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Zukunft der Klärschlamm­entsorgung in vielen Punkten offen

Der aktuelle Entsorgungsengpass und die Pflicht zum Phosphor­recycling haben zu einem Planungsboom für Monoverbrennungsanlagen von Klärschlamm geführt. Damit ist zukünftig die bundesweit ausreichend flächendeckende Entsorgung von Klärschlämmen aber noch keineswegs gesichert.

Der Entsorgungsengpass für Klärschlamm hat sich in den letzten Jahren zugespitzt; Experten sprechen inzwischen gar von einem „eklatanten Entsorgungsnotstand“. Der durchschnittliche Vergabepreis für die Entsorgung von kommunalem Klärschlamm in Deutschland ist in den vergangenen vier Jahren von rund 60 Euro auf derzeit knapp 100 Euro je Tonne Originalsubstanz gestiegen. Bestehende Entsorgungsverträge wurden von Entsorgern zum Teil kurzfristig gekündigt oder nicht verlängert, da die Entsorgungswege in der stofflichen Verwertung nicht mehr verfügbar sind. Vereinzelt endeten kommunale Ausschreibungen in der Klärschlammentsorgung auch ohne Angebot. Ulrike Zettl, Professorin für Siedlungswasserwirtschaft an der Hochschule Biberach, wird mit den Worten zitiert: „Bei neuen Ausschreibungen zur Klärschlammentsorgung darf man sich glücklich schätzen, überhaupt ein Angebot zu erhalten, wenn auch zu deutlich höheren Preisen als bisher.“

Rechtliche Verschärfung
Der Grund für diesen Entsorgungsnotstand besteht in den Verschärfungen im Düngemittelrecht. Vor allem die Novellierungen der Düngeverordnung Mitte 2017 und im März 2020 haben für die Ausbringung von Klärschlamm in der Landwirtschaft neue Grenzwerte gesetzt. Deren Vorgaben sowie die aktuelle Klärschlammverordnung sollen und werden mittelfristig dazu führen, dass die bodenbezogene Klärschlammverwertung zugunsten der thermischen (Vor-)Behandlung weiter zurückgefahren wird.

Nach Angaben des Bundesumweltministeriums betrug die landwirtschaftliche Nutzung der Materialien bereits 2017 nur 18,1 Prozent im Gegensatz zum Landschaftsbau mit zehn Prozent und vor allem zur thermischen Entsorgung mit 69,5 Prozent. Laut Kläser & Langenohl GbR Beratende Ingenieure (Wachtberg) wird die Klärschlamm-Menge sich bis 2031 weiterhin bei 1,7 Millionen Tonnen Trockenmasse einpendeln, während die Verwendung im Landschaftsbau praktisch zum Erliegen kommt, die agronomische Verwertung von heute etwa 250.000 Tonnen auf über die Hälfte sinkt und die Verbrennung von knapp 1,4 auf über 1,6 Millionen Tonnen steigen soll.

Nicht genügend Kapazitäten
Doch auch die energetische Behandlung kann an ihre Grenzen stoßen, wenn – wie in den letzten Jahren geschehen – ein sprunghafter Nachfrageanstieg nach thermischer Verwertung einsetzt: Den anfallenden Klärschlamm-Mengen konnten die vorhandenen Kapazitäten in Mitverbrennungs-Einrichtungen, Monoverbrennungs-Anlagen oder Zementwerken – insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Phosphorrückgewinnung – nicht genügen. Die Alternative, Klärschlämme zwischenzulagern, kann nur eine zeitlich begrenzte Maßnahme sein, da eine langfristige Lagerung im Widerspruch zur Verwertungspflicht steht.

Noch unklar sind die Auswirkungen der Corona-Krise auf die Klärschlammentsorgung. Vor allem für Müllverbrennungsanlagen besteht die Hoffnung, dass sinkende Mengen gewerblicher Abfälle zu einer steigenden Bereitschaft bei der Annahme von Klärschlamm führen, wo dieses technisch und genehmigungsrechtlich möglich ist. Auf der anderen Seite dürften eine rückläufige Zementproduktion und rückläufiger Stromverbrauch die Mitverbrennung von Klärschlamm in der Zementindustrie und in Kohlekraftwerken unter Umständen mindern. Geplante Kraftwerksstilllegungen infolge des Kohleausstiegs schränken die Mitverbrennungskapazitäten zusätzlich ein.

Bedarf an zusätzlichen Anlagen
Im Jahr 2016 kam laut Statistischem Bundesamt die landwirtschaftliche Verwertung auf 23,9 Prozent der Klärschlammentsorgung, die Monoverbrennung belief sich auf 26,0 Prozent, und die Mitverbrennung mit Kohle, Zement, Müll, Ersatzbrennstoffen und sonstigem erreichte 38,5 Prozent. Im gleichen Jahr veröffentlichte die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall einen Fachbericht, der bei einer Klärschlamm-Menge von 1.750.000 Tonnen Trockenmasse pro Jahr zukünftig jährlich 1.025.000 Tonnen an technischer Verbrennungskapazität aus Monoverbrennungsanlagen sowie 330.000 Tonnen Trockenmasse aus Mitverbrennungsanlagen für Braunkohle voraussah, also eine Gesamtkapazität von 1.355.000 Tonnen.

Würden die Bestandsanlagen weiterhin so betrieben wie bisher, dürfte sich die Kapazität auf 1.173.500 Tonnen reduzieren. Daraus entstünden je nach Szenario Deckungslücken von minimum 45.000 Tonnen und maximal 401.500 Tonnen pro Jahr. Die Autoren des Berichts prognostizieren daher einen Bedarf an einer bis maximal acht weiterer Monoverbrennungsanlagen mit einer Durchsatzleistung zwischen 35.000 und 50.000 Tonnen Trockenmasse pro Jahr.

Monoverbrennung noch in Planung
Eine Studie des Bremer Beratungsunternehmens trend:research geht davon aus, dass in Deutschland ein massiver Zubau von 33 Neubauprojekten für Monoverbrennungsanlagen mit einer Gesamtkapazität von über 1,0 Millionen Tonnen Trockenmasse geplant ist, zusätzlich zu den 23 Monoverbrennungsanlagen zur Klärschlammverwertung mit einer Gesamtkapazität von rund 620.000 Tonnen Trockensubstanz. Der überwiegende Teil befinde sich noch in der Planungs- beziehungsweise Genehmigungsphase, bei den ersten Projekten habe der Bau bereits begonnen. Die meisten Kapazitäten seien für Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Bayern vorgesehen.

Auch das Beratungsunternehmen in der Umwelt- und Energietechnik ecoprog konstatiert einen Entsorgungsnotstand samt Preisanstieg, der zu einem Boom bei der Planung von Monoverbrennungsanlagen für Klärschlamm geführt hat. Derzeit zählt ecoprog 40 bekannte Projekte für neue Monoverbrennungsanlagen. Hierzu werden auch jene Projekte gezählt, die de facto den Einsatz von Vergasungstechnologien planen. Alle bekannten Projekte zusammen würden über eine Kapazität von rund 1,1 Millionen Tonnen Trockensubstanz jährlich verfügen. Zusammen mit den aktiven Monoverbrennern für Klärschlamm addieren sich diese zu einer technischen Kapazität von rund 1,8 Millionen Tonnen Trockensubstanz jährlich auf. Dies sei etwas mehr als die verfügbare Menge an Klärschlamm.

Monoverbrennung im Vorteil
Nach Ansicht der EEW Energy from Waste GmbH ist in der Forschung unbestritten, dass die Klärschlamm-Monoverbrennung mit anschließender Phosphorrückgewinnung in nachgelagerten Verfahren heute eine besonders effiziente Verwertungsmethode für Klärschlamm darstellt. Dafür spricht unter anderem, dass dadurch die im Klärschlamm enthaltenen organischen Schadstoffe sicher zerstört und mögliche Krankheitserreger abgetötet werden.

Zudem können Rauchgasreinigungsanlagen anorganische Schadstoffe wie Schwermetalle, SO2 und HCl effektiv auffangen. Darüber hinaus ist entscheidend, dass die Monoverbrennung mit anschließender Phosphorrückgewinnung als unschlagbar hinsichtlich Ressourceneinsatz gilt. Dieser Faktor ist zunehmend gefragt, da in den kommenden Jahren vor allem die Pflicht zum Phosphorrecycling im Rahmen der Klärschlammverordnung (AbfKlärV) die Strukturen der Klärschlammverwertung in Deutschland bestimmen und verändern wird. Aber nur die Monoverbrennung ermöglicht eine Phosphor-Rückgewinnungsquote von über 80 Prozent in nachgelagerten Verfahren, sodass die gesetzlichen Vorgaben zuverlässig eingehalten werden.

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Foto: Michal Jarmoluk auf Pixabay

Phosphorrückgewinnung überschaubar
Phosphor lässt sich aus kommunalen und industriellen Abwässern, Klärschlämmen und Klärschlammaschen rückgewinnen, mit unterschiedlichem Nutzen: Abwasser besitzt eine Phosphor-Konzentration von circa 0,006 Gramm pro Liter, Nassschlamm ergibt zwei Gramm pro Liter, entwässerter Klärschlamm enthält acht Gramm pro Liter, und in Klärschlammasche stehen 62 Gramm pro Liter zur Verfügung. Eine Reihe von Verfahren kann auf diese Recyclingpotenziale zugreifen. Das Umweltbundesamt – Stand Mai 2018 – zählt insgesamt 71 Verfahren. Als besonders aussichtsreich, Phosphor gemäß Düngemittelverordnung in ausreichender Düngequalität rückzugewinnen, erachtet das UBA sowohl nass-chemische Verfahren – zum Beispiel mit dem durch Fällung gewonnenem Magnesium-Ammonium-Phosphat (MAP bzw. Struvit) – wie auch thermische Verfahren.

Dennoch war im Mai 2018 die Zahl der vorhandenen Anlagen zur Phosphorrückgewinnung noch überschaubar, wie ein Bericht der LAGA dokumentiert. Aus Baden-Württemberg, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Saarland wurden je eine, aus Niedersachsen gleich sechs Einrichtungen gemeldet, von denen aber nur das baden-württembergische Projekt mit MAP-Verfahren die Vorgaben in Artikel 5 AbKlärV zur Reduzierung des Phosphor-Gehalts erfüllte. Zum Einsatz kam dabei vor allem das AirPrex/MAP-Verfahren. Geplant hatten zu diesem Zeitpunkt sechs Bundesländer insgesamt 13 Verbrennungs- oder andere Rückgewinnungseinrichtungen.

Nach Darstellung der Hamburger P.C.S. Pollution Control Service GmbH seien noch keine großtechnischen Verfahren zur Phosphorrückgewinnung aus Klärschlammasche erprobt. Die vorhandene Kapazität der derzeitigen 19 Anlagen in Deutschland könne mit jährlich circa 450.000 Tonnen Trockensubstanz nur rund ein Viertel der insgesamt anfallenden Klärschlammtrockenmasse bewältigen.

Verzögerungen durch Unsicherheiten
Die Zurückhaltung in der Umsetzung erklärt ecoprog – nach Gesprächen mit zahlreichen Betreibern von kommunalen Kläranlagen – dadurch, dass die Sachzwänge und Auflagen noch nicht überall bekannt sind. „Gerade bei den Betreibern kleinerer und mittlerer Kläranlagen herrscht zum Teil noch der Eindruck, dass das Phosphorrecycling nur die Anlagen der Größenklassen 4b und 5 betrifft, also jene mit einer Kapazität von mehr als 50.000 Einwohnerwerten. Mit Blick auf die bekannte Vollzugshilfe der LAGA ist das falsch. Es gilt für alle Anlagen und für alle ab 2029. Und alle müssen bis Ende 2023 darlegen, wie sie die Umsetzung dieser Vorgaben planen“, betont Mark Döing, Geschäftsführer der ecoprog GmbH. „Es ist somit im Interesse aller Betreiber, sich frühzeitig zu kümmern. Welche Strategie die richtige ist, kann dabei lediglich im jeweiligen regionalen Kontext beantwortet werden.“

Für die bislang eher zögerliche Realisierung und Inbetriebnahme neuer Anlagen gibt es technische ebenso wie wirtschaftliche Gründe. Mark Döing ist sicher, dass gerade in vielen kommunalen Anlagen die technischen Kapazitäten aus Gründen der Entsorgungssicherheit nicht ausgeschöpft werden. Hinzu kommen technische Probleme in einzelnen Anlagen. Außerdem handele es sich bei einigen Projekten um Ersatzinvestitionen, denen zukünftige Anlagenstilllegungen gegenüberstehen. Auch könne man nicht bei jedem Projekt von einer Realisierung ausgehen. Und einige Planungen stünden im direkten Wettbewerb zueinander. „Auf der anderen Seite gehen wir aber auch davon aus, dass weitere Projekte existieren, die noch nicht bekannt sind. Einige Akteure sondieren noch den Markt oder führen Kooperationsgespräche auf kommunaler Ebene“, erklärt der ecoproc-Geschäftsführer.

Ungleiche Entwicklung erwartet
Dagegen, dass es zu einem plötzlichen Kapazitätsboom in der Monoverbrennung kommen könnte, sprechen die Zahlen der vergangenen Jahre. In den letzten zehn Jahren sei in Deutschland keine Monoverbrennungsanlage mit einer Kapazität von mehr als 6.000 Tonnen Trockensubstanz pro Jahr in Betrieb genommen worden, führt Mark Döing als Gegenargument an. Das werfe die Frage auf, „wie die Errichtung einer Vielzahl von Anlagen mit einer Kapazität von 30.000 Jahrestonnen oder mehr innerhalb von sechs bis sieben Jahren verlaufen wird.“ In einzelnen Regionen drohen bereits Überkapazitäten, während in anderen Gebieten noch keine tragfähigen Lösungen existieren. Sollte es zu Überkapazitäten in einigen Regionen kommen, so ist deren Ausgleich – anders als etwa in der thermischen Abfallbehandlung – vergleichsweise schwierig. „Der Klärschlammmarkt ist vergleichsweise unflexibel“, betont Döing. „Hier sind die Mengenschwankungen geringer; die Mehrheit des Klärschlamms wird derzeit in entwässerter Form entsorgt. Dessen Transport über weite Distanzen ist vergleichsweise kostenintensiv.“ Der Einsatz von Co-Substraten sei in Monoverbrennungsanlagen aufgrund der Vorgaben zum Phosphorrecycling weitgehend unmöglich.

Rückgang der Mitverbrennung
ecoprog geht davon aus, dass auf die Monoverbrennung in der Klärschlammentsorgung ab etwa 2029 deutschlandweit ein Marktanteil von deutlich mehr als 80 Prozent entfällt. „Neben einem Rückgang der bodenbezogenen Verwertung erwarten wir auch einen deutlichen Rückgang der Mitverbrennung“, erklärt Döing. „Der Grund hierfür ist vor allem, dass die sogenannte nasse Abreicherung des Phosphors nach derzeitigem Stand als Recycling rechtlich nicht anerkannt wird. Diese wäre aber in den meisten Fällen Voraussetzung für die Mitverbrennung.“

Sicher ist, dass die aktuellen Investitionen zu deutlichen Verwerfungen am Markt führen werden. Anlagenbetreiber werden in Zukunft eine deutlich stärkere Rolle spielen, während der Marktanteil intermediärer Entsorger ohne eigene Infrastruktur demgegenüber schwindet.

(EU-Recycling 06/2020, Seite 24, Foto: Heiko Rebsch / Veolia)

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