom Bird ist der leitende Geschäftsführer der Chiho Environmental Group mit Sitz in Hongkong, die zu den größten Unternehmen im Metallrecycling zählt, und verfügt über eine mehr als 30-jährige Erfahrung in dieser Branche, beginnend mit dem Familienunternehmen The Bird Group. Er war zudem in leitenden Positionen für die Firmen Liberty Metal Recycling, Van Dalen und Sims Metal Management tätig.

Dem BIR gehört er seit langem an; er fungierte unter anderem als Interims-Präsident der Fachsparte Eisen & Stahl, als Vorsitzender des Internal Audit Committee sowie als Präsident von EFR, der European Ferrous Recovery and Recycling Federation, nun eine Sparte des Dachverbands EuRIC. Innerhalb des Verbandes war Tom Bird bis zu seiner Wahl zum BIR-Präsidenten Schatzmeister, eine Aufgabe, die nun – vorläufig – von Andy Wahl (TAV Holdings Inc., USA) übernommen wurde.

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Erfolgreicher „Global Recycling Day“ 2019

[6]Dass das Recycling weltweit bereits sehr viel Aufmerksamkeit erhält, demonstrierte die Berichterstattung über den „Global Recycling Day [7]“ während der Sitzung des Weltrats der Recyclingverbände. Laut Ranjit Baxi konnten über die Medien mehr als 687 Millionen Menschen erreicht werden. Für nächstes Jahr hat der Initiator dieses Recycling-Tages, der in jedem Jahr am 18. März begangen wird, ein höheres Ziel gesetzt: Denn dann soll die Milliarden-Grenze überschritten werden.

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Brigitte Weber
Fotos: Hans-Jürgen Schwanke

(EU-Recycling 07/2019, Seite 18)