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Koalitionsvertrag 2021 – 2025: Eine geeignete Grundlage für Circular Economy?

„Wir haben das Ziel der Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und geschlossener Stoffkreisläufe“, heißt es im Kapitel „Kreislaufwirtschaft“ des Koalitionsvertrags 2021 – 2025. Die Rede ist unter anderem von einer Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie, Anreizen zur umweltgerechten Entsorgung, Einführung eines Recyclinglabels, Deponierungsende für Siedlungsabfällen, Vorgehen gegen illegale Abfallexporte und einem Level-Playing-Field für Plastik-Rezyklate. Was halten die Experten von diesen Vorhaben?

BDI: Passgenaue und praxistaugliche Maßnahmen entwickeln
Der BDI-Bundesverband der Deutschen Industrie liest aus dem Koalitionsvertrag den Willen, die Kreislaufwirtschaft ganzheitlich aus der Perspektive einer eigenständigen nationalen und rohstoffpolitischen Strategie zu betrachten. Im Dialog mit den Herstellern sollten für Produkte – europaweit einheitlich – auch weiterhin ambitionierte ökologische Anforderungen festgelegt werden. Diese Vorgaben müssten für höhere Recyclingquoten und eine Mindestquote für Rezyklat- und Sekundärrohstoffe gelten, allerdings materialspezifisch und in Abstimmung mit den Akteuren der Wertschöpfungskette, „um passgenaue, produktspezifische und praxistaugliche Maßnahmen zu entwickeln“. Als positiv wertet der BDI die beabsichtigte Beendigung der Deponierung von Siedlungsabfällen und die Auflage, Abfälle nur noch bei Nachweis einer zertifizierten Anlage in Drittstaaten zu exportieren.

BDSV: Potenzial von Recycling erkannt
Aus Sicht der BDSV dient der Koalitionsvertrag dazu, eine am Green Deal der EU ausgerichtete Industriestrategie zu etablieren. Insbesondere seien die Stärkung des Emissionshandelssystems, die Etablierung eines EU-weit wirksamen CO2-Grenzausgleichsmechanismus`, ein effektiver Carbon-Leakage-Schutz sowie die Etablierung eines global einheitlichen CO2-Preises zu begrüßen. Dies unterstütze Bereiche wie die Stahlrecyclingbranche, die zum Klimaschutz beitragen, und wirke einem „möglichen Greenwashing auch in der Stahlindustrie“ entgegen.

Zu den von der Bundesvereinigung willkommenen Maßnahmen zählt auch der Ressourcenschutz, der sich in Förderung der Kreislaufwirtschaft und der Senkung des Primär-Rohstoffverbrauchs niederschlägt. BDSV Präsident Andreas Schwenter zeigt sich erfreut darüber, „dass das Potenzial von Recycling zur Senkung des Ressourcenverbrauchs durch die Ampel-Koalition erkannt wird“. Freilich müssten die formulierten Ziele aus Sicht der Bundesvereinigung branchenübergreifend und zügig umgesetzt werden.

BDE: Ein klares Bekenntnis
Auch der BDE-Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft sieht im Vertrag nicht nur ein klares Bekenntnis der Koalition zur Kreislaufwirtschaft. Sondern er hält ihn mit den Worten von BDE-Präsident Peter Kurth auch für eine „hervorragende Grundlage, um sich nun mit Riesenschritten der Umsetzung der Kreislaufwirtschaft in Deutschland und der EU zu widmen“.

Zu begrüßen seien die Fokussierung auf die erweiterte Herstellerverantwortung, produktspezifische Mindestquoten, ein Design for Recycling, die Einführung digitaler Produktpässe beziehungsweise von Recycling-Labeln und die Realisierung von Qualitätsstandards für Rezyklate. Allerdings sollte die Koalition, wolle sie qualitätsgesicherte Abfallprodukte aus dem Abfallrecht entlassen, die bereits existierende Verordnungsermächtigung im Kreislaufwirtschaftsgesetz nun endlich nutzen und schnellstmöglich Abfallende-Verordnungen zu relevanten Stoffströmen erlassen. Um den Export von Abfällen innerhalb der EU auf zertifizierte Recyclinganlagen zu unterstützen, sollten solche Transporte in einem „fast track“-Verfahren ermöglicht werden. Und nicht zuletzt müsste die angekündigte Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie als eine Art deutscher Green Deal möglichst bald auf den Weg gebracht werden. Peter Kurth: „Die Transformation braucht Tempo.“

bvse: Viele richtige Punkte
„Das Kapitel Kreislaufwirtschaft enthält viele richtige Punkte, auch wenn nicht alles passt“, fasst Eric Rehbock, Hauptgeschäftsführer des bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung, die Einschätzung seines Verbandes zusammen. Zu den positiven Aspekten zählt für ihn der Ansatz der anstehenden neuen Regierung, Klima- und Ressourcenpolitik zusammen zu denken und zu verdeutlichen, dass der Einsatz von Sekundärrohstoffen und Rezyklaten einen wichtigen Stellenwert hat.

Zu befürworten sei auch das Vorhaben der Ampel-Koalition, qualitätsgesicherte Abfallprodukte aus dem Abfallrecht zu entlassen und ihnen einen Produktstatus zu geben, sowie Hersteller in puncto Verpackungen verstärkt in die Pflicht zu nehmen. Kritisch beurteilt der bvse-Hauptgeschäftsführer, dass auch hochwertige Sekundärrohstoffe für die verarbeitende Industrie nur noch bei Vorhandensein einer zertifizierten Recyclinganlage ins Ausland geliefert werden können. So werde eine international angelegte Kreislaufwirtschaft nicht umsetzbar sein.

Die Politik, so Rehbock, sollte endlich erkennen, dass die Recyclingbranche ein ganz wesentlicher Bestandteil der Wertschöpfungskette ist: „Genau diese Unternehmen müssen endlich von der Politik positiv wahrgenommen und gefördert werden.“ Darüber hinaus sollten auch Planungen und Genehmigungen von Aufbereitungs-/Behandlungsanlagen, Sammel- und Lagerplätzen oder Zwischenlager beschleunigt werden, um dringend benötigte Recyclingkapazitäten zu schaffen. Das Bekenntnis zu sicheren Absatzmärkten für klimafreundliche Produkte durch Mindestquoten in der Öffentlichen Beschaffung sei daher begrüßenswert. Doch: „Absichtsbekundungen reichen aber nicht. Wir benötigen verbindliche und im Zweifel einklagbare Regelungen.“

VKU: Auf Abfallvermeidung setzen
Den Verband kommunaler Unternehmen (VKU) interessiert am Koalitionspapier in erster Linie das Bekenntnis zum Ausbau erneuerbarer Energien, deren Verteilung über entsprechende Netze und die Reform der Strompreise. Allerdings begrüßt VKU-Präsident Michael Ebling auch die Signale der Politiker hinsichtlich Digitalisierung, nachhaltiger Mobilität mittels Förderung alternativer Antriebe und Infrastrukturen, Klima-Anpassungsstrategie, Abwasserabgabenreform und ökologischem Umbau der Landwirtschaft mit dem Ziel des Gewässerschutzes. Das – sehr kurze – Kapitel zu „Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit“ erwähnt Abfallvermeidung zur „Stärkung der Mehrwegsysteme und der Zurückdrängung der bedenklichen Retourenvernichtung“. Begrüßt wird lediglich das klare Bekenntnis der Koalition zu einer ökologischen Produktpolitik und zu einem Ende der Deponierung von Siedlungsabfällen.

dvi: Potentiale umfassend nutzen
„Mehr Licht als Schatten“: So schätzt das Deutsche Verpackungsinstitut (dvi) den vorgelegten Koalitionsvertrag ein. Positiv wird vor allem der Fokus auf Kreislaufwirtschaft und die Förderung des Rezyklateinsatzes bewertet. dvi-Geschäftsführerin Kim Cheng begrüßt insbesondere das grundsätzliche Vorhaben, die ökonomischen und ökologischen Potentiale des Recyclings umfassend zu nutzen. Die Belohnung eines ressourcenschonenden und recyclingfreundlichen Verpackungsdesigns sowie des Rezyklat­einsatzes sei ebenso ein Schritt in die richtige Richtung wie die beschleunigte Entwicklung von Qualitätsstandards für Rezyklate zur Ermöglichung hochwertiger Stoffkreisläufe. Die geplante Regelung, eine Kunststoffsteuer auf Hersteller und Inverkehrbringer umzulegen, sieht Kim Cheng jedoch kritisch. Die Einnahmen der Plastiksteuer seien nicht zweckgebunden und würden direkt in den EU-Haushalt fließen: „Dadurch werden die Mittel der Kreislaufwirtschaft entzogen, ohne dass sie einen Beitrag zu deren Weiterentwicklung leisten.“

„Wir sind Kunststoff“: Mit ihrem Leitprinzip vertreten
Das 177-Seiten-umfassende Zukunftspapier der Ampel-Koalitionäre hat in weiten Teilen die drei großen Kunststoffverbände GKV Gesamtverband Kunststoffverarbeitende Industrie, Plastics Europe Deutschland und VDMA Fachverband Kunststoff- und Gummimaschinen, gemeinsam Träger der Initiative „Wir sind Kunststoff“, überzeugt. Denn die Kunststoffbranche sieht sich mit ihrem Leitprinzip – der Kreislaufwirtschaft – im Koalitionsvertrag prominent vertreten.

Um die Ziele – Senkung des primären Rohstoffverbrauchs und Förderung geschlossener Stoffkreisläufe – zu erreichen, soll eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie erarbeitet werden, zu der „Wir sind Kunststoff“ einen Beitrag leisten möchte, erklärt Ingemar Bühler, Hauptgeschäftsführer Plastics Europe Deutschland. Thorsten Kühmann, Geschäftsführer des VDMA-Fachverbands Kunststoff- und Gummimaschinen, betont, dass die Koalitionäre „klugerweise“ auf EU-weit einheitliche Produktanforderungen und Recyclingquoten, auf einen EU-weiten Deponieausstieg sowie auf den Stopp illegaler Abfallexporte gesetzt hätten. Und Martin Engelmann, Hauptgeschäftsführer der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen, begrüßt im Koalitionsvertrag das vorgesehene Fondsmodell, über das recyclingfreundliche Verpackungsdesigns sowie Rezyklateinsatz finanziell belohnt werden. Die Absage an eine Verpackungssteuer sei richtig, während die Umlage der sogenannten EU-Plastikabgabe auf Hersteller und Inverkehrbringer dazu im Widerspruch stehe. „Die neue Bundesregierung wird sich entscheiden müssen: Will sie hochgradig recyclingfähige Kunststoffverpackungen im Rahmen einer Fondslösung fördern oder durch eine Plastiksteuer den Trend zu nicht recyclingfähigen Papier-Kunststoff-Verpackungen befeuern?“

VDMA: Wichtige und positive Aspekte
Für den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) bietet der Koalitionsvertrag eine gute Grundlage, damit Politik und Wirtschaft den notwendigen Transformationsprozess gemeinsam bewältigen können. Was das „wichtige Thema Kreislaufwirtschaft“ betrifft, nimmt der Verband zwar keine Stellung, erkennt jedoch in Aufgaben wie dem Ende der Abfalleigenschaft für qualitätsgesicherte Abfallprodukte, Stärkung des Recyclings, Qualitätsstandards für Rezyklate und einem europaweiten Ende der Deponierung von Siedlungsabfällen „wichtige und positive Aspekte“.

Und da die künftige Bundesregierung dazu entschlossen ist, die notwendige Modernisierung anzugehen, steht der industrielle Mittelstand bereit, „sie vor allem bei der Umsetzung ihrer ambitionierten Klimapolitik technologisch zu unterstützen“, fügt VDMA-Präsident Karl Haeusgen hinzu. Was Digitalisierung angeht, sollte unter anderem der notwendige europäische Handlungsrahmen als Voraussetzung auch für die Skalierbarkeit und die Ausweitung von Investitionen auf Felder wie Künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit und Quantentechnologien „mit Leben ausgefüllt werden“.

VDM: Abfälle erlangen Produktstatus
Die Stellungnahme des Verbands Deutscher Metallhändler (VDM) hebt hervor, dass im Koalitionsvertrag qualitätsgesicherte Abfallprodukte aus dem Abfallrecht entlassen werden und Produktstatus erlangen sollen. Wünschenswert wäre, wenn Rohstoffe aus dem Recycling, die sofort wiedereingesetzt werden können, bessergestellt würden. Die Bedeutung des internationalen Handels für die Metallrecyclingwirtschaft kommt dem Verband allerdings zu kurz, der sich aber im Rahmen einer von der Koalition geplanten Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie für das Thema einsetzen will.

HDH: Ein Signal des Aufbruchs
Für Johannes Schwörer, den Präsidenten des Hauptverbandes der Deutschen Holzindustrie (HDH), sendet der Koalitionsvertrag „ein Signal des Aufbruchs“. Er begrüßt die große Bedeutung, die der multifunktionale Rohstoff Holz im Koalitionsvertrag einnimmt: durch Stärkung regionaler Holzwertschöpfungsketten und die geplante Holzbauoffensive. Doch er sieht auch Widersprüche wie beispielsweise die Vorstellung einer stärkeren Verwendung heimischer Rohstoffe bei gleichzeitiger Einschränkung der Waldnutzung, Insgesamt würde noch viel Konkretes vermisst, um die schnelle Transformation der Industrie unter Beibehaltung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zu bewältigen.

GermanWatch: Ganzheitlicherem CE-Verständnis genähert
GermanWatch findet es besonders hervorhebenswert, dass die Koalition über die enge Interpretation der Kreislaufwirtschaft als Recyclingwirtschaft hinausgeht und sich endlich dem ganzheitlicheren europäischen Verständnis der Circular Economy nähert. Hierzu hätten die Politiker bereits einige Maßnahmen zur Stärkung des Sekundärrohstoffmarktes – beispielsweise Mindestquoten für den Einsatz von Rezyklaten und Sekundärrohstoffen auf europäischer Ebene – genannt. Dazu gehörten auch Produktdesign, stärkere Abfallvermeidung und längere Nutzungsdauern von Produkten.

Positiv zählt für die Organisation das anvisierte Recht auf Reparatur sowie Maßnahmen zum Erhalt des reparierenden Gewerbes. So soll unter anderem das Problem der Nutzungsverkürzung durch Software angegangen und Hersteller zu einer Auskunft über die zu erwartende Mindestlebensdauer verpflichtet werden. Kritisch sieht German Watch allerdings die pauschale Stärkung der Ungebundenen Finanzkredite zur nationalen Sicherung des Primärrohstoff-Bedarfs außerhalb Europas: Ohne eine wirkungsvolle Sicherung der Menschenrechte sei es in der Vergangenheit in den ausländischen Rohstoffabbaugebieten immer wieder zu Rechtsverletzungen und Umweltzerstörung gekommen. Negativ schlage auch zu Buche, dass für den „ressourcenintensiven und klimapolitisch brisanten Verkehrssektor“ im Koalitionsvertrag kein ausreichendes Bekenntnis zu einer tiefgreifenden Mobilitätswende zu finden sei.

Greenpeace: Maximale Ressourcennutzung verankern
Greenpeace ist erfreut, dass der Vertrag die Verankerung des Rechts auf Reparatur und die Bereitstellung von Ersatzteilen und Software-Updates beabsichtigt. Damit die maximale Ressourcennutzung verankert wird, müsse die neue Regierung jedoch schnell ein Ressourcenschutzgesetz auf den Weg bringen. Auch bekenne sich die Ampel-Koalition zu einer stärkeren, europaweiten Umsetzung des Lieferkettengesetzes und zur Nachbesserung der entsprechenden deutschen Regelung.

Die Vereinbarungen zu Mehrwegsystemen und Retourenvernichtung seien allerdings zu wenig konkret: Für Supermärkte und Onlinehandel brauche es eine Mehrwegverpflichtung, zusammen mit einem Verbot der Vernichtung von Retouren und einer Obhutspflicht für gebrauchstaugliche Produkte. Ebenso seien die Aussagen zum Vorgehen gegen illegale Abfalltransporte zu weich formuliert: Die neue Bundesregierung müsse die Exporte von Plastikmüll durch ein wirksames Kontroll- und Sanktionssystem verhindern.

RNE: Eine gute Grundlage
Nach Einschätzung des Rats für Nachhaltige Entwicklung (RNE) haben die Ampel-Parteien viele der großen Nachhaltigkeits-Forderungen aufgegriffen. Unter anderem werde neben dem Ziel der Klimaneutralität durch Förderung der Erneuerbaren Energien auch der „Ausbau des zirkulären Wirtschaftens“ vorgesehen. Zu den flankierenden Vorhaben gehören die Stärkung des Sustainable Finance Standorts Deutschland, die Förderung von Innovationen, die Digitalisierung von Staat und Wirtschaft, das Ankurbeln von Innovationen und die Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Der Koalitionsvertrag sei eine „gute Grundlage, um die Transformation hin zu Klimaneutralität und Digitalisierung zu schaffen“.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2022, Seite 6, Foto: ipopba / stock.adobe.com)

 

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