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Chemisches Recycling: Ergänzende Technologie oder energetischer Unsinn?

Die einen halten chemisches Recycling für machbar, andere für ineffektiv. Es ist daher angebracht, ernsthaft über energetische versus stoffliche Verwertung von Kunststoffen nachzudenken. Das 33. Kasseler Abfall- und Ressourcenforum nahm sich dafür am 6. April Zeit.

In rechtlicher Hinsicht kann chemisches Recycling die Anforderungen des Kreislaufwirtschaftsgesetzes an eine Aufbereitung erfüllen, sofern das Produkt als Grundstoff und nicht als Brennstoff dienen soll, eröffneten Julia Vogel, Franziska Krüger und Matthias Fabian vom Umweltbundesamt (Dessau-Roßlau). Doch auch wenn dieses Verfahren einen Beitrag leistet, um die Verwertungsquoten für Verpackungsabfälle zu steigern, könne es nach Ansicht des Bundesumweltministeriums nicht als gleichwertiges werkstoffliches Recycling gelten. Grundsätzlich seien Verfahren wie vor allem Vergasung, Pyrolyse beziehungsweise Verölung und Solvolyse – abhängig vom Einsatzstoff – als alternative thermische Abfallbehandlungen technisch möglich, wenn auch nur wenige im großtechnischen Maßstab Einsatz finden. Außerdem müsse die Umleitung von Materialien vom werkstofflichen zum chemischen Recycling vermieden und dürften nur Kunststoffabfälle bearbeitet werden, die mechanisch nicht mehr recycelbar sind.

Tandem statt Konkurrenten
Für Bernard M. Kemper (EEW Energy from Waste GmbH, Helmstedt) konkurrieren Recycling und thermische Verwertung keineswegs, sondern bilden ein Tandem. Würde es ein konsequentes Deponierungsverbot für unbehandelte Abfallgemische geben, das Recycling gefördert und die resultierenden Reste thermisch verwertet, könnten insgesamt jährlich 283 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Sortierversuche von Restmüll in einer großtechnischen Anlage in Lahnstein hätten ergeben, dass sowohl im nicht vorbehandelten Gewerbeabfall wie im Hausmüll die größte Kunststofffraktion mit bis zu zehn Prozent Anteilen aus Polyolefinen besteht. Sie könnten ebenso wie möglicherweise die PO-3D- und die PET-Fraktion ausgeschleust und verwertet werden. Angesichts steigender Preise für CO2-Zertifikate und einer nicht einmal ansatzweise gelungenen Kreislaufwirtschaft für Kunststoffe erweise sich für die im Umdenken begriffene Industrie chemisches Recycling als fehlendes Glied in der Kette.

Investitionen geplant
Einer eigenen Auswahl und Auflistung des Referenten zufolge sind zurzeit 18 entsprechende Anlagen in Europa mit Kapazitäten zwischen 15.000 und 250.000 Tonnen in Betrieb beziehungsweise zumeist noch in Planung. Neben einem C-ZYME-, einem HydroPRS- und zwei Depolymerisations-Verfahren sehen elf Anlagen Pyrolyse als zukünftige Technologie vor. Laut Angaben von Plastics Europe planen europäische Kunststoffhersteller, ihre Investitionen in chemisches Recycling von 2,6 Milliarden Euro für 2025 auf 7,2 Milliarden Euro in 2030 zu steigern. Desgleichen sollen Kunststoffhersteller beabsichtigen, ab 2025 pro Jahr zehn Millionen Tonnen Kunststoffrezyklate in europäischen Produkten zu verwenden. Zu diesem Zweck haben EEW und DSD – Duales System Holding GmbH & Co. KG ein technisch und wirtschaftlich tragfähiges Verfahren entwickelt, um in einer gemeinsam zu errichtenden und zu betreibenden Anlage jährlich 200.000 Tonnen Kunststoffabfälle aufbereiten zu können.

Aufwandsgerechten Absatz generieren
Wie schätzt die Rohstoffwirtschaft die Chancen eines chemischen Kunststoffrecyclings ein? Jürgen F. Ephan (Remondis Recycling GmbH & Co. KG, Lünen) hält neben Depolymerisation, Verölung und Vergasung in erster Linie die Pyrolyse für wichtig: Sie spaltet die Kunststoffe auf, überführt sie in eine gasförmige Phase und kondensiert sie zu vermarktbarem Pyrolyseöl. Da die Technik noch nicht großindustriell erprobt ist, favorisiert die Industrie vor allem Polyolefin-Folien, aber auch Werkstoffe mit anteiligem PET, PVC, PS oder PMMA. Aus dem Abfall lassen sich so 70 Massenprozent an Öl, 15 Massenprozent Permanentgase und 15 Massenprozent verwertbarer Pyrolyse-Feststoff gewinnen.

Diese Produkte – so Ephan wörtlich – können „selbst bei den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und ohne politische Regulierung einen aufwandsgerechten Absatz generieren“. Freilich seien chemische Recyclingprozesse nicht als vollständige Recyclingverfahren anerkannt, die Frage nach der Erfüllung von Verwertungsquoten weiterhin offen und der technologische Reifegrad zur Integration in Abfallwirtschaft und Petrochemie noch nicht erreicht. Hierzu müssten die rechtliche Situation des Verfahrens und der Produkt-Status des entstandenen Rohstoffs geklärt werden.

Komplexe PET-Rezyklate nachgefragt
Laut Stoffstrombild Kunststoffe, das der BDE 2020 vorlegte, fielen im Jahr 2019 in Deutschland insgesamt 6,28 Millionen Tonnen Kunststoffabfälle an. Neben 40.000 Tonnen beseitigtem beziehungsweise deponiertem Material wurden 6,24 Millionen Tonnen verwertet: 3,31 Millionen Tonnen energetisch und 2,93 Millionen Tonnen stofflich, und zwar 10.000 Tonnen rohstofflich und 2,92 Millionen Tonnen werkstofflich.

Daraus schließen Markus Binding (Veolia Umweltservice Gmbh, Grünbach), Jule Jeschonowski, Vincent Kille und Quririn Weber, dass – angesichts zunehmend kritisch anzusehender energetischer Verwertung – für mechanisch nicht rückführbare Kunststoffe das chemische Recycling eine „Ideallösung“ darstellen kann. Nach komplexen PET-Rezyklaten herrsche bereits große und wachsende Nachfrage, auch wenn für Separation von Abfallströmen zur Depolymerisation noch Entwicklungsbedarf besteht. Für die Polyolefine PE und PP würden weltweit 36 Pyrolyse-Projekte mit Technologiereife größer 7 bestehen. Pilotanlagen zur Behandlung von PS-Abfällen seien in der Planung, PA-Abfälle verarbeitet unter anderem Kunstfaser-Anbieter Aquafil, während PVC-Reststoffe in der Hauptsache werkstoffliche Verwertung erfahren. Allerdings – schränken die Autoren ein – ist die Behandlung von Mischkunststoffen „verfahrenstechnisch schwierig“ und ihre Kreislaufführung „dringend erforderlich“.

Nur ein negatives Zeugnis
Als problematisch bewerten die Experten den möglichen Wettbewerb des chemischen Recyclings mit den mechanischen beziehungsweise thermisch-energetischen Prozessen und die eventuelle Verdrängung von anderen Recyclinganlagen. Freilich befinde sich die Mehrzahl der chemischen Verfahren – sowohl zur PET-Depolymerisation wie der Pyrolyse – nach wie vor weitgehend im Pilotmaßstab. Die Abfallströme seien weder im erforderlichen Format noch sauber oder sortenrein. Die stofflichen Erträge aus der Pyrolyse von Polyolefinen reduzieren sich nach den notwendigen Verfahrensschritten auf knapp ein Viertel der Aufgabemenge. Und was die Nachhaltigkeit insbesondere der Pyrolyse anlangt, schlagen Energieverbrauch, Emissionen und mögliche Nebenprodukte so zu Buche, dass sie „nur ein negatives Zeugnis zulassen“.

Wachstumsfelder und Verzichtserklärungen
Aus Sicht des Entsorgers Veolia kommen die Autoren zu folgenden perspektivischen Aussagen: Bei einfachem lebensmitteltauglichen PET empfiehlt sich das mechanische bottle-to-bottle-Recycling als bester Stand der Technik. Abfallströme von komplexem PET gelten als „mögliches Wachstumsfeld“. Auch wenn die mechanische Behandlung von Polyolefinen bereits sortenrein aufbereitete Ergebnisse schafft, will Veolia über den Einsatz der Dissolution als Vorstufe der Depolymerisation unter anderem von PET- und PE-Multilayer-Materialien nachdenken. Auf die Weiterentwicklung der Pyrolyse von Polyolefin-Abfällen wird das Unternehmen wegen geringer Stofferträge und hoher CO2-Emissionen zukünftig verzichten. Aufgrund hohen Energiebedarfs und eines ebensolchen CO2-Ausstoßes verfolgt Veolia auch die Vergasung von Mischkunststoffen nicht weiter. Freilich interessiert sich das Unternehmen für Nischenanwendungen wie beispielsweise die Pyrolyse von künstlichem Marmor, der zu drei Prozent aus rezyklierbaren Polyesterharzen besteht.

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Foto: VIGE.co / stock.adobe.com

Zunehmend an Bedeutung gewinnen
Christian Hower-Knobloch (MVV Umwelt GmbH, Mannheim) betrachtete das Thema schließlich aus dem Blickwinkel des thermischen Abfallverwerters. Für ihn stellt chemisches Recycling eine Ergänzung zum mechanischen Recycling dar, für das sich nicht alle Kunststoffe eignen, und gilt als „Schlüsseltechnologie“. Als Knackpunkte für chemische Verfahren sieht er jedoch derzeit technische Verfahrensprobleme, hohen Energieaufwand, die unumgängliche Aufbereitung der Abfallströme sowie die Konkurrenz zu den Erdölpreisen an. Außerdem müsse die Aufbereitung zu einer stofflichen Verwendung des Materials führen und weder in Pyrolyseöl noch als Synthesegas enden.

Dennoch werde die Rolle der Entsorgungswirtschaft beim chemischen Recycling zunehmend an Bedeutung gewinnen. Erstens würden Kunststoffabfälle, die bislang verbrannt wurden, zukünftig überwiegend recycelt. Zweitens reduziere das chemische Verfahren im Vergleich zur Verbrennung 0,55 bis 1,44 Kilogramm mehr CO2-Emissionen je Kilogramm Abfall. Und drittens könne die Entsorgungswirtschaft durch langjährige Erfahrungen einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Verfahren leisten und Synergiepotenziale schaffen. Allerdings sei, um chemisches Recycling „als ergänzende Recyclingtechnologie etablieren zu können“, die Zusammenarbeit aller Akteure aus Wirtschaft und Politik notwendig.

Die entsprechenden Vorträge können entweder über die ASK Community abgefragt oder im Band Bioabfall- und stoffspezifische Verwertung IV, hrsg. von K. Wiemer, M. Kern und T. Raussen, Witzenhausen 2022 (Witzenhausen-Institut. Neues aus Forschung und Praxis), ISBN 3-928673-82-3 nachgelesen werden.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 06/2022, Seite 40, Foto: Fraunhofer IVV)

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