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IERC 2020: Positive Aussichten, aber anspruchsvolle Aufgaben

Die meisten Unternehmen der Elektronikrecycling-Industrie schauen optimistisch in die Zukunft. Dennoch gibt es Themen wie die Elektromobilität, den europäischen Green Deal und den Kunststoffmarkt, die für die kommenden Jahre Fragen aufwerfen. Das machte der 19. IERC – Internationale Elektronikrecycling-Kongress vom 21. bis 24. Januar in Salzburg deutlich.

Laut einer Umfrage unter den Kongress-Teilnehmern, die Stephane Burban, Vorstand Glencore International AG und Vorsitzender der Lektorengruppe im IERC-Lenkungsausschuss, vorstellte, erwartet knapp die Hälfte (45 Prozent) für die nächsten zwei Jahre eine Fortentwicklung der Branche. Rund ein Drittel rechnet mit stabilen Rahmenbedingungen, während 24 Prozent eine Verschlechterung der Lage befürchten. Was die Mengenentwicklung im Markt in den nächsten 24 Monaten anlangt, prognostizieren zwei Drittel der Befragten einen Aufwärtstrend; ein Drittel sieht eine stabile Entwicklung voraus, und acht Prozent haben die Befürchtung, dass sich die Marktvolumina verschlechtern könnten. Die Entwicklung der Volumina der letzten beiden Jahren beurteilen 63 Prozent als positiv, 27 Prozent als unverändert und zehn Prozent als negativ. Nach der ökonomischen Situation befragt, bezeichnen rund 39 Prozent der Befragten die gegenwärtige wirtschaftliche Lage als günstig, für 35 Prozent wird sich in den nächsten Monaten nichts ändern, und 26 Prozent sind mit dem gegenwärtigen Geschäftsergebnis unzufrieden.

Steigende Sortierkosten, schlechtere Qualität

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Durch die Mobilitätswende wird das
E-Schrott-Aufkommen steigen glaubt Egbert Lox (Foto: ICM AG)

Darüber hinaus gelten den IERC-Teilnehmern als wesentliche Einflussfaktoren auf die wirtschaftliche Entwicklung aber auch steigende Sortierkosten aufgrund schlechterer Qualität der Elektronikabfälle. Dies würde nicht nur die Nachfrage nach besseren Verarbeitungstechnologien steigern, sondern auch die Entsorgung von Sortierrückständen erschweren und verteuern. Probleme bereiten außerdem Ausfuhrbeschränkungen, vor allem in asiatische Länder. Kunststoffabfälle von geringerer Qualität sind davon besonders betroffen; es werde immer schwieriger, einen Markt für diese Abfälle zu finden.

Überdies belasten zunehmend striktere gesetzliche Anforderungen und die unterschiedlichen rechtlichen Rahmenbedingungen der einzelnen Staaten die Branche. Andererseits erwarten die Recycler durch neue Projekte auch frische Impulse, um die Circular Economy zu stärken. Darunter werden verbindliche Einsatzquoten für Rezyklate in neuen Produkten ebenso verstanden wie die Verwendung von Recyclingmaterial und eine leichtere Beseitigung von Komponenten. Begrüßt werden auch die geplanten Beschränkungen für Deponierungen. Neben diesen Schwierigkeiten kommen zukünftig noch weitere Probleme auf den Elektronikrecycling-Sektor zu. Die drei Keynote Speaker des Kongresses wiesen im Rahmen der Tagung darauf hin.

Wichtigkeit wird drastisch zunehmen

So gab Professor Egbert Lox, Senior Vizepräsident von Umicore, über die Folgen der steigenden Elektromobilität Auskunft. Seiner Ansicht nach wird durch nachhaltigere Mobilität zwar der Verbrauch an fossilen Brennstoffen zurückgehen, aber ebenso werde der Einsatz elektrischer Antriebe die Verwendung von NE-Metallen wie Nickel, Cobalt sowie Kupfer und die Zunahme von Brennstoffzellen die Nachfrage nach Edelmetallen wie Platin steigern. Auch dürfte aufgrund von Traktionsbatterien und Brennstoffzellen als entwickelte Elektroniksysteme und zusätzlich auf der nächsten Stufe durch Sensoren und elektronische Steuereinheiten der autonom gesteuerten Fahrzeuge mehr Elektronikschrott entstehen. Die Wichtigkeit der Recyclingindustrie werde in diesem Bereich drastisch zunehmen.

Da sich der Übergang zur Elektromobilität ohnehin nur in einigen Regionen der Welt vollzieht, werde auch die Wiederaufbereitung von Katalysatoren aus Verbrennungsmotoren – sogar in der EU – weiterhin für viele Jahre Bestand haben. Selbst Carsharing – so Lox – werde zu keinem drastischen Rückgang der jetzigen Fahrzeug-Verkaufszahlen führen: Heutzutage würden Fahrzeuge weniger und dafür länger genutzt, während sie durch Carsharing intensiver gefahren und folglich schneller durch neue ersetzt werden müssten.

Unangemessene Verwaltungsbarrieren

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Robert ter Kuile referierte zum Thema Nachhaltigkeit bei Amazon, was Fragen hinterließ (Foto: ICM AG)

Zu den Hauptreferenten des IERC zählte auch Robert ter Kuile. Der weltweite Leiter von Umweltangelegenheiten bei Amazon spricht sich für den Green Deal der Europäischen Union aus, da die Vision von Ursula von der Leyen Hindernisse für die Wirtschaft aus dem Weg räumt und die Idee eines Binnenmarktes jenseits von Grenzen und auf dem gesamten Kontinent enthält. Denn noch seien Unternehmen mit unangemessenen Verwaltungsbarrieren aus der EU-Umweltgesetzgebung konfrontiert, wenn sie Grenzen überschreiten wollen. Die Umsetzung in nationale Gesetze sei nicht abgestimmt, gab Robert ter Kuile in einem Interview im Vorfeld des Kongresses zu bedenken.

So erheben beispielsweise Länder unterschiedliche Gebühren zur Erweiterten Produzentenverantwortlichkeit und verlangen die Registrierung bei verschiedenen Konformitätssystemen. Ein Verkäufer, der sein Produkt in sämtliche EU-Staaten transportieren will, sei somit gezwungen, gemäß allen 28 Gesetzgebungen und für 28 verschiedene Systeme sich zu registrieren, zu melden und zu zahlen. Robert ter Kuile plädiert hingegen für ein einfacheres und aufeinander abgestimmtes Programm zur Erweiterten Produzentenverantwortlichkeit – eines, das eher auf der durchschnittlichen Produktinformation beruht als auf aktuell detaillierten Daten, das erleichterte Berichterstattung und Gebührenbezahlung ermöglicht und das erlaubt, die Kräfte kleiner und mittelgroßer Unternehmen dort zu konzentrieren, wo sie es am besten können: beim Verkauf qualitativ hochwertiger Waren. „Produkte kennen keine Grenzen innerhalb Europas; Abfälle sollten es auch nicht“, unterstrich Robert ter Kuile in dem Interview.

Vorbildhafte Circular Economy sieht anders aus

Ter Kuiles Vortrag auf dem IERC stellte dann neue Verpackungslösungen vor, die angeblich bei Amazon schon eingesetzt werden. Mit dem Titel des Vortrags „European Green Deal: Boosting Recycling in the Single Market“ hatte das allerdings nichts zu tun. Kritische Fragen aus dem Publikum in diesem Zusammenhang zur Produktverantwortung – die der Online-Versandhändler bislang von sich weist – und zur anhaltenden Verwendung von Einwegplastik brachten Robert ter Kuile teilweise sogar in Erklärungsnot und wurden umschifft. Das betraf auch die folgenden Fragen: Ist bei Amazon-Kunden ein Trend zu einem nachhaltigeren Konsum feststellbar? Ändert sich das Kaufverhalten; werden mehr nachhaltige Produkte nachgefragt? Wird Amazon in naher Zukunft wiederverwendbare Verpackungen auf den Markt bringen?

Auch auf die Tatsache, dass der Online-Versandhändler weiterhin und allein in Deutschland Retouren-Warensendungen in Millionenhöhe vernichten lässt und hier völlig neue und intakte Elektronikgeräte in riesigen Mengen in der Schrottpresse landen, wurde während der Präsentation und in der Diskussion mit Kongress-Teilnehmern nicht eingegangen. Die Abläufe sind dabei hochgradig standardisiert, wie Recherchen von Greenpeace und der Deutschen Umwelthilfe belegen. Das ZDF-Politmagazin „Frontal 21“ und die „Wirtschaftswoche“ haben 2018 ermittelt, dass an den deutschen Amazon-Standorten täglich Waren im Wert von 23.000 Euro geschreddert werden.

Chemisches Recycling noch im Pilotstadium

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Surendra Borad Patawari lehnt ein pauschales Plastikverbot ab (Foto: ICM AG)

Von Keynote Speaker Surendra Borad Patawari, Vorstand der Gemini Corporation NV und renommiertem Kunststoffrecycling-Experten, war zu erfahren, dass jedes Jahr rund 300 Millionen Tonnen an Kunststoffen produziert, aber nur 20 Prozent davon recycelt werden. Jährlich steigt die Produktion von Primärplastik um drei Prozent, während die Recyclingrate unter zwei Prozent liegt. Zwar ist eine steigende Verwendung von Recyclingmaterial bei Verpackungen und Produkten mit kurzer Laufzeit abzusehen, aber dazu müsste sich die Qualität des recycelten Kunststoffs verbessern. Zudem würden über sechs Millionen Tonnen an hochwertigem wiederaufbereiteten Plastik benötigt, doch sei diese Menge nur bedingt verfügbar.

Ein pauschales Plastikverbot lehnt Patawari ab; es gebe immer Wege, Gesetze zu umgehen. Er tritt stattdessen für eine Steuer auf die gebrauchten Kunststoffe ein, die nicht mehr recycelt werden können. Die Kräfte des Marktes würden eine Reduktion im Gebrauch solchen Materials bestärken; die Gelder der Abgabe könnten dazu eingesetzt werden, Lösungen hierfür zu finden.

Mechanisches Recycling sei kein Rezept, sondern sollte durch chemisches Recycling ergänzt werden. Leider befindet sich dieses überwiegend im Stadium von Pilotprojekten und sollte mit der Produktion auf kommerziellem Niveau beginnen. Informationen der Beratungsgesellschaft IHS und der Zero Waste Association legen nahe, dass chemisches Recycling noch fünf bis zehn Jahre braucht. Dennoch ist enormer Druck dahinter, zu einem Durchbruch zu kommen.

„Alles in allem zeigt die IERC-Umfrage, dass Interessenvertreter wie Erstausrüster, Recycler und Gesetzgeber eine positive Erwartungshaltung gegenüber dem Elektronikrecycling-Wirtschaftssektor an den Tag legen“, fasste Stephane Burban zusammen. Aber es stehen für die Branche anspruchsvolle Aufgaben an. Die Diskussionsrunden auf dem Kongress gelangten zu der Einschätzung, dass Chinas Abfallimportbeschränkungen immer mehr Nachahmer finden werden und deshalb auch WEEE nicht auf Dauer den Weg des geringsten Geldes gehen wird. Das billige Verbringen von Elektro(nik)altgeräten in sogenannte Dritte-Welt- und Schwellenländer könnte schon bald der Vergangenheit angehören. Bezüglich der politischen Forderungen nach höheren Recyclingquoten bleibt festzuhalten, dass diese nicht unbedingt zielführend für mehr WEEE-Recycling sind. „Wir haben schon so viele Regularien; deswegen gelangt nicht mehr Elektroschrott ins Recycling“, so die zutreffende Erkenntnis.

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„Recycling ist mein Leben“

Surendra Borad Patawari mit dem IERC Honorary Award ausgezeichnet.

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Foto: ICM AG

Der Preis wird jedes Jahr an eine Persönlichkeit verliehen, die der Recyclingindustrie und dem Umweltschutz hervorragende Dienste geleistet hat.

In diesem Jahr ging der Honorary Award an Surendra Borad Patawari. Die Preisverleihung fand am 22. Januar auf dem Internationalen Elektronikrecycling-Kongress in Salzburg statt. In ihrer Laudatio hob Jean Cox-Kearns, Vorsitzende des IERC-Lenkungsausschusses, auch das soziale Engagement des Gründers und Vorstand der belgischen Gemini Corporation N.V. in Indien hervor: „Herr Patawari hat elf indische Dörfer für deren medizinischen Bedürfnisse adoptiert, zwei Schulen für 400 Schüler gebaut und betrieben und unterstützt das Pflanzen und Pflegen von über 100.000 Bäumen.“ Sichtlich gerührt nahm Surendra Borad Patawari den IERC Honorary Award entgegen. „Seit 30 Jahren beschäftige ich mich mit Recycling“, sagte er. „Recycling ist meine Leidenschaft. Recycling ist mein Leben. Diese Auszeichnung wird meine Leidenschaft verstärken und mich immer wieder daran erinnern, dass ich weiter hart arbeiten muss, um mich für die Auszeichnung zu qualifizieren.“

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Womit sich der IERC 2020 außerdem befasste

Chemisches Recycling war unter anderem ein Schwerpunktthema bei den Technikpräsentationen auf dem diesjährigen Internationalen Elektronikrecycling-Kongress.

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Die Referenten der Session „Country Reports“ (Foto: Marc Szombathy)

So warf Christian Haupts (Recenso GmbH) einen kritischen Blick auf die bislang entwickelten Verfahren und deren Wirtschaftlichkeit. Wenn auch viele Projekte im Sand verlaufen und über den Forschungs- und Labormaßstab nicht hinauskommen würden, ist der Experte dennoch überzeugt: Chemisches Recycling hat Potenzial und wird auch für die Rückgewinnung von Kunststoffen aus Elektro(nik)altgeräten ein Markt werden. Dr. Alexander Hofmann (Fraunhofer Umsicht) stellte dazu den iCycle-Prozess vor, ein thermochemisches Verfahren zur Stofftrennung: In sauerstofffreier Atmosphäre werden Kunststoffe und andere organische Bestandteile thermisch zersetzt. Auf diese Weise können nicht nur enthaltene Metalle beziehungsweise Fasern schonend freigelegt, sondern auch heizwertreiche Energieträger in Form von Öl und Gas gewonnen werden. Der iCycle-Prozess ist in der Lage, viele Schadstoffe wie Halogene und Dioxine vollständig abzuscheiden beziehungsweise zu eliminieren, sodass Produkte mit besonders hoher Qualität erzeugt werden können. Ein wichtiges Anwendungsfeld für die Technologie ist die Aufbereitung von Schredderrückständen.

Das Thema Flammschutzmittel in Kunststoffen griffen Lein Tange (ICL-IP) und Dr. Kevin Bradley (BSEF – The International Bromine Council) in ihren Vorträgen auf. Jim Puckett (Basel Action Network) informierte über Neuerungen beim e-Stewards Standard für verantwortungsvolles WEEE-Recycling und Bettina Lorz (EU-Kommission) über aktuelle und geplante europäische Regularien, um die Qualität der E-Schrottaufbereitung zu verbessern. Die Länderberichte von Olivier Mberra (EnviroServe Rwanda), Alvin Piadasa (TES Group) und Danilo Mella (Lorene Importação e Exportação Ltda.) betrachteten die Entwicklung von WEEE-Recyclingstrukturen in Ruanda, Australien und Brasilien, die als schleppend zu bezeichnen ist und gerade in Brasilien durch eine überbordende Bürokratie und restriktive Gesetzgebung behindert wird.

Weitere Referenten auf dem IERC 2020 waren Patrick Sauer (AR Europe s.r.o.), Mark Müller (Orglmeister Infrarot-Systeme GmbH & Co. KG), Paudy O´Brian (FPD Recycling), Olivier François (EuRIC), Elisabeth Smith (StEP Initiative), Dr. Katrin Bokelmann (Fraunhofer IWKS), Paul Clark (Microsoft), Dullip Tillekeratne (GSMA Cleantech Programme), Lorenzo Glorie (Recupel), Dr. Kevin Mets (University of Antwerp), Remi Gerriet (Pellenc ST), Clemens Kitzberger (Erema), Jelle Saint-Germain (AD REM N.V.), Corey Dehmey (Seri) und Pascal Leroy (WEEE Forum).

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(EU-Recycling 03/2020, Seite 24, Foto: Daniel Krasoń / stock.adobe.com)

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