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14. Recycling- und Sekundärrohstoffkonferenz: Potenziale von Kunststoffrezyklaten besser ausschöpfen

„Gerade im Kunststoffrecycling lassen die Herausforderungen nicht nach“, betonte Daniel Goldmann (Technische Universität Clausthal) als Moderator der 14. Recycling- und Sekundärrohstoffkonferenz „online“ am 15. März 2021. Die Vorträge der Konferenz machten Grenzen und Hemmnisse deutlich, eröffneten aber auch Perspektiven.

Die Vortragsreihe eröffnete Hans-Josef Endres (Leibniz Universität Hannover). Er trat für eine mehrfache Neudefinition des Rezyklate-Begriffs ein. Dazu müssten zum einen die Typenbezeichnungen „post-consumer“ und „pre-consumer/post-industrial“ genau aufgeschlüsselt und konkretisiert werden. Zweitens wären Rezyklate hinsichtlich ihres Recyclingverfahrens zu unterscheiden, da verschiedene Bearbeitungspfade unterschiedliche Resultate hervorbringen und die Terminologie, die auch Sekundärrohstoff, Recyclingkunststoff und Regenerat als Synonym für Rezyklate zulässt, zu Missverständnissen führt. Und zum dritten gelte es die Lücken zu schließen, die durch fehlende Regulierung des Mindestrecycling-Gehalts in Mischplastik und des jeweiligen mechanischen oder chemischen Recyclingprozesses zustande kommen.

Um die Bearbeitungswege im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft zu berücksichtigen, müssten gleiche beziehungsweise unterschiedliche Verfahren, Produktionslinien, Kunststoff-Konverter oder -Recycler bei der Herstellung von Polymeren deutlich gemacht werden, um eine Grundlage für technische Typenblätter und für Kosten-Vergleiche von Recycling- mit Primär-Kunststoffen zu schaffen.

Stoffliche Verwertung steigern
Über die derzeitige Verwertung von Kunststoffen gab Ulrich Schlotter (BKV GmbH, Frankfurt am Main) Auskunft. Er zeigte für das Jahr 2019, dass private Haushalte 3,1 Millionen Kunststoffabfälle produzierten, die zu 67 Prozent energetisch genutzt und zu 33 Prozent stofflich verwertet wurden. Die 2,2 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle gewerblicher Endverbraucher wurden thermisch und stofflich annähernd gleich behandelt (52 zu 47 Prozent). Das überwiegend sortenreine und saubere Material aus der Kunststoffverarbeitung in Höhe von 871.000 Tonnen ließ sich zu 94 Prozent stofflich nutzen.

Die werkstoffliche Verwertung erreichte 2019 mit 2,91 Millionen Tonnen eine Steigerung gegenüber 1994 von über 130 Prozent. Die energetische Behandlung entwickelte sich im gleichen Zeitraum von annähernd null auf rund 3,2 Millionen Tonnen, während die rohstoffliche Nutzung von Kunststoffen stetig sank und heute keine Rolle mehr spielt. Schlotters Fazit: Es sind weitere signifikante Steigerungen in der stofflichen Verwertung von Kunststoffabfällen notwendig, um die deutschen und internationalen Richtwerte zu erfüllen. Diese seien über keine „Kannibalisierung“ der werkstofflich verwerteten Kunststoffe zu erreichen, sondern durch Nutzung von bislang energetisch verwerteten Abfallströmen.

Was kostet Kreislaufwirtschaft?
14,23 Millionen Tonnen Kunststoffe wurden 2019 laut Conversio-Studie in Deutschland verarbeitet, bestehend aus 12,29 Millionen Tonnen Neuware und 1,95 Millionen Tonnen Rezyklaten aus Post-Consumer- und Post-Industrial-Abfällen. Inwieweit rentieren sich Investitionen, um deren Anteil zu erhöhen, fragte sich Roman Maletz (Technische Universität Dresden) und unternahm eine wirtschaftliche Betrachtung von Regelungsvorhaben und Instrumenten. Im Vergleich von geschätzten Kosten und erzieltem Steigerungseffekt fielen insbesondere die Selbstverpflichtung, aber auch Vorbehandlung, Ökodesign, Substitutionsquoten und Anlagenoptimierung positiv auf.

Bei der Vermeidung von Treibhausgas-Emissionen schlagen insbesondere Pfandsysteme, Recyclingfonds, Ökoeffektivität und Recyclingquoten finanziell zu Buche. Für alle Maßnahmen, die parallel umzusetzen wären und sich gegenseitig bedingen, wurden für die Erhöhung der Rezyklatmenge um eine Million Tonnen insgesamt 800 Millionen Euro an direkten Kosten veranschlagt. Die dadurch erreichte Steigerung der Substitutionsquote von 13 auf 20 Prozent würde bedeuten, dass für ein Prozent Quotenerhöhung rund 100 Millionen Euro zu veranschlagen sind; eine Substitutionsquote von 30 Prozent hält Maletz für realistisch.

Problemfall: bromierte Flammschutzmittel
Auf Probleme beim Umgang von Polybromiertem Diphenylether (PBDE) wies Carina Broneder (Ramboll Deutschland) hin. PDBE sind additive bromierte Flammschutzmittel, die bei technischen Gemischen in Kunststoffen und Textilien vorkommen und in elektrischen Geräten und Fahrzeugen zum Einsatz kommen. Als POP-Schadstoffe unterliegen DecaBDE am Ende ihrer Nutzungsdauer einem Zerstörungsgebot, dürfen nur in Ausnahmen verwendet werden und müssen sich unterhalb bestimmter Konzentrationsgrenzen bewegen, die in der Literatur in Schredderfraktionen und in Sitzteilen deutlich überschritten wurden.

In der Schredder-Praxis von Altfahrzeug-Abfällen wird jedenfalls ein erheblicher Anteil des Materials nicht zerstört, da er zum Teil ins Recycling geht und möglicherweise auf Deponien landet. Ein fortschrittliches Post-Shredder-Treatment (PST) ermöglicht hingegen die Separation von Fraktionen höherer Qualität, die Sammlung von bromierten Anteilen in den Schredderrückständen mit höherer Dichte und die Möglichkeit, diese Fraktionen zu verbrennen und PBDE-Gehalt zu zerstören. Doch noch – so Carina Broneder – sei die Datenlage zu schlecht und es werde zu wenig recycelt.

Kunststoffe in Kreisläufe bringen
Die Umsetzung eines werkstofflichen Recyclings wird durch unsichere Stoffströme, zu geringe Rezyklierraten, unsichere gesetzliche Entwicklung, schwankende Qualitäten und hohe Kosten bei niedrigem Ölpreis gehemmt, ist Rainer Dahlmann (RWTH Aachen) überzeugt. Chancen zur Verwertung von lebensmitteltauglichen Polystyrolabfällen lassen sich jedoch durch chemisches Recycling verbessern. Die Depolymerisation von zehn Kilogramm Polystyrenen in einem Doppelschnecken-Extruder führt je nach Unterdruck zu Styrene-Ausbeuten zwischen rund 68 bis 75 Kilogramm.

Der Wiedernutzung von PET-Mehrwegflaschen steht hingegen eine Barriere im Weg: Die silizium-oxidischen Kunststoffwände werden durch Natriumhydroxid aufgelöst. Abhilfe könnten Plasma-basierte Beschichtungen an der Flaschen-Innenseite schaffen, durch die die Ablösung gestoppt und die Lebensdauer von Mehrwegflaschen erhöht wird. Und als ein weiteres Beispiel schafft R-Cycle durch genaue Kenntnisse aller Komponenten einer Kunststoffverpackung und präzises Sortieren einen hohen Reinheitsgrad: Die Sammlung aller Daten während des Produktionsprozesses ermöglicht beim Recycling die Identifikation der dabei verarbeiteten Materialien und hilft, Abfälle zu vermeiden. Dabei empfiehlt sich der Einsatz etablierter digitaler Standards wie Strichcode-Identifikation, Markierungstechnologie oder Techniken der Prozess-Verfolgung.

Recycling-Lücke durch chemische Verfahren schließen
Nur ein Drittel aller Kunststoffabfälle werde im Stoffkreislauf gehalten, kritisierte Klaus Wittstock (BASF). Neben Deponierung und energetischer Verwertung würden nur 31 Prozent der im Jahr 2018 angefallenen 30 Millionen Tonnen an Kunststoffabfällen einem mechanischen Recycling unterzogen und nur 0,1 Prozent einem chemischen Recycling. Dabei würde neben aktuellem und vorstellbarem mechanischen Recycling eine Recycling-Lücke von etwa 20 Millionen Tonnen bestehen, die nur durch chemisches Recycling geschlossen werden könne. Dieses halte im Gegensatz zur Verbrennung den Kohlenstoff im Kreislauf.

Eine Lebenszyklus-Analyse für ChemCycling ergab, dass die Pyrolyse gemischter Kunststoffabfälle 50 Prozent weniger CO2 emittiert als deren Verbrennung. Außerdem würden Kunststoffe, die auf Basis von Pyrolyseöl anstelle von Naphta hergestellt werden, weniger CO2 verursachen. Aktuell liege der Schwerpunkt des Recyclings von PE und PP hauptsächlich auf Verpackungen und von PVC auf dem Verpackungs- und dem Bausektor. Alle anderen, schwächer behandelten Bereiche mit recycelbaren Kunststoffen machten deutlich, dass nur chemische Verfahren die Recycling-Lücke schließen können.

Alle Schredderrückstände berücksichtigen
Über das VW Sicon-Verfahren zur flexiblen und marktkonformen Kunststoffverwertung klärte Heiner Guschall (Sicon GmbH) auf. Er berichtete über die Notwendigkeit, Schredderrückstände für die Rückgewinnung von Kunststoffen je nach Materialzusammensetzung flexibel über verschiedene Module aufzubereiten, dabei angesichts der Vielfalt der Material-Zusammensetzung die angezielten Kunststoffe zu definieren und diese über die angestrebten Verwertungswege zu separieren. Das Konzept sollte sich nach Ansicht von Heiner Guschall nicht nur auf die Aufbereitung, Separierung und Veredelung der Kunststofffraktion konzentrieren, sondern alle Schredderrückstände in einer Balance aus werkstofflicher, metallurgischer und chemischer Vielfachverwertung berücksichtigen. EU-weit könnte mit einem Potenzial von 1,2 bis 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr an verwerteten Schredderrückständen mit verschiedenen Verwertungsoptionen zu rechnen sein: Im Nebeneinander werden diese hinsichtlich Gestehungskosten, Verwertungserlösen, Absatzsicherheit, Verfahrenszuverlässigkeit und langfristiger Investitionssicherheit miteinander konkurrieren.

Fluoreszierende Garne
1,3 Millionen Tonnen an Alttextilien fielen 2018 aus Bekleidung und Heimtextilien an; hinzu kamen 285.000 Tonnen an Produktionsabfällen. Doch nur ein Prozent aller Textilien werden recycelt, gab Stefan Schlichter (Institut für Textiltechnik Augsburg gGmbH, kurz: ITA) zu bedenken. Dabei enthalte eine textile Kreislaufwirtschaft Entwicklungspotenzial, um Textilien – neben Wiederverwendung, Ausbesserung und energetischer Verwertung – mechanisch in einen Sekundärrohstoff und chemisch zu Momomeren zu verwandeln. Diese könnten im Rahmen von Design 4 Recycling in neuen Produkten mit neuen Materialanforderungen Verwendung finden. So hätten sich ITA-Projekte beispielsweise mit präparierten Nähfäden, die sich zielgerichtet auflösen, mit dem Recycling von Seilerei-Abfällen, mit Fragen der Teppich-Zusammensetzung und mit der fluoreszierenden Markierung von Garnen zur besseren Sortierung befasst.

Ganzheitlicher Rezyklat-Einsatz
Über Markenverpackungen aus Post-Consumer-Rezyklat berichtete Timothy Glaz (Werner & Mertz GmbH). Aufgrund der Recyclat-Initiative wird sich bei Werner & Mertz die Verwertung Flasche-zu-Flasche zwischen 2009 und 2021 von 325.000 auf knapp 3,8 Millionen steigern. Das Volumen an frischem PET soll von 811.000 auf geschätzte 14.000 Tonnen sinken, während Recyclingmaterial aus dem Gelben Sack ab 2015 von 85.000 auf 1,3 Millionen Tonnen anwachsen dürfte. Den jetzt 20-prozentigen Anteil an Recyclingkunststoff erhöht das Unternehmen seit diesem Jahr auf 50 Prozent. Während die konventionelle Herstellung von HDPE-Flaschen vollständig auf Neumaterial zurückgreift, verwendet Frosch seit 2018 hundertprozentig Material aus dem Gelben Sack und hat dafür ein neues mechanisches Verfahren im Einsatz. Insgesamt verfolgt Werner & Mertz mit der Verbindung aus Rezyklateinsatz und recyclingfreudigem Design einen nach eigenen Worten ganzheitlichen Ansatz.

Alle Hebel in Bewegung setzen
Aus rund 5,35 Millionen Tonnen gesammelter Post-Consumer-Kunststoffabfälle wurden 2019 nur eine Million Tonnen zu Rezyklaten. Sie finden aber aufgrund der verfügbaren Qualitäten kaum Einsatz in Verpackungen. Das sei zu wenig, betonte Katharina Schweitzer (Circular Economy Initiative Deutschland, acatec, München). Perspektiven bieten Vermeidung, Design, Wiederverwendung und neue Geschäftsmodelle.

Würden all diese Hebel für eine Kreislaufwirtschaft in Bewegung gesetzt, könnten die realistischen Zielwerte für Wiederverwendung auf 20 Prozent gehoben werden, die des chemischen Rezyklats bis 2050 auf 20 Prozent steigen und die des werkstofflichen Rezyklats bei 25 Prozent (2030) beziehungsweise 40 Prozent (2050) liegen. Dadurch könnten in der Kunststoffproduktion bis 2030 beziehungsweise 2050 nicht nur 1,8 beziehungsweise 4,1 Millionen Tonnen CO2, sondern auch 2,2 beziehungsweise 5,2 Millionen Tonnen an Neuware gespart werden. Die aktuellen politischen Lösungen insbesondere beim Verpackungs-Gesetz reichen dafür nicht aus. Die CEID hat Handlungsempfehlungen und eine Roadmap zum Thema für die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen verfasst.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2021, Seite: 42, Foto: Aliaksandr Marko / stock.adobe.com)

 

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