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BDSV Jahrestagung 2020: Die Stahlrecyclingbranche zeigt Mut in der Krise

Die Verbandsversammlung der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen e .V. fand in diesem Jahr erstmals digital statt – per Studioaufzeichnung im Live-Betrieb aus den Wagenhallen in Stuttgart. Andreas Schwenter, Stephan Karle, Thomas Junker, Ulrich Leuning, Daniela Entzian und Bernd Meyer standen den Online-Teilnehmern Rede und Antwort zur aktuellen Entwicklung in der Branche.

Durch das Programm der BDSV Jahrestagung 2020 am 5. November führte wieder Moderatorin Petra Bindl. Zwanzig Aussteller präsentierten virtuell ihre Produkte und Dienstleistungen. Prof. Dr. Galina Kolev, Außenhandelsexpertin beim Institut der deutschen Wirtschaft, ging in ihrem Gastvortrag auf die Chancen und Herausforderungen in der Stahlrecyclingwirtschaft ein, und Uli Hoeneß, Ex-Präsident des FC Bayern München, sprach im Dialog mit dem Kabarettisten Bruno Jonas darüber, wie er in seiner Karriere Krisensituationen mit mutigen Konzepten und Ideen gemeistert hat.

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BDSV Vizepräsident Stephan Karle
und Moderatorin Petra Bindl (Foto: BDSV)

Konjunkturelle Rahmenbedingungen
Wie BDV Präsident Andreas Schwenter berichtete, hat die zehnjährige Wachstumsphase der deutschen Wirtschaft bereits 2019 an Schwung verloren. Dieses Jahr haben die Corona-Pandemie und die Maßnahmen zu deren Eindämmung die deutsche Wirtschaft in die mit Abstand tiefste Rezession ihrer Nachkriegsgeschichte gestürzt. Die Stahlrecyclingindustrie trifft diese Krise hart, sowohl auf der Angebotsseite als auch auf der Nachfrageseite. Produktionsstopps in der Autoindustrie im Frühjahr haben weitreichende Folgen auch für die Zulieferbetriebe. Und viele andere Sparten wie der Maschinenbau reagieren ebenfalls mit Betriebsschließungen. Dies führt zu gravierenden Rückgängen bei Neuschrotten. Abbruch und Demontagearbeiten werden häufig zurückgestellt, sodass in der Folge auch der Zulauf von Altschrotten zurückgeht.

Die Corona-Krise hat deutliche Spuren bei der Rohstahlproduktion in Deutschland hinterlassen – mit entsprechenden Folgen für den Schrotteinsatz. Bis September 2020 lag die Stahlerzeugung mit 25,7 Millionen Tonnen rund 16 Prozent unter dem Vorjahresniveau, das ebenfalls von einer rückläufigen Stahlproduktion gekennzeichnet war. Im Jahresverlauf 2020 erwartet die BDSV die niedrigste Rohstahlerzeugung in Deutschland seit der Finanzkrise. Die Erwartungen der Gießereiindustrie bleiben 2020 auf sehr niedrigem Niveau. Die Produktion ist im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um gut ein Drittel eingebrochen. Im dritten Quartal waren deutliche Zeichen einer Erholung zu spüren. Die Rohstahlerzeugung hatte wieder Fahrt aufgenommen, und nach den Sommerferien waren alle Verbraucher am Markt. Eine Rückkehr des Schrottmarkts zum Niveau vor der Corona-Krise erwartet die Hälfte der befragten BDSV-Mitgliedsunternehmen allerdings erst nach 2021.

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BDSV Präsident Andreas Schwenter (Foto: BDSV)

Durch die Anerkennung der Systemrelevanz der Recyclingbranche zu Beginn der Corona- Krise sind die Mitgliedsbetriebe vor Betriebsschließungen verschont geblieben. Zwar wurde in 56 Prozent der befragten Unternehmen Kurzarbeit eingeführt, aber nur in 15 Prozent der Betriebe mussten Mitarbeiter entlassen werden. Neben dem dramatischen Einbruch der Industrieproduktion zählen, wie auch in den Branchenumfragen der vergangenen Jahre, die steigenden Kosten für die Einhaltung von Umweltauflagen zu den drängendsten Problemen, da sie zu Wettbewerbsverzerrungen im internationalen Umfeld führen. Im kommenden Jahr erwartet ein Drittel der befragten Unternehmen eine bessere Geschäftslage als in diesem. Gut die Hälfte erwartet eine gleichbleibende Geschäftslage. Der Gesamtwirtschaftliche Ausblick ist mit vielen Abwärtsrisiken verbunden. Bestehende Krisenherde, wie die Gefahr eines harten Brexits oder die Gefahr einer Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und China, wurden während der Corona-Krise nicht entschärft.

Strategische Positionierung
Die BDSV bewertet die Green Deal-Ziele der Europäischen Union und damit den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft positiv. Die Stahlrecyclingbranche sei bereits heute ein wichtiges Glied in der Wertschöpfungskette und habe lange Erfahrung mit der Kreislaufführung von Rohstoffen. Nach einer Prognose von Worldsteel wird die Nachfrage nach klimafreundlichem Stahlschrott bis 2050 deutlich zunehmen. Dabei ist auch mit einem höheren Schrottaufkommen zu rechnen: Die rund 1.2 Milliarden Tonnen decken rund 70 Prozent der Stahlnachfrage.

Für die Abnehmer der Stahlrecyclingbranche, die Stahlwerke, ist die Transformation zu klimafreundlicher Produktion eine Mammutaufgabe, die viel Zeit und enorme Investitionen erfordert. Bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie steht laut Handlungskonzept Stahl der Bundesregierung vom Juli 2020 der Einsatz von Wasserstoff als Reduktionsmittel in der Hochofenroute derzeit im Vordergrund. Doch bereits heute fällt in Europa mehr Stahlschrott an, als derzeit dort eingesetzt wird. Rund 20 Millionen Tonnen Stahlschrott werden jährlich exportiert und tragen somit nicht zum Klimaschutz in der EU bei. Vor dem Hintergrund dieser konkurrierenden Ziele berät die BDSV, gemeinsam mit ihrem europäischen Dachverband EuRIC, die EU-Kommission – zuletzt im Austausch mit dem stellvertretenden Kommissionspräsident Frans Timmermans – auf dem Weg zu einer zirkulären Wirtschaft.

Wichtige Grundlagen der Beratungen sind die beiden international anerkannten BDSV- Studien „Zukunft Stahlschrott“ und „Schrottbonus“, die in Zusammenarbeit mit der Fraunhofer Gesellschaft entstanden und nun auch in die „Metals Strategy“ der EuRIC Eingang gefunden haben. Insbesondere die im Jahr 2019 vorgestellte Studie „Schrottbonus“ spielt hierbei eine herausragende Rolle. In dieser Studie wird der Schrottbonus als ein Maß für den gesellschaftlichen Wohlfahrtsgewinn eingeführt. Er gibt die Klima- und Umweltkosten an, die durch den Einsatz einer Tonne Schrott bei der Stahlherstellung vermieden werden.

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Foto: BDSV

Aus Sicht der BDSV kann – neben den kostenintensiven Technologiesprüngen der Stahlbranche zur Dekarbonisierung – vor allem der verstärkte Einsatz des zum Sekundärrohstoff aufbereiteten Stahlschrotts eine technisch ausgereifte und mit vergleichsweise geringen Investitionen umsetzbare Maßnahme darstellen. Darüber hinaus zeigt die Studie weitere Instrumente, durch die das Stahlrecycling vorangebracht werden kann. Insbesondere im Bereich des komplexen Handels mit Emissionszertifikaten unter Berücksichtigung des Carbon Border Tax Adjustment sieht der Verband vielversprechende Möglichkeiten. Damit und mit weiteren Mechanismen zur Umsetzung des Schrottbonus wird sich ein neuer BDSV-Arbeitskreis zusammen mit dem Autor der Studie, Dr. Frank Pothen vom Fraunhofer IMWS, beschäftigen und im Jahr 2021 Ergebnisse präsentieren.

Grünbuch „Zukunft.Stahl.Rohstoff“
Der Einsatz von klimafreundlichem Stahlschrott – auch für die Produktion von Qualitätsstählen – wird aus Sicht der BDSV für die Stahlindustrie immer mehr an Bedeutung gewinnen. Viele Ansätze zur Dekarbonisierung der Flachstahlerzeugung sehen vor, dass – anstatt wie heute üblich in der integrierten Route – zukünftig im Elektrolichtbogenofen ein Gemisch aus hochwertigem Stahlschrott und Eisenschwamm eingesetzt wird. Dabei werden sehr hohe Anforderungen an die zum Einsatz kommenden Schrottqualitäten gestellt, was auch mit höheren Aufbereitungskosten einhergehen wird. Da es in Deutschland für die Flachstahlerzeugung derzeit kaum prozessbasierte Erfahrung gibt, will die BDSV im Rahmen eines neuen Forschungsprojekts, das den Namen Grünbuch „Zukunft.Stahl.Rohstoff“ trägt, die Grundlagen für künftige rohstoffeffiziente Handlungsoptionen im Wertschöpfungskreis aus Stahlerzeugung, Stahlverarbeitung und Stahlrecycling schaffen.

Thema Kreislaufwirtschaftsgesetz
Die Stahlrecyclingwirtschaft sieht in den neuen Vorschriften eine große Chance, zu einer durchgreifend besseren Trennbarkeit der komplexen Produkte aus Metallen zu kommen. Eine hohe – im Idealfall vollständige – Trennbarkeit der verbauten Metalle werde die Recyclingqualität deutlich verbessern. Nach Verabschiedung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes erfolgt nun die Detailarbeit, in der die vielfältigen Verordnungsermächtigungen konsequent ausgefüllt werden müssen. Die BDSV wird diesen Prozess aktiv begleiten und mit ihrer Expertise zur Verfügung stehen.

EAG und Batteriebrände
Nach Auffassung der BDSV sind Sammlung und Meldung der Mengen an Elektroaltgeräten ausschlaggebend für ein vollständiges Recycling. Dass zertifizierte Erstbehandlungsanlagen gemäß ElektroG-Referentenentwurf auch E-Schrotte annehmen dürfen – unabhängig davon, welche Sammelgruppe die Betriebe verarbeiten –, wird begrüßt. Das sei eine sinnvolle Ergänzung der unentgeltlichen Rücknahme auf freiwilliger Basis.

Das Thema Vermeidung von Batteriebränden wird für die BDSV-Mitgliedsunternehmen immer bedeutsamer, da diese in der jüngeren Vergangenheit zum Teil erhebliche Schäden in den Betrieben angerichtet haben. Damit Batterien erst gar nicht in den Stoffströmen auftauchen, muss an vielen Stellen im Produktlebenszyklus nachjustiert werden. So hat die BDSV gemeinsam mit dem bvse und dem VDM bereits im Jahr 2019 einen gemeinsamen Leitfaden zur separaten Erfassung von batteriebetriebenen Elektro(nik)-Altgeräten herausgebracht, der von Kommunen und deren Wertstoffhöfen nachgefragt wird. Darüber hinaus gibt es Gespräche mit allen Teilnehmern der Wertschöpfungskette, unter Federführung der stiftung ear. Neben diesen Aktivitäten sind die Gesetzgebung und vor allem der konsequente Vollzug von entscheidender Bedeutung.

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Foto: BDSV

Zukünftige Ausrichtung der FAR
Über verbandsinterne Entwicklungen informierte BDSV Vizepräsident Stephan Karle. So will sich die Fachgruppe Autorückmontage (FAR) stärker auf das Thema Elektromobilität ausrichten und in Zukunft noch attraktiver für die Mitglieder werden, indem sie beispielsweise an Demontagekonzepten für die Zukunft mitforscht. Wichtiges Stichwort ist hierbei IDEA, ein Forschungsprojekt auf EU-Ebene unter Federführung des Fraunhofer Instituts für Lasertechnik ILT, bei dem Forschungseinrichtungen, Verwerter und Hersteller zusammenarbeiten, um eine (teil)automatisierte Demontageplattform für Altfahrzeuge zu entwickeln. Dazu werden innovative Produktionsmethoden und Prozesstechnologien einsetzt, um die Rückgewinnung wertvoller Komponenten zur Wiederverwendung/Wiederaufarbeitung zu verbessern sowie die stoffliche Verwertung als neuer Rohstoffquelle zu ermöglichen. Der Projektantrag läuft derzeit, die Fördermittel belaufen sich auf zwölf Millionen Euro.

Weiterbildung im Fokus
Von der Corona-Krise wurde auch die Umsetzung des Weiterbildungsangebots der BDSV stark beeinflusst. Wenngleich im März 2020 einige Seminare zunächst abgesagt werden mussten, konnten innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Seminare online durchgeführt werden. Seit den Sommermonaten fanden auch wieder Präsenztermine statt. Die BDSV hat dabei die aktuelle Corona-Situation stets im Blick und reagiert flexibel auf staatliche Vorschriften.

Neben dem Tagesgeschäft war die Weiterentwicklung des ISM vorrangiges Thema in diesem Jahr. Maßgeblich vorangetrieben wurde sie durch die neue Referentin für Weiterbildung, Eva Alberty. Seit August 2020 hat sich Alberty schwerpunktmäßig beschäftigt mit der gesellschaftsrechtlichen Ausgestaltung der ISM als GmbH, der Gestaltung des Markenauftritts und dem Ausbau des Weiterbildungsangebotes, zu dem auch wichtige Kooperationen und Partnerschaften gehören.

Verband 2.0: Neue Formen der Verbandsarbeit
Die Corona-Krise hat auch die Verbandsarbeit der BDSV grundlegend verändert. Die Mitglieder vermissen zwar den persönlichen Austausch innerhalb der verschiedenen Gremien, aber gerade in der virusbedingten Krise haben sich schnelle Abstimmungen per Videokonferenz und häufigere virtuelle Zusammentreffen der Gremien als hilfreich, effizient und sicher erwiesen. Insbesondere wegen der beiden erstgenannten Vorteile will die BDSV den neuen Medien und der zielgruppenorientierten Kommunikation in Zukunft noch mehr Raum geben. Hierzu leistet auch der Relaunch des neuen BDSV-Intranet-Portals „Schrottplatz“, der am 13. Oktober 2020 erfolgte, einen wichtigen Beitrag. Ziel des Verbandes ist, mit diesem Kommunikations- und Kollaborationsportal das Informations- und Kommunikationsangebot für seine Mitglieder weiter auszubauen und dabei individueller und digitaler zu gestalten.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 12/2020, Seite 14, Foto: BDSV)

 

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