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Auch in bewegten Zeiten gelassen bleiben

Diesen Rat gab Henry Forster, Präsident des bvse-Bundesverbandes Sekundär­­rohstoffe und Entsorgung e.V., den Teilnehmern an der diesjährigen Jahrestagung des Verbands in Berlin.

„Wir leben in bewegten Zeiten: weltweite Pandemie, Krieg in Europa, Zusammenbruch von Lieferketten, Energiekrise und eine beginnende Rezession“, schilderte er die aktuelle Situation im öffentlichen Teil der Tagung. Damit müssten sich auch die Unternehmen der Branche auseinandersetzen, wobei die Befindlichkeiten und Belastungen der Branchenunternehmen „extrem unterschiedlich“ seien.

Seinen Worten zufolge zeigt sich sehr deutlich, dass die Energiekrise die Sekundärrohstoffmärkte unter Druck setzt. Geld, das für die drastisch gestiegenen Energiekosten aufgewendet werden müsse, fehle für Investitionen. Energieintensive Unternehmen litten, weil zum einen die Nachfrage sinke und zum anderen die höheren Produktionskosten nicht mehr an die Kunden weitergegeben werden könnten. Deshalb seien die im Verband organisierten Unternehmen im Bereich Papier-, Glas- oder Kunststoffrecycling viel stärker betroffen als Firmen, die ihren Schwerpunkt im Dienstleistungsbereich haben oder insgesamt „breiter aufgestellt“ sind.

Nach vielen Gesprächen glaube er, dass „wir es nicht nur mit einer kleinen Talsohle zu tun haben“, sagte Henry Forster, der nicht damit rechnet, dass der Zustand vor diesen bewegten Zeiten wieder erreicht wird. In diesem Zusammenhang stellte er die Frage, ob „wir in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nicht über unsere Verhältnisse gelebt haben“. Er fügte hinzu: „Wir leben in Europa in einem verschwenderischen Konsumrausch und beuten dabei deutlich mehr Rohstoffe aus, als sie uns zustehen und als diese Erde verkraften kann.“

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Henry Forster: „Es gibt keinen Grund, sich in die Reihen der Schwarzmaler einzureihen. Genau in diesen Krisen sind Innovationen, Risikobereitschaft, Unternehmertum und positive Grundhaltung die größte Chance (Foto: bvse)

Dies lasse sich auch im Abfallbereich feststellen. „Wir sind weit entfernt davon, eine wirkliche Kreislaufwirtschaft zu betreiben.“ Zudem kritisierte der bvse-Präsident, dass immer mehr neue Produkte in die Märkte und die Umwelt gelangen, wobei viele nur ein „One-Way-Ticket“ hätten; gemeint sind Einwegprodukte. Außerdem werde nach wie vor eine Unmenge an Energie vergeudet. So gebe es immer noch viele Landkreise, die keine Biotonne eingeführt haben; dabei könnte Biogas nach neuesten Berechnungen 25 Prozent des Gasbedarfs in Deutschland decken. Gleichzeitig fehlten Herstellern von Ersatzbrennstoffen die benötigten Mengen. „Wir sind gar nicht so abhängig. Weder von russischem Gas, noch von kanadischem Wasserstoff, noch von saudischem Öl oder Gas aus Katar“, betonte der Redner. „Wir müssen aber endlich unsere Möglichkeiten ausschöpfen, und da sehe ich für den Mittelstand riesige Chancen.“

Laut bvse-Präsident Henry Forster sollten die Unternehmen der Branche angesichts der täglich verbreiteten schlechten Nachrichten gelassen bleiben. Es gebe keinen Grund, sich in die Reihen der Schwarzmaler einzureihen. „Genau in diesen Krisen sind Innovationen, Risikobereitschaft, Unternehmertum und positive Grundhaltung die größte Chance. Vielleicht ist es das, was den Mittelstand auszeichnet. Der Mittelstand unserer Branche musste schon immer mit volatilen Märkten, mit ruinösen Preiskämpfen, mit schädlichen politischen Entscheidungen, mit Rohstoffkrisen und mit Wettbewerbsmonopolen kämpfen“, ermunterte er die Anwesenden, sich den Herausforderungen zu stellen.

Auch ARD-Journalist Markus Gürne, Ressortleiter der ARD-Wirtschaftsredaktion, attestierte dem Mittelstand, Lösungen für Probleme schnell zu finden. In seinem Gastbeitrag über die „Energie- und Rohstoffwende – Made in Germany“ beschäftigte er sich mit der Frage, wie der Erhalt und Ausbau der Marke „Made in Germany“ in Zeiten der Krisen weiter gelingen kann. In diesem Zusammenhang betonte er, die Ökonomie finanziere die Ökologie.

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Kündigte eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie an: Dr. Susanne Lottermoser, Leiterin der neu geschaffenen Abteilung „Transformation – Digitalisierung, Circular Economy, Klimaanpassung“ im BMUV (Foto: bvse)

Welche Initiativen für mehr Kreislaufwirtschaft in Deutschland vorgesehen sind, berichtete Ministerialdirektorin Dr. Susanne Lottermoser, Leiterin der neu geschaffenen Abteilung „Transformation – Digitalisierung, Circular Economy, Klimaanpassung“ im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Ihren Angaben zufolge wird es unter anderem um die Revision der europäischen Verpackungsrichtlinie ebenso gehen wie um die Neufassung der Bioabfallverordnung, eine erste Novelle der Ersatzbaustoffverordnung, den Entwurf eines Einwegkunststofffondsgesetzes und die nachhaltige Beschaffung. Ein wichtiger Teil der vorgesehenen Initiativen wird die Erarbeitung einer nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie sein, „in der auch bestehende rohstoffpolitische Strategien gebündelt werden sollen“. Sie soll als Dachstrategie ausgestaltet werden und übergeordnete Ziele einer zirkulären Wirtschaft für die wichtigsten Stoffströme und die zur Erreichung erforderlichen strategischen Maßnahmen formulieren. Die Erarbeitung soll in einem breiten Diskussionsprozess innerhalb der Bundesregierung mit den gesellschaftlichen Akteuren und Wissenschaftlern erfolgen, so Frau Lottermoser. Im Frühjahr 2023 werde dazu ein breiter Dialogprozess starten.

Beitrag der Branche zum Klimaschutz sichtbar machen
Deutschland hat mit dem Klimaschutzgesetz das Ziel der Treibhausgasneutralität bis 2045 festgelegt. Bereits bis 2030 sollen die Emissionen um 65 Prozent gegenüber 1990 sinken.

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Während der bvse-Jahrestagung zählten
die Organisatoren rund 280 Teilnehmer (Foto: bvse)

Nach bvse-Angaben ist dazu der Ausbau der Kreislaufwirtschaft erforderlich, zumal „grüne Energie“ und die Nutzung von sekundären Rohstoffen CO2 einsparen. Schon heute werden durch den Einsatz von Sekundärrohstoffen 50 Millionen Tonnen CO2-eq eingespart (CO2 Äquivalent bzw. CO2-eq ist ein Maß, das verwendet wird, um die Emissionen verschiedener Treibhausgase auf der Grundlage ihres „Globalen Erwärmungspotenzials“ zu vergleichen). Mit verschiedenen Stoffströmen und Verfahren der Entsorgungs- und Kreislaufwirtschaft könne die Reduzierung künftig 100 Millionen Tonnen CO2-eq betragen, wobei Bau- und Abbruchabfälle nicht berücksichtigt sind.

Das bvse-Projekt „CO2-Reduktion sichtbar machen“ soll für verschiedene Stoffströme Kohlendioxid-Bilanzen über die gesamte Wertschöpfungskette von der Herstellung und dem Transport der Rohstoffe/Vorprodukte über Produktion, Distribution und Nutzung bis hin zu Entsorgung und Recycling zum Ergebnis haben. Zu diesem Zweck sollen zunächst die zu untersuchenden Stoffströme ausgewählt werden. Anschließend geht es darum, ein breit nutzbares Grundmodul zu definieren und klare Schnittstellen festzulegen.

Ziel des Verbands ist es, seinen Mitgliedsunternehmen Ins­trumente an die Hand zu geben für CO2-Bilanzen, Ökobilanzen, Nachhaltigkeitsberichte wie auch für Nachhaltigkeitszertifikate. Der Nutzen für die bvse-Mitglieder:

Das veriX-Projekt
Dipl.-Ing. Gerhard Kirner von der TÜV Süd AG, Abteilungsleitung Umwelttechnik und veriX (Verifizierung/Validierung von Dekarbonisierung in der Recycling Industrie durch TÜV Süd), unterstrich die Bedeutung der neuen „Währung“ Kohlendioxid (Wert: 69,41 Euro je Tonne CO2 am 27. September dieses Jahres) und den Plan zur CO2-Reduktion in Bezug auf das bvse-Projekt. Dazu wurde für den Recyclingbereich ein sechsstufiger Prozess, basierend auf dem Haupt-Industriestandard ISO 17029 entwickelt, der mit einem Prüfbericht oder einer Konformitätsaussage enden soll. Um zu einem Ergebnis zu gelangen, ist die TÜV Süd AG auf die Mitwirkung der Branchenunternehmen angewiesen. Es ist geplant, dass die Prozessschritte (sortieren, bearbeiten, veredeln, lagern, verwenden) ebenso wie die ein- und ausgehenden Stoffströme wie auch die ERP-Daten (Massenströme, Lieferanten, Kunden) und die Verbrauchsdaten in Bezug auf Energie, Wärme und Kraftstoffe in die Analyse eingehen.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2022, Seite 6, von Brigitte Weber, Foto: O. Kürth)

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