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INGEDE-Symposium 2023: Das Substitutions­potenzial ist begrenzt

Am 8. März traf sich die Deinking- und Papierrecyclingbranche in München zum INGEDE-Symposium 2023. Der Schwerpunkt der diesjährigen Tagung im Haus der Bayerischen Wirtschaft lag auf der Faserversorgung: Woraus wird in Zukunft Papier gemacht?

Die Hybrid-Veranstaltung mit insgesamt 140 Teilnehmenden wurde wieder von Thomas Krauthauf eröffnet. Der Vorsitzende der Internationalen Forschungsgemeinschaft Deinking-Technik e.V. (Ingede) überblickte in seinem Einführungsvortrag die Entwicklung im Altpapiermarkt: Der Verbrauch und damit die Verfügbarkeit grafischer Papiere für das Recycling sind weiter rückläufig. Die Altpapierqualität, die in den Papierfabriken ankommt, schwindet. Weiße Recyclingfasern finden zunehmend Verwendung in nicht-grafischen Produkten. Ein großer Teil des gesammelten Altpapiers geht an den Sortier- und Deinking-Anlagen der Papierfabriken vorbei und gelangt direkt in die Verpackungsherstellung. Die Ingede spricht in diesem Zusammenhang von einem Verlust der höchsten Wertschöpfung, der durch den anhaltenden Trend zu aufwändigen und überdimensionierten Verpackungen aus Verbundmaterialien verstärkt wird. Im Gegensatz zu klassischen Faltschachteln sind diese Verpackungen oft schwer oder gar nicht rezyklierbar – selbst wenn sie auf Fasern basieren.

Greenwashing und Verbrauchertäuschung liegen in vielen Fällen vor, wenn Verpackungen wie aus Papier gefertigt erscheinen – und sich so anfühlen –, aber aus anderen (Kunststoff-)Materialien zusammengesetzt sind. Dem Verbraucher wird suggeriert, dass es sich um ein ökologisch-nachhaltiges Produkt aus nachwachsenden Rohstoffen handelt, was es nicht ist und die Sammlung, Sortierung und wertstoffliche Aufbereitung erschwert. Wohin damit als Abfall: in die blaue Papiertonne oder in den gelben Sack? Der Verbraucher ist damit überfordert und auch nicht bereit, Lebensmittelverpackungen nach Stoffbestandteil zu trennen – was Studien belegen: Nur zwei Prozent der Verbraucher in Deutschland würden beispielsweise die Folienbeschichtung einer Papierverpackung abziehen und extra entsorgen.

Mineralölfreie Druckfarben und mehr Altpapier
Sind Kunststoff und Aluminium die bessere Wahl, um Lebensmittel länger haltbar zu verpacken? Welche anderen Materialien bieten sich als Barriereschutz an und erfüllen die Deinking- und Recyclingkriterien? Diese Fragen diskutierten die Referenten des INGEDE-Symposiums 2023 und zeigten mögliche Lösungen auf. Martin Drews (Die Papierindustrie e.V.) informierte eingangs über die Fortschreibung und Neufassung der Selbstverpflichtungserklärung der Arbeitsgemeinschaft Graphischer Papiere (Agrapa), die am 17. April 2023 an Bundesumweltministerin Steffi Lemke übersandt wurde. Der Abstimmungsprozess mit dem Bundesumweltministerium und dem Umweltbundesamt beanspruchte gut zwei Jahre und endete im Dezember 2022.

Die Erklärung enthält im Wesentlichen einen Ausstieg aus mineralölhaltigen Zeitungsdruckfarben (in zwei Stufen) bis 2028 und eine Verpflichtung, den Altpapieranteil in grafischen Papieren sowie den Einsatz von Papier mit dem Blauen Engel-Umweltzeichen weiter zu erhöhen. Wie Drews einräumte, lässt sich das gegenwärtig schwer umsetzen, „da nicht ausreichend grafisches Altpapier zur Verfügung gestellt wird. Daher zielt die Verpflichtung der grafischen Papierherstellung nicht auf die tatsächliche Erhöhung des Altpapiereinsatzes ab, da diese nur begrenzt beinflussbar ist.“ Die Bemühungen zur Steigerung des Altpapiereinsatzes sollen aber dokumentiert werden. Auch das Ziel „mineralölfreie Zeitungsdruckfarben“ sei schwierig zu erreichen und könne nur in Teilschritten erfolgen, da nicht ausreichend Mengen an Druckfarben in einer Umstellungsphase verfügbar seien. Bis zum 31. Dezember 2025 soll das Aufkommen an Mineralöl aus Zeitungsdruckfarben gegenüber dem Referenzjahr 2020 halbiert und bis zum 31. Dezember 2028 komplett durch mineralölfreie Zeitungsdruckfarben ersetzt werden. Ralph Dittmann (WKS Druckholding GmbH) warf in der Publikumsdiskussion ein, dass die Selbstverpflichtung von den Papierherstellern unterlaufen werde. Mineralölfreie Farben in Druckerzeugnissen seien immer noch die Ausnahme.

Zu viele Verluste im System
Arne Kant (AFRY Management Consulting) befasste sich mit dem Fasereinsatz in der weltweiten Papierproduktion und untersuchte, inwieweit Altpapier durch andere Rohstoffe substituiert werden kann. Sein Vortrag griff Berichte von 2021 zur Lage auf den globalen Papiermärkten auf. Demnach sei der Einsatz von Primärfasern in der Papierproduktion leicht gestiegen und der von Sekundärfasern – obwohl preislich günstiger zu beschaffen – etwas zurückgegangen. Altpapier in guten Qualitäten sei insgesamt knapper im Angebot geworden.

In Deutschland und anderen EU-Staaten wird Altpapier nicht nach grafischen und Verpackungs-Papieren getrennt gesammelt. Nach den Ausführungen des Referenten verzeichneten Verpackungen mittlerweile die höchsten Wachstumsraten im Papierbereich. Bei den weißen Sorten hingegen schrumpften die Märkte seit etwa 15 Jahren. Die Verpackungsindustrie ziehe hier immer mehr Mengen ab, die dann den Herstellern von grafischen und Hygiene-Papieren fehlen würden. Für Kant ist das an sich kein Pro­blem, „weil dem verringerten Angebot auch eine verringerte Nachfrage gegenüber steht, und daraus resultiert eine verringerte Produktion. Wenn wir das System geschlossen betrachten, ist es irrelevant, ob es 30 oder 15 Millionen Tonnen sind, die wir vernünftig im Kreislauf fahren.“ Das Pro­blem entstehe an anderer Stelle: „Wir haben zu viele Verluste im System.“ Bedingt würden die Verluste in Deutschland vor allem durch die gemischte Papiersammlung über die Blaue Tonne.

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Fotos: Marc Szombathy

Über das Ziel hinaus?
Eine Lösung wäre, die Sorten reiner zu erfassen. Doch an welcher Stelle sollte das erfolgen? Direkt an der Quelle? Noch eine Tonne für die haushaltsnahe Sammlung? Kant befürchtet, „dass wir über das Ziel hinausschießen“ und der Mehraufwand bei der Sammlung auch die Kosten der Sortieranlagen in die Höhe treibt. Die Sammelsysteme sollten zwar ausgebaut und verbessert werden, doch sei eine Sammelquote von hundert Prozent wirtschaftlich illusorisch: „Vielleicht sind 95 Prozent zu schaffen, in Deutschland liegen wir bei 79 Prozent. Die ersten 50 Prozent sind relativ leicht zu sammeln. Die nächsten 20, 30 Prozent mit Aufwand machbar. Die Sammlung der letzten Tonne wird dann richtig teuer.“

Der Experte zeigte des Weiteren auf, wohin sich die Altpapier-Exportströme nach Chinas Importbann (seit Januar 2021) verlagert haben und wie sich die Sammelsysteme in Europa, Nordamerika und Asien voneinander unterscheiden. An der Spitze der Exporteure stehen die USA und Kanada sowie die Nordischen Länder (Dänemark, Island, Norwegen, Schweden und Finnland). Spanien, die Niederlande, Deutschland, Österreich und Ungarn führen mehr Altpapier ein als aus. In der Türkei ist es verboten, den Rohstoff zu exportieren: „Die haben so wenig davon, weil die Sammlung so schlecht organisiert ist. Das, was da ist, muss im Land bleiben.“ Von Exportrestriktionen und Handelsregulierungen hält Kant indes nichts. Bis vor drei Jahren war China Hauptabnehmer von Altpapier, heute wird der Rohstoff vor allem nach Südostasien exportiert. Auch wenn die Volksrepublik nicht länger der „Mülleimer der Welt“ sein will, gelangen doch immer noch große Mengen Altpapier dorthin – auf Umwegen über Südostasien, wo der Rohstoff für den Export nach China verarbeitet wird.

Rohstoffalternativen – woran es „krankt“
Abschließend ging Kant noch auf das Substitutionspotenzial von Ein-Jahres-Pflanzen in der Papierproduktion ein. So wird zum Beispiel schon seit hundert Jahren Stroh eingesetzt. Ein Nachteil ist der Gelbstich im Papierprodukt. Die Festigkeits-Eigenschaften der damit hergestellten Papiere bezeichnete Kant als „schlecht“. Es gebe zwar schon vielversprechende technologische Lösungen, doch bleibe abzuwarten, ob sich diese etablieren können.

Auch Gras und Zuckerrübenreste finden als Rohstoffalternative Verwendung, und die Silphie-Pflanze ermöglicht sogar eine Kaskadennutzung, wie Kant erläuterte: „Sie lagern Silphie als Silage und verwerten die Flüssigkeit zur Biogaserzeugung. Die Silphie-Faserreste werden zu Papier verarbeitet.“ Die genannten Rohstoffalternativen „kranken aber an einer Sache“: Die Einsatzfähigkeit liege aufgrund sensorischer Schwierigkeiten, Festigkeits- und optischer Probleme bei nur 20 bis 30 Prozent. Man könne kein Papier aus diesen Fasern machen, sondern diese nur zugeben. „Das Substitutionspotenzial ist folglich begrenzt“, kon­statierte Arne Kant. Aus dem Bereich alternativer Rohstoffe sollte sich die Branche daher nicht allzu viel erhoffen.

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Fotos: Marc Szombathy

Wie kriegt man das auseinander?
Axel Fischer (Ingede), der das Symposium moderierte, kritisierte in seiner Überleitung zum nächsten Themenblock „Faserbasierte Verpackungen“ die sogenannte 95/5-Regelung der Europäischen Union als nicht praktikabel und zielführend für mehr Recycling: Verpackungen, die mindestens 95 Prozent Wertstoffe und maximal fünf Prozent nicht recycelbare Fremdstoffe enthalten, sind nicht besser rezyklierbar als Verpackungen mit weniger Wertstoff- und mehr Fremdstoff-Anteil, so die Feststellung.

Entscheidendes Kriterium für die Rezyklierbarkeit sei, dass die Wertstoffe von den Fremdstoffen abgetrennt werden können. Und das sei bei Mehrschicht-Verpackungen das Problem: Wie kriegt man im Recyclingprozess die Verbundmaterialien auseinander? Macht sich der Verbraucher vorab die Mühe und zieht die Plastikfolie seines leeren Joghurtbechers ab, weil darunter Pappe ist, das in die blaue Papiertonne gehört? Wie gut sogenannte 85/15-Verpackungen – also mit weniger recycelfähigem Materialanteil und dafür mehr Fremdstoffen – recycelt werden können, zeigte Fischer an einem Produkt des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé.

„Wie viel Plastik brauchen wir noch?“
Nach dem Vortrag von Ulrich Leberle (Cepi) zum Vorschlag der EU-Kommission für eine neue Verpackungsverordnung stellte Jürgen Schwald (BMS Papier Concept GmbH) Lebensmittelverpackungen aus Cellulose und Papier vor, die das Unternehmen entwickelt hat und vermarktet. Auch das „Sichtfenster“ der präsentierten Käseverpackung enthält kein Plastik. Sind die Aufdrucke deinkbar und wie wirken sich die verwendeten Klebstoffe auf die Recyclingfähigkeit der Verpackungen aus? Diese Fragen der Ingede müssen allerdings noch beantwortet werden. Urban Buschmann (Climate3 Sustainability Consulting) erläuterte im Folgenden sein „Umwelt-Berechnungssystem“ als Grundlage für zielgerichtete Materialentwicklungen. „Wie viel Plastik brauchen wir noch?“ Reine und ungebleichte Papierbeutel – beispielsweise für Tiefkühlkost, Reis oder Trockenpasta – könnten längst konventionelle Kunststoffverpackungen ersetzen. Die CO2-Bilanz in der Herstellung fällt gegenüber Kunststoffen deutlich besser aus.

Eine Markterholung ist ausgeblieben
„Woraus machen wir in Zukunft unser Papier?“ Damit beschäftigte sich nach der Einführung von Anne-Katrin Klar (Essity GmbH) die erste Session am Nachmittag. Hans Wortman (Wepa Gruppe) beleuchtete als Vorsitzender des Cepi-Recyclingkomitees und der Initiative 4evergreen die Situation in der Papierindustrie: Laut Cepi-Statistik blieb 2022 der Papierverbrauch in Europa 2022 trotz der Konjunkturabschwächung stabil. Die Papier- und Kartonproduktion ging aber im Vergleich zum Vorjahr 2021 um 5,9 Prozent zurück. Die Gesamtproduktion im Jahr 2022 erreichte 84,8 Millionen Tonnen. Bei allen Papier- und Kartonsorten – Haushalts- und Hygienequalitäten ausgenommen – wurde ein Rückgang gemeldet. Die Herstellung von Verpackungssorten ist geschätzt um 4,6 Prozent gegenüber 2021 gesunken: Koffermaterialien minus 4,8 Prozent, Karton sowie sonstiger Verpackungskarton minus 4,1 Prozent, Packpapiersorten minus 5,2 Prozent. Die Herstellung von Hygiene- und Haushaltspapier ist hingegen um 2,2 Prozent gestiegen. Die Gesamtproduktion von grafischen Qualitäten fiel um 11,3 Prozent, von Zeitungspapieren um 9,9 Prozent und von Druck- und Schreibpapieren um 11,5 Prozent.

Die Corona-Krise beschleunigte die Trends zu E-Commerce, Digitalisierung und Homeoffice. Durch den Krieg in der Ukraine ist eine Markterholung ausgeblieben. „Weiterhin hohe Energie- und Rohstoffpreise, Volatilität, Handelssanktionen sowie wirtschaftliche Unvorhersehbarkeit lassen der Branche keine andere Wahl, als sich an diese neuen Gegebenheiten anzupassen“, resümierte Wortmann. Die Papier- und Kartonexporte gingen 2022 um 13,3 Prozent zurück, während die Importe um 6,8 Prozent stiegen:

Die Zellstoffproduktion mit einer Gesamtleistung von 14,7 Millionen Tonnen ging 2022 um 3,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurück. Ausfallzeiten und Streiks belasteten die Entwicklung. Die Verwendung von Papier für das Recycling ist im Vergleich zum Vorjahr 2021 um 6,4 Prozent gesunken. Von den hohen Strom- und Gaspreisen waren die Recy­clingwerke und nicht integrierte Papierfabriken vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2022 betroffen. „Papierrecycling ist mehr als zuvor eine europäische Angelegenheit“, folgerte Hans Wortmann. Recyclingpapier wird zu über 90 Prozent für den europäischen Markt in europäischen Papierfabriken hergestellt. Der Export brach 2022 um fast zehn Prozent ein, was teilweise auch auf die harten Lockdowns in Asien zurückzuführen war. Cepi erwartet, dass noch mehr grafische Papiere für die Produktion von Verpackungspapieren abgezogen werden.

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Fotos: Marc Szombathy

Das Projekt EnEWA
Aktuelle Forschungen analysieren das Potential bislang ungenutzter Rohstoffquellen oder beschreiben die Veränderung des Stoffstroms Altpapier und deren Auswirkung auf die Prozesskette. Dr. Karoline Raulf (RWTH Aachen) stellte dazu das Projekt EnEWA vor. Das Namenskürzel steht für: Energieeinsparung bei der Papierproduktion durch Erschließung der Wertschöpfungsketten Altpapier aus Leichtverpackungen, Restabfall und Gewerbeabfall. EnEWA verfolgt den Ansatz, neue Quellen für das umweltfreundliche Altpapierrecycling zu erschließen und nutzbar zu machen. Das zentrale Element des Forschungsprojektes ist die Untersuchung des Potenzials zur (Rück-)Gewinnung der Papierfasern aus gemischten Abfallströmen (Leichtverpackungsabfälle, Gewerbeabfall und Restabfall) für die Papierproduktion.

Schon heute haben papierbasierte Verpackungen aus der Lebensmittelindustrie einen signifikanten Anteil mit steigender Tendenz. Eine Rückgewinnungsmöglichkeit der Fasern aus diesen Leichtverpackungen würde zur gesteigerten Akzeptanz bei Produzenten und Verbraucher – und damit zu vermehrtem Einsatz dieser Verpackungslösungen – beitragen, ist Raulf überzeugt. Letztendlich könne so die Menge der zur Verfügung stehenden Recyclingfasern durch einen weiteren Stoffstrom zum Nutzen von Umwelt, Mensch und Kreislaufwirtschaft erhöht werden. Darüberhinausgehend werde die Nutzbarmachung des vor allem im privaten Umfeld falsch entsorgten Papiers – sogenannte Fehlwürfe – geprüft, um es ebenfalls zu neuem Recyclingpapier aufzubereiten.

Die Beteiligten des Projekts an der RWTH Aachen befassen sich mit den verschiedenen Phasen der Altpapiersammlung, -gewinnung und -aufbereitung. Nach einer Analyse der zu gewinnenden Altpapiersorten und -verbunde sowie deren Qualität im Rahmen von Stoffstromanalysen soll im zweiten Projektabschnitt die notwendige Sortiertechnik entwickelt und angepasst werden.

Das Institut für Anthropogene Stoffkreisläufe (ANTS) der RWTH Aachen verbindet im Projekt die angewandte Forschung mit dem Schwerpunkt der Stoffstromcharakterisierung und verknüpft die Primärdatenerhebung mit der ökologischen Bewertung und Modellierung der Prozesse. Zusätzlich wird die Verwertbarkeit der Rejekte analysiert und erprobt. Die Stoffstromcharakterisierung im ersten Schritt legt nicht nur das sekundäre Wertstoffpotential offen, sondern ist auch unerlässlich für alle weiteren Aufbereitungs-, Sortier- und Recyclingschritte. Eine Analyse von Stoffströmen in dieser Größenordnung stellt besondere Anforderungen an die statistische Auslegung und die praktische Umsetzung der Probennahmen. Die ökologische Bewertung wird projektbegleitend durchgeführt und stellt sicher, dass der Recyclingprozess die Entwicklung hin zu einer Circular Economy fördert. Eine Szenarioanalyse zeigt zudem unterschiedliche Möglichkeiten des Recyclingverfahrens auf und gibt maßgebliche Impulse bei der Prozessmodellierung. Die Verwertung der Rejekte ist ein wichtiger Schritt, um den gesamten Kreislauf auf Dauer zu schließen.

Die in der Sortierung gewonnenen Altpapier- und Papierverbundsorten durchlaufen zur Gewinnung von Papierfasern sowohl reguläre als auch spezielle Aufbereitungsprozesse im Recycling, welche im Projekt durch eine zusätzliche Hygienisierung – zur Vermeidung einer mikrobiologischen Belastung – erweitert werden. Abschließend erfolgt die Überprüfung der Papierqualität durch die Leipa Group GmbH, um sicherzustellen, dass die bislang hohe Papierqualität erhalten bleibt. Karoline Raulf geht davon aus, dass etwa 30 Prozent der Fehlwürfe wiederverwendet werden könnten. Durch Recycling des zusätzlich gewonnenen Altpapiers ließe sich der jährliche CO2-Gesamtausstoß der deutschen Papierindustrie um 2,5 Prozent reduzieren.

Stickies – ein „vernachlässigtes“ Thema
Neben schlecht deinkbaren Farben sind schwer zu entfernende Klebstoffe das größte Problem beim Papierrecycling. Nur ein Teil lässt sich etwa durch Siebe ablösen; andere sind so klein, dass sie mit den Fasern mitschwimmen und erst in der Trockenpartie wieder auftauchen. Die Schäden sind erheblich. Das zeigte die Präsentation von Axel Fischer (Ingede) zum „vernachlässigten“ Thema Stickies.

Was sind Stickies? Eine undefinierte Mischung aus organischen Verbindungen (hauptsächlich verschiedene Ester), die sich auf der Papiermaschine ablagern. Die Bestandteile stammen von Lackbindemitteln (Latex), Wachsen, Schmelz- und Haftklebstoffen oder Zusatzstoffen für die Papierherstellung. Stickies verursachen Blechbruch (der Produktionszyklus wird unterbrochen), Probleme mit Maschinen-Bespannungen (die ihre Durchlässigkeit verlieren), Effizienzabfall im Trockner, Schäden am fertigen Produkt, Flecken, Nadelstiche oder falsche Porosität. Auf der Papiermaschine werden Stickies mit dem Papier in die Trockenpartie verschleppt und von den Schaufeln des Trockenzylinders gesammelt. Herabfallende Stücke führen zu Bahnrissen, verklebten Lagen beim Aufrollen und/oder Ablagerungen auf Walzen (z. B. Kalander). Beim Abrollen der verklebten Lagen entstehen Löcher und Risse.

Mit effektiven Deinking-Verfahren (Siebung, Reinigung, Waschung und Flotation) lassen sich Stickies entfernen. Durch die Verwendung recyclingfreundlicher Papierbeschichtungen und die Veränderung der physikalischen Eigenschaften können störende Bestandteile, die Stickies verursachen, vermieden werden. Styrol-Acryl-Bindemittel erweisen sich als ideal für Papier- und Kartonbeschichtungen und stellen einen Durchbruch in der Entwicklung recyclingfreundlicher Klebstoffe dar.

Bessere Qualität und höhere Stoffausbeute
Ein regionaler Papierkreislauf für Berlin – das ist das Ziel des „Regio Loop“-Projekts der Unternehmen Pinguin Druck und Leipa. Über den Stand informierten Sarah Lesting und Dr. Matthias Elsweier (Leipa Group). Arne Krolle (Ingede) berichtete anschließend über Erfahrungen mit dem Prozess der Zertifizierung von Sortieranlagen (Ingede-Projekt 169 21). Sie zeigen, dass parallel zur eigentlichen Zertifizierung der Aufbau einer neuen Ingede-Methode zur Definition der optischen Qualitätsbestimmung durch eine Kamera in Echtzeit nötig ist.

Wie misst man in einem Strom von Altpapier automatisch den Gehalt an braunem Karton? Ein automatisiertes System erlaubt in einer Papiersortieranlage, schnell auf Qualitätsänderungen zu reagieren sowie die Qualität des produzierten Altpapiers zu dokumentieren. Das behandelte der Vortrag von Michael Lindner (UPM). Die „Sortieranlage der Zukunft“ hatten dann Martine Assié und Cornel Kuiper (Bollegraaf Recycling Solutions) vor Augen. Ein Schlüsselelement für die Konzeption ist die Datenerfassung, um fundierte autonome Entscheidungen zu ermöglichen, den Durchsatz, die Qualität und nicht zuletzt die Rentabilität der Sortieranlage zu optimieren.

Wareneingangskontrolle mit künstlicher Intelligenz: Das britische Unternehmen TrueCircle installiert AI-Kamerasysteme für Papiersortieranlagen, die kontinuierlich und in Echtzeit die exakte Zusammensetzung des ein- und ausgehenden Bandmaterials überwachen und kategorisieren – in detaillierte Fasersorten wie Zeitungen, Zeitschriften, Karton, Graupappe und weißes Papier. Jake Woolfenden (TrueCircle) zeigte, wie das funktioniert, und danach John Schulz (BTG Instruments GmbH), wie sich mit moderner Regeltechnik die Stoffausbeute optimieren und Schwankungen beim Produkt reduzieren lassen.

Der Trend zu mehr faserbasierter Verpackung und die Novellierung der EU-Verpackungsverordnung haben große Aufmerksamkeit auf Prüfmethoden und Bewertungsschemata zur Rezyklierbarkeit gelenkt. Ihre Vielfalt ist allerdings selbst für Fachleute unübersichtlich. Wie spielen die Methoden der Ingede, Cepi, der Institute, der Allianz 4evergreen und genormte Prüfverfahren zusammen, und wo bestehen noch „weiße Flecken“? Das war zu guter Letzt von Andreas Faul (Ingede) auf dem INGEDE-Symposium 2023 in München zu erfahren.

www.ingede.de [4]

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 05/2023, Seite 20, Foto: Landratsamt Kitzingen studio zudem / abfallbild.de)