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Brexit-Deal: Ratschläge für eine unsichere Anfangszeit

Die seit Jahresbeginn 2021 geltenden neuen, mühsam ausgehandelten Regelungen in Bezug auf den Warenverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich haben schon in kürzester Zeit für Verwirrung und Chaos an den Grenzen gesorgt. Von der Politik als großer Erfolg gefeiert, kann von Zollfreiheit nicht die Rede sein.

Alexander Heine, Geschäftsführer der CM Logistik Gruppe, informiert über die Auswirkungen des neuen Handelsabkommens auf die internationale Logistik und gibt Ratschläge für die unsichere Anfangszeit. Wie können Unternehmen die Pannen umschiffen?

Kontrolle braucht Zeit
Jahrelang profitierte Großbritannien, ebenso wie der Rest der Mitgliedstaaten, vom freien Warenverkehr innerhalb der Zollunion. Grundsätzlich unterliegen Ein- und Ausfuhren innerhalb der EU, sogenannte innergemeinschaftliche Verbringungen, keinen Beschränkungen. Diese Freiheit fällt nun weg, und alle Waren, die Logistikunternehmen aus einem Nicht-EU-Staat einführen, müssen sie durch den Zoll abfertigen lassen. Bei beispielsweise einem Container T-Shirts aus China ergibt sich kein Problem, da er ausschließlich ein Gut enthält, wenn auch in hundertfacher Ausführung. Doch eine britische Lastwagenfuhre für eine irische Supermarktfiliale – also im Rechtsbereich der Europäischen Union – enthält typischerweise alle Güter, die diese Filiale benötigt, von Eiern über Klopapier bis zum Obst.

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Alexander Heine, Geschäftsführer der CM Logistik Gruppe (Foto: CML Transport und Logistik GmbH & Co. KG)

Eine nach dem Austritt erforderliche Zoll- und Einfuhranmeldung für die EU sieht vor, dass alle verschiedenen Arten von Waren in einer Ladung einzeln aufgeführt und entsprechend kon­trolliert werden müssen. Das bedeutet einen administrativen Mehraufwand, auf den sich jedes Logistikunternehmen mit Fahrten in das Vereinigte Königreich einstellen sollte. Ein Umdenken bei der Beladung könnte sich als Möglichkeit zur Vermeidung dieser langen Wartezeiten herausstellen, indem Unternehmen ihre Lkw ausschließlich mit einer bestimmten Art Ware befrachten. Ob sich die dadurch entstehenden zusätzlichen Kilometer gegenüber Papierkram und Wartezeit rechnen, muss jeder Betroffene individuell kalkulieren.

Im Irrgarten der Bürokratie
Nicht nur die Warenkontrollen sorgen für Komplikationen an den neuen EU-Außengrenzen. Ganze Kataloge von Richtlinien zur Überführung von Frachten, die Mitgliedstaaten der Zollunion jahrelang erspart geblieben waren, kommen nun auf Logistiker mit Beziehung zu Großbritannien zu. Dies führt zu einer erheblichen bürokratischen Belastung sowohl für die Logistikbranche als auch für die Zollbeamten beider Seiten. Falsch ausgefüllte oder fehlende Papiere können bei der Überführung Verzögerungen hervorrufen und sorgten bei Lieferungen zwischen den Inselstaaten bereits für Chaos – Lastwagen mussten umkehren, weil sie nicht die erforderlichen Formulare vorweisen konnten. Diese organisatorischen Kinderkrankheiten ließen sich aufgrund der unklaren politischen Lage nur schwer verhindern.

Um dennoch Verzögerungen und allgemeine Verwirrung zu vermeiden, hilft Logistikern nur, sich regelmäßig und gründlich über alle Neuerungen zu informieren. Kein leichtes Unterfangen, da sich die Situation an den Grenzen und damit die einzelnen Abwicklungsprozesse täglich zu ändern scheinen. Wirklich zuverlässige und vor allem aktuelle Informationen erhalten betroffene Unternehmen also nur von offizieller Stelle – den zuständigen Zollbehörden.

Mit Aufwand kommen Kosten
Finanzielle Belastungen für Logistikunternehmen erhöhen sich nicht nur durch steigende Personalkosten, entstehend durch den bürokratischen Mehraufwand und die Wartezeiten an den EU-Grenzen. Auch die im Handelsabkommen eigentlich festgeschriebene und in der Öffentlichkeit als großer Erfolg angepriesene Zollfreiheit erweist sich nur auf den ersten Blick als guter Deal.

So gilt die mit der EU vereinbarte Erlassung nicht für Güter, die importiert und gleich wieder exportiert werden. Großbritannien läuft also Gefahr, die über Jahre aufgebaute Stellung als Dreh- und Angelpunkt des europä­ischen Binnenhandels zu verlieren, was zu weniger Aufträgen für Logistiker führen kann, die auf Kooperationspartner von der Insel angewiesen sind. Alternative Routen und zusätzliche innereuropäische Geschäftsbeziehungen können als Fallnetz fungieren und im Fall einer lang andauernden Misere an britischen Grenzen den laufenden Betrieb sichern. Zukunftsprognosen zu treffen, fällt schwer – alle Parteien müssen sich auf die neuen Regelungen einstellen und ihre Prozesse anpassen. Wie groß letztlich die zusätzlichen Kosten und finanziellen Einbußen ausfallen, hängt für Logistikunternehmen davon ab, wie schnell sie die Situation adaptieren.

Quelle: CML Transport und Logistik GmbH & Co. KG, www.cm-log.eu [2]

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 03/2021, Seite 20, Foto: Tumisu / pixabay.com)

 

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