- EU-Recycling - https://eu-recycling.com -

Klärschlammverwertung: Eine Reise ins Ungewisse?

In den nächsten zehn Jahren muss Deutschland eine flächendeckende, nachhaltige Klärschlammentsorgung installieren; die Fristen der entsprechenden Verordnung drängen. Die 4. Berliner Klärschlamm-Konferenz Mitte November 2021 ermöglichte einen Überblick über die anstehenden Themen und Aufgaben. Das begleitende Fachbuch „Verwertung von Klärschlamm 4“ zeigt die Breite der Fragestellungen.

Die Novelle der Klärschlammverordnung soll der langfristigen Versorgungssicherheit mit Phosphor aus der Kreislaufwirtschaft dienen. Doch noch ist eine Reihe von juristischen, technischen und praktischen Fragen zur Realisierung offen, verdeutlichte Hans-Peter Ewens (Bundesumweltministerium) zu Beginn der Sektion „Umsetzung von EU-Recht“. Herausforderungen bestehen unter anderen darin, beim Vollzug zwischen einem gewissen Handlungsspielraum und fehlenden Standardlösungen einen Weg zu finden, zeigt der Beitrag von Tabea Knickel (Deutsche Phosphor-Plattform). Wie bei der Errichtung einer Klärschlamm-Verbrennungsanlage (KVA) die Ausschreibung einer strategischen Partnerschaft im rechtlichen Rahmen verlaufen kann, erläuterte Till Elgeti (Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Part mbH).

Monoverbrennung wird zurückgedrängt
Da die Verwertung von Klärschlämmen stärkere Bedeutung erlangen wird, prognostiziert Walter Frenz (RWTH Aachen Universität) die Zurückdrängung der Monoverbrennung und deren spezifischen Einsatz zur Beseitigung von Schadstoffpotenzialen oder bei unzumutbarem Recycling. Auf den Unterschied zwischen reinen und kombinierten KVA machte Miriam Vollmer (re|Rechtsanwälte PartG) aufmerksam: Die ersteren sind weitestgehend vom Emissionshandelsrecht ausgenommen, im Gegensatz zu Anlagen, die hauptsächlich fossile Brennstoffe einsetzen.

Recycling oder Entwässerung?
Die Abteilung „Entwässerung/Trocknung“ eröffnet ein Team der Kläranlagenberatung Kopp, das Ansätze aufzeigte, wie sich der Interessenkonflikt zwischen Phosphat-Recycling und maschineller Klärschlamm-Entwässerung auflösen lässt. Torsten Frehmann (Emschergenossenschaft) schildert Planung, Bau und Probebetrieb der weltweit größten solarthermischen Anlage zur Klärschlammtrocknung von 220.000 Tonnen Material in Bottrop. Durch effiziente Abgastrocknung und Pelletierung lassen sich das Gewicht von entwässertem Klärschlamm um etwa 75 Prozent und somit Kosten reduzieren, stellt Franz J. Kraus (Jumbo Group Smart Dry GmbH) klar.

Mehr als eine Entsorgungsalternative
Unter „Thermischer Verwertung/Verbrennung“ verdeutlichen Erich Eder (Carbotechnik Energiesysteme GmbH) und andere die Vorteile, welche die Integration einer Schwermetall-Entfrachtung in die patentierte Technik des Impulsbrenners in der Staubfeuerungsanlage seiner Firma bietet. Dass eine dezentrale, autarke Klärschlammverwertung aus vorgeschalteter Trocknung und anschließender Verbrennung im Drehrohrkessel weit mehr als eine Entsorgungsalternative darstellt, schildert das Team um Nils Moggert (Werkstätten heating-systems GmbH).

[1]

Abb.: Thomé-Kozmiensky Verlag GmbH

Das P-Xtract-Verfahren, das Christian Eder (Wehrle-Werk AG) vorstellt, stimmt verschiedene Behandlungsschritte für Wirbelschicht-Aschen variabel so aufeinander ab, dass eine optimale Pflanzenverfügbarkeit und Schwermetall-Entfrachtung des Phosphats erzielt wird. Welche Faktoren nötig sind, um die Phosphor­abscheidung aus Klärschlamm durch eine thermo-chemische Behandlung im Drehrohr nach dem EuPhoRe-Verfahren zu realisieren, erklärt Kai Redemann (AFRY Deutschland GmbH). Über Erfahrungen – insbesondere mit der Kombination von Bandtrockner und stationärer Wirbelschichtverbrennung – bei Umsetzung und Betrieb der Monoverbrennung Halle-Lochau gibt schließlich Sonja Wiesgickl (sludge2energy GmbH) Auskunft.

Lachgase reduzieren
Unter der Rubrik „Abgasreinigung“ finden sich zunächst zwei Artikel zur Reduzierung von Lachgas-Emissionen bei der Klärschlammbehandlung. Patric Heidecke (Umweltbundesamt) hebt dabei in seinem Beitrag auf Minderungsmöglichkeiten durch Temperaturerhöhung in der Nachbrennzone oder den Einsatz einer regenerativen thermischen Oxidation ab, während Werner Preisig (Wascom AG) detailliert über Betriebserfahrungen mit der Lachgas-Emissionsminderungsanlage der ARA Real in Luzern berichtet. Wie der Korrosionsschutz in Anlagen zur Rauchgasreinigung durch Verwendung des thermoplastischen Polyphenylensulfids mit 40 Prozent Glasfiber-Anteil optimiert werden kann, führt anschließend Thorge Brüning (Technoform Kunststoffprofile GmbH) aus.

Den Mineraldüngerbedarf decken
Der erste Beitrag der neu eingeführten Rubrik „Nährstoff- und Recyclateinsatz“, verfasst von Heiner Goldbach (HGoTech GmbH/Universität Bonn) und anderen, befasst sich ausführlich mit der Pflanzenverfügbarkeit, den hierfür wichtigen Parametern und der Verbesserung von Recyclingphosphaten. Ein Artikel aus der Feder von Theresa Constanze Sichler (Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung) gibt Aufschluss darüber, wie hoch die Rückgewinnungsquoten von Recyclingphosphaten ausfallen, in welchem Maße Kalium, Magnesium und Calcium auftreten und inwieweit diese Mengen den deutschen Mineraldüngerbedarf decken.

Das EU-Projekt „Lex4Bio“ – vorgestellt von Andrea Bauerle (Universität Hohenheim) – zielt darauf ab, einen „universell anwendbaren, wissensbasierten Werkzeugkasten aus Analysemethoden und Maßnahmen“ für biobasierte Düngemittel zu erstellen, um die Abhängigkeit Europas von Importen und die Herstellung energieintensiver Mineraldünger zu verringern. Ulf Theilen und Harald Weigand (TH Mittelhessen und TransMIT GmbH) untersuchten regionale Konzepte zur Klärschlammverwertung in Hessen und erarbeiteten daraus ein Raster aus finanziellen, technischen und anderen Entscheidungskriterien zur Verfahrens­auswahl.

Schon sehr viel konkreter
Der Mitherausgeber der „Verwertung von Klärschlamm“-Reihe aus dem Thomé-Kozmiensky-Verlag, PeterQuicker, weist im Vorwort des vorliegenden 4. Bandes darauf hin, dass Debatten über die neue Infrastruktur zur Klärschlammverwertung in den letzten Jahren aus der „eher prospektiven“ in eine „schon sehr viel konkretere“ Phase eingetreten seien.

Und auch wenn er jetzt noch – analog zu den Reisen des Raumschiffs Enterprise – von einem „unternehmungslustigen Häuflein von Ingenieurinnen, Technikern und Wissenschaftlerinnen“ spricht, das sich aufmacht, „um eine jahrelange Reise ins Unbekannte zu unternehmen“: Der 4. Band vermittelt wie auch seine Vorgänger dem Leser einen Kenntnisstand, der nicht nur den Status quo der thermischen Klärschlammverwertung und Phosphorrückgewinnung widerspiegelt. Sondern er verweist auch auf die Seitenarme des Geschehens: auf Entwässerung und Trocknung von Schlämmen, deren thermische Verwertung beziehungsweise Verbrennung, Notwendigkeiten der Abgasreinigung und späteren Einsatz von Rezyklaten als Mineraldünger.

Keinesfalls werden über diesen Themen die juristischen Rahmenbedingungen vergessen, bewegt sich die Klärschlammverwertung doch im Paragraphendickicht zwischen EU-Klärschlammrichtlinie, deutscher Klärschlammverordnung, LAGA-Vollzugshilfe, Düngeprodukteverordnung, Düngemittelverordnung und Kreislaufwirtschaftsgesetz. Auch hierzu gibt der Band 4 von „Verwertung von Klärschlamm“ weitestmöglich Auskunft. Somit ist das Fachbuch im besten und mehrfachen Sinne ein „Wegweiser“. Der gebraucht wird. Denn es warten spannende Zeiten auf die Branche.

 

 

www.vivis.de [2]

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 02/2022, Seite 34, Abb.: Thomé-Kozmiensky Verlag GmbH)