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Aktueller Polyproblem-Report: Schwieriger Markt für recycelten Kunststoff

Die diesjährige eREC, die Anfang Oktober 2021 bereits zum zweiten Mal dieses Jahr stattfand, bot ihren zahlreichen internationalen Besuchern neben vielen anderen interessanten Aspekten erneut ein sehr anspruchsvolles und zeitgleich abwechslungsreiches Rahmenprogramm. Unter anderem konnten die Interessenten auf der virtuellen Messe viele verschiedene, spannende Webinare zur breitgefächerten Themenvielfalt der Recyclinglandschaft verfolgen.

Uwe Amrhein, einer der vielen Referenten auf der eREC, ist als Stiftungsmanager bei der gemeinnützigen, unabhängigen Röchling Stiftung tätig. Die Röchling Stiftung hat sich seit 2018 sehr auf die Themen Kunststoff und Umwelt fokussiert und steht für einen verantwortungsvollen und umweltschonenden Umgang mit Kunststoff. Wichtig ist ihr dabei eine Welt, in der technologischer Fortschritt dem Erhalt natürlicher Lebensgrundlagen dient, anstatt ihn zu gefährden. Dabei ist die Röchling Stiftung fördernd und kooperativ tätig.

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Webinar-Screenshot (Quelle: MSV GmbH)

Das eREC- Webinar beleuchtete das Thema: „Wertsachen: Warum der Markt für recycelten Kunststoff nicht rund läuft … und wie sich das ändern könnte“. Der Vortrag von Uwe Amrhein ging insbesondere auf die Gründe ein, warum es Wirtschaft und Politik nicht schaffen, den Einsatz von Kunststoff-Rezyklaten in Produkten zu erhöhen. Dabei basiert das Webinar auf der gleichnamigen Studie „Wertsachen“ der Röchling-Stiftung und des Beratungshauses Wider Sense, dem aktuellen Polyproblem-Report, der im Frühjahr 2021 erschienen ist. Die Studie analysiert, warum Angebot und Nachfrage im Bereich Plastikrecycling nicht zusammenkommen und liefert Lösungsansätze für Politik und Industrie. Im Rahmen des Reports wurden zahlreiche Expertengespräche geführt und unterschiedliche Studien miteinbezogen. Daraus resultierten diverse Handlungsempfehlungen, auf die Uwe Amrhein in seinem Webinar einging.

Ausgehend von der linearen Gegenwart, hin zu der zirkulären Zukunft der Kreislaufwirtschaft, ließ Uwe Amrhein direkt die Zahlen sprechen: 2018 wurden weltweit 390 Millionen Tonnen Kunststoff verarbeitet. 90 Prozent davon, also 360 Millionen Tonnen, bestanden aus erdöl-basierter Neuware. Kritisiert wurde dabei der Anteil der Rezyklate, der bei weniger als zehn Prozent liegt, wobei in Deutschland die Quote des Rezyklat-Einsatzes 13,4 Prozent erreicht. „Warum ist das so? Warum schaffen wir es nicht, diese Quote signifikant zu steigern?“ Dieser Frage möchte Uwe Amrhein auf den Grund gehen.

Dieses Marktversagen stellt eine große Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage dar, ergo zwischen Industrie und Recyclingwirtschaft. Zu beachten ist dabei, dass die „Rezyklat-Einsatzquote“ nicht mit der „Recyclingquote“ zu verwechseln ist. Zwar gibt die EU-Richtlinie von 2018 vor, dass die Recyclingquote bis 2030 auf 70 Prozent steigen soll, und auch das deutsche Verpackungsgesetz von 2019 zielt auf eine Erhöhung der Recyclingquote auf mindestens 63 Prozent ab. Doch dreht es sich immer um die „Recyclingquote“, nicht um die „Rezyklat-Einsatzquote“, die das eigentliche Problem darstellt: „Es geht dabei um die Frage, wieviel Anteil an gebrauchtem Kunststoffartikel gelangt in die Wiederverwertung, aber nicht um die Frage, wieviel davon kommt tatsächlich in neuen Produkten wieder vor“, so verdeutlichte Uwe Amrhein. Im Rahmen des Rezyklat-Einsatzes spielt die Selbstverpflichtung seitens der Wirtschaft eine sehr große Rolle; zwar gibt es große Ambitionen, aber die Ausführung ist noch nicht ausgereift.

Eine Analyse des dysfunktionalen Marktes stößt auf viele unterschiedliche Probleme, insbesondere auf die volatile Preisgestaltung des Erdölpreises. Daher ist es für die Recyclingwirtschaft auch sehr schwer, effektiv zu planen. Mit den Worten des CEO des Grünen Punktes, Michael Wiener ausgedrückt: „Der Erfolg des Kunststoffs in seiner Produktion geht zu Lasten jener, die sich am Ende mit den Abfallprodukten auseinanderzusetzen haben. Und dieses Auseinandersetzen mit den Abfallprodukten ist eben organisatorisch und technisch aufwändiger und somit teurer als die Neuproduktion.“

Das zweite Problem neben der Preisgestaltung und der effektiven Produktion: Investitionsstau im mechanischen Recycling, fehlende Kapazitäten, mangelnde Standards und Normierungen bei Rezyklaten und unveränderte hohe Anforderungen an Produkteigenschaften bei gleichzeitigem Druck zu mehr Nachhaltigkeit sind Problemgründe für Menge und Qualität der Produktion. Laut Uwe Amrhein sehnt sich diese Situation nach einem neuen Dialog über die Wertstoffkette hinweg; „beispielsweise sollen Recycler bereits in der Designphase miteinbezogen werden, um das Machbare gemeinsam zu definieren und festzulegen“.

Der dritte Treiber dieses dysfunktionalen Marktes sind die Transparenz und die Standards: Auf diesem Markt herrscht ein internationales Regelungschaos. Außerdem ist er bestimmt durch eine mangelnde Digitalisierung. Daher müssten Regelungen klar definiert werden und verfügbar sein; zudem sollte es ein Mehr hin zur Digitalisierung geben.

Zielbild laut dem aktuellen Polyproblem-Report sollte sein,

Doch lässt sich diese Vision realisieren?
Die Handlungsempfehlungen der Polyproblem-Studie sind vielfältig: Die Lösung sieht unter anderem eine Regulation der Steuern und der Abgaben vor, insbesondere im Bereich der Anreizsysteme. Die bereits auf EU-Ebene festgesetzte Steuer von 800 Euro je verwendeter Tonne Primärmaterial sollte von den EU-Mitgliedstaaten zeitnah umgesetzt werden; insbesondere eine Zweckbindung wäre hier besonders wichtig. Auch müsste die Befreiung von Neuware von der Energiesteuer aufgehoben werden. Man bräuchte zudem die konsequente Anwendung und Umsetzung bereits bestehender Gesetze, beispielsweise des Paragrafen 21 des deutschen Verpackungsgesetzes.

Außerdem sollte das gängige Pfand-Rückgabesystem von Getränkeflaschen auf weitere Arten von Kunststoffprodukten ausgeweitet werden. Empfohlen wird zudem, die „Rezyklatwiedereinsatzquote“ durch „Recyclingquote“ zu ersetzen. Die Mindesteinsatzquoten von Recyklaten sollten nicht allgemein, sondern spezifisch für unterschiedliche Kunststofftypen und Anwendungen formuliert werden. Besonders wichtig wäre die Entwicklung von Standards und Normen, denn diese resultieren in einer höheren Qualität und einem Mehr an Transparenz.

Schließlich könnten steuerliche Begünstigungen von Forschungs- und Entwicklungsausgaben, wohlwollende Kredite und eine verstärkte Ausschreibung von Förderprogrammen helfen, das „Henne-Ei-Problem“, wie es Uwe Amrhein formuliert hat, zu lösen. Die Recyclingindustrie wäre somit in der Lage, in verbesserte Verfahren zu investieren und ihre Produktionsqualität zu erweitern, um damit der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Zuletzt muss der Fokus stärker auf die Kommunikation und Information der Kreislaufwirtschaft gelegt werden. Außerdem sollten die Selbstverpflichtungen der Unternehmen transparenter sein.

Nachzulesen ist der komplette Polyproblem-Report unter www.polyproblem.org [2].

Aufgezeichneten Vortrag auf YouTube ansehen [3].

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2021, Seite 22, Autorin: Annetta Buttitta, Webinar-Screenshot (Quelle: MSV GmbH))

 

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