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Umschalten auf Krisenmodus

Vor dem Hintergrund der Ausbreitung des Coronavirus ändert sich das wirtschaftliche Umfeld immer schneller. Was gerade noch gilt, kann in der nächsten Stunde obsolet sein. Bis zum Redaktionsschluss war klar, dass die Bänder bei den europäischen Automobilherstellern (je nach Produzent) vorerst für zwei bis vier Wochen, ab der 12./13. Kalenderwoche (KW), stillstehen.

Bei der Stahl- und Gießereiindustrie finden Produktionsdrosselungen, vereinzelt sogar Stillstände statt; die Schrottannahme wurde teilweise eingeschränkt oder eingestellt. Obwohl die Produktion bei Industrie und Gewerbe in der ersten Monatshälfte relativ normal verlief, reduzierte sich schrittweise der Neuschrott­entfall mit dem Anstieg der Corona-Erkrankungen. Abbrüche wurden verschoben und die Baustellentätigkeit nahm immer mehr ab. Die behördlich angeordnete, schrittweise Verlangsamung des öffentlichen Lebens führte anfangs zu einer verstärken Anlieferung von Privaten zu den Lagern. Seit der 12. KW stellte der Handel jedoch einen täglich steigenden Rückgang der Sammelschrottmengen fest. Die Sorge vor der Ansteckungsgefahr veranlasste einige Händler, trotz eingeführter Hygieneschutzmaßnahmen den Ankauf von Privatleuten zu stoppen. Die Händler ohne Lagerhaltung haben teilweise ihre Sammeltätigkeit wegen Wegfalls der gewerblichen Entfallstellen eingestellt.

Rückblick
Die Vertragsverhandlungen Anfang März waren vielversprechend. Es deutete sich ein steigender Verbrauch der Stahlwerke bei einem relativ knappen Schrottangebot an. Die ersten Monatsabschlüsse brachten je nach Werk und Sorte einen Aufpreis gegenüber Februar von 10 bis in der Spitze 20 Euro pro Tonne. Die Marktlage war angespannt, da im Vormonat nicht alle Werke ausreichend versorgt worden waren und teilweise Beschaffungsprobleme hatten. Die Nachfrage der Werke war in der ersten Monatshälfte zufriedenstellend, und bis zum Redaktionsschluss erfolgte die Abnahme bei den meisten Werken zügig und problemlos. Die Situation änderte sich in der 11. KW mit der rasch ansteigenden Anzahl der mit Corona infizierten Menschen in Italien, den drastischen Schutzmaßnahmen des Ministerpräsidenten Guiseppe Conte und den ersten Werksschließungen italienischer Langstahlhersteller ab dem 11. März 2020. Die Schrottabsatzmöglichkeiten in Richtung Italien waren gering, weil dort die Verbraucher unsicher waren, ob sie überhaupt noch Schrott kaufen sollten. Die Verhandlungen mit den deutschen Verbrauchern wurden zäher, weil es zeitgleich offiziell keine Nachfrage aus der Türkei gab und dadurch die Tiefseepreise unter Druck kamen. Verbraucher, die erst zu diesem Zeitpunkt ihren Monatsbedarf eindeckten, konnten mit leichten Preiserhöhungen bzw. in der Regel zu unveränderten Preisen einkaufen. Die Bandbreite der Einkaufspreise lag je nach Werk und Sorte sowie Zeitpunkt des Ankaufs letztendlich bei durchschnittlich 0 bis +15 Euro pro Tonne im März. Fehlende Absatzmöglichkeiten in den Nachbarländern bzw. im Tiefseemarkt, die steigende Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung, steigende Infektionszahlen sowie strengere Schutzmaßnahmen der Behörden verstärkten die Lieferbereitschaft des Handels gegenüber den Werken. Dabei kam es regional zu heftigen Abwehrreaktionen. Einige große Händler begannen außerdem, ihre Preise frei Lager drastisch zu senken. Nicht alle Marktteilnehmer folgten dem Beispiel, denn niemand kann absehen, welche Veränderungen die Pandemie mit sich bringt. Die Stahl- und Gießereiindustrie und die sie mit Rohstoffen versorgende Schrottwirtschaft gehören zur systemrelevanten Infrastruktur. Produktionseinschränkungen oder -stillstände treffen die Schrottwirtschaft hart, aber nach einer gewissen Durststrecke wird der Rohstoff Schrott wieder gebraucht und nachgefragt. Noch produzieren viele Verbraucher und fragen Schrott nach. Beschaffung und Transport könnten sich als Nadelöhr erweisen.

Lichtblick?
Die deutschen Bewehrungsstahl-Hersteller erfreuen sich im Berichtsmonat einer lebhaften Nachfrage, da die Kunden einerseits bereits bestellte Mengen zügiger ausgeliefert haben wollten und andererseits zusätzliche Mengen von Kunden bestellt wurden, die wegen der Werksschließungen in Italien und Lieferverzögerungen im grenzüberschreitenden Verkehr inländische Erzeugnisse bevorzugten. Die Hersteller erhöhten daraufhin ihre Preise.

Nachbarländer
Der Schrottverkauf nach Italien hat seit Monatsbeginn unter der Corona-Krise gelitten, da dort früh die Schulen geschlossen und das öffentliche Leben gerade in Norditalien, der Region mit den meisten Stahlwerken und Gießereien, heruntergefahren wurde. Zum Beginn der 11. KW signalisierten die Werke Schrottbedarf und verhandelten mit deutschen Lieferanten über Preiserhöhungen von 10 bis 15 Euro pro Tonne. Wegen des vorsichtigen Agierens kam es nur zu überschaubaren Abschlüssen, da sich die Lage in Oberitalien täglich mehr zuspitzte und bis zum Redaktionsschluss viele Hersteller die Produktion bereits eingestellt haben. Wann diese wieder aufgenommen werden kann, ist angesichts der nach wie vor steigenden Zahl an Infektionen fraglich. Dennoch soll es wieder Werke geben, die Schrott suchen. Der Eisenbahnverkehr ist im Gegensatz zum Straßenverkehr kaum beeinträchtigt. In Österreich blieben die Preise unverändert, wobei ein großer Verbraucher Neuschrott suchte. Die Werke in der Schweiz hatten einen normalen Schrottbedarf und importieren Schrott aus Deutschland zu einem um rund Euro 20 pro Tonne höheren Preis. Einer der Schrottverbraucher in Tschechien zahlte 8 Euro pro Tonne mehr gegenüber Februar, und der andere ließ die Einkaufspreise unverändert. Am 14. März 2020 schloss Tschechien seine Grenzübergänge und ergriff weitere Maßnahmen, um die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung einzuschränken. Der Handel wurde ebenfalls sukzessive zurückgefahren, zumal der Schrottentfall rückläufig war, was eine negative Preisspirale in Gang setzte. Beim grenzüberschreitenden Verkehr kam es zu Verzögerungen, genau wie in Polen. Die französischen Werke fragten wegen der stark eingeschränkten Produktion der meisten Werke keinen Schrott in Deutschland nach. Der Verbraucher in Luxemburg bestellte normale Mengen mit einem Aufpreis gegenüber dem Vormonat je nach Sorte von 10 bis 15 Euro pro Tonne. Lieferungen waren zeitweise nur noch per Waggon möglich, und die Annahme wurde sukzessive verringert. Im Vereinigten Königreich bewegten sich die Annahmepreise der Abnehmer im März um rund 10 bis 15 Euro pro Tonne nach oben. Wegen des schwachen Pfunds gegenüber dem US-Dollar ergaben sich für die Exporteure gute Verkaufsmöglichkeiten in die Türkei und andere Drittländer, was die Preise im kommenden Monat aus heutiger Sicht stützen könnte.

Gießereien
Der befragte Handel bezeichnete die Bestellmengen einiger Eisengießereien am Monatsanfang als erstaunlich gut. An keinen Preisindex gebundene Hersteller erhöhten die Preise je nach Sorte um bis zu 10 Euro pro Tonne. Dennoch war die Lage im März unübersichtlich. Während einige Gießereien gut beschäftigt waren, klagten andere über eine zu geringe Auslastung. Bei Redaktionsschluss meldeten erste Zulieferanten für die Automobilindustrie Produktionsstopps; weitere Gießereien arbeiten kurz und variieren die Arbeitsschichten zum Schutz der Mitarbeiter.

Tiefseeexport
Die türkischen Stahlwerke haben laut der vom bvse ausgewerteten Fachpresse im März wenig Schrott zur Lieferung im April gekauft. Vielmehr zeigten sie mit den wenigen gemeldeten Zukäufen, dass sie die Preise schrittweise reduzieren. Seit Ende Februar bis zum Redaktionsschluss ist der Preis um rund 35 US-Dollar pro Tonne auf rund 240 bis 245 US-Dollar pro Tonne CFR Türkei gefallen. Entsprechend haben die Exporteure in den Niederlanden und in Belgien sukzessive ihre Einkaufspreise zurückgenommen. Nach dem in der KW 12 bekannt gewordenen Verkauf einer Ladung aus Kanada zu einem Preis, der 20 US-Dollar pro Tonne unter dem vorherigen Verkauf lag, haben die europäischen Exporteure ihre Annahmepreise nochmals reduziert. Seit Ende Februar beläuft sich der Abschlag auf rund 50 Euro pro Tonne. Es ist noch nicht bekannt, inwieweit türkische Werke von der grassierenden Pandemie betroffen sind. Sie sind im Markt und signalisieren Kaufbereitschaft, während die türkischen Hafenbehörden die einzuhaltenden Hygienevorschriften drastisch verschärft haben. Der Verkauf von Stahl scheint für sie in Südostasien und sogar in Nordeuropa möglich zu sein. In Südostasien mussten sie deutliche Preiskorrekturen nach unten vornehmen, da chinesische Hersteller versuchen, Übermengen in der Region abzusetzen.

Schlussbemerkungen
Ein unsichtbarer und dazu wenig bekannter Feind in Form eines Virus bedroht unsere Gesundheit, unter Umständen unser Leben und unsere Wirtschaft. Es zwingt die Regierungen und auch die Unternehmen zu bisher undenkbaren Maßnahmen. Zum Schutz der Menschen werden in den Betrieben besondere Hygienemaßnahmen ergriffen, die Staaten schränken das öffentliche Leben stark ein oder verhängen Ausgehverbote und schließen die Außengrenzen. Der Warenverkehr soll nicht betroffen sein. Da aber viele Lkw-Fahrer sich weigern, in Risikogebiete zu fahren oder zu Hause in ihren Heimatländern festsitzen und weil sehr viele Fahrer aus osteuropäischen Ländern kommen, die ihre Grenzen ebenfalls geschlossen haben, stockt die grenzüberschreitende Verbringung. Der Stopp der Automobilproduktion hat weitreichende Folgen für die Angebotskette. Hinzukommen weitere Produktionsausfälle, weil immer mehr Mitarbeiter erkranken werden. Das Leben ist extrem entschleunigt; dennoch werden Schrottentfall und -verbrauch nicht komplett zum Erliegen kommen. Aktuell muss sich die Schrottwirtschaft mit einer reduzierten Nachfrage und einem sinkenden Schrottaufkommen auseinandersetzen. Der Schrottpreis ist im Handelsmarkt eingebrochen, wobei die Abschläge überproportional hoch waren – und damit deutlich höher als beim Stahl. Prognosen erübrigen sich angesichts der aktuellen Lage.

Redaktionsschluss 19.03.2020, BG-J/bvse

(EU-Recycling 04/2020, Seite 48, Foto: O. Kürth)

 

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