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Altkunststoffe: Steile Karriere in Zeiten knapper Neuware

Als der bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. im vergangenen Jahr seinen mittlerweile 23. Internationalen Altkunststofftag durchführte, zeigte sich einmal mehr, dass diese Tagung ein europäisches Branchentreffen ist; über 300 Teilnehmer hatten sich für diese Hybridveranstaltung angemeldet.

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Foto: bvse

Selten seien die Kunststoffmärkte so volatil gewesen wie in den zurückliegenden Jahren, konstatierte Dr. Dirk Textor, Vorsitzender des bvse-Fachverbands Kunststoffrecycling, im Rahmen des traditionellen Pressegesprächs. Die Pandemie habe die Situation verschärft. „Die Volatilitäten nehmen zu und Sondereffekte sorgen für weitere Unruhe.“ Im März 2020 – während der Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus – seien PET-Getränkeflaschen von Verbrauchern eingelagert worden, was wiederum zu Verknappungen bei dieser Kunststoffsorte führte, „die wiederum das PET-Recycling beflügelten“. Aber schon im April des gleichen Jahres war dieser Sondereffekt vorbei, die PET-Nachfrage bei Neuware sank ebenso wie der Bedarf an Recycling-PET. Hinzu kam, dass die ab März 2020 gesunkenen Rohölpreise die Neuware verbilligten, woraufhin Kunststoffrezyklate nicht mehr so attraktiv waren. Nur einige Monate später, im Oktober 2020, gab es aufgrund der verknappten Transportkapazitäten zu Wasser und zu Lande, die zudem höhere Logistik-Kosten nach sich zogen, erneut zu wenig Kunststoffneuware auf den Märkten, weshalb die Nachfrage nach Rezyklaten stark zunahm. Für sekundäre Ware wurde sogar mehr gezahlt als für Neuware.

„Und diese Situation, dass Rezyklate die Neuware ökologisch und ökonomisch vorteilhaft ergänzen, besteht heute noch immer“, unterstrich Textor. „Um es klar zu sagen: Rezyklate können Neuware idealerweise ergänzen, aber keinesfalls verdrängen.“ Im September 2021 habe das deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) einen Bericht veröffentlicht, nach dem die bestehenden Materialknappheiten noch Monate lang andauern sollen. In diesem Zusammenhang kündigte der Vorsitzende des bvse-Fachverbands Kunststoffrecycling an, dass die Interessenvertretung sich zur Wehr setzen will, wenn bei künftigen Marktumschwüngen zugunsten von Primärkunststoffen Rezyklate in ein schlechteres Licht gesetzt werden, um die Preise zu drücken.

Wechselseitige Abhängigkeit von In- und Auslandsmärkten
Dr. Thomas Probst, Referent des bvse-Fachverbands Kunststoffrecycling, hob hervor, dass die neugeordnete grenzüberschreitende Verbringung von Altkunststoffen der EU vorsieht, Kunststoffabfälle zunächst in der Europäischen Union zu verarbeiten. Allerdings sei auch zu beachten, „dass nur durch europäische und internationale Märkte die international gültigen Preise und die international gehandelten Qualitäten ermittelt werden. Der internationale Austausch von Kunststoffabfällen und Rezyklaten ist daher wichtig, um bestehende Märkte zu erhalten und neue Märkte zu erschließen.“ Die jetzt in der EU existierenden Beschränkungen in der Verbringung von Altkunststoffen bedeute, dass beispielsweise in Tunesien, Ghana oder Kenia gesammelte PET-Getränkeflaschen nicht mehr in europäische Märkte gelangen könnten – und die Exporteure in den sendenden Drittstaaten keine Möglichkeit hätten, Geld zu verdienen. Andererseits habe Deutschland im ersten Halbjahr 2021 rund 355.600 Tonnen an Kunststoffabfällen exportiert, aber auch 207.000 Tonnen an Kunststoffabfällen importiert. „Um das ins rechte Bild zu rücken: Deutschland hat ein so starkes Kunststoffrecycling aufgebaut, dass die Abfälle die bestehenden Kapazitäten nicht auslasten.“ Darüber hinaus sei die Bundesrepublik auf Importe aus dem Ausland angewiesen, da es im Bereich der Erfassung von Verpackungsabfällen an Qualitäten mangelt, die den Ansprüchen der Recycler gerecht werden. Hier seien wirksame Kampagnen gefragt, die die Sammlung von Leichtverpackungen deutlich verbesserten.

Welche Rezyklat-Einsatzquote sollte gelten?
Herbert Snell, Vizepräsident des bvse, wies darauf hin, dass der Verband den Einsatz von Rezyklaten mittels Quoten befürwortet. Im Hinblick auf solche vorgegebenen Werte gebe es unterschiedliche Modelle: produktbezogene und polymerspezifische. „Ein Beispiel für eine produktbezogene Quote ist die europäische Vorgabe für den Einsatz von Rezyklaten in Getränkeflaschen“, erläuterte Snell. 2025 habe der Anteil 25 Prozent in PET-Getränkeflaschen zu betragen. Ab 2030 seien 30 Prozent Rezyklate in allen Getränkeflaschen einzusetzen. „Nicht bedacht wurde dabei, dass es dafür auch Regelungen für den Einsatz von Rezyklaten im direkten Lebensmittelkontakt geben muss. Die seit 2008 auf europäischer Ebene verabschiedete Richtlinie wurde seitens der Kommission nie richtig umgesetzt.“ Seit mehr als einem Jahr werde an einer „Nachfolgerichtlinie“ gearbeitet. Dabei liege der Fokus auf PET. „Unklar ist, wie Polyolefine, das heißt PE und PP, wieder im direkten Lebensmittelkontakt eingesetzt werden können.“

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Foto: bvse

Nach Ansicht des bvse sollte über Einsatzquoten für aufbereitete Kunststoffsorten nachgedacht werden. „Polymerspezifische Substitutionsquoten verpflichten Kunststoff­erzeuger dazu, einen bestimmten Mindestanteil der am Markt abgesetzten Kunststoffe aus dem Recycling von Kunststoffabfällen zu generieren“, schilderte Herbert Snell die Vorteile dieses Ansatzes. „Aus dieser Verpflichtung ergibt sich, dass die Menge an Neuware, die ein Kunststofferzeuger am Markt absetzen darf, durch die Menge an veräußerten Rezyklaten limitiert ist.“ Ein Produzent von Kunststoffneuware müsse deshalb, um weiterhin am Markt aktiv zu sein, in den Ausbau des Recyclings von Kunststoffen investieren. „Ein Handelssystem mit Zertifikaten für Kunststoffneuware kann in einem solchen Modell dafür sorgen, dass die Kunststofferzeuger ihren Verpflichtungen auch dadurch nachkommen, dass sie von Rezyklatanbietern, zu denen die Kunststoffrecycler zählen, Zertifikate für den Verkauf von Neuware erwerben.“ Ein solcher Handel würde gewährleisten, dass Investitionen in das Recycling dort stattfänden, wo sie die höchste ökonomische Wertschöpfung generierten.

Design for Recycling
Im „Gesetz über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die hochwertige Verwertung von Verpackungen (Verpackungsgesetz – VerpackG)“ geht es in Paragraf 21 um die „Ökologische Gestaltung von Beteiligungsentgelten“. Für die Umsetzung des „Design for Recycling“ (abgekürzt: D4R) hat das Umweltbundesamt verschiedene Modelle entwickelt. Laut Dr. Dirk Textor befürwortet der bvse, dass gut recycelbare Verpackungen in der Lizenzierung vorteilhaft berücksichtigt werden. Allerdings seien die bisher von Sachverständigen vorgenommenen Bewertungen von Verpackungen häufig unzureichend, „insbesondere deshalb, als hier immer wieder sehr unterschiedliche Ergebnisse für die gleiche Verpackung erzielt werden“. Aus Verbandssicht sei jedoch entscheidend, wie Recyclingunternehmen die Recyclingfähigkeit von Verpackungen beurteilen.

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Der Run auf Rezyklate werde der Branche weiteren Rückenwind geben, sagte bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock in seinem Impulsvortrag (Foto: bvse)

Gemäß dem Positionspapier „Kunststoffe für Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz“ solle das „Design for Recycling“ auf alle Kunststoffprodukte angewandt werden, so Textor. Seiner Meinung nach werden jedoch „trotz einer möglicherweise konsequenten Umsetzung des ‚Design for Recycling‘ weiterhin Kunststoffverpackungen in den Markt kommen, die systembedingt keine oder nur eine geringe Recyclingfähigkeit aufweisen“. Darüber hinaus würden auch nicht alle Mischkunststoff-Fraktionen beseitigt. Untersuchungen hätten gezeigt, dass die anfallenden 420.000 Tonnen aus Mischkunststoffen bei verbesserten Rahmenbedingungen (Sortierung, D4R) auf maximal die Hälfte der Menge reduziert werden könnten. Die Mengen aus anderen Herkunftsbereichen wie Gewerbe und Industrie seien hier nicht berücksichtigt. Textor rechnet künftig mit etwa 400.000 Tonnen an Mischkunststoffen. Die Recyclingunternehmen verfügten über genügend Kapazitäten, um aus diesem Kunststoffmix sekundäre Rohstoffe für viele Produkte herzustellen, ist er überzeugt.

Verpackungen sind Ressourcen
Nach Ansicht von Gunda Rachut, Direktorin der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister (ZSVR), ist eine recyclinggerechte Gestaltung von Verpackungen die entscheidende Stellschraube für die Steigerung des Verpackungskreislaufs. „Design for Recycling“ sichere neue hochwertige Produkte und sei die Voraussetzung für die hochwertige Nutzung von Rezyklaten, betonte sie in ihrem Vortrag.

Die Bilanzierung der Verwertungsquote von Verpackungen aus dem vergangenen Jahr lese sich erst mal erfreulich. „In Summe wurden im Jahr 2020 rund 5,8 Millionen Tonnen gebrauchte Verpackungen aus dem privaten Endverbrauch einer Verwertung zugeführt. Das ist eine Steigerung von 8,4 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die werkstoffliche Verwertung lag mit 60,6 Prozent ebenfalls mit rund zwei Prozentpunkten über dem erreichten Vorjahresergebnis. Und auch die Werkstoffquote der Kunststoffe aus der Sammlung der Gelben Säcke/Tonnen inklusive Fehlwürfe übertraf mit 60,5 Prozent die geforderte Zielvorgabe von 58 Prozent.“

Laut Gunda Rachut haben die Systeme im Jahr 2020 bei den Kunststoffen eine Verwertungsquote von 104 Prozent erreicht, obwohl das VerpackG lediglich 90 Prozent vorschreibt. Ihrer Ansicht nach ist die Verwertungsquote bei den Kunststoffverpackungen aber auch ein Indiz für eine nach wie vor existierende Unterbeteiligung. „Das darf durch eine ergänzende Belastung von Kunststoffverpackungen nicht verstärkt werden“, hob sie hervor.

Ein zunehmendes Problem für den funktionierenden Kreislauf im Verpackungsbereich stellt der neuerdings wachsende Anteil faserbasierter Verpackungen dar. Diese sind sowohl beim Papier- als auch beim Kunststoffrecycling ein Problem, betonte die Leiterin der Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister. Die faserbasierten Verpackungen würden vom Hersteller oft als „Öko“ deklariert, das seien sie aber nicht. „Kunststoffbeschichtete Verpackungen sind bestenfalls begrenzt recyclingfähig, oft landen sie gar nicht in der Wertstoffsammlung.“ Ihren Angaben zufolge ist für den Endverbraucher nicht erkennbar, in welches Gefäß er eine solche Packung entsorgen soll. Im Sortierprozess würden diese Mischverpackungen von den optischen Sortiersystemen nicht zwingend dem Material zugeordnet, welches ein hohes Maß an Verwertung garantiert. In der Folge gehe viel Material dem Kreislauf verloren.

Eine recyclinggerechte Gestaltung sorge maßgeblich dafür, wie sich hochwertig Rezyklate aus dem Recyclingprozess für den späteren Einsatz wieder nutzen lassen. Je nach Farbintensität und aufgebrachtem Etikettenmaterial könne ihre Verwendung in neuen Produkten im günstigsten Fall mehr als 90 Prozent betragen. Die hieraus entstehenden Recyclingprodukte seien bei entsprechendem Design wiederum zu 100 Prozent recyclingfähig. Eine umfassendere Verbraucherinformation tue not, so Gunda Rachut, aber noch wichtiger sei das Umdenken der Hersteller.

In dieser Situation stelle sich die Frage, wie eine ökonomische Lenkungswirkung hin zu einer künftig recyclinggerechteren Gestaltung von Verpackungen sowie einer Steigerung des Rezyklateinsatzes ausgestaltet werden sollte. Dazu seien vier Lösungen bereits in der Diskussion. Neben einem Einzahlungsmodell für weniger gut recyclingfähige Verpackungen und einem Auszahlungsmodell für gut designte Lösungen könnte auch eine privatrechtliche oder öffentlich-rechtliche Lösung zum Tragen kommen. Alle Rezyklat-Förderungsmaßnahmen seien jedoch hinsichtlich ihrer Praktikabilität und Durchführbarkeit zu evaluieren.

Mit Spannung erwartet werde der für das zweite Quartal 2022 von der EU-Kommission in Aussicht gestellte Arbeitsentwurf für eine überarbeitete Verpackungsregulierung, der voraussichtlich auch ein umfassenderes „Eco-modulated Fee“ – also ein umweltbezogenes Entgelt – enthalten soll. Dieser Entwurf werde wahrscheinlich nicht das in Deutschland existierende wettbewerbliche Modell, sondern das französische Modell zum Vorbild haben, das in Deutschland nicht ganz einfach umzusetzen sei und voraussichtlich Adaptierungen am hiesigen Modell notwendig machen werde, erläuterte Gunda Rachut.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2022, Seite 28, Autorin: Brigitte Weber, Foto: bvse)

 

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