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DGAW prognostiziert Corona-bedingten Mengenrückgang bei Gewerbeabfällen

„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen“, unkte schon vor über hundert Jahren Mark Twain. Wie schnell sich Zustandsbeurteilungen verändern können, zeigen auch die Positionsbeschreibungen der DGAW von Mai 2020 und Januar 2021.

Zierte die erste Expertise noch eine Grafik, die in dicken Lettern „Hoffnung“ versprach, so fragt die zweite Studie zur Lage auf der Titelseite eher vorsichtig: „Zurück zur Normalität?“. Denn in der Zwischenzeit hat der Druck durch die Corona-Krise auf die deutsche Abfallwirtschaft zugenommen.

Rückgang zwischen -7 und -10 Prozent?
Im Mai 2020 meldete die DGAW ein steigendes Abfall­aufkommen aus privaten Haushalten und Hinweise auf geringere Sortierung. Ein immer umfassenderer Lieferservice sorgte für ein Ansteigen der häuslichen Verpackungsabfälle. Der Trend, Keller, Dachböden oder Geschäfte zu entrümpeln, hatte zur Folge, dass mehr Sperrmüll anfiel, der teils über den Hausmüll entsorgt oder zwischengelagert wurde oder zu den steigenden illegalen Ablagerungen beitrug.

Für den Gewerbeabfall lagen Zahlen zugrunde, aus denen sich ein Mengenrückgang errechnete, der im besten Falle zu einer Reduktion von minus sieben Prozent des BIP im Jahr 2020 und einer Minderung von insgesamt 3,90 Millionen Tonnen führt. Im schlimmsten Fall sollte sich das BIP auf minus zehn Prozent beziehungsweise 5,57 Millionen Tonnen belaufen. Bei einer alternativen Gewichtung von Siedlungs- und Gewerbeabfällen würde sich der Gesamtmengen-Rückgang in einer Marge zwischen 1,12 und 2,79 Millionen Tonnen bewegen.

Siedlungsabfälle leicht steigend
Der Bericht vom Januar 2021 kann noch auf keine belastbaren neuen Zahlen für den Hausmüllbereich zurückgreifen, sodass vorerst die DGAW-Prognose vom Vorjahr gelten muss. Sie sah einen Mengenanstieg von insgesamt 5,35 Prozent voraus, mit einem Plus bei Hausmüll inklusive Sperr- und Bioabfällen von 7,43 Prozent, bei Verpackungen von 7,25 Prozent und bei Leichtverpackungen von 8,8 Prozent. Sperrmüll-Volumina legten zunächst um zehn Prozent zu, normalisierten sich danach und erreichten beim zweiten Lockdown nicht mehr dasselbe Ausmaß.

Der Online-Handel boomte bereits im ersten Lockdown und legte im zweiten durch Schließung des Einzelhandels im Weihnachtsgeschäft noch einmal zu. Dadurch stiegen die Mengen an Pappen drastisch, während die der graphischen Papiere zurückgingen; die Erlöse reduzierten sich insgesamt aufgrund der geringeren Entgelte für Kartonnagen. Wann mit einer Lockerung der Einschränkungen gerechnet werden kann, ist nicht abzusehen. Wird ein leichter Anstieg des Siedlungsabfall-Aufkommens angenommen, der bis März 2021 dauert, ergäbe sich laut DGAW eine Mengensteigerung für 2021 von einem Prozent. Im Mai 2021 soll sich das Gesamtaufkommen aus haushaltstypischen Abfällen in Höhe von 3,8 Millionen Tonnen, Verpackungsabfällen von etwa 1,6 Millionen Tonnen und sonstigen Siedlungsabfällen von rund 0,5 Millionen Tonnen zusammensetzen.

Doppelung bei Littering zu befürchten
Neben Haushaltsverpackungen, die per gelben Säcken, Altpapiertonnen und Glascontainern erfasst werden, fallen jedoch im öffentlichen Raum auch zunächst nicht entsorgte Verpackungsabfälle an. Die Littering-Studie des VKU vom August 2020 lässt erkennen, dass jährlich bundesweit 5,7 Gewichtsprozent und 22 Volumenprozent auf Einwegplastik entfallen. Für Coronazeiten rechnet die DGAW mit mindestens einer Verdopplung der Mengen an gelitterten Einwegkunststoffen. Einen neuen, zusätzlichen Abfallstrom bilden Corona-bedingte Masken, Einweghandschuhe und Schutzkleidungen, die sich auf insgesamt schätzungsweise 1,1 Millionen Tonnen summieren, aus Vliesstoffen mit Metall- und/oder Kunststoff- und Gummianteilen bestehen und nur zum Teil über die thermische Abfallbehandlung entsorgt werden.

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Foto: pixabay.com

Gravierende Folgen für Kunststoffrecycler
Die Branche der Kunststoffrecycler ist von der Pandemie besonders betroffen, da durch den stark gesunkenen Ölpreis Rezyklate teurer als Neuware sind. Allerdings ist unklar, ob die Ölpreisentwicklung wie JP Morgan als „Superzyklus“ oder wie Capital.com als durch Corona beschleunigt „notleidende Industrie“ einzustufen ist: Schätzungen schwanken zwischen zukünftig 55,70 und 100 US-Dollar. „Für die Kunststoffindustrie wäre ein Ölpreis über 70 US-Dollar pro Barrel sehr förderlich“, urteilt die DGAW.

Neben dem Kampf um wettbewerbsfähige Absatzpreise hat die Branche der Kunststoffrecycler noch zusätzliche Probleme mit der Vermarktung: Die Nachfrage nach PVC ist um minus 53 Prozent, PET um minus 45 Prozent, Folien um minus 41 Prozent, Mischkunststoffe um minus 38 Prozent und PE/PP um minus 30 Prozent eingebrochen. Als Konsequenz stapelten sich die Ballen an den Sortieranlagen. Mit gravierenden Folgen: Die Preise für Verpackungshersteller, die Rezyklate einsetzen wollen, werden steigen, die dualen Systeme müssen die wegbrechenden Einnahmen aus der Verwertung kompensieren, und ihnen drohen bei Unterschreitung der Recyclingquoten Konventionalstrafen.

Berücksichtigt: der Coronafaktor
Im Sektor der Gewerbeabfallmengen liegen die Schätzungen für 2020 – nach einem Einbruch im Frühjahr, einem Anstieg im dritten Quartal und einem zweiten Lockdown – bei einem Pandemie-bedingten Minus von fünf bis zehn Prozent. Allerdings verhinderten erhöhte Mengen an Hausmüll und Sortierresten aus vermehrten Sammelmengen an Leichtverpackungen sowie Papier/Pappe/Karton einen größeren Verlust bei der Auslastung thermischer Behandlungsanlagen.

Im Jahr 2017 summierten sich die Gewerbeabfälle auf 55.794.000 Tonnen. Unter Berücksichtigung des von der DGAW entwickelten „Coronafaktors“, der den Einfluss der Krisensituation auf den entsprechenden Abfallstrom wiedergeben soll, haben sich die geschätzten Mengen der einzelnen Gewerbesparten bis Ende 2020 unterschiedlich entwickelt. So hatten Abfälle aus thermischen Prozessen, aus Brennstoffen, aus Raffinerien und Altöle kaum Rückgänge zu verzeichnen, sodass sie mit einem Coronafaktor 0,95 auf geschätzte 19,98 Millionen Tonnen kamen.

Aufgrund der starken Erholung der metallverarbeitenden Industrie – insbesondere Maschinenbau und Automobil-Produktion – wurde der Coronafaktor für diesen Sektor von 0,7 auf 0,8 angehoben, woraus sich eine Abfallmenge von 3,63 Millionen Tonnen errechnet. Den gleichen Faktor bekommt die chemische Industrie zugesprochen, deren Abfälle sich auf 2,60 Millionen Tonnen summieren.

Prognose: 5,32 Prozent Mengenrückgang
Im Sektor Agrarwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie musste man im Mai 2020 mit einem Abfallanstieg aufgrund von Hamsterkäufen und vermehrtem privaten Kochen ausgehen. Da aber zugleich die Gastronomie und die Großküchen weit weniger verarbeiteten und beide erneut stark vom Lockdown betroffen waren/sind, wurde der Coronafaktor für Abfälle aus Agrarwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie von 1,08 auf 1,06 herabgesetzt, was eine rechnerische Menge von 5,89 Millionen Tonnen ergibt. Im Zuge häuslicher Aufräumaktionen wurden auch vermehrt neue Möbel gekauft und hergestellt, wodurch Abfälle aus der Holzindustrie – insbesondere Platten, Möbel und Papier/Pappe/Kartons – um den Faktor 1,05 auf 6,42 Millionen Tonnen stiegen. Hinzu kommen mit 8,90 Millionen Tonnen eine gleichgebliebene Abfallmenge aus der Abwasserbehandlung sowie sonstige Gewerbe- und Industrieabfälle, die sich – um den Faktor 0,85 vermindert – auf 4,96 Millionen Tonnen belaufen. Alles in allem weist die Prognose einen Corona-bedingten Mengenrückgang um 5,32 Prozent beziehungsweise 2,81 Millionen Tonnen auf 52,98 Millionen Tonnen aus.

Die vollständige DGAW-Bilanz nach einem Jahr Pandemie lässt sich downloaden unter www.dgaw.de/fileadmin/Presse_und_Stellungnahmen/News/2021-01-07_Update_Prognose_zu_den_Auswirkungen_der_Coronakrise_auf_die_Abfallwirtschaft_in_Deutschland_final.pdf [2].

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 03/2021, Seite 33, Foto: Andi Karg)

 

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