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Stahlrecycling hat einen Schrottbonus – und sollte auch davon profitieren

Stahlrecycling besitzt gegenüber der Verwendung von Primärmaterial einen „Schrottbonus“ und dient damit dem Klima- und Umweltschutz. Dass dieser Vorteil vom Markt nicht honoriert wird und sich daran etwas ändern muss, machte die Jahrestagung der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen am 14. November in Münster deutlich.

Die deutsche Rohstahlerzeugung meldete zwischen 2017 und 2018 einen Rückgang von 43,3 auf 42,4 Millionen Tonnen und damit um 2,1 Prozent und zwischen Januar und September 2019 um 4,4 Prozent. Zeitgleich reduzierte sich die Erzeugung von Oxygenstahl von 30,04 auf 29,04 Millionen Tonnen; Elektrostahl legte von 69,69 auf 70,06 Millionen Tonnen zu. Für die ersten Monate des laufenden Jahres lässt sich ein Rückgang der schrottintensiven Elektrostähle um 9,1 Millionen Tonnen und damit 5,3 Prozent bilanzieren, bedingt durch geringere Zuläufe aus nachlassendem Auftragseingang im Maschinenbau und schwächelnder Kfz-Produktion. Für den Rest des Jahres 2019 zeichnet sich eine weitere ungünstige Entwicklung ab.

Die Konjunkturdaten der Stahlrecyclingbranche zeigen dementsprechend eine leichte Abkühlung. Der Schrottzukauf deutscher Stahlwerke 2018 sank im Vergleich zum Vorjahr von 14,9 auf 14,4 Millionen Tonnen, während der Schrottzukauf deutscher Gießereien von 3,4 auf 3,6 Millionen Tonnen zulegte. Die Exporte verringerten sich im gleichen Zeitraum von 8,8 auf 8,6 Millionen Tonnen, die Importe von 4,7 auf 4,3 Millionen Tonnen.

Verschlechterung der Geschäftslage befürchtet

Diese Ergebnisse schlagen sich auch in den Antworten der Branchenumfrage 2019 der BDSV nieder. Demnach erwarten nur noch 34 Prozent der befragten Unternehmen für das nächste Jahr eine gleiche oder bessere Geschäftslage; zwei Drittel befürchten eine Verschlechterung des Geschäftsklimas. Als Hauptursachen hierfür gelten die aktuell schwache Industrieproduktion in Deutschland, steigende Kosten aufgrund von Umweltauflagen, geopolitische Unsicherheiten wie der Handelskonflikt zwischen den USA und der Volksrepublik China oder der Brexit; weitere Hemmnisse werden in der uneinheitlichen Gesetzgebung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union gesehen. Faktoren wie steigende Energiekosten, Chinas Importstopp oder kommunale Konkurrenz fallen weniger schwer ins Gewicht. Die gedämpfte Stimmung führt in der Branche jedoch bei den Investitionen zur Zurückhaltung: Nur noch 18 Prozent planen eine Erhöhung; 44 Prozent der Befragten planen, in nächster Zukunft weniger zu investieren. Damit hat sich deren Anteil gegenüber dem Vorjahr verdoppelt.

Verkehrspolitik: schlecht bis katastrophal

Weiterhin besteht für die Unternehmen die Schwierigkeit, für die zunehmend komplexer werdenden Aufgaben geeignetes Personal zu finden. Für 77 Prozent ist das nach wie vor ein Problem, für das die Mehrheit der Unternehmen bereit ist, Personal aus Osteuropa einzustellen. Nach wie vor möchten rund 60 Prozent der Unternehmen die Zahl der Mitarbeiter aber konstant lassen. Der Anteil der Unternehmen, die mittelfristig Personal suchen (16 Prozent), hat sich jedoch im Vergleich zum Vorjahr fast halbiert.

Die logistischen Probleme, die seit langem die Branche belasten, wurden nach wie vor keineswegs behoben. Insbesondere die Zuverlässigkeit der Bahn lasse aufgrund einer vernachlässigten Infrastruktur zu wünschen übrig. Doch der überwiegende Teil der befragten Unternehmen bewertet auch die Verkehrspolitik der Bundesregierung insgesamt negativ: Die Aussagen reichen von „schlecht“ bis „katastrophal“; seit Jahrzehnten sei keine Verbesserung zu spüren. Zwar investiere die Politik in den Verkehrssektor, doch kämen die Gelder bei der DB-Cargo, der Güterverkehrssparte der Deutschen Bahn, nicht an. Dabei könnte die Branche nach Darstellung des BDSV sofort 20 Prozent oder zwei Millionen Tonnen Schrott mehr per Schiene befördern lassen.

Kritisch wird das derzeitige Verhältnis zur Automobilindustrie eingeschätzt, die zunehmend Verbundstoffe und Lithium-Ionen-Batterien verwendet; beispielsweise hat sich das Volumen der im Flugzeug-, Schutzwaffen- und Automobil-Bau eingesetzten Carbonfasern innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als verdoppelt. Zu deren adäquater Entsorgung sind intensive Schulungen und ein Schulterschluss mit der Automobilindustrie notwendig. Dennoch würden die Fahrzeughersteller davon ausgehen, dass die – kostenlose – Entsorgung der kritischen Materialien in den Aufgabenbereich der Schrottrecycler gehört. Diese fühlen sich – mit den Worten von BDSV-Präsident Andreas Schwenter – momentan „alleine gelassen“ und ein wenig „erpresst“. Natürlich wolle man die Partnerschaft erhalten. Daher müsse man wieder verstärkt den Dialog mit der Automobilbranche suchen.

Handicaps: Annahmestopps und Brände

Zu den Handicaps der Schrottverwerter-Branche zählt zudem die Tatsache, dass die Platzierung von Material wie der nichtmetallischen Schredderleichtfraktion aus der Automobilindustrie bei Müllverbrennungsanlagen erschwert bleibt. 58 Prozent der Unternehmen sehen darin eine Schwierigkeit, zumal die Preise für Entsorgung enorm gestiegen seien, und bei der Hälfte der Befragten kam es zu Annahmestopps von Vormaterial. Der Trend, diese Fraktion zunehmend nicht mehr entsorgen zu können, werde sich durch steigende Elektromobilität noch verstärken, betonte Schwenter.

Zu schaffen macht der Branche schließlich auch die deutlich zugenommene Zahl von Brandmeldungen. Brände würden immer häufiger durch nicht sachgemäße Entsorgung von Lithium-Ionen-Batterien durch Verbrauchern und Wertstoffhöfe verursacht und könnten sogar durch Selbstentzündung von Knopfbatterien entstehen; Versicherungen würden dafür kaum mehr Policen ausstellen. Eine Pfandlösung für Lithium-haltige Batterien werde jedoch ausgeschlossen, weil sie dem Kreislauf Material entziehe.

Milliarden-Einsparungen

Trotz dieser Widrigkeiten und Probleme bedeutet der Einsatz von Stahlschrott anstelle Primärmaterial eine Einsparung von Klima- und Umweltkosten in Milliardenhöhe. Zu diesem Ergebnis kommt die „Stahlbonus“-Studie des Fraunhofer-Instituts für Mikrostruktur von Wertstoffen und Systemen, die im Auftrag der BDSV externe Kosten und fairen Wettbewerb in den globalen Wertschöpfungsketten der Stahlherstellung untersuchte. Demnach wurden 2018 europaweit 93,8 Millionen Tonnen an hochwertigem Schrott eingeschmolzen, was rund 56 Prozent des Rohstoffeinsatzes in der EU ausmachte.

Neben der Einsparung von Primärrohstoffen brachte dies eine Reduzierung von 157 Millionen Tonnen CO2 mit sich – vergleichbar den CO2-Emissionen aller Automobile in Frankreich, Großbritannien und Belgien. Damit verringern sich die Umweltkosten für die Aufbereitung einer Tonne Schrott – je nach zugrunde gelegtem Szenario – um 79 bis 213 Euro für Kohlenstoff-Stahlschrott und 158 bis 502 Euro für Edelstahl-Schrott, bei legiertem Schrott gar um 473 Euro je Tonne. Insgesamt belief sich 2018 laut Studie die jährliche Einsparung an Umweltkosten durch Schrotteinsatz auf 7,4 bis 20 Milliarden Euro in der EU und allein in Deutschland auf rund vier Milliarden Euro.

Bonus im Preis verankern

Doch der Markt spiegelt die ökologischen Wirkungen des Schrotteinsatzes nur unzureichend wider. Die Wohlfahrtsgewinne, die der sogenannte „Stahlbonus“ der Schrottbearbeitung erwirtschaftet, werden durch den Preis nicht ausgedrückt. Daher schlägt die Studie die Verankerung des Schrottbonus im volkswirtschaftlichen Preismechanismus vor. Zu den dafür notwendigen Maßnahmen könnte ein global abgestimmter CO2-Preis gehören, der mittelfristig jedoch als unrealistisch gilt.

Aktuell – so das Fazit der Studie – helfen nur europäische oder nationale Lösungen wie die Fortentwicklung des integrierten Konzeptes zur Dekarbonisierung des europä­ischen Stahlsektors unter Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit sowie die Korrektur von CO2-Preisen. Verbraucher könnten durch Labels und Standards zu einem Umdenken gebracht werden. Als indirekte Instrumente wären die Förderung von Forschung und Entwicklung sowie bessere industrielle Rahmenbedingungen wie beispielsweise eine Aufrüstung der Bahn-Infrastruktur denkbar. „Zusätzliche Förderung und politische Maßnahmen in diesem Bereich sind ein effizienter Beitrag zum Klimaschutz und steigern gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Stahl- und Stahlrecyclingwirtschaft“, betonte der BDSV-Präsident. Stattdessen würde die Branche Müll aufbereiten und werde dafür auch noch bestraft.

Initiativen ergriffen

Die Stahlrecycling-Branche will jedoch nicht warten, bis neue Maßnahmen im die Wege geleitet werden und greifen, sondern präsentierte auf ihrer Jahresversammlung eigene Initiativen. Dazu zählte die Vorstellung der erwähnten „Stahlbonus“-Studie, um Öffentlichkeit und Politik davon zu überzeugen, dass der Einsatz von Stahlschrotten den Rohstoffverbrauch drosselt, die Umweltkosten senkt und somit aktiven Klimaschutz bedeutet. Hinzu kam die Vorstellung und Bewerbung einer Qualifizierungsoffensive des der BDSV zugehörigen Instituts für Schrott und Metalle (ISM): Als Hilfe zur Selbsthilfe im Personalbereich, um den aktuellen Bedarf und Anforderungen an neuen Mitarbeitern und gutem Personal gerecht zu werden, stehen hier für 2020 als zentrale Themen „Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen im Schrott- und Metallhandel“ auf der Agenda. Laut BDSV-Präsidiumsmitglied Ralph Wager soll damit erreicht werden, „dass das, was wir heute tun, wir morgen noch viel besser machen können“. Und ein am 18. November freigeschaltetes Intranet soll den Informationsfluss innerhalb des Verbandes optimieren, da hier unter anderem auf aktuelle Sortenpreise, Termine, Mitteilungen, Regelwerke sowie eine Mitgliederliste zugegriffen werden kann.

Die Bundesvereinigung macht sich außerdem Gedanken, inwieweit die Digitalisierung in die Branche eingeführt oder noch einzuführen ist, denn – wie es der scheidende BDSV-Hauptgeschäftsführer Dr. Rainer Cosson vor kurzem formulierte – „dem Trend zu mehr Digitalisierung kann sich niemand entziehen – wer das versucht, hat schon verloren“. Aber die Branche braucht nach Ansicht von Andreas Schwenter keine Angst vor der Zukunft zu haben. Daher wagte er die BDSV-Weissagung: „Erst wenn das letzte Eisenerz eingeschmolzen ist, die letzte Kohle verkokst ist und das letzte Nickel abgebaut ist, werden wir merken, dass Schrott noch immer da ist.“

(EU-Recycling 12/2019, Seite 10, Foto: Dr. Jürgen Kroll)