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bvse-Jahrestagung: „Es geht den meisten von uns relativ gut“

Zu seiner diesjährigen Jahrestagung lud der bvse am 30. September und 1. Oktober ins ostwestfälische Marienfeld ein. Über 350 gemeldete Teilnehmer freuten sich über das erste analoge Treffen des Verbandes seit Corona.

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Henry Forster ist neuer bvse-Präsident (Foto: Dr. Jürgen Kroll)

Die Eröffnungsrede zum öffentlichen Teil der Jahrestagung hielt der neue bvse-Präsident Henry Forster. Er dankte seinem Vorgänger, Bernhard Reiling, für die geleistete Arbeit, die den bvse von 670 auf 980 Mitgliedsunternehmen habe erstarken lassen. Dennoch sei der Verband auch weiterhin eine Mittelstandsvereinigung, die mittlere und kleinere Unternehmen als Rückgrat der Branche vertrete. Von ihnen erhofft Forster Grundvertrauen und einen Vertauensvorschuss. Die wirtschaftliche Situation der Branche habe sich in der zweiten Hälfte des Jahres 2021 stabilisiert, auch wenn sie durch Corona und hohe Frachtpreise getrübt werde. Seiner Einschätzung nach „geht es den meisten von uns relativ gut“. Was die politische Lage angehe, werde es aber „ein weiter so“ nicht geben.

Politisch auf „gelb-grün“ einstellen
Das konnte Gastredner Hans-Ulrich Joerges, langjähriger Stern-Kolumnist, nur unterstreichen. Seiner Ansicht nach sind CDU und SPD nach Jahren an der Macht politisch und programmatisch erschöpft, wohingegen Liberale und Grüne Energie und Entschlossenheit versprechen und die „einzige Hoffnung“ im Lande darstellen würden. Christian Lindner und Robert Habeck seien das neue Kraftzentrum und die neue Achse, um die sich die Koalition drehen werde. Den bisherigen Regierungsparteien bescheinigte Joerges – mit teilweise bissigen Formulierungen über die politischen Leistungen und (Un-)Fähigkeiten einzelner Regierungsvertreter – insgesamt „multiples Staatsversagen“, unter anderem bei Altenheimen, Katastrophenschutz, Afghanistan-Einsatz, Wirecard-Aufsicht und Cum-Ex-Verfolgung, aber auch hinsichtlich Digitalisierung, Infrastruktur, Sicherheit und Bürokratieabbau. Es sei ein Neuanfang vonnöten, um Deutschland aus der „Erstarrung“ herauszuholen. In diesem Zusammenhang prophezeite Joerges, dass sich der bvse politisch auf „gelb-grün“ einstellen müsste.

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Gastredner Hans-Ulrich Joerges (Foto: Dr. Jürgen Kroll)

Ein „sehr spannender Verband“
Angesichts dieser Situation würden die zukünftigen Bedingungen der Abfallwirtschafts-Branche „immer besser werden“. (Selbstverständlich nicht, wie er scherzhaft erwähnte, weil der bvse-Fachverband Akten- und Datenträgervernichtung besonders in Berlin eine kurzen Aufschwung nehmen könnte, vor allem im Kanzleramt wie im Finanzministerium.) Der Abfall-Sektor – Joerges wurde wieder ernsthaft – habe bereits einen Aufschwung genommen, und der sei noch nicht zu Ende: Denn Entsorgung sei weiterhin „eine besondere Branche“. Das Thema Umwelt überrage alles und sei ihm „eine echte Herzensangelegenheit“. Dem bvse bescheinigte er, ein „sehr spannender Verband“ zu sein, der im Zentrum der politischen Ereignisse steht.

Tendenziell auf dem richtigen Weg
Im folgenden Vortrag ging Alexander Lanz (Umweltbundesamt) den Zusammenhang von Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz ein. Er wies dabei auf neun Umweltprobleme hin, die untereinander vernetzt sind, aber teilweise durch menschliches Eingreifen weiter verstärkt oder in ihrer Belastbarkeit noch nicht erkannt und definiert wurden. Man sei in Deutschland „tendenziell auf dem richtigen Weg“, um Treibhausgas-Emissionen zu senken. Dazu habe unter anderem der Abfallsektor beigetragen, dessen CO2-Ausstoß zwischen 1990 und 2020 von rund fünf Prozent auf 0,5 Prozent gesunken sei und 2030 vermutlich null erreichen wird. Ebenso hätten sich im gleichen Zeitraum die Methan-Emissionen der deutschen Deponien und biologischen Behandlungsanlagen von 40 auf 10 Millionen Tonnen reduziert. Erwähnenswert sei auch die Substitution von Primär- durch Sekundärstoffe, die beispielsweise beim Schrottrecycling zu einer Energieeinsparung von 90 Prozent geführt hat. Die Kreislaufwirtschaft – so Alexander Lanz‘ Botschaft – müsse konsequent zu einer Circular Economy, einer Kreislaufwirtschaft im engere Sinne, weiterentwickelt werden. Konkret: „Wenn wir es zum Beispiel schaffen, zusätzlich 500.000 Jahrestonnen Kunststoffrecyclate in die Produktion zu bringen, dann hätten wir je nach Berechnungsmethode ein zusätzliches Reduktionspotenzial von 500.000 bis zu einer Million Jahrestonnen CO2-Äquivalente.“

Paragraf 21: Entgelte ökologisch gestalten
„Die Zentrale Stelle veröffentlicht im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt jährlich bis zum 1. September einen Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen unter Berücksichtigung der einzelnen Verwertungswege und der jeweiligen Materialart“, heißt es im Paragraf 21 des neuen Verpackungsgesetzes zur „ökologischen Gestaltung der Beteiligungsentgelte“. Welche Hindernisse dabei aus dem Weg geräumt werden müssen, machte Gunda Rachut (Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister) deutlich. Dabei kommt es – bedingt durch den Marktdruck zur Kunststoff-Substitution – zu Umstellungen auf dem Verpackungsmarkt. Ein Trend führe zur Umstellung der Verpackung auf faserbasierte Verbunde mit einem Kunststoffanteil von über fünf Prozent, ein anderer bewirke die Umstellung auf faserbasierte Verpackungen für flüssige und pastöse Füllgüter mit einem Kunststoffanteil von unter fünf Prozent. Die ersten Verpackungsart wird als Leichtverpackung unter PPK recycelt, ergibt ein heterogenes papierhaltiges Gemisch von schlechter Qualität, Geruchsbelastung und späterer Schimmelbildung. Die zweite Version lässt sich in der PPK-Sammlung nicht vollständig reinigen, enthält kontaminierte Papiersorten und ist daher schlechter vermarktbar. Die Verwertbarkeit wird bei beiden Lösungen durch materielle Neuentwicklungen zusätzlich erschwert.

Eine Vielzahl von Aufgaben
Es ist noch nicht geregelt, über welche Varianten recyclinggerechtes Design honoriert werden könnte: ob privatrechtlich über Fonds, aus Mitteln aus dem Sondervermögen des Bundes oder über Abgaben. Außerdem erfordert nach jetzigem Entwurfsstand die Novellierung eine Vielzahl von Aufgaben für die Zentrale Stelle Verpackungsregister sowie Änderungen bei Registrierung und Datenmeldung im Verpackungsregister LUCID, die in drei Stufen bis zum 3. Juli 2021, 1. Januar 2022 und 1. Juli 2022 abgewickelt sein sollen. Die Festlegung dieser Stichtage macht die Umstellung nach Ansicht von Gunda Rachut „sehr schwierig“, da entweder zwei hochkomplexe Übergangslösungen programmiert oder fehlende Registrierungen von Herstellern in Kauf genommen werden müssten. Zu evaluieren seien daher unter anderem rechtssichere Regeln für die Beteiligten, die Klarstellung der Kompetenzen, der Auslandsvollzug und eine Definition der ökologischen Verpackungsgestaltung, ferner die Überprüfung gewerblicher Verpackungsquoten und die Schaffung weiterer Einsatzpotenziale für Rezyklate. Insgesamt werde eine starke ordnungspolitische Weiterentwicklung des Verpackungsrechts erwartet und eine nachhaltige Wirkung auf die Abfallhierarchie erhofft.

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Foto: Dr. Jürgen Kroll

Mehr Einfachheit gefordert
Ähnliche Fragen stellte auch Fritz Flanderka (Reclay Group GbmH) in seinem Vortrag über die „Ökologisierung von Beteiligungsentgelten an Dualen Systemen“ zur Diskussion, da neben der Vemeidung von Abfällen und der Recyclingfähigkeit von Verpackungen auch der Einsatz von Rezy­klaten neu geregelt werden muss. Momentan seien duale Systeme neben der Umsetzung von Paragraf 21, jährlicher Berichtspflicht an die ZSVR, einem offenen Mindeststandard und Einschränkungen durch das Kartellrecht auch mit dem Greenwashing von Verpackungen konfrontiert. Auf europäischer Ebene gebe es konkrete Anzeichen einer Festlegung von Recyclingfähigkeiten, doch seien Lösungen zum Rezyklateinsatz noch offen. Außerdem herrsche in Brüssel die Betrachtung dualer Systeme als monopolistisch ausgerichtet vor, was Konflikte mit der deutschen Umsetzung wahrscheinlich mache. Aus den Reihen der schnelllebigen Konsumgüterindustrie kämen Forderungen nach mehr „Einfachheit“. Vorschläge einer Arbeitsgruppe der dualen Systeme würden im Kern auf „einheitliche Zuschläge für nicht oder schlecht verwertbare Verpackungen“ hinauslaufen, die zusammen mit den Beteiligungsentgelten entrichtet werden. Bei einer Neuregelung sollten Faktoren wie Recylingfähigkeit, Rez­y­klateinsatz, Kompostierbarkeit, nachwachsende Rohstoffe, Best-Practice-Beispiele für optimales Verpackungsgewicht und Trennhinweise bedacht werden, desgleichen die Vielschichtigkeit des Materials und der Grad an Komplexität, Transparenz und Standardisierung der Umsetzung. In jedem Fall – so Flanderka – seien Zuschläge zu Beteiligungsentgelten zielführend, umsetzbar und zusammen mit Littering-Abgabe und Plastiksteuer eine Herausforderung.

Das Verpackungsgesetz auf dem Prüfstand
Eine Diskussionsrunde, die das Verpackungsgesetz auf den Prüfstand stellen und auf „mehr Recycling, mehr Qualität, mehr Recyclateinsatz“ abklopfen sollte, bildete den Abschluss des öffentlichen Teils der Jahreshauptversammlung. Das erste Thema, das zur Debatte stand, betraf chemisches Recycling. Ihm steht bvse-Vizepräsident Herbert Snell skeptisch gegenüber. Die Ergebnisse der letzten Jahre – so Snell – hätten gezeigt, dass chemische Verfahren zwar machbar, aber nicht umsetzbar sind, da das Polymerisieren von Kunststoff mindestens ebensoviel Energie kostet wie das Polymerisieren selbst. Kunststoffrecycler sähen darin keine Lösung, die unter Wettbewerbsbedingungen durchführbar wäre, sondern bestenfalls ein Feigenblatt anstelle wirklichem Recycling. Fritz Flanderka sieht die Gefahr einer Trendwende, bei der chemisches Recycling das wertstoffliche in den Schatten stellt. Er plädiert dafür, dass chemisches Recycling in engen Grenzen wie bei Sortierresten eingesetzt wird, während die Masse werkstofflich recycelt werden sollte. Stichwort Trendwende: Henry Foster bezweifelt, dass in den vergangenen 30 Jahren den dualen Systemen eine Lenkungswirkung auf das Konsumverhalten der Bürger gelungen ist: Der Verbraucher handele nicht ökologisch, sondern intuitiv. Marc Uphoff, der Vorsitzende des bvse-Fachverbands Glasrecycling, hält in diesem Zusammenhang die Quote von 90 Prozent beim Glasrecycling für nicht einhaltbar, da Reststoffe im Input anfallen, die sich als nicht recycelbar herausstellen. Die Schwächen bei der Erfassung von Altglas, die aus Müll im Container resultieren, könnten nach Ansicht von Henry Forster durch Einbau von Unterflurbehältern behoben werden; Marc Uphoff hält dieses System jedoch für falsch.

Rezyklat-Einsatzquoten auch für andere Stoffe?
Das größte Problem beim Paragraf 21 besteht für Gunda Rachut darin, einen Belohnungsstandard für recylinggerechte Abfallbehandlung zu finden. Es sei schwer, eine klare Richtlinie zu definieren, die den Herstellern deutliche Orientierung und Anreize geben. Für Fritz Flanderka war der Paragraf 21 eine ökologische Großtat im Verpackungsgesetz; der Rest sei „Verwaltungskram“. Zudem hätte Umweltministerin Svenja Schulze davor gewarnt, Absprachen zu treffen. Daraus folgt, dass es keinen einheitlichen Standard und in der Umsetzung keine einheitlichen Zuschläge geben darf. Nach Aussage von Alexander Lanz denkt das Umweltbundesamt darüber nach, aber letztlich müsse und könne nur der Gesetzgeber hierzu eine Regelung finden. Die Antworten auf die Frage, ob neben Rezyklat-Einsatzquoten für PET auch solche für Mineralik, Kunststoff, Glas oder PPK sinnvoll seien, fielen durchweg negativ aus. Die Industrie sei nicht willens, Rezyklate einzusetzen, wenn beispielsweise Kunststoff aus Primärquellen billiger angeboten wird. Auch sei der Nachhaltigkeitsgedanke nicht zugkräftig genug, um Hersteller von möglichen Impulsen abzuhalten.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2021, Seite 8, Foto: Dr. Jürgen Kroll)