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bvse-Mitgliederversammlung 2020: „Wir haben keine Zeit mehr – dann sind wir aus dem Markt!“

Das Kunststoffrecycling steckt in der Krise. Die Nachfrage nach Rezyklaten ist eingebrochen und die kunststoffverarbeitende Industrie setzt in erster Linie auf Neuware, insbesondere bei den derzeit niedrigen Preisen für neue Kunststoffe. Corona hat diese Fehlentwicklung, die die Existenz von Unternehmen bedroht, verstärkt. Das machte die bvse-Mitgliederversammlung am 23. September deutlich. Dr. Christoph Epping vom Bundesumweltministerium stellte sich einer kon­troversen und emotionalen Diskussion.

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bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock: Der Mittelstand der Branche hat derzeit mit einem ganzen Bündel an Problemen zu kämpfen (Foto: bvse)

Die diesjährige bvse-Mitgliederversammlung wurde Pandemie-bedingt erstmals sowohl als Präsenzveranstaltung wie auch als Videokonferenz abgehalten. „Es ist für uns alle ungewohnt, aber wir machen das Beste aus der Situation“, verwies Verbandspräsident Bernhard Reiling in seiner Eröffnungsrede darauf, dass Corona nicht nur die Wirtschaft 2020 schwer belastet hat, sondern auch bis tief in den privaten Bereich schwerwiegende Beeinträchtigungen mit sich bringt. Durch den Produktionsstillstand bei vielen gewerblichen und industriellen Unternehmen entfielen auf der einen Seite Entsorgungsaufträge und wurden auf der anderen keine Sekundärrohstoffe zur Neuproduktion nachgefragt. Besonders hart sind die Kunststoffrecycler betroffen, die schon vor Corona mit den Auswirkungen des sinkenden Ölpreises zu kämpfen hatten. Aber auch in der Alttextilbranche sind viele Unternehmen in ihrer Existenz bedroht.

Brandrisiken sollten versicherbar bleiben
Große Sorgen bereiten dem bvse auch die häufigen Brand­ereignisse, die in diesem Jahr etliche Mitgliedsunternehmen heimgesucht haben. Reiling führte die Feuerschäden vor allem darauf zurück, dass in zunehmendem Maße Lithium-Ionen-Batterien in den Abfällen landen. „Als bvse haben wir uns mit diesem Thema zu beschäftigen, denn es kann jedes Unternehmen jederzeit treffen.“ Der bvse-Präsident stellte fest, dass sich in dieser Situation Versicherer zurückziehen, und forderte Unterstützung durch die Politik ein. Brandrisiken müssten auch weiterhin versicherbar bleiben.

bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock nahm diesen Ball auf und berichtete von einem sehr intensiven und in der Sache erfolgreichen ersten Workshop des Verbandes. Dieser hatte vor allem die Schwierigkeiten der Unternehmen thematisiert, sich gegen Brandereignisse ausreichend und wirtschaftlich tragbar abzusichern. Rehbock: „Wir müssen hier gemeinsam mit der Versicherungswirtschaft über neue Lösungen sprechen.“ Der bvse hat dazu eine Umfrage unter den Mitgliedern gestartet, um aktuelle und belastbare Daten zusammenzutragen. „Wir werden an diesem Thema dranbleiben“, versprach der Hauptgeschäftsführer.

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bvse-Präsident Bernhard Reiling eröffnete die Mitgliederversammlung, die erstmals sowohl als Präsenzveranstaltung wie auch als Videokonferenz abgehalten wurde (Foto: bvse)

„Der Kittel brennt“
In seiner Rede betonte Rehbock, dass der Mittelstand der Branche derzeit mit einem ganzen Bündel an Problemen zu kämpfen habe. Mit der Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes (KrWG) könne man nicht zufrieden sein: Auf der Zielgeraden der Gesetzgebung wurde hineingeschrieben, dass Kommunen ein Klagerecht gegen behördliche Entscheidungen zugunsten einer gewerblichen Sammlung erhalten; mit der Konsequenz, den Beginn einer gewerblichen Sammlung monatelang hinauszögern zu können. Auch die Bevorzugungspflicht für Recyclingprodukte bei der öffentlichen Beschaffung, die der Paragraf 45 eigentlich vorsieht, lässt sich nach Auffassung des bvse letztlich rechtlich nicht durchsetzen.

Als wirklich dramatisch wird dies auch angesichts der extrem kritischen Situation der Kunststoffrecycler gesehen. Laut Rehbock „brennt der Kittel“: Der Markt honoriert den Klimaschutzeffekt durch den Einsatz von Rezyklaten nicht. Die kunststoffverarbeitende Industrie setzt billige Neuware und immer weniger Rezyklate ein. „Hier müssen die politischen Rahmenbedingungen grundlegend verändert werden“, forderte der bvse-Hauptgeschäftsführer eindringlich. Engagierte Wortmeldungen aus der Mitgliedschaft zeigten, dass viele Unternehmen um ihre Existenz bangen.

Von der Politik alleine gelassen
Dr. Christoph Epping, Unterabteilungsleiter im Bundesumweltministerium, der sich der kontroversen und emotionalen Diskussion stellte, zeigte zwar viel Verständnis für die Sorgen und Nöte der Kunststoffrecycler – was positiv aufgenommen wurde –, machte der Branche jedoch keine Hoffnungen, dass die Situation etwa durch ein Aussetzen bestimmter Regelungen des Verpackungsgesetzes entschärft werden könnte. Er verwies aber darauf, dass die Länderbehörden die Corona-bedingten Probleme kennen und diese im Vollzug berücksichtigen würden. Bundesumweltministerin Svenja Schulze schätze die Leistungen der Branche und stufe sie als systemrelevant ein. Für die Kreislaufwirtschaft sei ein innovativer Mittelstand sehr wichtig, so Epping.

Dr. Herbert Snell gab sich damit nicht zufrieden: „Wir fühlen uns von der Politik alleine gelassen“, kritisierte der bvse-Vizepräsident, der im Verband die Interessen der Kunststoffrecycler vertritt. Lösungen würden verkompliziert und die Branche habe keine Zeit mehr. „Wir brauchen kurzfristig Hilfe und Maßnahmen“, appellierte Snell, „sonst recyceln wir keine Kunststoffe mehr.“ Und das könnte noch in diesem Jahr geschehen. Existenzen und Arbeitsplätze und nicht zuletzt die Vorreiterrolle Deutschlands im Recycling und in der Kreislaufwirtschaft – in Europa, in der Welt – stünden hier auf dem Spiel. Eric Rehbock brachte es auf den Punkt: „Bei uns liegen langsam die Nerven blank.“

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bvse-Vizepräsident Dr. Herbert Snell:
Lösungen werden verkompliziert (Foto: bvse)

Was eine Lösung wäre
Die weitere Diskussion drehte sich um den niedrigen Ölpreis, der sich auf Kunststoffrecycling, Recyclingquoten, Nachfrage und Einsatz von Rezyklaten in der Industrieproduktion auswirkt. Christoph Epping hatte Fragen zu den Kosten. Herbert Snell erklärte: „Die Kosten drücken sich im Preis aus. Den Preis kann ich nicht durchsetzen wegen dem niedrigen Kunststoff-Neuwarenpreis. Also bin ich nicht in der Lage, die Dienstleistung kostendeckend zu erbringen.“ Epping folgerte daraus, dass dann auch die dualen Systeme nicht mehr in der Lage seien, die Recyclingquoten zu erbringen. Für die Hersteller würde somit die Voraussetzung entfallen, Rezyklingprodukte überhaupt in Verkehr bringen zu dürfen. „Dann sind wir aus dem Markt“, schlussfolgerte Snell.

Die derzeit extrem hohe Nachfrage der Zementwerke nach Ersatzbrennstoffen kann dem Vernehmen nach nicht bedient werden. Schlechter zu recycelnde Materialien dürfen nicht mehr in die Verbrennung gehen. Sie werden gebraucht, um gemäß Verpackungsgesetz die wertstoffliche Quote zu erfüllen. Eine Lösung wäre, die Verbrennung in den Zementwerken auch als stoffliches Recycling anzuerkennen. Dafür spricht sich Eric Rehbock aus.

Rein logisch betrachtet
Die Mitgliederversammlung befasste sich auch mit dem Thema Exportbeschränkungen und den Folgen für den Mittelstand. bvse-Schatzmeister Henry Forster gab zu bedenken, dass eine Einschränkung des Exportes automatisch abhängig macht von der einheimischen Industrie: „Wenn es zutrifft, dass eine Konzentration des Marktes stattfindet, dann gehen wir davon aus, dass die einheimische Industrie in Zukunft in der Hand einiger weniger großer Player ist. Es gibt in der Regel keine mittelständischen Stahlwerke, keine mittelständischen Zementwerke oder Papierfabriken. Das heißt, der Mittelstand wird ein Stückweit dieses Ventil Export verlieren. Das ist etwas, was uns Sorge macht.“

Wenn man den Export von Rohstoffen beschränkt, dann müsste man auch rein logisch betrachtet den Import von Materialien beschränken, die genau aus diesen Rohstoffen bestehen. Forster: „Warum soll ich kein Material ausführen, aus dem zum Beispiel der Kleiderbügel in Asien hergestellt wird, aber ich darf den Kleiderbügel einführen? Das kann dem Mittelstand in den nächsten Jahren sehr stark schaden.“

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Dr. Christoph Epping (BMU) stellte sich einer kontroversen und emotionalen Diskussion (Foto: bvse)

Christoph Epping wollte das klargestellt wissen: „Es geht um grenzüberschreitende Verbringung, die keinen Import oder Export kennt und immer in beide Richtungen gleich geht.“ Es gelte zu unterscheiden: Welche Stoffe dürfen über die Grenze gebracht werden und welche nicht? Die Stoffe sollen nicht in Anlagen gehen, weil es dort, aufgrund niedriger Umweltstandards billiger ist – Stichwort: Ökodumping –, sondern weil es dafür Bedarf dort gibt. Epping: „Es geht nicht darum, ob ein Kunststoffballen über die Grenze gehen darf. Sondern darum, was über der Grenze mit diesem gemacht wird.“ Herbert Snell entgegnete, dass mangelnder Vollzug die Ursache für die Verschärfung der Exportwege ist. Einig mit dem bvse zeigte sich Epping in der Bewertung im Hinblick auf die Mantelverordnung. Auch er bedauerte, dass der Zeitplan für die Verabschiedung nicht eingehalten werden könne.

(EU-Recycling 11/2020, Seite 6, Foto: kyrychukvitaliy / stock.adobe.com)

 

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