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Saubere Gewässer: Experten veröffentlichen Grund­lagen für eine Spurenstoffstrategie

Trotz mehrerer gesetzlicher Auflagen gibt es immer noch Gewässer-Einleitungen, die sich schwer erkennen und verhindern lassen. Um diese Spurenstoffe aufzuspüren und zu verringern, organisierten Interessengruppen und Experten einen mehrjährigen Dialog, dessen Ergebnisse jetzt der Öffentlichkeit vorgestellt wurden.

Der Zustand deutscher Oberflächen- und Grundwässer ist verbesserungswürdig. „Der chemische Zustand der Oberflächengewässer war aufgrund der Belastung mit allgegenwärtigen ‚ubiquitären‘ Schadstoffen wie Quecksilber und PAK (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) insgesamt als ‚nicht gut‘ zu bewerten.“ Genauer gesagt, wurden im Jahr 2015 insgesamt 19,3 Prozent der Oberflächenwässer als schlecht oder potenziell schlecht, 33,8 Prozent als unbefriedigend oder potenziell unbefriedigend und 36,1 Prozent als mäßig oder potenziell mäßig eingestuft. Hingegen präsentierte sich der chemische Zustand der deutschen Grundwasserkörper zu rund zwei Dritteln als gut (63,7 Prozent) und nur zu 36 Prozent als schlecht. Das meldete 2018 die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA) mit Rückgriff auf Daten der Bundesanstalt für Gewässerkunde.

Im Nano – und Mikrogramm-Bereich

In Ergänzung zu den genannten Schadstoffen gelangen jedoch auch andere anthropogen erzeugte Substanzen in die Gewässer, die sich als Spurenstoffe in Konzentrationen von Nano- beziehungsweise Mikrogramm je Liter nachweisen lassen. Sie stammen beispielweise aus der Herstellung und Verwendung von Produkten wie Human­arzneimitteln, Bioziden, Pflanzenschutzmitteln, Indus­trie- und Haushaltschemikalien oder Körperpflege- und Waschmitteln und gelangen über „punktuelle und diffuse Eintragspfade in die Gewässer“, stellt ein im März dieses Jahres erschienenes Ergebnispapier des Stakeholderdialogs zur „Spurenstoffstrategie des Bundes“ fest. Daher – so das Papier, das auf die Umsetzung von Maßnahmen für die Reduktion von Spurenstoffeinträgen in die Gewässer abzielt – „bedarf es einer abgestimmten Strategie auf Bundesebene, um diese Einträge in die Gewässer orientiert am Vorsorge- und Verursacherprinzip effizient zu reduzieren“.

Der Eintrag von Stoffen in Gewässer ist in Deutschland rechtlich reguliert. Hier greift das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) in Verbindung mit der Abwasserverordnung für Einzelstoffe oder Summenparameter (z. B. CSB, TOC oder AOX) sowie der in nationales Recht umgesetzten Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) beziehungsweise der Prioritären Stoffe-Richtlinie (2008/105/EG und 2013/39/EU), dem Wasserhaushaltsgesetz beziehungsweise der Oberflächengewässerverordnung (OGewV). Letztere betrifft insgesamt 112 Stoffe und Stoffgruppen: 45 Substanzen zuzüglich Nitrat für die Bewertung des chemischen Zustandes von Gewässern und 67 flussgebietsspezifische Stoffe, darunter einige Metalle.

Festlegung von Kriterien notwendig

Allerdings können Kläranlagen den Eintrag von Spurenstoffen gegenwärtig nur teilweise verringern. Zudem gelangen sie aus der Regenwasserkanalisation, per Mischwasser-Entlastungen, mittels Abschwemmungen von landwirtschaftlichen Flächen sowie durch Versickerung in die Gewässer. Sie können negative Auswirkungen sowohl auf die Ökologie der Gewässer als auch auf die Trinkwassergewinnung haben, bedeuten aber nicht automatisch eine Gefährdung der Umwelt oder eine Gesundheitsgefährdung für Menschen. Deshalb seien – fordert das Ergebnispapier des Stakeholderdialogs – Kriterien für die Festlegung relevanter Spurenstoffe notwendig.

Eine abgestimmte Strategie

Schon im November 2015 hatte die Umweltministerkonferenz Bedarf für „eine zwischen dem Bund und den Ländern abgestimmten Strategie zur Identifizierung und Priorisierung gewässerrelevanter Mikroschadstoffe“ angemeldet. (Übrigens plädierte die Konferenz auch für ein „Nationales Aktionsprogramm zum Schutz von Gewässern vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen“.)

Fachliche Unterstützung erhielt die Forderung durch ein Papier der LAWA zu „Mikroschadstoffen in Gewässern“, das auf die mögliche Belastung durch Eintrag von Human-und Tierarzneimitteln, Haushalts- und Industriechemikalien sowie Biozide und Pflanzenschutzmittel hinwies. Im November 2016 erhielt die Fragestellung erstmals politische Unterstützung, als sich ausgesuchte Stakeholder zu einem Dialogprozess zusammenfanden, der von Fraunhofer ISI und IKU-Dialoggestaltern im Auftrag des Umweltbundesamtes und des Bundesumweltministeriums organisiert wurde. Aus den Unterredungen resultierte das bereits erwähnte Ergebnispapier zur „Spurenstoffstrategie des Bundes“, das im März dieses Jahres veröffentlicht und von Bundesumweltministerin Svenja Schulze mit den Worten vorgestellt wurde: „Mit den Ergebnissen des Spurenstoffdialogs können jetzt wichtige Weichenstellungen erfolgen. Es liegt weiter viel Arbeit vor uns, die wir nun gemeinsam in der Pilotphase angehen.“

In vier Arbeitsgruppen

Der Stakeholder-Dialog fand in vier Arbeitsgruppen statt. Die erste entwickelte einen pragmatischen und zeiteffizienten Ansatz, um relevante Spurenstoffe zu identifizieren, die auch bei neuentwickelten Materialien und geänderten Nutzungsmustern rasch klassifiziert werden können. Substanzen, die sich aus Datenquellen für Prüfstoffe herausfiltern lassen, werden zunächst auf Vorkommen, Zeittrends, Häufigkeit und Verteilung geprüft. Erfüllen sie dann mindestens auch ein Kriterium aus Persistenz, Mobilität, Öko- oder Humantoxizität, werden sie „vertieft“ auf Risiken untersucht und bewertet: auf Bio-Akkumulierbarkeit, Genotoxizität und Expositionsneigung. Relevante Spurenstoffe, die zum Teil bereits als prioritäre Stoffe oder flussgebietsspezifische Stoffe geregelt sind, unterliegen diesem Prüfprozess nicht, können aber in Einzelfällen ergänzend der Liste relevanter Spurenstoffe hinzugefügt werden.

Vorgeschlagene Aktivitäten, die von der Arbeitsgruppe 2 erarbeitet wurden, zielen auf die Umsetzung der Herstellerverantwortung ab. Ein Runder Tisch soll die Diskussion und Abstimmung stoffspezifischer Minderungsmaßnahmen mit Vertretern der Industrie, der Länder, der Wasserwirtschafts- und Umweltverbände vorantreiben. Hierzu gehört auch eine Machbarkeitsanalyse vor Einführung eines Einsatzes von Urin-Sammelsystemen in großem Maßstab, um den Eintrag jodorganischer Röntgenkontrast-Mittel in Abwässer zu verringern.

Für eine weitergehende Abwasserbehandlung

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Foto: Brigitte Werner / Pixabay

Die „anwendungsorientierten“ Maßnahmen der Arbeitsgruppe 3 sollen für einen eintragsmindernden Umgang entsprechender Stoffe und Produkte sensibilisieren. Durch Informationskampagnen, Beratungen und Aufklärungsmaterial möchte man alle spurenstoffrelevanten Branchen, insbesondere den Gesundheitssektor, ansprechen, in denen Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel, Inhaltsstoffe in Textilien sowie Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. So soll Bewusstsein geschaffen werden unter anderem für die Gewässerrelevanz von Arzneimitteln, medizinischen Hilfsmitteln und älteren Arzneistoffen ohne ausreichende Datenlage, für das Dosieren von Waschmitteln, für die Minimierung von Pflanzenschutzmittel-Einträgen und für die Berücksichtigung der Spurenstoffproblematik in der angekündigten „Ackerbaustrategie“ der Bundesregierung.

Arbeitsgruppe 4 befasste sich mit dem „nachgeschalteten Orientierungsrahmen zur Abwasserbehandlung“ und führte zum Vorschlag, Kriterien einer weitergehenden Abwasserbehandlung zur Spurenstoff-Elimination im Rahmen des Bewirtschaftungsprozesses der Gewässer zu prüfen. Dabei sei zu untersuchen, inwieweit eine Kläranlage hinsichtlich Gewässerbelastung bedeutsam ist und inwieweit durch Einsatz von Ersatzstoffen oder bestimmte Maßnahmen relevante Spurenstoffe – eventuell kostengünstiger – reduziert werden können. Eine weitergehende Abwasserhandlung würde eine bessere und breitere Verminderung von Stoffen ermöglichen und Synergieeffekte hinsichtlich Phosphor-Elimination und Abwasserhygiene begünstigen.

Das jeweilige Prüfverfahren ermittelt zunächst die aktuelle und prognostizierte Belastungssituation und/oder Schutzbedürftigkeit des angeschlossenen Gewässersystems und stellt bei relevanten Belastungen eine Prioritätenliste von Handlungsoptionen samt Bewirtschaftungszielen und Kostenanalyse auf. Bei hoher Priorität steht die Abfrage einer Reihe von Kriterien zum Ausbau der Kläranlage an, die abschließend in der Auswahl geeigneter Verfahren konkretisiert werden sollen. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen dieser Arbeitsgruppe zählt auch die Förderung eines strukturierten Informations- und Erfahrungsaustauschs zwischen allen Akteuren der kommunalen Abwasserinfrastruktur.

Dissens über Durch- und Umsetzung

Wie diese Vorhaben zur Reduzierung von Spurenstoffen in den Gewässern finanziert werden können und sollen, war Gegenstand eines von Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium ausgerichteten Symposiums Ende Januar 2019. Die Diskussionen endeten mit Übereinstimmung in der Forderung nach mehr Verursachergerechtigkeit und -verantwortung, jedoch mit Dissens über deren Durch- und Umsetzung. Einigkeit herrschte auch darüber, dass angesichts von Maßnahmen zur Spurenstoffreduzierung auch die Finanzierung der 4. Reinigungsstufe betrachtet werden müsse und dass das Abwasserabgabengesetz novellierungsbedürftig sei.

Hingegen wurden Produktabgaben von den betroffenen Stakeholdern ebenso abgelehnt wie eine Säulenlösung zur Finanzierung der vierten Reinigungsstufe, während sich die Kommunalverbände gegen eine ausschließliche Finanzierung über die Abwasserabgabe aussprachen. Zukünftige Finanzierungsvorschläge – so der Tenor – müssten sich an Wirksamkeit, Effizienz, Verfassungskonformität, Praktikabilität sowie Vollziehbarkeit und Transaktionskosten, Steuerungsfähigkeit und Verteilungsgerechtigkeit messen lassen.

Strategie auch für europäische Partner

Auf der Abschlussveranstaltung des Stakeholder-Dialogs am 19. März 2019 war auch die Bundesumweltministerin anwesend. Sie begrüßte insbesondere den erarbeiteten Orientierungsrahmen für die Länder, um zu prüfen, „an welchen unserer neuneinhalbtausend Kläranlagen eine erweiterte Abwasserbehandlung zur Spurenstoffelimination überhaupt sinnvoll ist“. Befürwortete den Runden Tisch zwischen Herstellern und Wasserwirtschaft, an dem sich zeigen müsse, „wie eine substanzielle Eintragsminderung von Spurenstoffen erreicht werden kann“. Und bemerkte, es sei entscheidend, „dass Sie alle sich künftig an die gemeinsamen Vereinbarungen halten“. Daraus könne eine gemeinsame Spurenstoffstrategie entstehen – auf die auch die europäischen Partner schauen könnten, mit denen man sich weiter intensiv austauschen werde.

An der Quelle der Verschmutzung ansetzen

Schon im November 2017 hatte die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e.V. angeregt, die wichtigen Erkenntnisse und Ergebnisse des deutschen Stakeholderdialogs zur Spurenstoffstrategie des Bundes auch auf europäischer Ebene bei der Weiterentwicklung der Wasserrahmenrichtlinie zu berücksichtigen. Und darauf hingewiesen, es sei notwendig, „die Unterschiede zwischen den verschiedenen Regelwerken in einer gesamthaften, integrativen Lösung zusammenzuführen“.

Jörg Simon, Vizepräsident des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., unterstrich anlässlich der Veröffentlichung des Ergebnisberichts zur Spurenstoffstrategie, es sei „richtig und wichtig, dass die Bundesregierung dieses Problem zusammen mit den beteiligten Akteuren adressiert“. Er befürwortete die Entscheidung der Bundesländer, keine Verpflichtung zum Bau einer vierten Reinigungsstufe bei Kläranlagen einzuführen, sondern eine einzelfallbezogene und sachgerechte Betrachtung der jeweiligen Gewässer- und Nutzungssituation umzusetzen. „Da Kläranlagen auch mit neuen Techniken nicht alle Stoffe herausfiltern können, müssen wir an der Quelle der Verschmutzung ansetzen. Das Verursacherprinzip muss gestärkt werden; die Abwasserwirtschaft ist nicht der Reparaturbetrieb unserer Gesellschaft“, betonte Simon. Und auch er sah es als notwendig an, die nationale Spurenstoffstrategie in eine europäische Wasserpolitik zu integrieren, blieb jedoch mit Blick auf den Vollzug skeptisch: „Ob es im Rahmen des ‚Runden Tisches‘ tatsächlich zur Umsetzung von Minderungsmaßnahmen auf Seiten der Hersteller kommt, bleibt abzuwarten.“

Foto: kai kalhh / Pixabay

(EU-Recycling 07/2019, Seite 28)

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