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Buchvorstellung: Energie aus Abfall – Chancen für die Zukunft (Band 19)

Trotz Pandemie fällt in Deutschland mehr Abfall an, was die Kapazitäten der thermischen Verwertungsanlagen schon jetzt an den Rand der Auslastung bringt. Die Entwicklung der technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten eröffnet jedoch zukünftige Chancen für die Branche, wie die jetzt als Buch veröffentlichten Beiträge der 34. Berliner Abfallwirtschafts- und Energiekonferenz vom 23. und 24. Juni 2022 zeigen.

Im ersten Themenschwerpunkt zur EU-Taxonomie wird deutlich, dass die EU-Kommission bislang eine Diskussion zur Taxonomie der Abfallverbrennung verweigert und jede Form als umweltschädlich einstuft. Auch wird die Ansicht vertreten, dass Investitionen in die Verbrennung von Haushaltsabfällen nicht nachhaltig sind, während die thermische Verwertung für andere als wichtige und richtige Stellschraube zur Klimaneutralität gilt, die mit einem nachhaltigen Geschäftsmodell am Kapitalmarkt überzeugt.

Plädoyer für ein Monitoring aller Stoffströme
Hinsichtlich zukünftiger Strategien der Kreislaufwirtschaft sind nach Einschätzung der Experten neue Gestaltungsspielräume in der Abfall- und Ressourcenwirtschaft zu nutzen. Unter anderem sollte das Potenzial der Ökodesign-Richtlinie ausgeschöpft werden, sollten die lokalen Gegebenheiten der Abfallbehandlung und die Risiken der Schadstoffbehandlung besser verstanden und geprüft werden, wird für ein Monitoring aller Stoffströme einer Volkswirtschaft und der Lenkungswirkung von Maßnahmen plädiert und gibt es die Vision einer klimafreundlichen und zumindest abfallarmen Gesellschaft für eine Abfallverwertung von morgen. Allerdings erscheint die Rolle der thermischen Abfallbehandlung bei der derzeitig vorliegenden EU-Taxonomie gefährdet.

Die Beiträge zu Konzepten zukünftiger Abfall-Verwertungsanlagen zeigen ein integriertes Modell einer MVA, die auf unterschiedliche Energiemengen und -preise reagieren kann und Potenziale wie Metall- oder Salzrückgewinnung oder CO2-Abscheidung realisieren könnte. Eine Anlage zur thermischen Abfallbehandlung wird vorgestellt, die „flexibel, effizient, digital, emissionsarm und CO2-neutral“ ist und bestehende Energie- und Stoffströme schließen soll. Und es gibt Konzepte, um die Brennstoffeffizienz von MVAs mit integrierten Wärmepumpen zu steigern, mit moderatem Aufwand Kohlendioxid aus dem Abgasstrom abzuscheiden und die unterschiedlichen Modelle im Detail zu bilanzieren.

Knapp 200 chemische Verfahren am Markt
Die Rubrik „Chemisches Recycling“ präsentiert unter anderem einen Überblick samt Einschätzung der annähernd 200 am Markt angebotenen chemischen Verfahren, zeigt das Potential an aus Pyrolyse rückgewinnbarem Kohlenstoff, liefert erste Ergebnisse aus der Multi Fuel Conversion- und der Multiple Hearth Furnace-Anlage im Innovationszentrum Niederaußem und untersucht die Nutzung von CO2 aus Zementwerken zur Polyolefinen-Produktion.

Wirtschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Es umfasst eine Vorschau auf den Waste-to-Energy-Markt der nächsten 20 Jahre und die zu erwartende Verknappung an Kapazitäten, liefert einen Beitrag, der über die Bedeutung von Klimaschutz als Versagungsgrund in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren Auskunft gibt, und klärt darüber auf, welche Auswirkungen das Brennstoffemissionshandelsgesetz auf die Abfallwirtschaft haben könnte.

Nachhaltigkeit auch bei der Personalentwicklung
Wie Industrie-Unfälle zu vermeiden sind beziehungsweise mit ihnen umzugehen ist, wie durch das Aware-Prinzip die Risiken in einer Sonderabfall-Verbrennungsanlage minimiert werden können, wie das Personal in thermischen Abfallbehandlungsanlagen fort- und weitergebildet werden sollte, wie man das Personalkonzept in einer Restabfall-Verwertungsanlage am besten gestaltet und wie sich eine nachhaltige Personalentwicklung durch eine kooperative Wissenskultur realisieren lässt – das sind die Themen der beiden folgenden Kapitel.

Als Nächstes erhält der Leser Insider-Informationen über den Neubau des MHKW Wiesbaden, er wird über die Möglichkeiten der thermischen Abfallbehandlung in Polen am Beispiel der Anlagen in Olsztyn und Warschau aufgeklärt, und er erfährt Genaueres über nachhaltige Geschäftsmodelle für Lieferanten von Abfallverbrennungsanlagen.

Vermeiden und optimieren
Neuerungen sind auch Thema im darauffolgenden, umfangreichen Kapitel zur Betriebsoptimierung. Hier geht es um die Realisierung und Nutzung von digitalen Informationszwillingen, um die Verwendung virtueller Sensorik bei der Luftmengenmessung und um die Vorteile der Verbrennungsluft-Befeuchtung für den Wirkungsgrad von Energy-from-Waste-Anlagen. Die Optimierung der Verfahrenstechnik in Verbrennungsanlagen kommt zur Sprache, ebenso die Mit-Behandlung von Ersatzbrennstoffen in der Zementindustrie und die Möglichkeiten, welche die In-Situ-Diagnose bei der thermischen Behandlung von heterogenen Abfallstoffen bietet. Speziell um Korrosionsvermeidung drehen sich ein Artikel, der die Beherrschung von Schmelzverbindungen durch Ton-Kalzium-Additive zum Thema hat, und zwei Beiträge über das Schweißplattieren von Nickel-Basislegierungen zur Vermeidung von Korrosionsverschleiß.

BImSchV, TA Luft und BVT
Der Kesselreinigung werden zwei Artikel gewidmet, die von Betriebserfahrungen mit Shock Pulse-Generatoren im Vergleich zum Shower Cleaning beziehungsweise der Beseitigung von harten Krusten und Verschlüssen bei Rohrbündel-Wärmeüberträgern berichten. Die Beiträge eines speziellen Kapitels zur Um- und Durchsetzung bester verfügbarer Techniken setzen sich mit der Notwendigkeit einer Novellierung der 17. BImSchV, der Überarbeitung der TA Luft und der Umsetzung des Standes der Technik in die nationale deutsche Gesetzgebung auseinander, berichten aus Behördensicht über Erfahrungen bei der Realisierung der BVT Schlussfolgerungen und skizzieren die Anforderungen an die erforderlichen Messgeräte. Die Abgasbehandlung kommt in Artikeln zur Selektiven nichtkatalytischen Reduktion und Niedertemperatur-Oxidation, zu Möglichkeiten zur Abgaskondensation und zu Voraussetzungen für eine effektive CO2-Abtrennung zur Sprache.

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Abb.: TK Verlag

Von Taxonomierung bis zu nachhaltiger Technik
Auch in diesem Band – Nummer 19 der Reihe „Energie aus Abfall“ aus dem Thomè-Kozmiensky-Verlag – zeigen die Autoren der Fachbeiträge, was sich auf dem Gebiet der thermischen Verwertung technisch, wirtschaftlich, gesetzgeberisch und in praktischer Hinsicht getan hat beziehungsweise noch tun wird oder doch ändern sollte. Die Palette reicht von der Debatte um die richtige Taxonomierung der Abfallverbrennung über die generelle Frage nach der Realisierung einer Kreislaufwirtschaft bis hin zu Detailfragen, die die Einhaltung des Immissionsschutzrechts oder der Emissionsbesteuerung betreffen. Zur Diskussion gestellt werden richtungsweisende Entwicklungen wie Chemisches Recycling durch Pyrolyse oder integrierte Müllverbrennungsanlagen der Zukunft, die mehr oder weniger multifunktional industrielle, landwirtschaftliche und private Abfälle zu Strom, Wärme oder Gas verarbeiten. Selbstverständlich bieten die Kongressbeiträge einen Überblick über technische Neuerungen wie Digitale Zwillinge, virtuelle Sensorik oder die Möglichkeiten einer Brennstoffdiagnose in-situ und vermitteln Erkenntnisse zur Materialfragen wie Kesselreinigung, Schweißplattierungen und Abgasbehandlung.

Technik funktioniert aber nicht ohne Menschen. Der vorliegende Band trägt dem Rechnung, indem er das Augenmerk auf die Prävention von Industrie-Unfällen lenkt und ein Kapitel der Personalentwicklung widmet: Ohne geschultes und stetig weitergebildetes Personal ist eine nachhaltige Technik nicht umsetzbar. Der Band 19 mit der ISBN 978-3-944310-59-6 fügt sich somit als aktueller Überblick über die Fragen der Branche und als Nachschlagewerk nahtlos ein in die „Energie aus Abfall“-Reihe aus dem Thomè-Kozmiensky-Verlag.

www.vivis.de [2]

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2022, Seite 33, Foto: Petra Hoeß, FABION Markt + Medien / abfallbild.de)