- EU-Recycling - https://eu-recycling.com -

Das Klimaschutzpaket der Bundesregierung: Neuanfang für deutsche Klimapolitik oder Dokument der politischen Mutlosigkeit?

Das „bislang umfassendste Klimaschutzpaket“ will das sogenannte Klimakabinett der Bundesregierung nun auf den Weg gebracht haben. Mit erstmals gesetzlich verbindlichen Klimazielen und zahlreichen „neuen Maßnahmen“ wie Vorgaben, Anreizen, Förder- und Investitionsprogrammen. Gültig für die Sektoren Verkehr, Energie, Industrie, Gebäude, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft. Auch für die Abfallwirtschaft?

Ohne „das Schließen von Stoffkreisläufen im Rahmen einer Circular Economy“ wird eine erfolgreiche Klimapolitik in Deutschland nicht auskommen können, betonte im Vorfeld der Kabinettsverhandlungen das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. In den 22 Seiten des entsprechenden Eckpunkteprogramms sucht man das Wort Kreislaufwirtschaft jedoch vergeblich. Selbst die Vokabel Abfall taucht nur viermal auf. Einmal im Zusammenhang mit der Erzeugung von Biokraftstoffen, die künftig stärker auf Abfall- und Reststoffen basieren sollen. Dann werde zum Vermeiden von Lebensmittelabfällen die Nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung durch die Bundesregierung konsequent umgesetzt. An anderer Stelle sind die aerobe Stabilisierung von Deponien durch Belüftung und die optimierte Deponiegasfassung als Potentiale zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen aus dem Abfallsektor erwähnt. Und schließlich habe sich Deutschland verpflichtet, den jährlichen CO2-Ausstoß unter anderem im Abfallsektor bis 2030 um 38 Prozent gegenüber 2005 zu mindern. Diese vier Maßnahmen sind weder neu noch bieten sie Anreize, weitere Anstrengungen zur Einsparung von Treibhausgasen zu unternehmen. Von Förder- oder Investitionsprogrammen für den Abfallsektor fehlt jede Spur.

Nicht nur negativ sanktionieren

Aus der Recyclingbranche wurden vielmehr Stimmen laut, die im verabschiedeten Paket eher Verbote und Hindernisse vermuten. Nach Ansicht der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen sollten die politischen Maßnahmen nicht nur negatives Verhalten sanktionieren, sondern Einsparungen von CO2-Emissionen, wie zum Beispiel durch die Unternehmen der Stahlrecyclingbranche, entsprechend belohnen. Daher plädiert der BDSV für einen entsprechenden „Schrottbonus“. In die gleiche Kerbe schlägt der BDI. Nach Ansicht seines Präsidenten Dieter Kempf bräuchten die Unternehmen statt Technologieverboten Anreize und realistische Pfade für Investitionen in klimafreundliche Innovationen; schließlich gehe um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung kritisiert das Programm als „völlig unzureichend“, da Bundesregierung und Regierungsfraktionen das Klimaschutzpotenzial der Recycling- und Entsorgungswirtschaft komplett zu unterschätzen scheinen. Insbesondere im Kunststoffbereich könnten erhebliche Mengen an Treibhausgas-Emissionen eingespart werden. Deshalb wären Investitionen in „eine mittelstandsfreundliche Anreizförderung für die Schaffung neuer und die Modernisierung bestehender Recyclingkapazitäten“ durchaus nützlich, betont bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock.

Umfassende Recyclingstrategie erarbeiten

Etwas moderater argumentiert die Arbeitsgemeinschaft Verpackung und Umwelt. Sie betont, dass in Verpackungen großes Potential für den Klimaschutz steckt. Sollte sich daher die Bundesregierung zu einer direkten Bepreisung von ausgestoßenen CO2-Äquivalenten entschließen, sollten Recyclingmaterialien und nachwachsende Rohstoffe davon ausgenommen werden. Indem diese Materialien im Vergleich zu Primärmaterialien attraktiver werden, entfalte sich eine Lenkungswirkung. Zur Umsetzung müsse die Bundesregierung nun eine umfassende Recyclingstrategie erarbeiten, die alle Branchen und Bereiche einbindet und fordert. „Dabei sollte die Öffentliche Hand mit gutem Beispiel vorangehen und selbst im großen Stil Rezyklate nachfragen.“

Potentiale weder erkannt noch gehoben

Der BDE Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft hält das jetzt auf den Weg gebrachte Klimaschutzprogramm für unzulänglich und enttäuschend, weil jegliche Maßnahmen zum künftig erhöhten Einsatz von Recyclingrohstoffen in der Produktion ebenso wie die Nennung einer Zielmarke beim Rezyklateinsatz fehlen. Potentiale würden weder erkannt noch gehoben und somit Chancen vertan. BDE-Präsident Peter Kurth: „So bleibt das Klimaschutzpaket nur eine Aneinanderreihung von Subventionsmaßnahmen, bei denen nur feststeht, dass sie sehr teuer werden.“ Mit einem solchen „Subventionspotpourri“ seien andere Länder kaum zu beeindrucken.

Nach Ansicht der Deutschen Umwelthilfe bieten Abfallvermeidung, Wiederverwendung und Recycling ein enormes Klimaentlastungspotential ohne zusätzlich anfallene Kosten. Die DUH findet es daher völlig unverständlich, dass die Kreislaufwirtschaft in der klimapolitischen Planung praktisch keine Rolle spielt. Was das vom Klimakabinett vorgelegte Maßnahmenprogramm bietet, sei hinsichtlich der Kreislaufwirtschaft eine „Nullnummer“ und reiche nicht ansatzweise aus, um das Klimaschutzpotential der Kreislaufwirtschaft auszuschöpfen, kritisiert die Stellvertretende DUH-Bundesgeschäftsführerin, Barbara Metz.

Zur Fußnote verkommen

Das meint auch Michael Wiener, CEO des Grünen Punkts. Für ihn ist die Kreislaufwirtschaft zu einer Fußnote verkommen und erfährt im Maßnahmenpaket nur minimale Aufmerksamkeit. Außerdem fehle eine Einsatzquote für Recyclingkunststoffe völlig. Die Kreislaufwirtschaft spare CO2, schone wertvolle Ressourcen und schaffe zukunftsfähige Arbeitsplätze. Doch „wer dieses Potential ignoriert, agiert kurzsichtig.“

Die abfallwirtschaftliche Kurzsichtigkeit des Klimapapiers könnte man eventuell verschmerzen, wenn die großen umweltpolitischen Zielsetzungen des Programms erfolgsversprechend ausgefallen wären. Doch danach sieht es nicht unbedingt aus, meint Ottmar Edenhofer, Direktor des Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Nach seiner Einschätzung besteht zwischen der notwendigen und der jetzt geplanten CO2-Bepreisung eine gewaltige Lücke; diese im Rahmen des vorgesehenen Monitorings zu schließen, erscheint aus seiner Sicht unrealistisch. Daher habe die Große Koalition nicht nur nicht geliefert und bleibe eine Antwort auf die Frage nach ambitioniertem Klimaschutz schuldig. Sondern die Vielzahl an angekündigten Fördermaßnahmen könne auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese zusammengenommen allenfalls die Hälfte der im Rahmen der EU Effort Sharing Regulation rechtlich bindend zugesicherten CO2-Minderung erbringen. „Die Gefahr von Strafzahlungen in Milliardenhöhe ist damit keinesfalls abgewendet.“

Man darf also gespannt sein, ob die Beschlüsse des Klimakabinetts einen „Neuanfang für die deutsche Klimapolitik“ darstellen, wie Bundesumweltministerin Svenja Schulze glaubt, oder ein „Dokument der politischen Mutlosigkeit“ sind, wie Ottmar Edenhofer vermutet.

(EU-Recycling 11/2019, Seite 8, Foto: Martin Stadlober / Pixabay)

[1]

Anzeige