- EU-Recycling - https://eu-recycling.com -

Schiffswracks: Umweltschädiger oder Recyclingmaterialien?

Es gibt – je nach Zählweise – Tausende von Schiffen, die als Wracks auf dem Meeresboden auf ihren endgültigen Ver- und Zerfall warten. Geht man mit dem Experten für Schiffsrecycling Nikos Mikelis davon aus, dass 90 Prozent des Leichtverdrängungsgewichts von Schiffen aus Stahl besteht, so warten hier enorme Materialmengen auf Wiederverwertung oder gar Wiederverwendung. Was kann unternommen werden, um diese Rohstoffe vor Zerfall oder Materialpiraterie zu retten?

Nach Ansicht der Vereinten Nationen liegen schätzungsweise 3.000.000 Schiffe auf dem Meeresboden, darunter viele als historisch wertvoll eingestuft. Die Webseite wrecksite.eu hat Daten von annähernd 200.000 Wracks gesammelt. Die weltweit erste Datenbank zu möglicherweise umweltschädigenden Wracks erarbeitete im Jahr 2004 die Environmental Research Consulting. Ihre Statistik umfasste insgesamt 8.569 Schiffe, davon 1.583 Tanker mit mindestens 150 Bruttoregistertonnen und 6.986 andere mit wenigstens 400 Bruttoregistertonnen – alle mit fossilem Öl als Ladung oder als Treibstoff an Bord.

Schätzungen ergaben insgesamt eine Öl-Restmenge zwischen 2,5 Millionen Tonnen (757 Mio. Gallonen) und 20,4 Millionen Tonnen (6 Mrd. Gallonen). Für die Höchstmenge wurden Restfüllungen von 80 Prozent bei den Öl-Ladungen und 70 Prozent in den Treibstoffbunkern angenommen. Die Mindestmenge setzte voraus, dass zur Zeit ihres Sinkens die Hälfte der Schiffe zu 80 Prozent und die andere Hälfte zu 20 Prozent des Öls an Bord hatten und dass seitdem geschätzte 80 Prozent des Öls während des Sinkens ausliefen oder versickerten.

Nordsee: vom 2. Weltkrieg belastet
Im Nordwest-Atlantik, erläuterte ein Thesenpapier anlässlich der Internationalen Öl-Unfall-Konferenz im Jahr 2005, liegen die meisten Wracks von Nicht-Tankern (22 Prozent), gibt es die dritthöchste Anzahl an Tankern (15 Prozent), und lagern mit Minimum 512.000 Tonnen und Maximum vier Millionen Tonnen rund 20 Prozent des übrig gebliebenen Öls. Insgesamt beherbergt die Nordsee rund ein Viertel aller potenziell umweltschädlichen Wracks weltweit. Aus europäischer Sicht kommen 361 Schiffe im Mittelmeer hinzu, deren Öl-Restmengen auf 132.000 bis eine Million Tonnen (39 bis 3190 Mio. Gallonen) geschätzt werden; damit lagern im Mittelmeer vier Prozent aller weltweit gesunkenen Schiffe mit rund fünf Prozent des vermuteten Restöl-Volumens. Dieses Volumen und sein Vorkommen stehen bis heute im Mittelpunkt des Bergungsinteresses, da hier potenzielle Quellen von Umweltschäden vorliegen.

Die große Zahl der gesunkenen Schiffe im Nordatlantik erklärt sich aus der Intensität der Seegefechte während des 2. Weltkriegs zwischen Deutschen und Alliierten. Rund 75 Prozent aller hier gesunkenen Wracks gehen auf diese Epoche zurück. Die Kriegswirren liegen inzwischen mindestens 75 Jahre zurück, während denen das Salzwasser die Metallstrukturen der Schiffe angriff, sie altern ließ und damit die Korrosionsgefahr und den möglichen Austritt von Öl oder anderen Stoffen erhöhte. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates machte daher 2012 in einer Resolution deutlich, dass die Kriegsschiffe im 2. Weltkrieg neben Öl vor allem Munition an Bord hatten, die über die Jahre so korrodieren kann, dass signifikante Mengen an toxischen Substanzen wie beispielsweise Quecksilber freiwerden können. Diese seien biologisch nicht abbaubar und könnten die Lebensmittelketten chemisch kontaminieren.

Mittelmeer: Über 30 Abfall-Schiffe versenkt
Neben Kriegs- und Handelsschiffen, die im Mittelmeer sanken, liegt hier eine Reihe von Wracks mit besonderer Ladung. Veröffentlichungen der italienischen und griechischen Presse, Verlautbarungen der italienischen Umweltschutzorganisation Legambiente sowie dem Geständnis vor den italienischen Behörden des früheren Mitglieds der kalabresischen Mafia, Francesco Fonti, zufolge gab es 2009 starke Hinweise darauf, dass die „Mafia mehr als 30 Schiffe mit giftigen und nuklearen Abfällen im Mittelmeer versenkt hat, davon sieben im Ionischen Meer und die übrigen in der Adria“. Allein im Wrack der „Cunsky“ sollen 120 Fässer mit giftigen Abfällen entdeckt worden sein. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates drückte über diese illegale Entsorgung giftiger und radioaktiver Abfälle, die in Schrottschiffen vorsätzlich im Meer versenkt wurden, ihre „ernste Besorgnis“ aus.

USA: Mit Wreck und Oil Pollution Act geregelt
Für den Umgang mit gesunkenen Schiffen im Hoheitsgebiet der Vereinigten Staaten bestanden 2005 der Wreck Act, der den Ablauf zur Bergung von Wracks aus Fahrrinnen vorsieht, und der Clear Water beziehungsweise Oil Pollution Act, der Geldmittel in Aussicht stellt für den Fall, dass der Eigner eines havarierten Schiffes nicht gefunden oder nicht willig ist, austretende Schadstoffe zu entfernen oder ihren Austritt zu mindern, oder das Wrack notwendigerweise beseitigt werden muss, um die Gefahr einer Umweltgefährdung zu vermindern.

Der Abandoned Barge Act erklärte die Aufgabe von Frachtschiffen über 100 Bruttotonnage – und damit die mögliche Versenkung von belasteten Abfällen – in den schiffbaren Gewässern der Vereinigten Staaten für illegal. Anderen Gesetzen zufolge sind Eigner oder Betreiber von Schrottschiffen verpflichtet, deren Reinigungskosten oder ihr komplette Entfernung zu bezahlen. Falls das nicht realisiert werden kann, werden Gelder des Oil Spill Liability Trust Funds dafür eingesetzt. Unter Umständen greift auch, bevor dieser Fond oder andere Bundesmittel beansprucht werden, der National Historic Preservation Act und erlaubt dem Beirat für Historische Erhaltung, sich zum geschichtlichen Potenzial des Wracks zu äußern.

EU: Abfall-Rahmenrichtlinie zuständig
Für europäische Gewässer sind die Übereinkunft zum Schutz der Maritimen Umwelt des Nordost-Atlantiks (OSPAR Convention) seit dem 25. März 1998, eine solche fürs Mittelmeer (Barcelona Convention) in der überarbeiteten Version von 1995 sowie eine für den Ostsee-Raums (Helsinki Convention) in der revidierten Fassung von 1992 in Kraft. Dennoch sind hier die betroffenen Länder in der Verantwortung. Beispiel: Auf die Anfrage des EU-Parlaments, was sie hinsichtlich der 30 von der Mafia versenkten Schiffen zu unternehmen gedenkt, erklärte die EU-Kommission, dass für das betreffende Land nach formeller Anfrage nach einer Unterstützung der Gemeinschaftliche Zivilschutz-Mechanismus mobilisiert werde, da es sich um ein größeres natürliches und menschenverursachtes Unglück handle. Darüber hinaus falle der Untergang eines Schiffs auf dem Gebiet eines Mitgliedstaates als Müllablagerung in den Bereich der EU-Abfall-Rahmenrichtlinie, sei illegal und erfordere ein Verbot. (Im Übrigen sehe die Kommission zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht, dass der vorliegende Fall gegen dieses Gesetz verstößt.)

Die teuerste Schiffsbergung aller Zeiten
Die Bergung eines gesunkenen Schiffes hängt – neben politischen Entscheidungen, die beispielsweise die Bereitstellung von Geldern für nähere Ermittlungen über ein Wrack blockieren können – von den spezifischen technischen Gegebenheiten und den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten ab. Checklisten, die vor Beginn der Arbeiten erstellt werden, müssen Faktoren wie das Öl-Gesamtvolumen, dessen Viskosität, Persistenz und Toxizität darstellen, um die Möglichkeiten zur Rückgewinnung einschätzen zu können. Es sollte geklärt sein, inwieweit das Schiff entleert und frei von Munition ist. Stabilität und Festigkeit des verbauten Stahls müssen geprüft werden, um die Sicherheit der Taucher zu gewährleisten. Äußere Umstände wie Wetter, Wassertiefe, Tide und Strömung spielen eine Rolle. Weitere Informationen sind notwendig, da sich in den versunkenen Wracks teilweise auch Gefahrgut befindet, das aufgrund von fortschreitender Korrosion auszutreten droht. So mussten 2014/2015 sogar die Schneidearbeiten an den Schiffsaufbauten von „Yusuf Cepnioglu“ und „Goodfaith“ abgebrochen werden, weil vorher das Vorhandensein von Asbest an Bord nicht geprüft worden war.

Liegt also beispielsweise das Wrack nicht tiefer als 20 Meter im ruhigen Wasser, hat hauptsächlich leichtes Viscose-Öl an Bord und lässt sich einfach bewegen, erreichten 2005 die Kosten für die Öl-Entsorgung zwischen einer Million und drei Millionen US-Dollar. Bei einer komplexeren Entnahme von fossilen Kraftstoffen hingegen, bei der das marode Wrack tiefer als 250 Meter gesunken ist, schlechtes Wetter und Wellengang herrschen und Reste von schwerem und schwerflüssigem Viscose-Öl vorhanden sind, bewegten sich schon damals die Kosten ab 20 bis über 100 Millionen US-Dollar. Für die Komplett-Bergung des italienischen Kreuzfahrtschiffs „Costa Concordia“ inklusive Transport und Demontage musste seine Reederei Costa Crociere insgesamt 1,5 Milliarden Euro aufbringen – laut Focus online „die teuerste Schiffsbergung aller Zeiten“.

Vermeintlich billiger: Schiffsfriedhöfe
Wer die akribische Vorbereitung einer Schiffshebung und die damit verbundenen Kosten scheut, macht es wie die Regierung von Nigeria – vermeintlich billiger. Sie lässt zu, dass in der Bucht vor der Metropole Lagos unzählige Schiffswracks verrotten – Journalisten der online-Zeitschrift „Welt“ zählten im Mai 2012 auf dem „weltgrößten Schiffsfriedhof“ insgesamt 77 Schiffsskelette, die einheimische Arbeiter bereits entkernt hatten. Eine Anschlussverwendung oder die vollständige Entsorgung der Wracks fand nicht statt; das Material korrodiert fortlaufend und schadet mit teilweisem Austritt von gefährlichen Substanzen weiter der Umwelt.

Lagos ist nicht der einzige Wrack-Ankerplatz: Wikipedia zählt weitere im mauretanischen Nouadhibou, in Abidjan an der Elfenbeinküste, in Teilen des Hafens von Mar del Plata in Argentinien sowie im Westen von Staten Island im US-Bundesstaat New York hinzu. Im russischen Murmansk sollen sogar mehrere hundert ausgemusterte Atom-U-Boote und Kriegsschiffe vor Anker liegen, deren Abwrackung unökonomisch wäre, weil die Anlagen für den Atomantrieb entsorgt werden müssten und deren Aufbereitungskosten die Material-Erlöse übersteigen würden.

Noch preiswerter: Wrackdiebstähle
Dass es noch deutlich billiger – wenn auch skrupelloser und gefährlicher – geht, zeigt eine Reihe von Schiffsdiebstählen in Fernost. So meldete 2016 die britische Zeitschrift The Guardian, dass von sechs niederländischen und britischen Kriegsschiffen (De Ruyter, Java, Kortnaer, Exeter, Encounter und Electra), die 1942 vor Indonesien sanken, keine Spur mehr auf dem Meeresboden zu finden sei. Die indonesische Regierung trug nach ihrer Ansicht daran keine Schuld: Man sei nicht gefragt worden, die Wracks zu beschützen, und sei deshalb nicht dafür verantwortlich.

Teilnehmer einer Tauchschule vor Malaysia berichteten der New Straits Times, dass 2015 Schiffswracks mit Sprengstoff von Leuten zertrümmert wurden, die als Fischer posierten, bevor sie das Metall entfernten. 2018 berichtete die Daily Mail von einer anderen Methode. Danach hätten die Diebe einen 50 Tonnen schweren Anker in Form einer Axt auf das gesunkene Schiff fallenlassen, um dessen Struktur zu zerstören und das zertrümmerte Metall mit langen Kränen anzuheben. Trotz internationaler Verbote seien in diese Raubzüge über ein Dutzend Chinesen gehörender Schleppkähne mit Kränen verwickelt.

[1]

Foto: Romero Chaves / pixabay.com

Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem Wrack der 1942 gesunkenen „Perth“, zu der bereits 2013 Meldungen über kommerzielles Ausschlachten veröffentlicht wurden. Ein Profitaucher gab der Australian Broadcasting Company zu Protokoll, dass ihm ein Schleppkahn samt Kran und Greifer und einem großen Haufen an Wrackteilen auf dem Deck begegnete. Das online-Magazin „Gray Page“ beschreibt einen solchen Schleppkahn als groß, mit eigenem Antrieb, schwimmenden Plattformen und Kränen mit Meißel und magnetischen Greifern versehen; vor Erscheinen der Kähne würden Taucher aus kleinen Fischerbooten explosive Ladungen über das Wrack verteilen, um es aufzubrechen. Daraus resultieren „extensive Zerstörungen“, die ein Taucher der Australian Broadcasting Company folgendermaßen schilderte: Die meisten Deckaufbauten seien weg, ebenso die Gewehre vom vorderen Geschützturm, darüber hinaus fehlen der A-Geschützturm, das Katapult, die Brücke und der Kran. Die spätere Meldung eines indonesischen Tauchers enthielt den Hinweis, dass das Schiff mittlerweile zu instabil sei, als dass Taucher sich ins Innere wagen dürften.

Nicht zu glauben
Für über 100 Schiffe und U-Boote wurden im 2. Weltkrieg die Gewässer um Indonesien, Singapur und Malaysa zum Friedhof. Die indonesische Regierung schätzt sogar, dass „hunderte von militärischen Schiffswracks“ vor ihrer Küste liegen; einer anderen indonesischen Quelle zufolge sollen dort 479 Schiffe gesunkenen sein. Mittlerweile seien davon rund 40 bereits teilweise oder komplett zerstört, schrieb im November 2017 der Guardian und zitierte dazu einen Museumsfachmann: „Ich arbeite auf diesem Gebiet schon 20 Jahre, aber ich habe nie von einem historischen Wrack gehört, insbesondere einer großen 8.000-Tonnen-Hülle aus Stahl, die komplett beseitigt wurde. Ich konnte es nicht glauben und ich weigerte mich, es zu glauben.“

Nach Aussage des britischen „Telegraph“ enthüllte 2018 eine Untersuchung die Plünderung von weiteren zehn Kriegsschiffen im asiatischen Raum. Um an das Material zu kommen, nahmen auch dabei die Schiffsräuber keinerlei Rücksicht auf die archäologische oder historische Bedeutsamkeit des Objekts und scheuten sich auch nicht davor, die gefallenen Soldaten einfach den Wellen zu überlassen.

Profite winken
Den Materialdieben winken gute Gewinne. Nach Darstellung des „Guardian“ wird der mögliche Wert der metallenen Kriegsschiffe auf hunderttausende Britische Pfund geschätzt. Einige Schiffsschrauben, die oftmals als erste gestohlen werden, bestehen aus Phosphor-Bronze-Altmetall, das mit über 2.000 Pfund (ca. 2.230 Euro) pro Tonne gehandelt wird. Das britische online-Magazin „The Conversation“ sieht in Schiffsresten ein „riesiges Potenzial mit Rückverkaufswert“. Ein einfaches Wrack kann bis zu einer Million australischer Dollar (ca. 650.000 Euro) wert sein; die bronzenen Schiffsschrauben kosten jeweils Zehntausende von Dollars. Neben Stahl, Aluminium, Messing und Kupferkabeln sind jedoch die Stahlplatten der 70 Jahre alten Wracks das Wertvollste.

Da die Stahl-Ummantelungen der Schiffe vor den ersten Atomwaffen-Versuchen in den 1940ern hergestellt wurden, also bevor diese Experimente die Atmosphäre mit Strahlung belasteten, zählen sie zu den letzten Quellen von „low background steel“: Als so gut wie nicht strahlungsbelastet, eignet sich das Metall für sensitive wissenschaftliche und medizinische Ausrüstungen und erzielt entsprechende Preise.

Möglichkeiten für Investitionen
Salzwasser schadet dem Stahl. Je nach Salzgehalt, Wassertiefe und Temperatur verlieren Stahlplatten 0,5 bis zwei Millimeter Profil pro Jahrzehnt. Außerdem, so fanden aus­tralische Forscher heraus, lässt der Verlust von drei bis zehn Millimetern Dicke die Platten instabil werden und eventuell brechen. Somit müssen zumindest mittelfristig Lösungen gefunden werden, will man den Metallgehalt stillgelegter oder gesunkener Schiffe noch nutzen können. Die einfachste Methode besteht darin, die Schiffsfriedhöfe aufzulösen und das rückgewonnene Material zu Geld zu machen, bevor die Wracks durchgerostet sind, auf den Meeresboden sinken, und durch möglicherweise auslaufendes Öl Umweltschäden und Kosten verursachen und noch schwerer zu entsorgen sind.

[2]

Foto: iphotoclick / pixabay.com

So verhandelten im Februar dieses Jahres Vertreter des Internationalen Hafens Antwerpen mit Bashier Jamoh, dem Geschäftsführer des Büros für Nigerianische Meeresverwaltung und Sicherheit, der „große Möglichkeiten für Investitionen in Wrackbeseitigung und Wrackrecycling“ sah. Im Gegensatz dazu musste beim mauretanischen Schiffsfriedhof Nouadhibou die Europäische Union im Jahr 2006 bereits rund 26,2 Millionen Euro für die Schadstoffentsorgung von 55 der Wracks und ihren Abtransport bereitstellen.

IHMs und Nairobi Convention
Die Gesetzgebung braucht nicht so weit zu gehen, dass – wie ein britisches Entsorgungsunternehmen anmerkte – Schiffe, deren Laufzeiten sich dem Ende nähern, als vorbeugende Maßnahme überwacht werden müssen. Dennoch könnte hier schon – vorbeugend – die „Inventarliste von Gefahrstoffen“ (Inventories of Hazardous Materials, kurz IHMs) helfen, die die EU-Schiffsreycling-Vorschrift seit Ende letzten Jahres vorsieht. Sie verpflichtet alle Schiffe über 500 Bruttoregistertonnen, die einen EU-Hafen oder -Ankerplatz anlaufen wollen, dazu, über ein gültiges und zertifiziertes Verzeichnis der an Bord befindlichen Gefahrstoffe zu verfügen. Das würde im späteren Bedarfsfall die Suche nach eventuellen, die Bergung erschwerenden Materialien entscheidend erleichtern.

Auch wäre es sinnvoll, dass sich noch mehr Nationen dem „Internationalen Übereinkommen von Nairobi zur Entfernung von Wracks“ anschließen. Seit 2007 versucht die Nairobi Convention ein Regelwerk zu liefern, das die umgehende Beseitigung von jedem Wrack absichert, das ein Schifffahrts-Hindernis oder eine Gefahr für die Umwelt darstellt und das in den ausschließlichen Wirtschafts- oder Umweltschutzzonen eines Mitgliedstaates liegt. Darüber hinaus sucht sie Wege für Entschädigungszahlungen für die betreffenden Küsten. Sie trat im September 2017 in Kraft und wurde seitdem von 37 Staaten unterzeichnet.

Muscheln als „Biomarker“
Die Methoden, um mögliche Umweltkatastrophen rechtzeitig zu erkennen, haben sich im Laufe der Jahre verbessert. So stellt beispielsweise VRAKA (kurz für Schiffswrack-Risiko-Beurteilung auf Schwedisch) einen Ansatz zur konsequenten Einschätzung dar, der Entscheidungshilfen bietet und die Priorisierung von Risiko-Minderungs-Maßnahmen erleichtert.

Allerdings weist eine schwedische Doktorarbeit aus dem Jahr 2013 darauf hin, dass eine Reihe von untersuchten Methoden zur Risiko-Beurteilung von Wracks (einschließlich VRAKA) keinen ganzheitlichen Leitfaden präsentiert und dass es an quantitativen Beurteilungs-Werkzeugen fehlt. Nur wenige Methoden berücksichtigten Unsicherheiten und die Notwendigkeit sensitiver Analysen. Möglicherweise kann das EU geförderte, internationale Projekt „North Sea Wrecks“ neue Vorgehensweisen und Erkenntnisse bringen. Neben der wissenschaftlichen Erforschung der Problematik von verklappter Munition, Kriegswracks und der daraus resultierenden Umweltverschmutzung und Kontaminierung in der Nordsee will das Projekt über Muscheln als „Biomarkern“ eventuell aus Wracks austretende Giftstoffe detektieren.

Listen um Stahl-Gehalt erweitern
Obwohl noch Tausende von gesunkenen Schiffen vergessen auf dem Meeresboden verrotten, wissen viele Staaten genau, wo auf ihrem Territorium die Wracks liegen. So lässt Norwegen mindestens einmal pro Woche die komplette norwegische Küste abfliegen, um auch solche Öl-Lecks rechtzeitig aufzuspüren, die aus den 29 Wracks aus dem Zweiten Weltkrieg auslaufen könnten, und pumpt immer wieder Treibstoff aus alten Wracks ab.

Auch die Vereinigten Staaten wissen sehr genau, wo auf ihrem Territorium gesunkene Schiffe lagern. Eine Liste über alle Wracks in ihren Gewässern veröffentlichte 2017 die Nationale Ozean- und Atmosphären-Verwaltung. Die Tabelle umfasst an die 90 Schiffe, die mit Namen, Öl-Type, Öl-Menge, dem „ökologischen Risikofaktor von schlimmstenfalls austretenden 4.000 Gallonen Schweröl“ und einem ebensolchen eines „am wahrscheinlichsten Austritts von 400 Gallonen Schweröl“ aufgeführt wurden. Um zu kalkulieren, ob bei diesen Schiffen als potenziellen Umweltgefährdern nur das Öl abgepumpt oder das gesamte Schiff ohnehin geborgen soll und der Wert sein Metalls genutzt werden könnte, wäre diese Liste (und andere derartige) um den Stahl-Gehalt des jeweiligen Wracks zu erweitern.

Problemlage ungeklärt
Eine Maßnahme duldet hingegen keinen Aufschub mehr: eine international bindende Regelung der Zuständigkeiten für gesunkene Kriegsschiffe. Nach Aussage von Professor Henning Jessen, Spezialist für Internationales Seerecht, „gibt es keinen anwendbaren völkerrechtlichen Vertrag zur Behandlung von Kriegswracks. Insofern ist es eine ungeklärte Rechtslage; man kann es auch als Grauzone bezeichnen“. Diese juristische Ungewissheit führt nicht selten dazu, dass ein Land sich weigert, sein eigenes Wrack zu bergen. Und so kann es zu Situationen wie der folgenden kommen: 1943 versenkten britische Bomber das Lazarettschiff „Stuttgart“ in der Bucht vor Gdansk (Danzig), das seitdem dort liegt und rostet, was zwangsläufig irgendwann auf eine Öl-Emission hinauslaufen wird. Vorsorglich fragte Benedykt Hac vom Danziger Marineinstitut daher bei seinen deutschen Kollegen nach, was mit dem Wrack geschehen soll. Die Antwort der Deutschen: „Gibt es Gold? Wenn nicht, dann ist es euer Problem!“

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2021, Seite 34, Foto: David Mark / pixabay.com)

[3]

Anzeige