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Erhebliche Rechtsunsicherheit: Wie mit Asbest in Gipsabfällen umgehen?

Die Branche erachtet im Zusammenhang mit der Ersatzbaustoff- und Mantelverordnung die Festlegung eines bundesweit einheitlichen Asbestgrenzwertes als dringend erforderlich. Denn bei der Aufbereitung von Baustoffen aus Abbruch und Rückbau älterer Gebäude ist eine Querkontamination von Asbest nicht sicher auszuschließen.

Nach Erkenntnislage spielt das Asbestproblem beim Recycling von Gips aus Altgebäuden – bis zum 31.Oktober 1993 konnten asbesthaltige Baustoffe verwendet werden – eine zentrale Rolle. Letzten eigenen Angaben nach setzte die deutsche Gipsindustrie im Jahr 2016 rund 0,14 Millionen Tonnen Recyclinggips ein. Bis 2023 wird der Anteil ansteigend auf etwa eine Million Tonnen geschätzt. Die Recyclingqualität steht und fällt dabei mit der Herkunft der Gipsabfälle.

Untersuchungen an Gips- und auch anderen mineralischen Abfällen aus Abbruch und Rückbau zeigen, dass eine Asbest-Querkontamination für diese Abfälle möglich ist. Bei Gipsabfällen weisen vor allem Spachtelmassen Asbestfasern auf. Die Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft fordert schon länger, klare Vorgaben zur Asbestuntersuchung von Bauabfällen einzuführen und Grenzwerte für Astbestfreiheit festzulegen. Dazu einen übergreifenden Asbestgrenzwert, der dann auf eine Reihe von Rechtsgebieten – unter anderem auf Abfälle, Gefahrstoffe, Chemikalien und Arbeitssicherheit – anwendbar und bei dessen Unterschreitung von Asbestfreiheit auszugehen ist. Derzeit herrscht beim Umgang mit Asbest und seinen Grenzwerten erhebliche Rechtsunsicherheit.

Widersprechende Rechtsauffassungen
Wird der Grenzwert 0,1 Masseprozent für Stoffe, Gemische und Erzeugnisse, die karzinogene Asbestfasern enthalten, erreicht beziehungsweise überschritten, handelt es sich gemäß REACH- und CLP-Verordnung sowie Abfallrahmenrichtlinie um gefährlichen Abfall. Eine Verwendung als Sekundärrohstoff ist somit ausgeschlossen und die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Verwendung dieser Fasern sowie von Erzeugnissen und Gemischen, denen diese Fasern absichtlich zugesetzt werden, verboten.

In einer rechtlichen Stellungnahme vertritt die Kanzlei Köhler & Klett in Köln die Auffassung, dass die Verwendung von Recyclinggips mit Asbestfasern bei der Herstellung neuer Gipsplatten kein absichtliches Zusetzen im Sinne der REACH-Verordnung darstellt, „weil die in den RC-Gips eingetragenen Asbestfasern als eine bloße, nicht vorgesehene Verunreinigung anzusehen sind, die für den RC-Gips keine eigenständige Funktion mehr hat.“

Das sieht das Bundesumweltministerium anders. So wird der Eintrag Nr. 6 in Anhang XVII der REACH-Verordnung verstanden als absolutes Inverkehr- und Verwendungsverbot für RC-Gips und andere Abfälle/Produkte, die Asbestfasern enthalten. Selbst bei einem Anteil von unter 0,1 Masseprozent dürften asbesthaltige Abfälle Sortier- und Behandlungsanlagen nicht zugeführt werden.

Wie Experte Jörg Demmich (Knauf Gips KG) urteilt, widerspricht diese Sichtweise der grundlegenden Charakterisierung von Spurenbestandteilen in natürlichen Stoffen und Abfällen: „Eine Null-Konzentration kennt die Natur nicht und kann daher auch nicht im Input einer Recyclinganlage sichergestellt werden. Gerade mit Bezug auf zu recycelnde Gipsplatten mit Anhaftungen von asbesthaltigen Spachtelmassen, welche nicht getrennt werden können, ist diese Festlegung nicht einhaltbar.“

Gesucht: Das sicherste Nachweisverfahren
Neben einem einheitlichen Asbestgrenzwert fehlt auch ein einheitliches und zuverlässiges Probenahme- und Analyse-Verfahren. Bereits eingesetzt wird die sogennannte BIA-Methode: Das Kombinationsverfahren, bestehend aus Rasterelektronenmikroskopie (REM) und energiedispersiver Röntgenmikroanalyse (EDX), vermisst die Asbestfasern hinsichtlich ihrer Geometrie (Länge und mittlerer Durchmesser) unter Berücksichtigung der jeweiligen Faserdichte. Über die Anzahl der Fasern, ihre Geometrie und Dichte errechnet sich der Massegehalt.

Bei dieser Methode besteht jedoch laut Demmich ein wesentliches Grundproblem: „Während man bei bekannten chemischen Analyseverfahren, zum Beispiel für Schwermetalle, bei Unterschreiten einer jeweiligen Nachweisgrenze per Definition davon ausgeht, dass das untersuchte Element nicht mehr in der untersuchten Probe vorhanden ist, kann es durchaus passieren, dass trotz Unterschreitung der genannten Nachweisgrenze bei der BIA-Methode unter dem REM einzelne Fasern gefunden werden können, die jedoch bei Berücksichtigung ihrer Geometrie und Dichte unterhalb dieser Nachweisgrenze liegen. Es ist somit wiederum aus Gründen der Rechtssicherheit dringend erforderlich, bei Unterschreitung der Nachweisgrenze ein Abschneidekriterium festzulegen.“

Niedriges Risiko?
Geklärt werden müssen auch diese Fragen: Wie kann die Begrenzung der Asbest- Feststoffkonzentration mit der Faserfreisetzung (in Verbindung mit der inhalativen Aufnahme) korreliert werden? Wie kann mit der Festlegung eines Feststoffgrenzwertes auch die Unterschreitung der Akzeptanzkonzentration für die Exposition von Asbestfasern sichergestellt werden? Die Akzeptanzkonzentration für Asbestfasern liegt gemäß TRGS 910 – Technische Regeln für Gefahrstoffe bei 10.000 Fasern pro Kubikmeter (aktuell in der Diskussion sind 1.000 Fasern pro Kubikmeter). Bei Unterschreitung dieses Wertes befindet man sich im Bereich niedrigen Risikos; ein Atemschutz ist nicht erforderlich. Die Toleranzkonzentration beträgt für Asbestfasern 100.000 Fasern pro Kubikmeter.

Das Thema vertieft der Beitrag „Festlegung eines einheitlichen, rechtsgebietsübergreifenden Grenzwertes zur Beurteilung der Asbestfreiheit von Bauabfällen und Baustoffen“ von Jörg Demmich, erschienen in: Mineralische Nebenprodukte und Abfälle 6 – Aschen, Schlacken, Stäube und Baurestmassen, hrsg. v. Stephanie Thiel, Elisabeth Thomé-Kozmiensky, Thomas Pretz, Dieter Georg Senk, Hermann Wotruba, Thomé-Kozmiensky Verlag 2019, ISBN 978-3-944310-47-3.

(EU-Recycling 08/2020, Seite 6, Foto: O. Kürth)

 

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