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Bioabfälle – Rohstoffpotenzial mit Zukunft

Mit welchen Konzepten lassen sich zukünftig Bioabfälle ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll verwerten? Dazu versuchte Prof. Dr. Michael Nelles, Wissenschaftlicher Geschäftsführer Deutsches Biomasseforschungszentrum gGmbH (DBFZ), auf der Internationalen Konferenz der German RETech Partnership zu Klima- und Ressourcenschutz eine Antwort zu geben.

Im Jahr 2015 bestand in Deutschland ein theoretisches Biomasse-Potenzial von 238,4 Millionen Tonnen (Mio. t) Trockenmasse. Davon waren 107,6 Mio. t an landwirtschaftlichen und 12,4 Mio. t aus forstwirtschaftlichen Nebenprodukten, 35,6 Mio. t an Siedlungsabfällen und Klärschlämmen, 15,8 Mio. t aus Industrieabfällen und 7,1 Mio. t aus anderen Quellen – insgesamt also 126,1 Mio. t – nicht mobilisierbar. Von den verbleibenden 112,3 Mio. t an technischer Biomasse wurden 81,7 Mio. t tatsächlich genutzt, davon ausgewiesenermaßen 45,3 Mio. t materiell und 29,8 Mio. t energetisch. Die Emissionen, die weltweit durch Lebensmittel-Verluste und -Abfälle entstehen, summierten sich 2011/2012 auf 4,4 Gigatonnen (GT) CO2-Äquivalent: Wären sie ein eigenständiger Staat, lägen sie hinter China mit 10,7 GT und den Vereinigten Staaten mit 5,8 GT auf Platz 3 der größten Treibhausgas-Produzenten und würden – mit 8,2 Prozent Anteil am globalen Treibhausgas-Ausstoß – knapp hinter dem Straßenverkehr mit 10,0 Prozent Platz 2 belegen. Hier muss Abhilfe geschaffen werden.

Getrenntsammlung wirkt
Mit 96 Mio. t jährlich liefert Bioabfall rund 40 Prozent der Haushaltsabfälle in der Europäischen Union; allerdings wird von diesem Potenzial durchschnittlich nur etwa ein Drittel verwendet. So besteht der Restmüll in Deutschland zu knapp 40 Prozent aus natürlich-organischem Abfall, während in den Niederlanden im Restmüll vor allem Lebensmittelabfälle, in der Biotonne aber hauptsächlich Grünschnitt zu finden ist.

Das macht deutlich, wie wertvoll die Getrenntsammlung von Organik ist: Führt sie zu einer Verminderung der Abfallmenge, bewirkt sie für Deponien geringeres Aufkommen, weniger belegte Fläche und längere Bestandsdauer. Die Verkleinerung der biogenen Fraktion im Abfall führt gleichzeitig zu einer Reduktion des Wassergehalts, damit zu geringerem Ausstoß an Deponiegasen und Sickerwasser und zu einer Verbesserung von Sortierqualität und Heizwert.

Eignet sich die biogene Fraktion für weitere Bearbeitung oder Nutzung, entstehen Kompostierprodukte oder durch anaerobe Vergärung Biogas oder Digestate. Dafür wurde beispielsweise in Deutschland der Spielraum zur Behandlung von Organikabfällen begrenzt: Seitdem werden die Verfütterung ebenso wie die direkte Deponierung biogener Materialien nicht mehr praktiziert; man setzt vor allem auf Kompostierung und Fermentierung.

Verwertungswege anerkannt
Insgesamt verarbeiten Kompostieranlagen 7,6 Mio. t und Einrichtungen zur Fermentierung 6,6 Mio. t. Von gesammelten 14,2 Mio. t an biogenen Reststoffen – Industrie-, Garten-, Park- oder Marktabfällen – stammen 4,9 Mio. t aus Bio-Tonnen und 5,4 Mio. t aus Gärten und Parks. Ein Teil des Grünschnitts – die holzigen Bestandteile – können unter Umständen im Biomasse-Heizkraftwerk thermisch genutzt werden. Der weitaus größte Teil steht für die Kompostierung an. Die Küchenabfälle eignen sich besonders für die Fermentation und die Erzeugung von Biogas oder in der Nachrotte mit Parkabfällen zur Herstellung von Kompost. Diese Verteilung der Abfälle auf die Verwertungswege ist seit Jahren be- und anerkannt; noch ist die Umsetzung nach Ansicht von Michael Nelles aber nicht optimal.

3,9 Millionen Tonnen Kompost
Von den 15,8 Mio. t an Bioabfällen verarbeiteten im Jahr 2018 etwa 47 Prozent der Kompostieranlagen ausschließlich Grünschnitt, während sich 53 Prozent um einen Mix aus getrennt gesammeltem Bioabfällen und grünen Abfällen kümmerten.

Schematisch gesehen, bestehen Kompostieranlagen aus Anlieferung und Lagerung, Vorbehandlung und Entfernung von Störstoffen, einer Mischung mit Additiven, einer Rotte-Phase unter Luft- und Wasser-Zufuhr oder -Entzug und schließlich einer immer wichtiger werdenden Nachbehandlung, die nach Entfernung von Reststoffen den fertigen Kompost liefert. 2017 produzierten die Anlagen in Deutschland rund 3,9 Mio. t an Kompost, wovon rund 60 Prozent in der Landwirtschaft Verwendung fanden, 16 Prozent zur Bodenproduktion dienten und jeweils etwa sieben Prozent bei Hobbygärtnern und der Rekultivierung zum Einsatz kamen.

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Foto: Reinhard Weikert / abfallbild.de

Rund 9.000 Biogas­anlagen
Im Jahr 2020 liefen in Deutschland rund 9.000 Biogas- Anlagen, wovon etwa 8.800 meist landwirtschaftlich an Ort und Stelle Biogas in Elektrizität verwandelten und nur circa 230 dieses zu Biomethan aufbereiteten. Die installierte elektrische Kapazität summierte sich auf 6,9 GW, womit Bruttostrom in Höhe von 31,3 TWh und 16,7 TWh Wärme erzeugt wurde. Zur anaeroben Behandlung stehen kontinuierliche einstufige, kontinuierliche mehrstufige oder Stapelverarbeitungs-Verfahren zur Disposition, die als Nass- oder Trocken-Vergärungen technisch mach- und umsetzbar sind.

Im Abfallbereich haben sich insbesondere die Trockenverfahren durchgesetzt, während in der Landwirtschaft zu 80 Prozent Nass-Fermentationsverfahren bevorzugt werden. Selbst die Vergärungsreste – 2017 betrug die Menge der Digestate 3,4 Mio. t – fanden zu 97,1 Prozent Verwendung in Land- oder Forstwirtschaft und zu 2,9 Prozent in Gartengestaltung unter der Voraussetzung, dass vermarktbare Qualitäten sichergestellt sind. Die Schwermetallwerte konnten in den letzten 20 Jahren kontinuierlich gesenkt werden.

Allerdings bereiten Kunststoffe, insbesondere Mikroplastik, der Branche Sorgen, da sie die Erreichung der wesentlichen Ziele – die Produktion von ansprechenden Komposten und Digestaten – erschweren.

Drei Basiskonzepte
Mit Blick auf die Schwellenländer kann nicht erwartet werden, dass überall die getrennte Bioabfall-Sammlung eingeführt wird. Hier sind – als erster Schritt – biologisch-mechanische Technologien zur Abfallbehandlung gefragt, die an die jeweilige Situation angepasst werden, um die Deponierung überflüssig zu machen. Als eines der realisierbaren Konzepte der mechanisch-biologischen Behandlung sieht in Deutschland die Kompostierung eine mechanische Aufbereitung der niedrig- und hochkalorischen Fraktionen vor: Das niederkalorische Material wird solange biologisch vorbehandelt, bis die organischen Bestandteile soweit von Deponiegas-Potenzial befreit sind, dass eine Lagerung möglich ist. Die Hochkalorik kann dann ebenfalls aufbereitet und energetisch beispielsweise in Zementwerken verwertet werden.

Die Selbsterhitzung des biologischen Materials kann – als zweite Möglichkeit – aber auch zu seiner Trocknung genutzt und dieses nach einer mechanischen Vorbehandlung stofflich oder energetisch verwendet werden. Als dritte Option bietet sich die mechanisch-physikalische Stabilisation an, die nach einer Vorbehandlungsphase eine physikalische Trocknung und eine mechanische Aufbereitung vorsieht, die das Material stofflich verwendbar, deponierbar oder energetisch nutzbar werden lässt.

Nur mit erfolgreicher internationaler Kooperation
Mit Blick auf die Zukunft kommt Michael Nelles zum Schluss, dass die weltweite Energiegewinnung langfristig zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien aufbaut. Darum sei die nachhaltige Verwendung von Biomasse – speziell von organischen Abfällen und Reststoffen – ein Schlüsselelement für die Energieversorgung und die biobasierte Wirtschaft der Zukunft. Zum Erreichen hoher Bio-Recyclingquoten und einer guten Kompost- oder Digestat-Qualität sei die Getrenntsammlung an der Quelle ein zentraler Punkt. Deutschland befinde sich langfristig auf dem richtigen Weg, der aber noch ein weiter Weg ist und nicht ohne eine erfolgreiche internationale Kooperation beschritten werden kann.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 12/2021, Seite 34, Foto: Adrian Müller / abfallbild.de)

 

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