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Chemische Analysen zur Einstufung von künstlichen Mineralwollen – der Kanzerogenitätsindex KI allein ist hier nicht ausreichend

In unserem Alltag haben wir es häufig mit Fasermaterialien zu tun. Eine sinnvolle Einstufung der Fasern kann in Naturfasern wie Cellulose, Hanf und Asbest sowie in künstlich erzeugte Fasern wie Polyester, Viskose und künstlichen Mineralfasern (KMF) erfolgen [1] (Abbildung 1). Zu den künstlichen Mineralfasern gehören neben kristallinen Fasern wie Kohlefasern und Siliciumcarbid auch glasartige Fasern wie Glaswolle und Steinwolle. Ein Großteil dieser glasartigen Fasern wird als Dämmwolle verwendet, zusätzlich finden diese jedoch auch als Zusatz in Baustoffen zur Verbesserungen von Eigenschaften wie Festigkeit, Zähigkeit oder Dauerhaftigkeit Anwendung.

[1]

Abbildung 1: Einteilung der Fasern [1]

Moderne künstliche Mineralfasern sind ökologisch unbedenkliche und vorteilhafte Produkte, die hinsichtlich umwelt- und gesundheitsrelevanter Aspekte sehr gut abschneiden [2]. Gemäß EU-Richtlinie 97/69/EG sowie deutschem Recht handelt es sich bei diesen Mineralwollen um „künstlich hergestellte, ungerichtete glasige (Silikat-) Fasern mit einem Anteil an Alkali- und Erdalkalimetalloxiden (Na2O + K2O + CaO + MgO + BaO) von über 18 Gewichtsprozenten“ [3].

Mehrere Hersteller von Mineralwolle haben 1998 die Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V. (GGM) unter dem Dach des RAL gegründet. Damit schufen und unterwarfen sich die Hersteller einer freiwilligen internen und externen Qualitätskontrolle [4]. Zur Erlangung des RAL-Gütezeichens und somit zum Nachweis, dass es sich um moderne künstliche Mineralfasern ohne gesundheitsschädigende Inhaltsstoffe handelt, muss der Hersteller unter anderem nachweisen, dass kumulativ sowohl der Intratrachealtest oder der Kanzerogenitätsindex als auch der Intratrachealtest oder der Kurzzeit-Inhalationstest bzw. der Langzeit-Inhalationstest bestanden wird. Alternativ kann auch der Intraperitonealtest bestanden werden [5].

Es ist jedoch zu beachten, dass die sogenannten Altwollen, die bis 1995 in Deutschland produziert und etwa bis 2000 verkauft wurden und aktuell zuhauf in Bestandsgebäuden zu finden sind, tatsächlich in Analogie zu Asbestfasern stehen können und somit für den Menschen möglicherweise gesundheitsschädigend sind [1], [6].

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Abbildung 2: REM-EDX Analysen von künstlichen Mineralfasern (KMF), hier die Faservermessung

Eine potenzielle Beeinträchtigung der Gesundheit geht von den Fasern der Altwollen erst dann aus, wenn sie in die Lunge gelangen (Länge < 250 µm, Dicke < 3 µm, [7]). Nach TRGS bzw. WHO (World Health Organisation) werden Mineralwollen als kritisch definiert, wenn die Abmessungen länger als 5 µm, dünner als 3 µm und das Verhältnis von Länge zu Durchmesser größer 3 ist. Sind solche Fasern in die Lunge gelangt, ist die Verweildauer für das Ausmaß möglicher Gesundheitsgefahren von Bedeutung [1] (Abbildung 2).

1994 wurde vom Ausschuss für Gefahrstoffe ein Bewertungsschema für künstliche Mineralfasern vorgeschlagen. Danach sind nicht mehr nur die geometrischen Verhältnisse von Faserlänge zu Faserdurchmesser, sondern die Beständigkeit der Fasern im menschlichen Körper entscheidend. Je schneller sich Fasern in der Lunge auflösen, desto geringer ist die Gefahr von gesundheitlichen Schäden [1].

Grundsätzlich bezieht sich die Biolöslichkeit der Fasern auf die Fähigkeit eines biologischen Organismus, die Faser anzugreifen, zu schwächen und aus dem Körper abzustoßen. Dieses geschieht durch Makrophagen- und Lungenflüssigkeit (pH 7,4), welche die Fasern chemisch angreifen, anschließend werden diese durch Makrophagen (innerer pH ca. 4,5) abtransportiert.

Unter anderem wird seit 1994 mit der nachfolgenden Formel der sogenannte Kanzerogenitätsindex (KI) [8] ermittelt und somit versucht, die Beständigkeit der Fasern zu beurteilen (Abbildung 3).

KI = ∑ (Na2O,K2O,B2O3,CaO,MgO,BaO) – 2 x Al2O3
Hierbei bedeutet [1; 8]:
KI ≥ 40                     nicht krebserzeugend (keine Kategorie),
KI > 30 bis < 40     möglich krebserzeugend (K3),
KI ≤ 30                     krebserzeugend (K2).

[3]

Abbildung 3: Bewertungsschema für künstliche Mineralfasern (KMF)

Einige Mineralwollenhersteller sahen jedoch von Anfang an in dem KI ein unzureichendes Instrument zur Beschreibung der Biolöslichkeit. Es zeigte sich dann auch bereits 1995, dass der KI beispielsweise die Biolöslichkeit von neu entwickelten biolöslichen Steinwollfasern nicht beschreiben konnte. Denn das Aluminiumoxid in diesen Fasern erhöht – im Gegensatz zum Aluminiumoxid in anderen Fasern – deren Biolöslichkeit. Nachträglich sahen sich diese Hersteller auch durch die Ablehnung der Übernahme des KI in die 1997 verabschiedete EU Richtlinie bestätigt [4].

Etwa 1997 wurden durch eine Kooperation des Fraunhofer-Instituts für Toxikologie und Aerosolforschung und des Fraunhofer-Instituts für Silicatforschung mit diversen Mineralwollenherstellern und -verbänden moderne künstliche Mineralfasern entwickelt, die hinsichtlich umwelt- und gesundheitsrelevanter Aspekte sehr positive Eigenschaften aufweisen. Die Biolöslichkeit dieser KMF wird seitdem sowohl durch die geometrischen Verhältnisse von Faserlänge zu Faserdurchmesser als auch über die Beständigkeit der Fasern im menschlichen Körper beurteilt.

Aus diesem Grund ist es für die gesundheitsrelevanten Aspekte sehr wichtig, verlässliche chemische Analysen der Mineralwollen, sowohl bei der Produktionsüberwachung wie auch beim Rückbau von Bestandsgebäuden, zu erhalten. Die Analysen von Fasern aus Rückbauten werden anschließend von der Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V. entsprechend der Einhaltung der Freizeichnungskriterien nach Gefahrstoffverordnung (Anhang II, Nr. 5) bewertet.

Gemäß der Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V. sind aktuell vier Institute für die nasschemischen Analysen von künstlichen Mineralfasern zugelassen [9], eines hiervon ist das IGR Institut für Glas- und Rohstofftechnologie GmbH in Göttingen. Die GGM-Analysenvorschrift besagt, dass die Probe in Achat vermahlen wird und folgende Parameter analysiert bzw. angegeben werden müssen:

[4]

Abbildung 4: Analytik der künstlichen Mineralfasern (KMF) beim IGR

Das IGR hat hierfür ein recht ausgeklügeltes Prüfverfahren aufgebaut, welches unter anderem auf internen Doppelbestimmungen aller geforderten Parameter beruht (Abbildung 4).

[5]

Abbildung 5: iCAP 7000 ICP-Spektrometer und ICP-DUO Emmissionsquelle

So werden unter anderem die Elementoxide der Mineralwolle mit zwei separaten ICP-OES Geräten der Firma Thermo Fisher Scientific – der iCAP 6000/7000 Serie mit DUO  Plasma Betrachtung (Abbildung 5) – gegen einen vom IGR selber hergestellten und matrixangepassten Standard analysiert. Hierbei werden Elemente im höheren Konzentrationsbereich wie Natrium, Kalium, Calcium und Magnesium mit radialer Plasmabetrachtung und Elemente wie Cadmium, Blei und Chrom in niedrigen Konzentrationsbereichen mit der nachweisstärkeren axialen Plasmabetrachtung analysiert. Neben den eigentlichen Proben wird zusätzlich immer eine Probe Mineralwolle mit entsprechender Matrix als Referenzprobe mit analysiert.

Wahl der optimalen Mühle und des passenden Werkstoffes zur Probenvorbereitung
Als Vorbereitung zur Analytik müssen die Mineralwollfasern in einer Labormühle homogenisiert werden. Hierbei ist anzumerken, dass bereits bei der Vermahlung einige Präparationsfehler auftreten können. Für die Analytik der Elementoxide der Mineralwolle mittels ICP-OES werden nur einige Milligramm oder Gramm Probe benötigt, die allerdings die gesamte Ausgangsprobe repräsentieren müssen. Je nachdem, aus welchem Teil des Ausgangsmaterials die Analysenprobe entnommen wird, können unterschiedliche Aussagen bezüglich der Zusammensetzung zustande kommen. Eine reproduzierbare Homogenisierung der Proben vor der eigentlichen Analyse ist daher unumgänglich, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Die Firma Retsch ist ein führender Anbieter von Labormühlen für die Zerkleinerung und Homogenisierung von Feststoffen im Rahmen der Qualitätskontrolle. Die große Auswahl an Zubehör und Werkstoffen erlaubt eine analysenneutrale Aufbereitung für praktisch jedes Probenmaterials.

Zur Homogenisierung von KMF wurden zwei Modelle von Retsch Kugelmühlen getestet: Die Schwingmühle MM 400 und die Planeten-Kugelmühle PM 100. Die Schwingmühle MM 400 ist ein bewährter Alleskönner in der Probenvorbereitung zur Fein- und Feinstzerkleinerung bis 5 μm von sowohl harten, mittelharten, spröden als auch faserigen Proben wie zum Beispiel Glas, Keramik, Mineralien, Erze oder Baustoffe. Die Mahlbecher können bis zu 20 ml Probe fassen und sind in sechs unterschiedlichen Werkstoffen erhältlich; mit Stahlmahlbechern ist auch die kryogene Zerkleinerung möglich. Die MM 400 führt horizontale Schwingungsbewegungen des Mahlbechers aus, dabei wird die Probe im Inneren des Mahlbechers hauptsächlich durch Prall zerkleinert. Die PM 100 ist ebenso wie die MM 400 vielseitig einsetzbar und für ähnliche Probenmaterialien geeignet. Es können Probenmengen bis zu 200 ml pro Durchgang homogenisiert werden.

Im Gegensatz zur MM 400 arbeitet die Planeten-Kugelmühle PM 100 mit dem planetarischen Prinzip [10], wodurch die Probe im Inneren der Mahlbecher durch Reibung und Prall zerkleinert wird. Dies führt in der Regel zu anderen Mahldauern als in der MM 400, ebenso wie zu unterschiedlichen Auswirkungen auf den Abrieb der Mahlwerkzeuge. Je nach Wahl des Mühlentyps, der Werkstoffe der Mahlwerkzeuge (z. B. Achat oder Zirkonoxid) sowie der Mahlparameter (z. B. Drehzahl) ergeben sich daher möglicherweise Verfälschungen der Analyse. Achat gelangt zum Beispiel durch Abrieb von den Werkzeugen in die Probe und erhöht somit die Konzentration von SiO2. Die Probenmenge spielt ebenfalls eine wichtige Rolle: Wird zum Beispiel zu wenig Probenmaterial in den Mahlbecher gefüllt, kann dies zu einem höheren Verschleiß des Mahlwerkzeugs führen und somit zu einer Verdünnung bzw. Kontaminierung der Probe durch erhöhten Abrieb.

Eine Probe Mineralwolle wurde jeweils fünffach mit der Planeten-Kugelmühle PM 100 und der Schwingmühle MM 400 von Retsch mit unterschiedlichen Werkstoffen auf eine Analysenfeinheit < 63 µm gemahlen (Tabelle 1) und anschließend aufgeschlossen und analysiert. Die in Tabelle 2 angegebenen Konzentrationen sind jeweils der Mittelwert aller fünf Einzelbestimmungen.

[6]

Tabelle 1: Parameter für Vermahlung von künstlichen Fasern in der Planeten-Kugelmühle PM 100 und Schwingmühle MM 400

[7]

Abbildung 6: Schwingmühle MM 400

Da die GGM Analysenvorschrift eine Vermahlung in Achat vorschreibt, wurde zunächst die KMF in Achatmahlbechern mit Achatkugeln in den beiden unterschiedlichen Mühlentypen vermahlen. Hier ergab sich ein deutlich höherer Abrieb von SiO2 in der PM 100 gegenüber der MM 400. Ebenso wurden teilweise geringere Konzentrationen anderer Faserbestandteile in diesen Proben gemessen. Der Zerkleinerungsmechanismus der MM 400 (Abbildung 6) – horizontale, kreisbogenförmige Schwingungen, die die Mahlkugeln mit hoher Energie auf das Probengut auftreffen lassen – scheint zu keinem nennenswerten Abrieb an SiO2 zu führen, und auch alle anderen Inhaltsstoffe entsprechen ziemlich genau dem Soll-Wert. Eine Vermahlung mit Mahlbechern und Kugeln aus Zirkonoxid wurde durchgeführt, um einen theoretischen Ersatz für Achat auf zu zeigen. In der PM 100 wurde ein Abrieb von Zirkonoxid festgestellt, welcher in der MM 400 nicht gemessen wurde. Dies zeigt, dass sich auch unter Verwendung von anderen Materialien als Achat sehr zuverlässige Analysen von künstlichen Fasern erstellen lassen.

[8]

Tabelle 2: Analysenergebnisse nach Vermahlung von Mineralwolle in der Planeten-Kugelmühle PM 100 und in der Schwingmühle MM 400 als Mittelwerte aus fünf Einzelbestimmungen

Fazit
Die Biolöslichkeit von künstlichen Mineralfasern ist ein wichtiger Richtwert für die gesundheitliche Unbedenklichkeit von künstlichen Mineralfasern. Sie wird durch die geometrischen Verhältnisse der Fasern sowie auch durch deren chemische Zusammensetzung beeinflusst. Um die chemische Analyse durchführen zu können, sollten die Fasern auf < 63 µm vermahlen bzw. homogenisiert werden. Die MM 400 ist die optimale Mühle zur Vermahlung von Mineralwollen. Beim IGR erfolgt die Vermahlung von Mineralwolle im Mahlbecher aus Achat, da dies in der GGM Analysenvorschrift gefordert wird. Mit den beschriebenen Parametern lassen sich gleichzeitig zwei Proben innerhalb kürzester Zeit aufschlussfein vermahlen, um dann mittels ICP-OES analysiert zu werden.

[1] Bundesinstitut für Bau- Stadt und Raumordnung: Künstliche Mineralfaserdämmstoffe BBSR-Berichte KOMPAKT, 1/2011.
[2] Mai, Anna: Unter Dach und Fach, Test Dachdämmstoffe, in Öko-Test 10/2009, S. 140–148.
[3] Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften: Richtlinie 97/69/EB der KommiL 343/10,  13.12.97.
[4] Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V.,: Gesundheitliche Bewertung von Mineralwollen an Hand der Biolöslichkeit, 2015
[5] Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V.: Die Güte- und Prüfbestimmungen, April 2013
[6] Pott, F. / Freidrichs, K. H.: Tumoren der Ratte nach i.p.-Injektion faserförmiger Stäube, in Naturwissenschaften 59, S. 318, 1972.
[7] Bayerisches Landesamt für Umwelt: UmweltWissen, Künstliche Mineralfasern, 2008.
[8] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin: 905-anorganische-fasern, Januar 2002
[9] GGM Gütegemeinschaft Mineralwolle e.V.: Aktualisierung des Merkblatts,,Bewertung von Mineralwolle-Dämmstoffen im Zusammenhang mit Abbruch-, Sanierungs-, lnstandhaltungs- und Instandsetzungsarbeiten“, Mai 2016
[10] Laborpraxis: Kleine Partikel – großer Effekt: Planeten-Kugelmühlen erlauben die Herstellung von Nanopartikeln; April 2011

Kontakt:
Dirk Diederich, IGR Institut für Glas- und Rohstofftechnologie GmbH, Rudolf-Wissell-Straße 28a, D-37079 Göttingen, www.IGRgmbh.de [9]
Tanja Butt, Retsch GmbH, Retsch-Allee 1-5, D-42781 Haan, www.retsch.com [10]
Jörg Reipke, Thermo Fisher Scientific GmbH, Im Steingrund 4-6, 63303 Dreieich, www.thermofisher.com [11]

Autor und Quelle: Dirk Diederich / IGR Institut für Glas- und Rohstofftechnologie GmbH
(19.04.2021, Foto: RachelW1 / pixabay.com)