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Circular Economy in der Automobilindustrie

Nachhaltigkeit wird für Fahrzeughersteller zum strategischen Muss.

Die Automobilbranche rückt die Themen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit stärker in den Fokus. Laut einer aktuellen Studie des Capgemini Research Institute verfügen bereits 62 Prozent der Unternehmen über eine umfassende Strategie. Bei der Erfüllung globaler Nachhaltigkeitsstandards sind sie Unternehmen aus anderen Branchen sogar voraus. Die Umsetzung folgt aber häufig noch keinem ganzheitlichen Ansatz.

So haben von den 74 Prozent der Automobilhersteller, die eine Elektrofahrzeugstrategie verfolgen, nur 56 Prozent eine solche als Teil ihrer Nachhaltigkeitsplanung verankert. Darüber hinaus reichen die Investitions- und Umsetzungsniveaus sowie die Steuerung der Nachhaltigkeit noch nicht aus, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen. Das Capgemini Research Institute befragte im Zeitraum November bis Dezember 2019 – ergänzt durch Tiefeninterviews – 503 Führungskräfte von Automobilunternehmen aus neun Ländern und 317 Nachhaltigkeitsexperten, darunter NGOs, Wissenschaftler und Vertreter von Aufsichtsbehörden. Die Studie „The Automotive Industry in the Era of Sustainability” zeigt, dass die Automobilindustrie bei ihren derzeitigen Investitionen einen Rückstand von 20 Prozent aufholen muss, um die festgelegten internationalen Klimaziele zu erreichen. Zudem können nur neun Prozent der analysierten Automobilunternehmen als „leistungsstarke Nachhaltigkeitsführer“ eingestuft werden, 91 Prozent haben die Reife noch nicht erreicht und 26 Prozent von ihnen gelten als „Nachzügler“. Mehr als die Hälfte der führenden Unternehmen stammt aus Deutschland (28 Prozent) und den USA (26 Prozent); in der Regel sind dies große Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als 25 Milliarden US-Dollar.

An Bedeutung gewonnen
Das Thema Nachhaltigkeit hat in der Automobilindustrie sowohl als Gesprächsthema als auch hinsichtlich seiner geschäftlichen Priorität an Bedeutung gewonnen. So hat sich die Anzahl der Investorenveranstaltungen mit Nachhaltigkeitsbezug in der Automobilbranche von 142 im Jahr 2015 auf 320 im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. 62 Prozent der befragten Autounternehmen gaben an, über eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie mit klar definierten Zielen und Zeitplänen zu verfügen; lediglich acht Prozent entwickeln momentan eine solche Strategie. Nachhaltigkeitsexperten schreiben der Branche im Allgemeinen zu, dass sie bei der Sicherstellung der globalen Nachhaltigkeit entweder anderen Industrien voraus (46 Prozent) oder mit ihnen gleichauf (19 Prozent) ist. Was die deutsche Auto­branche angeht, denken sogar 64 Prozent der Experten, dass sie weiter ist als andere Branchen; 18 Prozent sehen sie mit anderen gleichauf.

Länderspezifische Unterschiede
Grundsätzlich lassen sich erhebliche länderspezifische Unterschiede bei den Nachhaltigkeitsinitiativen feststellen. Deutschland und die USA sind bei den meisten als prioritär eingestuften Initiativen führend, wie zum Beispiel bei der Unterstützung und Förderung der Kreislaufwirtschaft und der nachhaltigen Fertigung. Im Gegensatz dazu hinken die anderen Länder gleich bei mehreren der Initiativen hinterher, wie zum Beispiel bei Mobilität und digitalen Dienstleistungen, umweltverträglicher Beschaffung von Metallen, Materialien und Produkten oder beim Thema Nachhaltigkeit in der IT.

Deutliches Verbesserungspotenzial
Die Studie zeigt, dass die Autobranche sich in puncto Nachhaltigkeit zwar weiterentwickelt hat, es aber noch deutliches Verbesserungspotenzial gibt: So wurden die Fortschritte der Unternehmen bei 14 Initiativen analysiert, die alle Bereiche der Wertschöpfungskette abdecken. Diese reichen von der nachhaltigen F&E und Produktentwicklung bis hin zur Unterstützung und Förderung der Kreislaufwirtschaft. Die Gewichtung der verschiedenen Initiativen ist dabei sehr unterschiedlich: 52 Prozent der Unternehmen arbeiten zwar an Programmen zur Kreislaufwirtschaft, aber nur acht Prozent an der Nachhaltigkeit im IT-Bereich.

Milliardeninvestitionen notwendig
Nachholbedarf gibt es auch beim Thema Unternehmensführung, denn nur 44 Prozent der Unternehmen verfügen über ein zentrales Gremium, das sich der Überwachung von Nachhaltigkeitszielen widmet, und 45 Prozent geben ihren wichtigsten Führungskräften spezielle Ziele vor. Insgesamt haben nur 19 Prozent mindestens vier quantifizierbare Ziele, die auf Bereiche ausgerichtet sind, die sich am stärksten auf die Nachhaltigkeitsleistung auswirken (wie z. B. Abfallrecycling, Frischwasserverbrauch und ethische Arbeitsrichtlinien). Damit Automobilunternehmen die internationalen Nachhaltigkeitsziele wie die des Pariser Klimaschutzabkommens oder des neuen europäischen „Green Deal“ erreichen, sind zusätzlich zu den derzeitigen Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie in Elektrofahrzeuge und Mobilitätsdienstleistungen weitere geschätzte 50 Milliarden US-Dollar notwendig.

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Aluminium-Recycling im BMW Group Werk Dingolfing (Foto: BMW Group)

Die Studie hat zudem zwei für die Automobilbranche wichtige Triebfedern der Nachhaltigkeit untersucht – Elektrofahrzeuge und die Kreislaufwirtschaft:

Stärkerer Nachhaltigkeitsfokus bei Elektrofahrzeugen wichtig
Ein wesentlicher Teil der Nachhaltigkeitsprogramme in der Automobilindustrie ist die Reduzierung der Treibhaus­gasemissionen (THG). Elektrofahrzeuge haben hierauf einen erheblichen positiven Einfluss. Um ihn über die gesamte Lebensdauer von Elektrofahrzeugen zu erhalten, ist es wichtig, dass sie von erneuerbaren Energien gespeist werden. Der Capgemini-Studie zufolge planen jedoch nur 15 Prozent der Automobilhersteller die Bereitstellung einer Ladeinfrastruktur für die Stromversorgung von Elektrofahrzeugen mit erneuerbaren Energien.

Weitere Faktoren machen es erforderlich, dass sich Unternehmen beim Bau von Elektrofahrzeugen stärker auf Nachhaltigkeit fokussieren: zum einen die höhere CO2-Bilanz der Batterieproduktion im Vergleich zur Produktion fossiler Kraftstoffe und zum anderen ein begrenztes Angebot an Lithium und seltenen Erdmetallen. Letztlich werden die Kreislaufwirtschaft, die eine längere Lebensdauer von Fahrzeugen und Teilen ermöglicht, sowie neue Geschäftsmodelle entscheidend dazu beitragen, dass Elektrofahrzeuge ihr Nachhaltigkeitspotenzial ausschöpfen können.

Eine der effektivsten Möglichkeiten, wie Automobilunternehmen nachhaltiger werden können, ist die Einführung einer Kreislaufwirtschaft. Dies betrifft viele Schlüsselbereiche der Nachhaltigkeit – von der Supply Chain bis hin zu Recycling, Beschaffung und After-Sales. Bekannte Automobilmarken haben bereits die Wirksamkeit dieses Ansatzes vorgeführt. Michelin verwertet zum Beispiel 85 Prozent seiner alten Lkw-Reifen wieder. Diese werden im britischen Werk runderneuert, was 60 Kilogramm CO2-Emissionen pro Reifen einspart. General Motors hat aus dem Verkauf von wiederverwertbarem Abfall eine Milliarde US-Dollar erzielt.

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(Foto: BMW Group)

Noch einen langen Weg vor sich
Der Studie zufolge haben die Automobilunternehmen jedoch noch einen langen Weg vor sich, bis sie umfassend von der Kreislaufwirtschaft profitieren. Nur 32 Prozent der für die Studie befragten Unternehmen gaben an, mit ihrer Lieferkette derzeit zur Kreislaufwirtschaft beizutragen, wobei dieser Anteil in den nächsten fünf Jahren voraussichtlich auf 51 Prozent steigen wird. Bei den einzelnen Initiativen der Kreislaufwirtschaft gibt es zudem große Unterschiede: 75 Prozent recyceln eine beträchtliche Menge Industrieabfälle und Schrott und 71 Prozent geben Anreize für Endverbraucher, überholte Teile und Komponenten wiederzuverwenden. Nur 51 Prozent investieren in die Infrastruktur und die Fähigkeiten, alte Komponenten oder Schrott wiederzuverwerten, und 36 Prozent setzen auf Partnerschaften, um Elektrofahrzeugbatterien ein zweites Leben zu ermöglichen.

„Damit sich die Automobilbranche zu einer nachhaltigen und umweltfreundlicheren Industrie entwickeln kann, müssen Autofirmen das tatsächliche Potenzial von Elektrofahrzeugen ausschöpfen und Nachhaltigkeit im Unternehmen verankern. Darüber hinaus gilt es, stärker in die Kreislaufwirtschaft zu investieren, um von Kostenvorteilen und der Wiederverwertung von Ressourcen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu profitieren“, kommentiert Sebastian Tschödrich, Vice President im Bereich Automotive bei Capgemini Invent.

Die Studie gibt eine Reihe von Empfehlungen, die auf den Erfahrungen von Automobilunternehmen basieren, die beim Thema Nachhaltigkeit führend sind:

„Nachhaltigkeit ist für Automobilhersteller heute ein Muss und kann mit dem richtigen Ansatz gleichzeitig zum Differenzierungsfaktor werden. Wer es schafft, ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entwickeln und dieses auch authentisch kommuniziert, wird von den deutschen Mobilitätskunden durch Akzeptanz und Erfolg belohnt“, stellt Tschödrich abschließend fest.

Die komplette Studie kann unter folgendem Link heruntergeladen werden: www.capgemini.com/de-de/news/studie-nachhaltigkeit-automobilunternehmen-strategie/ [3]

(EU-Recycling 05/2020, Seite 36, Foto: BMW Group)

 

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