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Mit Blick nach vorn: WtE-Branche tagte in Wien

Die Gewinnung von Energie aus Abfällen gilt bis heute bei vielen Verbrauchern als ein wenig umweltfreundliches Unterfangen. Dass sich die Branche aber auch rüstet, um aktiv zur Circular Economy beizutragen, verdeutlichte nicht zuletzt der 11. IRRC Waste-to-Energy Anfang September in Wien.

Welche politischen Vorgaben die EU in den letzten Jahren auf den Weg brachte und wie diese das Potenzial der Waste-to-Energy-Branche beeinflussten, zeigten Ella Stengler und Maxime Pernal-Stoddart (CEWEP) in ihrem Beitrag. Dass herkömmliche WtE-Einrichtungen zu Integrierten Anlagen zur Ressourcen-Wiedergewinnung werden können, die Wasserstoff und Brennstoff liefern, andere Sektoren dekarbonisieren und CO2-Emissionen speichern, erläuterte Patrick Clemens (ESWET). In der Sparte Länderreports lieferten Denis Bauer und Ramesh Chivukula (CNIM Martin private Ltd.) einen Bericht über die Branche in Indien, die mit Stromtarifen, Deponiegebühren, Preisverfall und allgemeinen Entwicklungsschwierigkeiten zu kämpfen hat. Auch in Pakistan, wusste unter anderem Mudassar Azam (Punjab Universität, Lahore, Pakistan) zu berichten, arbeitet die kommunale Abfallwirtschaft nicht adäquat und wartet auf eine optimierte Sammelstruktur, eine umfassende nationale Abfallstrategie und die Entwicklung eines institutionellen Rahmens. Christopher Jonas (Tolvik Consulting) schließlich trug mit einer 20-seitigen, sehr detaillierten Statistik über den britischen WtE-Markt des Jahres 2021 zum Thema bei.
Eine industriell bewährte Technologie

Christophe Cord’homme (ISWA Working Group Energy Recovery) stellte das kürzlich erschienene ISWA-Weißbuch über EfW-Technologien vor, dass sich an Interessenvertreter, insbesondere Entscheidungsträger in Ländern richtet, in denen die Energiegewinnung aus Abfällen noch weniger gut bekannt ist oder nicht angewandt wird. Der Beitrag von Gerhard Lohe und Thorsten Becker (Doosan Lentjes GmbH) eröffnete einen tiefen Einblick in den europäischen Anlagenpark zur thermischen Abfall- und Klärschlamm-Behandlung und damit in eine Technologie, die die Autoren für die einzige industriell bewährte Lösung für umweltfreundliche Abfallbehandlung halten. Worauf beim Abschluss von pauschalen EPC- oder EPCM-Verträgen zur vermeintlich schlüsselfertigen Entwicklung, Beschaffung, Konstruktion und Management von Projekten zu achten ist, machte Hosam Saboula (Standardkessel Baumgarte GmbH) aufmerksam.

Neue Projekte
Einen Vergleich verschiedener Verfahren und Technologien zur Klärschlammverwertung per Verbrennung, Mitverbrennung oder thermo-chemischer Prozesse – hinsichtlich unter anderem der Gewinnung von Energie, Dünger, Phosphor oder HTC-Kohle – und ihrem Stand der Technik unternahmen Andrea Stooß und Bernd Numann (AFRY Deutschland GmbH). Der Markt für die Behandlung von Klärschlämmen wird bis 2030 von der Implementierung neuer Projekte zur Monoverbrennung und dem Fortschritt der Phosphorrückgewinnung vor der Verbrennung abhängen; im besten Fall wird es zu Überkapazitäten kommen, prognostizierte Dirk Briese (waste:research). Ersatzbrennstoffe (SRF) und Sekundärbrennstoffe (RDF) werden weltweit in WtE-Systemen produziert oder genutzt, aber ihr Einsatz hängt von der Zusammensetzung und den physikalischen und chemischen Fähigkeiten des Brennstoffs, den jeweiligen Marktanforderungen und den regionalen Voraussetzungen – aber weniger der Art des Materials – ab, zeigt der weltweite Projekt-Vergleich von Giovanni Ciceri (RSE SpA, Mailand, Italien).

Keine Reststoffe
Die Mitbehandlung von SRF und DRF in der Zementindus­trie produziert – im Gegensatz zu anderen Recyclingprozessen – nicht nur keine Reststoffe, sondern eröffnet sogar die Möglichkeit, nicht behandelbare Stoffe aus anderen Verfahren zu recyceln, fand Sandra Antonia Viczek (Montanuniversität Leoben) heraus und schlägt vor, die Mitverbrennung für „gemischte Rückgewinnung“ als Zwischenstufe zwischen Recycling und Rückgewinnung in die Abfallhierarchie aufzunehmen. Der Beitrag von Jakob Lederer, Johann Fellner et al. (Technische Universität Wien) zur Bett- und Flugasche legt seinen Schwerpunkt darauf, auf die durch Verbrennung im Feuerrost oder im Wirbelstrombett anfallenden Sekundärrohstoffe Glas, Metall und Mineralien und ihre Mengen hinzuweisen, und rät, zur Erreichung der Ziele einer Circular Economy bei besagten Behandlungsverfahren die Recyclingrate dieser Materialien zu erhöhen.

Gute Gründe für CO2-Capture
Es gibt erste WtE-Technologien und -Projekte zum Erfassen, Nutzen und Lagern von Kohlenstoff (CCUS) und zu Energiegewinnung samt Erfassen und Lagerung von Kohlenstoff aus Biomasse (BECCS) in Europa, macht ein Artikel von Aurélie Moll und Felix Schaub (SICK AG) deutlich, der auch unterstreicht, wie entscheidend CCUS für den Klimaschutz, BECCS zur Erlangung eines negativen Fußabdrucks und das Emissionshandelssystem für den Markteinstieg der Technologie ist. Tom Croymans, Benoit Englebert et al. (Keppel Seghers Belgium NV) zählen in ihrem Beitrag „11 Gründe“ auf, warum die Waste-to-Energy-Technik einschließlich CO2-Abscheidung einzigartig positioniert ist, um aufgrund negativer Emissionen zum Kampf gegen den Klimawandel beizutragen, und weshalb dieser Technologie im WtE-Sektor Vorrang eingeräumt werden sollte.

Substanzieller Beitrag zur Minderung
Der Artikel von Wolfgang Dietz, Michael Schönemann, Nina Thiel und Wolfgang Rommel (bifa Umweltinstitut GmbH) untersucht zunächst die Möglichkeiten der EfW-Technologie hinsichtlich Sektorenkopplung bei der CO2-Abscheidung, kommt aber mit Blick auf Sekundärrohstoffe auch zur Erkenntnis, dass die Gewinnung von Methan oder Methanol in solchen Anlagen jetzt und zukünftig nicht profitabel ist und dass die Produktion von Wasserstoff mithilfe eines Elektrolyseurs – obwohl zunehmend weithin verbreitet – erst ab 2035 die Gewinnzone erreicht; allerdings werde die Kohlenstoff-Abscheidung und -lagerung einen substanziellen Beitrag zur Treibhausgas-Minderung liefern.

Die beste industrielle Alternative
Malte Bieber (EEW Energy From EWaste GmbH) stellt in seinem Beitrag zur CO2-Abscheidung bei der Herstellung von Chemikalien und Brennstoffen für verschiedenste Zwecke fest, dass die Substitution von fossilen Brennstoffen zur Energieproduktion in nächster Zukunft nicht vollständig durchführbar ist. Falls außerdem die Kohlenstoff-Erfassung in allen fossil betriebenen Kraftwerken zur Anwendung kommt, wären deutlich höhere CO2-Mengen zu erwarten – verglichen mit den Mengen von Wasserstoff, die mit überschüssigen erneuerbaren Energien produziert werden. Auch für Jakub Bator (Krakowski Holding Komunalny S.S.) stellen die Techniken zur CO2-Erfassung und -Lagerung die beste industriell mögliche Alternative zur Abfallbehandlung dar. Ihre Anwendung wird zur Reduktion von CO2-Emissionen und Kosten, aber auch zur Stärkung des WtE-Sektors führen.

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Abb.: TK Verlag

Ein neues Kapitel aufgeschlagen
Die im Band „Waste Management. Volume 10. Waste-to-Energy“ zusammengefassten Beiträge liefern einen temporären Überblick über die Energiegewinnung aus Abfällen. Verfasst von Autoren aus Praxis und Wissenschaft, erfährt der Leser alles, was es über den Entwicklungstand der Branche zu sagen gibt. Es werden die wichtigsten politischen Vorgaben skizziert, internationale Vergleiche gezogen, Ausbaumöglichkeiten zu vorhandenen Anlagen vorgestellt, neue Verfahren und Konzepte präsentiert, Handlungsanleitungen definiert, Tipps für Vertragsabschlüsse an die Hand gegeben und Marktentwicklungen sowie Trends prognostiziert. Das letzte Kapitel zu CO2-Abscheidung, -Lagerung und -Nutzung verdient besondere Erwähnung. Nicht nur, weil zu diesem Thema die meisten Beiträge geleistet wurden. Sondern vor allem deswegen, weil in diesen Artikeln der Leser mit immer mehr und besseren Argumenten für die Behandlung von CO2 interessiert wird. Wer die Lagerung von Kohlendioxid im Erdreich bislang für ein Wagnis hielt, wird hier hinsichtlich der Substitution von fossilen Brennstoffen oder von CO2-belasteter thermischer Abfallverwertung eines Besseren belehrt. Insofern fügt sich „Waste Management. Volume 10“ nahtlos in die Reihe der bisherigen Vivis-Kongress-Bände ein, stößt aber ein neues Thema an und schlägt damit ein neues Kapitel auf.

www.vivis.de [2]

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2022, Seite 28, Foto: Harald Heinritz / abfallbild.de)