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„Die illegalen Abfall­­ex­porteure erwischt man nur mit besserem Vollzug“

Am 21. Oktober 2021 wurde die Novelle der Abfallverbringungsverordnung veröffentlicht. Kritikpunkte veranlassten den BDE, Mitte Februar dieses Jahres erneut einen „digitalen Diskussionsabend“ anzuberaumen.

Einleitend illustrierte Anno Oexle, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Abfallwirtschaft, noch einmal den Papierkrieg und die Bewilligungswege, die das Notifizierungsverfahren bei grenzüberschreitender Verbringung von Abfällen nötig macht. Und er wies darauf hin, dass zwischen 2007 und 2020 der notifizierungsfreie Bereich von zehn bis 15 Prozent auf ein bis zwei Prozent an Fremdstoffen bei „grün-gelisteten“ Abfällen schrumpfte. Das gegenwärtige Verbringungsrecht sei auch deshalb ein „Recycling-Hemmnis“, das der politischen Zielsetzung nicht entspreche, zunehmend auch zum Recycling bestimmte Sekundärstoffe ohne besonderes Gefahrenpotential betreffe und ohne effektiven Rechtsschutz für die Unternehmen vor sich gehe.

Mit zweierlei Maß
Kurz: Die momentane gehandhabte Notifizierung sei „übermäßig komplex, zeitintensiv und teuer“. In der Praxis bedeute dies, dass ein innerstaatlicher Abfalltransport nur mit einem A-Schild gekennzeichnet sein muss, während bei Grenzüberschreitung die innerstaatlichen Anforderungen plus Notifizierungsverfahren plus Begleitscheinverfahren notwendig werden. Dabei handele es sich um das identisch zusammengesetzte und damit ebenso unbedenkliche Material und um die gleichen EU-weit gesetzlichen Standards für Abfallbehandlungsanlagen.

Elektronische Kommunikation unabdingbar
Eine Überarbeitung der jetzigen Gesetzgebung müsste – dem Gesetzgebungsvorschlag der EU-Kommission folgend – die Verbringung von Abfällen zu Wiederverwendung und Recycling erleichtern. Und sie sollte sicherstellen, dass die EU-interne Abfallproblematik nicht in Drittstaaten verlagert wird und somit illegale Abfalltransporte bekämpfen. Dazu sei die Einführung eines elektronisch kommunizierten Notifizierungs- samt Anhang VII-Verfahrens unabdingbar. Es sollten delegierte Rechtsakte zur Klärung von Einstufung beziehungsweise Abgrenzung von Materialien vorliegen.

Außerdem müssten Verfahrensfristen verkürzt und zusätzliche Beschränkungen für Abfälle zur Beseitigung eingeführt werden. Speziell für die Verbringung in OECD-Drittstaaten wäre eine Auditierung von Zielanlagen vorzusehen, „grün gelistete“ Abfälle dürften grundsätzlich in keine Nicht-OECD-Staaten – außer auf besonderen Antrag – ausgeführt werden, und die EU-Kommission sollte sich vorbehalten, allzu umfängliche Exporte in Drittstaaten untersagen zu können.

Auch künftig ein Hemmnis
Was die Transporte im EU-Binnenmarkt anlangt, lassen sich nach Ansicht von Anno Oexle auch in der Novelle der Abfallverbringungsverordnung Kritikpunkte finden: Das Notifizierungsverfahren werde nicht vereinfacht; es fehle eine Vereinfachung der nötigen Verfahrenserfordernisse; Sekundär- seien weiterhin gegenüber Primärrohstoffen benachteiligt; und der Circular-Economy-Gedanke werde nicht konsequent umgesetzt. Demgegenüber müssten verwertbare Abfälle in einem Binnenmarkt dorthin gebracht werden, wo sie den größten wirtschaftlichen Nutzen entfalten können. Oexles Fazit: „Das Abfallverbringungsrecht bleibt auch künftig ein wesentliches Hemmnis für die Verwirklichung der Kreislaufwirtschaft in der EU.“

Rechtssicherheit nachschärfen
Aus dem Blickwinkel der Verbringungspraxis merkte Freddy Pinteritsch, Leiter Material Management bei der österreichischen FCC Austria Abfall Service AG, drei Kritikpunkte an. Erstens hält er ein grundsätzliches Verbot von Transporten zur Beseitigung für nicht zweckmäßig, da hierfür spezialisierte Anlagen mit Kapazitäten bestünden, die ökonomische und ökologische Vorteile bieten. Zudem würden etliche Mitgliedstaaten über keinerlei Anlagen zur Beseitigung bestimmter Abfallsorten verfügen. Zweitens bestehe an den Grenzen Rechtsunsicherheit, unter anderem was den Fremdstoffanteil, aber auch die Formularabwicklung anlangt. Da auch die Anlaufstellen-Leitlinien keine verbindliche Rechtssicherheit geben, sei eine Nachschärfung notwendig. Drittens bringe der Novellierungsvorschlag hinsichtlich Unterscheidung von Abfällen und primären Rohstoffen keine Erleichterung. Ungefährliche Holzabfälle etwa müssten weiterhin notifiziert werden. Aber brauche man überhaupt solch einen bürokratischen Aufwand? Pinteritschs Appell: „Ziehen wir keine neuen Grenzen hoch, sondern beseitigen die bestehenden.“ Das sei mit der Novelle zu schaffen, auch ohne die Rechtssicherheit zu kompromittieren.

Lieber mehr Überwachung als mehr Verwaltung
Für Bernd Fleschenberg, Geschäftsführer der TSR Recycling GmbH & Co. KG, stellt sich erstens der Abfallbegriff nicht. Denn während Eisenerz als Primärrohstoff einen Eisengehalt von 45 bis 65 Prozent enthält, erreicht der Stahlschrott E40 mindestens 94 Prozent, die sogenannte „neue Qualität“ sogar 98 Prozent. Das – so Fleschenberg – sei kein Abfall, sondern ein Produkt. Dennoch schließe der Abfallbegriff hohe Qualitäten an Sekundärrohstoffen mit ein: Aus drei Tonnen an Kupferkabeln könnte eine Tonne reines Kupfergranulat gewonnen werden, wohingegen der Primärrohstoff Kupfererz stellenweise magere 0,3 Prozent an Kupfergehalt aufweist.

Zweitens sei eine klare europäische Harmonisierung der Störstoffanteile in „grün gelisteten“ Abfällen erforderlich, da je nach Land mal zehn, fünf, zwei oder null Prozent zugelassen sind. So wurde ein Transport der TSR Recycling GmbH von Aluminiumschrott mit einem Fremdstoffanteil von drei Prozent an der polnischen Grenze zurückgewiesen und musste zurückgenommen werden – der entstandene Schaden belief sich auf mehrere 10.000 Euro. Drittens wäre Bernd Fleschenberg mehr Überwachung lieber als mehr Verwaltung; zudem plädiert er – neben der Umstellung auf elektronische Verfahren – für eine Vereinheitlichung und Straffung der Notifizierungsmodalitäten, um Bearbeitungszeiten von einem halben bis zu zwei Jahren angesichts der „Wünsch-dir-was“-Mentalität der jeweiligen Behörden in den Mitgliedstaaten zu vermeiden. Und an die Politik geht sein Rat: „Binden Sie Unternehmen aus der Praxis ein für praxistaugliche Lösungen.“

6-Punkte-Forderungskatalog
Der Forderungskatalog des BDE, den Verbandspräsident Peter Kurth an diesem Abend vorlegte, bestand aus sechs Punkten.

1. Vereinheitlichung der Fremdstoffgrenze in der EU
2. Digitalisierung und Beschleunigung der Zulassungsverfahren, gerne auch ein Daten-Austauschsystem oder eine Verbringungsbehörde auf EU-Ebene
3. Vereinfachung und Verschlankung der Dokumentationspflichten
4. Rechtssichere Ausgestaltung der Verbringung, da „unsichere und unbestimmte Rechtsbestimmungen Gift sind für Investitionsentscheidungen und für Vertrauen in die Praktikabilität von Verfahren“.
5. Fristensetzung, die Planbarkeit und Chancen für Investitionssicherheit und Planbarkeit erlauben.
6. Mehr und bessere „Fast-Track“-Verfahren

Aufbereitbarkeit statt Rohstoffgehalt
In den Diskussionsrunden kritisierten die Online-Konferenz-Teilnehmer auch unter anderem die Überforderung beziehungsweise Unterbesetzung der Vollzugsbehörden oder wünschten sich statt dem Kriterium Rohstoffgehalt von Abfällen lieber die Festlegung ihrer Aufbereitbarkeit. Sören Grundmann (VDMA) störte an der Novelle, dass den Maschinenbauern zu Versuchszwecken lediglich eine Abfall-Freimenge von 150 Kilogramm aus dem Ausland zugestanden wird – eine Beprobungsmenge, die Versuche unmöglich macht.

Für eine Gesamtaufstellung der Mitgliedstaaten
Für Hildegard Bentele, Mitglied im Europäischen Parlament, bestehen bei der Abfallverbringung ähnliche Probleme wie beim Lieferkettengesetz. Bei beiden steigen die Anforderungen an die Unternehmen. Sie räumte ein, dass mit dem Novellierungsvorschlag die Fremdstoffproblematik und die Schwierigkeiten durch mehrfache Genehmigungsverfahren nicht behoben und nur „unzufriedenstellend“ gelöst seien. Aber nur eine stärkere Digitalisierung könne „nicht das Ende von Lied sein“. Denn schließlich gebe es unter den Mitgliedstaaten Ungleichheit der Ausgangssituationen, und es brauche die „Sicht von oben“, um zu entscheiden, in welchem Land Investitionen sinnvoll und finanzierbar sind; schließlich benötige nicht jedes Land seine eigenen Anlagen.

Für Investitionen müssten zunächst Taxonomien erstellt werden, die ausweisen, ob die Abfallwirtschaft als nachhaltig gilt und ob die Gelder richtig genutzt werden und keinen Wildwuchs fördern. Dazu sei eine Gesamtaufstellung der Mitgliedstaaten erforderlich. BDE-Präsident und Diskussionsleiter Peter Kurth wies Frau Bentele darauf hin, dass Investitionen in Deutschland sich nur dann rentieren, wenn die Anlagenbetreiber auch das entsprechende Material bekommen können – und zwar ohne große Komplikationen und aus allen Mitgliedstaaten. Ansonsten würden sich Industrieanlagen hinsichtlich Auslastung nicht tragen.

Ein „kritischer Faktor“
Bettina Hoffmann, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, bezeichnet die grenzübergreifende Verbringung als „kritischen Faktor“. Ihrer Ansicht nach herrscht ein Dilemma zwischen dem Wunsch nach offenen Märkten für Stoff- und Warenströme auf der einen und mehr Recycling innerhalb der EU mit Beschränkungen und Kontrollen von Exporten auf der anderen Seite. Hier seien bessere Standards, klarere Anwendungsregeln und mehr Transparenz angezeigt.

Das Bundesumweltministerium begrüße und unterstütze daher die Novelle, denn diese eröffne die Chance 1. für eine Umstellung auf digitale Lösungen, 2. für eine wirksame Bekämpfung illegaler Verbringung durch mehr Transparenz und bessere Zusammenarbeit, 3. für eine unabhängige Auditierung, um die Verlagerung der Abfallproblematik in Staaten außerhalb der EU zu unterbinden und 4. für die Festlegung von Kriterien, um zu verhindern, dass Abfälle fälschlicherweise als Gebrauchtwaren ausgeführt werden.

Eine sehr hohe Transparenz
Dem Argument fehlender Transparenz widersprach Berend Wilkens, Geschäftsführer der Sonderabfallgesellschaft Brandenburg/Berlin mbH: „Dort, wo Notifizierungen stattfinden, herrscht eine sehr hohe Transparenz.“ Probleme würden vielmehr „grün gelistete“ oder als „grün gelistet“ deklarierte Abfälle bereiten, die sich bei Kontrolle als keine solche herausstellen, oder solche Materialien, die ohne Verfahren über die Grenze gefahren werden.

Das Schlusswort gehörte der Bundestags-Abgeordneten Judith Skudelny, nach deren Meinung die meisten Betriebe „ordentlich, sorgfältig und sauber arbeiten“. Die illegalen Abfallexporteure aber erwische man nicht mit mehr Gesetzen, sondern mit besserem Vollzug. Wenn man am Ende der Vollzug nicht sauber funktioniert, nützt das Mehr an Regularien auch nichts. „Deswegen bin ich auf Ihrer Seite!“ Und sie versprach, die Anregungen in den politischen Raum mitzunehmen.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2022, Seite 6, Foto: Parilov / stock.adobe.com)

 

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