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Matratzenrecycling: Verwertungsmodelle gesucht

Am 19. Februar 2019 fand bei der Deutschen Umwelthilfe in Berlin ein Fachgespräch zum Thema „Sperrmüll – verlorene Wertstoffe?!“ statt.

Mit dem Ergebnis, dass zumindest in Deutschland Matratzen- und Teppichrecycling – wie es der Verband kommunaler Unternehmen in seinem Tagungsbericht ausdrückte – noch kein Geschäftsmodell sein soll. Angesichts sehr unterschiedlicher Materialien könne nur ein geringer, leicht abtrennbarer Anteil stofflich verwertet und am Sekundärrohstoffmarkt abgesetzt werden. Die Frage bleibt: Warum aber rentiert sich stellenweise Matratzenrecycling andernorts?

Problematisch: Materialqualität
Zwei Haupthindernisse wurden von den Referenten mit den Gesprächsteilnehmern identifiziert: die Materialqualität und die stoffliche Vielfalt. Was die schlechte Qualität des Materials anlangt, so sei diese ohne eine teure Getrennthaltung und die Verhinderung von Nässeeinwirkung für ein Produkt-zu-Produkt-Recycling nicht zu verwenden; bestenfalls könnten daraus Downcycling-Produkte wie beispielsweise Malervlies gewonnen werden. Mit dieser Problemstellung hatte zwar auch der größte niederländische Matratzenrecycler RetourMatras zu kämpfen. Für RetourMatras-Direktor Nanne Fioole stand aber stets fest: „Ich akzeptiere von Anfang an nur Matratzen in geschlossenen Behältern, die trocken sind. Den Rest lehnen wir ab.“ Aufgrund solch strenger Qualitätsanforderungen und resultierender höherer Verarbeitungskosten habe man acht Jahre auf den Erfolg warten müssen: „Wir mussten auf ein Stück Holz beißen, weil wir keine Matratzen bekamen.“ Die Gemeinden seien zwar verpflichtet gewesen, Matratzen getrennt zu sammeln, hätten diese aber zu niedrigeren Kosten in die Müllverbrennungsanlagen gebracht.

Mittlerweile würden Waste-to-Energy-Anlagen es aber hauptsächlich vorziehen, Matratzen abzulehnen: Vor der Verbrennung müsste das Material zuerst geschreddert werden, und der Schaum würde zu Extraktionsproblemen führen. Dadurch sei die Abgabe zum Recycling kostengünstiger als das Verbrennen. Somit erhalte Fiooles Unternehmen in letzter Zeit Lieferungen von Wertstoffhöfen, Krankenhäusern, Ferienparks, Gefängnissen und Matratzenverkäufern. Fioole: „Nahezu alle Kommunen liefern jetzt gute Matratzen aus Recyclingsystemen für Umweltabfälle. Ich muss einen Container nur einmal alle drei Monate ablehnen.“

Schwierig: stoffliche Verwertbarkeit
Der zweite Problempunkt, der beim Berliner Treffen der Fachleute zur Rede kam, betraf die mangelnde stoffliche Verwertbarkeit. Diese werde nur dann zu ganz geringen Anteilen erlaubt, „wenn eine einheitliche Stoffauswahl in dem Produkt verarbeitet wurde oder wenn wenige stofflich verschiedene Bestandteile schnell und sauber voneinander zu trennen sind“. Das sei „in der überwiegenden Menge der Produkte“ bislang nicht der Fall. Hierzu müsste bei neuen Produkten der Materialeinsatz klar geregelt und die verwendeten Stoffe international einheitlich gekennzeichnet sein.

In der Tat sind die in Matratzen vorkommenden Stoffe uneinheitlich, gehören verschiedenen Materialgruppen an und unterliegen darüber hinaus Moden. So lagen nach Darstellung des Beratenden Ingenieurs Gerd Hampel vor einigen Jahren die Schaumstoffmatratzen mit 70 Prozent Beliebtheitsanteil vorne, gefolgt von 23 Prozent Federkern- und fünf Prozent Latex-Modellen. Der neueste Trend geht zu Boxspring-Matratzen, die schnell Marktanteile übernehmen dürften. „Auf diese Marktverschiebungen“, betonte Gerd Hampel, „stellt sich das Recycling ohne Probleme ein.“

In Frankreich: Green Best Practice-Anlagen
Zumindest scheint das unter anderem der Fall in Frankreich sein, wo seit 2012 in Flaviac die Ecoval-Anlage für Matratzenrecycling arbeitet. Dort wird das ausgediente Material desinfiziert und zerlegt und Polsterstoffe wie Latex und Schaum, Textilien, Metalle und Holz gewonnen. Die Anlage schreddert die Textilien zu Faserstoff und Holzschnitzeln. Die Polsterstoffe werden mithilfe eines Airlay-Verfahrens zu einem Luft-Faser-Gemisch verarbeitet und durch Absaugung verdichtet. Nach Darstellung des Joint Research Centre der EU verfügt die als Green Best Practice eingestufte Anlage über eine vorgesehene Kapazität von 470.000 Stück beziehungsweise 10.000 Tonnen pro Jahr, recycelt in diesem Zeitraum rund 180.000 Matratzen und gewinnt mit einer Sortierquote von 93 Prozent Material in Höhe von 4.500 Tonnen zurück.

Auch die im Juni 2015 von Suez und Recyc-Matelas Europe eingeweihte Anlage im französischen Langon soll nach Ansicht des Joint Research Centre 90 Prozent der Matratzen-Komponenten recyceln und wiedergewinnen können. Diese Einrichtung, in die eine Million Euro investiert wurde, verfügt über eine Kapazität für 30.000 Matratzen pro Monat beziehungsweise 7.000 Tonnen pro Jahr und erzielt eine durchschnittliche Verwertungsrate von 90 Prozent.

In Deutschland ist seit mehr als zehn Jahren die D & E Entsorgung in Wesel auf die fachgerechte Zerlegung von Matratzen spezialisiert. Rund 130.000 Stück beziehungsweise 2.000 Tonnen an Material durchlaufen jährlich die Anlage, die annähernd 90 Prozent einer Matratze stofflich zu Sekundärrohstoff verarbeitet und die restlichen zehn Prozent in die thermische Verwertung gibt. Das Unternehmen sieht sich in diesem Bereich als „bundesweiter Marktführer“ und als leistungsstarker Lieferant für PU- und Latex-Schaumstoffe, Stahlschrott sowie Textilien- und Faserreste.
Absatz: entwicklungsfähig

Mit 180.000 (Ecoval, Frankreich), 360.000 (Suez/Recyc-Matelas Europe, Frankreich/Belgien), 100.000 (Furniture Recycling Group, Vereinigtes Königreich) und 130.000 (D & E Entsorgung, Deutschland) verarbeiteten Matratzen verwerten die größten Entsorger europaweit rund eine dreiviertel Million Stück pro Jahr – angesichts von etwa 30 Millionen jährlich anfallender Altmatratzen nur ein Bruchteil. Daran tragen nicht zuletzt auch teilweise schlechte Absatzmöglichkeiten Schuld. (Sie waren übrigens auch Tagesordnungspunkt beim Expertengespräch in Berlin: Es gelte „einen Nachfragemarkt nach Sekundärrohstoffen aus dem Matratzen- und Teppichrecycling zu etablieren, durch den die Aufbereitung der Materialien finanziert werden könnte“, hieß es da.)

Nanne Fioole von RetourMatras beispielsweise gibt zwar an, dass sein Unternehmen 90 Prozent der Rohmaterialien verkauft: Stoffe an die Textilindustrie und Stahl an die Metallverwerter. Aber er beklagt auch Hindernisse: „Wir können unsere entstehenden Rohstoffe oft nicht verkaufen. Wir müssen gegen jungfräuliches Material antreten.“ Deshalb kooperiere sein Unternehmen mit der Firma Hecmar, um den Polyurethan-Schaum der Matratzen zu einem eigenen Produkt mit verschiedenen Dicken und Härten zu verarbeiten, das an Kommunen verkauft wird und Einsatz auf Spielplätzen oder als Kunstrasen-Unterlagen findet.

Gesucht: Verwertungsverfahren für PU-Schaum
In diese Richtung – den größten Mengenanteil der Matratze, den Polyurethan-Schaum, zu verwerten – ging auch in Deutschland während der letzten Jahre der Trend in Forschung und Entwicklung. Im März 2018 berichtete die Deutsche Bundesstiftung Umwelt von einem neuen Verfahren, für das die Sulinger H&S Anlagentechnik verantwortlich zeichnete. Deren Technik erzeuge aus dem Weichschaum der Matratzen ein Material, mit dem später PUR-Hartschaum für hochwertige Anwendungen hergestellt werden könne. Der Clou: Es können auch Schäume verschiedener Hersteller mit unterschiedlicher Rezeptur gemeinsam recycelt werden. Im Januar 2019 startete das EU-geförderte PUReSmart Project (kurz für: PolyUrethane Recycling towards a Smart Circular Economy) mit neun Partnern und mit dem Ziel, Polyurethan-Schaum zu einem nachhaltigen Werkstoff zu machen, indem er beispielsweise aus Matratzen wiedergewonnen und als Sekundärrohstoff für bestehende oder neue Produkte verwandt wird.

Im April 2019 gab das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT ein chemisches Solvolyse-Verfahren bekannt, dessen Endprodukt Sekundär-Polyolen wieder erfolgreich für die Herstellung von Kissen, Isolationsschäumen oder Klebstoffen, aber auch Dämmplatten oder Schaumstoffmatratzen verwendet werden kann. Am 27. Mai 2020 sah in der Schweiz Dow Polyurethanes einen Durchbruch seines Renuva Matratzenrecycling-Programms angesichts eines Plans, eine „bahnbrechende Produktionsstätte“ zur Herstellung von Polyol aus Matratzenschaum im Industrieformat bei Orrion Chemicals Orgaform im französischen Semoy zu errichten. Im 23. Juni 2020 unterzeichnete H&S Anlagentechnik mit ebendiesem Chemieunternehmen einen Vertrag über den Bau der ersten großtechnischen Anlage zur Umwandlung von Polyurethan-Abfällen in hochwertige Recycling-Polyole. Und keine Woche später startete die BASF erste Pilotversuche eines chemischen Recyclingverfahrens für gebrauchte Matratzen, durch das flexibles Polyurethan aufgespalten und das ursprünglich verwendete Polyol für neuen Schaum rückgewonnen werden soll.

In Entwicklung: neues Matratzen-Design
Freilich blieben auch die Hersteller von Matratzen nicht untätig. So entwickelten beispielsweise Bettenhersteller Royal Auping und Stoffe-Designer DSM-Niaga eine innovative Matratze mit einem neuartigen modularen Designs, dessen Komponenten leicht voneinander getrennt und vollständig in einer neuen Matratze wiederverwertet werden können, da kein Klebstoff zwischen die Schaumschichten kommt. Mark Groot Wassink (Auping) ist davon überzeugt: „Ein vollständig geschlossener Zyklus beginnt mit dem Design der Matratze.“ Die Kunststoff-Fabrikanten Recticel und Covestro kooperieren bei der Entwicklung zirkulärer Werkstoffe für Polyurethan-Matratzen (ebenso wie im PUReSmart Project), um die Nachhaltigkeit von duroplastischen Werkstoffen in jeder Phase ihres Lebenszyklus‘ zu steigern. Und Nick Oettinger, Gründer und Chef der britischen Furniture Recycling Group, arbeitete schon 2014 mit einer Reihe von Herstellern zusammen, um über eine Rücknahme zu diskutieren und darüber zu sprechen, ob Matratzen nicht mit End-of-Life-Lösungen im Hinterkopf entwickelt werden können. Die Verbraucher würden es begrüßen: Eine Umfrage in den Niederlanden ergab, dass 72 Prozent der Befragten auch mehr Geld für eine langlebige Matratze mit dem Label A ausgeben würden; 41 Prozent halten solch ein Nachhaltigkeitslabel für ausschlaggebend bei einem Neukauf.

Einfach: am Straßenrand entsorgen
Im Gegensatz dazu sind die Niederländer angesichts der Beseitigung von Matratzen weniger umweltbewusst, sondern haben falsche Vorstellungen über deren Entsorgung: Eine Umfrage der Bank ABN Amro unter Verbrauchern ergab, dass drei Viertel den Transport zum Wertstoffhof als schwierig zu organisieren ansahen, 50 Prozent zu bequem waren, und ein Drittel der Meinung war, dass der Wertstoffhof Geld kostet. 20 Prozent wussten nicht einmal, dass Matratzen üblicherweise über den Wertstoffhof entsorgt werden. Folglich ist es am einfachsten, eine alte Matratze an die Straße zu stellen. Und so kommt es, dass ein Viertel aller niederländischen Matratzen hauptsächlich als Sperrmüll am Straßenrand landen, nass werden und verschmutzen. „Matratzen an der Straße, etwa 370.000 Stück pro Jahr, werden oft zusammen mit anderen sperrigen Abfällen in einem Behälter entsorgt. Aufgrund der Verunreinigung gelangt dieser Stoffstrom nicht in das Matratzenrecycling“, resümiert ABN Amro-Mitarbeiter Arnold Mulder in einer Studie über Konsumentenverhalten bei Matratzen.

Vorbildlich: der Mattress Recycling Council
Ob die genannten Ansätze genügen, um in Deutschland Matratzenrecycling im industriellen Maßstab zu installieren, dürfte fraglich sein. Ohne wirtschaftlich verlässliche Basis, festen politischen Willen und die Mitwirkung der Konsumenten ist eine Verbesserung dieses Zweigs der Entsorgungsbranche so schnell nicht zu erwarten. In dieser Hinsicht leistet in den USA der Matratzenrecycling-Rat (Mattress Recycling Council, MRC) vorbildliche Arbeit. Er wurde von der dortigen Matratzenindustrie ins Leben gerufen, um in Staaten mit dezidierten Matratzenrecycling-Gesetzen – California, Connecticut und Rhode Island – Recyclingprogramme wie das bekannte „Bye Bye Mattress“ zu starten. MRC informiert die Branche über entsprechende Gesetze, hilft Einzelhändlern und Herstellern bei der Registrierung und notwendigen Berichten und arbeitet eng mit lokalen Verwaltungen, Abfallwirtschafts-Fachleuten, Entsorgern und anderen zusammen, um eine machbare und effiziente Matratzen-Sammlung und ein ebensolches Recycling-Netzwerk aufzubauen. Daneben veröffentlichte der Rat einen Test über Metallzusammensetzung, Härtewert und SAE-Grad bestimmter Hersteller-Matratzen, gab einen detaillierten Bericht über Recyclingzeiten verschiedener Matratzenstoffe und Fehlerquellen im Recyclingverfahren heraus, informierte in einem Report über Absatzmöglichkeiten am alternativen Holzmarkt und legte eine Zuschussfinanzierung in Höhe von 120.000 US-Dollar für 15 Matratzen-Sammelstellen auf. Von solcher Unterstützung ist das europäische Matratzenrecycling noch weit entfernt.

www.puresmart.eu [1]

(EU-Recycling 08/2020, Seite 34, Foto: Kommunalunternehmen Lk Bad Kissingen / abfallbild.de)

 

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