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Ein bahnbrechendes Vorhaben – Fragen und Antworten zum europäischen Grünen Deal

Im Dezember 2019 stellte die neue EU-Kommission den europäischen Grünen Deal mit dem Ziel vor, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Der Grüne Deal umfasst eine neue Wachstumsstrategie, mit der wichtige Umwelt- und Klimaprobleme in Angriff genommen werden sollen.

Durch die Annahme einer langfristigen Vision für die Umwelt sollen Industrie und Unternehmen mehr Rechtssicherheit bekommen, damit sie wichtige Investitionen in die Modernisierung und eine bessere Umweltverträglichkeit tätigen können. Die Innovationen und Lösungen, die die Unternehmen zuerst in der EU entwickeln, können dann die Grundlage für einen weltweiten Geschäftserfolg bilden. Eine solche Umgestaltung soll die Wirtschaft der Europäischen Union künftig widerstandsfähiger gegen Klima- und Umweltrisiken machen. Inzwischen wurde auch ein Investitionsplan für den Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft vorgelegt. Bis 2030 will die Kommission öffentliche und private Investitionen in den Klimaschutz in Höhe von mindestens einer Billion Euro mobilisieren. Der Erfolg des Investitionsplans für ein zukunftsfähiges Europa wird vom Engagement aller beteiligten Akteure abhängen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament in den Verhandlungen über den nächsten Finanzrahmen an den ehrgeizigen Zielen des Kommissionsvorschlags festhalten.

Eine rasche Annahme des Vorschlags für die Verordnung über den Fonds für einen gerechten Übergang wird von entscheidender Bedeutung sein. „Beim europäischen Grünen Deal stehen die Menschen im Mittelpunkt“, erklärte dazu EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. „Dieser Wandel wird nur geschafft, wenn er gerecht ist und für alle funktioniert.“

Wie wird der Wandel finanziert?

Der Investitionsplan sieht die Bereitstellung von Mitteln aus dem EU-Haushalt – mit der darin enthaltenen Zusage, 25 Prozent für den Klimaschutz aufzuwenden – und nationalen Finanzierungsquellen vor. Unterstützt von den Tätigkeiten der Europäischen Investitionsbank soll ein Rahmen geschaffen werden, der die öffentlichen und privaten Investitionen erleichtert und stimuliert, die für den Übergang zu einer klimaneutralen, grünen, wettbewerbsfähigen und inklusiven Wirtschaft nötig sind. Die Kommission schätzt, dass zur Erreichung der derzeitigen Klima- und Energieziele bis 2030 jährlich zusätzliche Investitionen in Höhe von 260 Milliarden Euro erforderlich sein werden, was etwa 1,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 2018 entspricht. Sowohl der öffentliche als auch der private Sektor müssten diese Investitionsströme über viele Jahre aufrechterhalten.

Der Privatsektor soll Anreize erhalten, damit er sich ebenfalls an der Finanzierung der grünen Wende beteiligt. Um Finanz- und Kapitalströme auf umweltfreundliche Investitionen zu lenken, sind langfristige Signale erforderlich. Die Kommission hat angekündigt, im dritten Quartal 2020 eine grüne Finanzierungsstrategie vorzulegen, in deren Mittelpunkt eine Auswahl von Maßnahmen stehen wird, mit denen nachhaltige private Investitionen gefördert und mobilisiert werden sollen.

Aktuell stützt sich der Investitionsplan auf drei Dimensionen:

Ein zentrales Instrument ist der „Mechanismus für einen gerechten Übergang“: Der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft soll fair verlaufen und niemanden zurücklassen. Alle Regionen werden Finanzmittel benötigen – dazu dient der Investitionsplan. Der Mechanismus hingegen bietet gezielte Unterstützung zur Mobilisierung von mindestens 100 Milliarden Euro im Zeitraum 2021 bis 2027 in den am stärksten betroffenen Regionen, um die sozioökonomischen Auswirkungen des Übergangs abzufedern. Der Mechanismus wird den Vorstellungen nach aus drei Hauptfinanzierungsquellen bestehen:

1) einem Fonds für einen gerechten Übergang, der mit neuen EU-Mitteln in Höhe von 7,5 Milliarden Euro ausgestattet wird. Diese ergänzen die Mittel, die im Vorschlag der Kommission für den nächsten langfristigen EU-Haushalt vorgesehen sind. Um ihren Anteil am Fonds zu nutzen, müssen die Mitgliedstaaten im Dialog mit der Kommission die förderfähigen Gebiete durch gebietsspezifische Pläne für einen gerechten Übergang ermitteln. Ferner müssen sie sich verpflichten, jeden Euro aus dem Fonds für einen gerechten Übergang durch Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfonds Plus zu ergänzen und zusätzliche nationale Mittel bereitzustellen. Insgesamt werden dadurch Mittel in Höhe von 30 bis 50 Milliarden Euro zusammenkommen, wodurch wiederum zusätzliche Investitionen mobilisiert werden.

Der Fonds wird in erster Linie Regionen Zuschüsse gewähren. Dadurch werden beispielsweise Arbeitnehmer dabei unterstützt, Fähigkeiten und Kompetenzen für den Arbeitsmarkt der Zukunft zu entwickeln, und es wird kleinen und mittleren Unternehmen, Jungunternehmen und Gründerzentren geholfen, neue wirtschaftliche Möglichkeiten in diesen Regionen zu schaffen. Des Weiteren werden mit dem Fonds Investitionen in die Energiewende gefördert, beispielsweise in Energieeffizienz.

2) einer speziellen Übergangsregelung im Rahmen der seit 2014 laufenden Investitionsoffensive „InvestEU“ zur Mobilisierung von Investitionen in Höhe von bis zu 45 Milliarden Euro. Ziel ist es, private Investitionen unter anderem in nachhaltige Energie und Verkehr anzuziehen, die diesen Regionen zugutekommen und ihren Volkswirtschaften dabei helfen, neue Wachstumsquellen zu finden.

3) einer durch den EU-Haushalt abgesicherten Darlehensfazilität bei der Europäischen Investitionsbank für den öffentlichen Sektor zur Mobilisierung von Investitionen in Höhe von 25 bis 30 Milliarden Euro. Die Mittel werden für Darlehen an den öffentlichen Sektor verwendet, beispielsweise für Investitionen in Fernwärmenetze und die Renovierung von Gebäuden. Die Kommission wird im März 2020 einen entsprechenden Legislativvorschlag vorlegen.

Mithilfe einer Plattform für einen gerechten Übergang will die Kommission den Mitgliedstaaten und Investoren technische Hilfe leisten und dafür sorgen, dass die betroffenen Gemeinschaften, lokalen Behörden, Sozialpartner und Nichtregierungsorganisationen einbezogen werden. Der Mechanismus soll einen festen Steuerungsrahmen umfassen, der auf gebietsspezifischen Plänen für einen gerechten Übergang fußt.

Welche Initiativen werden dieses Jahr noch ergriffen?

Es wird erwartet, dass die Kommission in 2020 ein Klimagesetz auf den Weg bringt und im Vorfeld einer wichtigen internationalen Konferenz der Vertragsparteien des UN-Übereinkommens über die biologische Vielfalt im November in Kunming (China) darlegt, was die Union tun sollte, um die Biodiversität in Europa und weltweit zu schützen und zu fördern.

Ein wichtiger Aspekt des europäischen Grünen Deals ist die Notwendigkeit, den EU-Ressourcenverbrauch und den EU-Abfall zu reduzieren, damit unter anderem weltweit weniger Plastikmüll in die Meere und Ozeane gelangt. Zudem soll die Umweltbelastung durch industrielle Quellen und überschüssige Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft verringert werden, um die Wasserqualität und die Umweltqualität in Küstenregionen zu verbessern.

Die Kommission kündigt an, bis März 2020 einen Aktionsplan zur Förderung der Kreislaufwirtschaft in der EU vorlegen zu wollen, der auch Kunststoffe umfasst. Rezyklate sollen maßgeblicher als zuvor zur Substitution von Primärmaterialen beitragen und somit die Basis für eine ökologische Modernisierung schaffen. Alle Verpackungen auf dem EU-Markt müssen bis 2030 wiederverwendbar oder recycelbar sein. Auch ein Produktpass ist geplant, der über Herkunft, Zusammensetzung, Reparatur, Demontage und Entsorgung informiert.

Weitere Initiativen sollen ergriffen werden:

Wie können Unternehmen profitieren?

Der mit dem europäischen Grünen Deal angestrebte Übergang will Unternehmen Chancen zur Modernisierung und zur Steigerung ihrer Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen. Mittels der Investitions- und Innovationsprogramme des mehrjährigen Finanzrahmens sollen Anreize für die Indus­trie geschaffen werden, neue umweltfreundliche Technologien und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

Der europäische Grüne Deal (mit seinen Folgemaßnahmen) umfasst eine Strategie, die der Wirtschaft Planbarkeit und einen rechtlichen Rahmen bieten soll: damit Investitionen getätigt werden können – ohne Fehlinvestitionen zu fürchten – und Anreize für Innovationen geschaffen werden. Auch die Maßnahmen der Kommission zur Mobilisierung nachhaltiger privater Finanzierungen sollen dazu beitragen, den Investitionsbedarf der Industrie zu decken. Darüber hinaus soll durch den Ausbau der Kreislaufwirtschaft und des Marktes für Sekundärrohstoffe die Abhängigkeit der Industrie von kritischen Rohstoffen verringert werden.

Wie lassen sich Wettbewerbsnachteile ausschließen?

In der EU gibt es bereits Vorschriften zur Vermeidung einer Verlagerung von CO2-Emissionen, das heißt der Auslagerung von Wirtschaftstätigkeiten und ihren Emissionen aus der EU in andere Länder und Regionen der Welt, die eine weniger strenge Klimapolitik verfolgen. Diese Vorschriften werden im Rahmen des Emissionshandelssystems angewandt und sehen kostenlose Emissionszertifikate für Branchen vor, in denen das Risiko einer solchen Verlagerung besteht.

Zudem hat die Kommission im Rahmen des Grünen Deals angekündigt, ein mögliches Grenzausgleichssystem als Alternative zu einer solchen kostenlosen Zuteilung im Rahmen des Emissionshandelssystems zu prüfen. Auch in ihren Freihandelsabkommen wird die EU weiterhin auf Nachhaltigkeit pochen. Dazu hat sie kürzlich eine Compliance-Stelle eingerichtet, die die Einhaltung der Vorschriften durch die internationalen Partner der Union in diesem Bereich prüft.

Was haben die Verbraucher vom Grünen Deal?

Die Verbraucher sollen künftig von nachhaltigeren Produkten profitieren, die reparierbar und langlebig sind, aus recycelten Stoffen hergestellt werden und weniger Energie verbrauchen. Dadurch können sie über die gesamte Lebensdauer der gekauften Produkte hinweg Geld sparen. Zudem können sie anhand zusätzlicher und genauerer Informationen sachkundige Entscheidungen treffen und so den Übergang zu umweltfreundlicheren Produkten und einer weniger gesundheitsschädlichen Umwelt unterstützen.

Darüber hinaus können Maßnahmen im Bereich der Gebäuderenovierung und Energieeffizienz dazu beitragen, den Energieverbrauch zu verringern und Energiekosten zu senken. Davon könnten die 50 Millionen Haushalte in der EU profitieren, die heute Schwierigkeiten haben, ihre Wohnungen ausreichend warm zu halten.

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„Wir können es uns nicht leisten, die Klimakrise nicht zu lösen“

Bei einem Besuch Mitte Januar in Berlin hat Frans Timmermans, Exekutiv-Vizepräsident der Europä­ischen Kommission, für den europäischen Grünen Deal geworben.

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Frans Timmermans (Foto: Olaf Kosinsky / wikimedia)

Timmermans traf sich mit Bundestagsabgeordneten, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier sowie Vertretern des Deutschen Bauernverbands und des Verbandes der Automobilwirtschaft (VDA), um die Kommissionsvorschläge zu diskutieren. Nach dem Investitionsplan sollen deutsche Regionen von 877 Millionen Euro Unterstützung profitieren; nur für Polen ist mehr Geld vorgesehen.

Im ZDF-Morgenmagazin sagte Timmermanns zu Befürchtungen, das notwendige Geld für den Fahrplan hin zu einem klimaneutralen Europa könne nicht mobilisiert werden: „Vor 30 Jahren, nach der Wende, haben wir auch nicht gesagt: ‚Wir haben nur so viel Geld. Schauen wir mal, ob wir diese Wende auch zum Erfolg machen‘. Nach der Wende haben wir gesagt: ‚Die Wende muss ein Erfolg sein – wir haben Pläne, und die werden wir auch finanzieren‘. Die Klimakrise ist eine gleichartige Herausforderung für unsere Gesellschaft. Wir können es uns nicht leisten, diese Klimakrise nicht zu lösen.“

Das Geld für die grundlegende Transformation hin zu Klimaneutralität sei im Markt vorhanden, so Timmermans. Auch die Finanzmärkte und Banken wüssten, dass wir unsere Wirtschaft umgestalten müssen. „Es wird Geld kosten, aber es bringt auch viele Erfolge. Der Grüne Deal wird dazu führen, dass wir eine neue Wirtschaft, neue und bessere Jobs haben. Das ist das Angebot, dass wir unseren Bürgern machen müssen.“
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(EU-Recycling 02/2020, Seite 10, Foto: paulaphoto / stock.adobe.com)

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