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Alttextiltag 2025: Lösungsansätze für eine Branche im Umbruch

Wie kann ein funktionierendes System zur erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) für Textilien aufgebaut werden? Das erörterte der 12. Internationale Alttextil­tag 2025 des bvse mit über hundert Teilnehmenden am 13. und 14. Mai in Stuttgart. Die gegenwärtigen Marktverwerfungen stellen die Alttextilbranche vor weitere Herausforderungen.

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Eric Rehbock

Die Branche steht vor großen Umbrüchen – aber auch vor neuen Chancen durch Zusammenarbeit, Innovation und politische Weichenstellungen. Das machte der Altextiltag 2025 deutlich. In seiner Eröffnungsrede ging bvse-Hauptgeschäftsführer Eric Rehbock auf die seit Jahresbeginn geltende Getrenntsammlungspflicht für Textilien ein. Dringend benötigt werde die Einführung einer erweiterten Herstellerverantwortung (EPR), die auch im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung festgeschrieben wurde. Rehbock verlangte eine schnelle, unbürokratische Umsetzung der EU-Vorgaben, betonte den unverzichtbaren Erhalt des bestehenden, bewährten Sammelsystems in Deutschland und forderte faire Wettbewerbsbedingungen für alle Marktakteure.

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Stephan Kowoll

Stephan Kowoll (stellvertretender Vorsitzender des bvse-Fachverbands Textilrecycling) zeichnete ein alarmierendes Bild der aktuellen Marktlage: mit einer „historisch nie erlebten Situation“, samt massiv steigenden Kosten, Qualitätsverlusten bei Sammelware, wegbrechenden Absatzmärkten und unsicheren Zahlungsbedingungen. Kowoll forderte mehr politische Anerkennung und gezielte finanzielle Unterstützung – insbesondere für Sammlung und Sortierung, die als Teil der kritischen Infrastruktur unverzichtbar seien. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten müsse die textile Entsorgungs- und Recyclingbranche von der neuen Bundesregierung als das anerkannt werden, was sie ist: ein zentraler Pfeiler der Kreislaufwirtschaft. Parallel dazu werde der Dialog entlang der gesamten textilen Wertschöpfungskette immer wichtiger – als Grundlage für fairen Wettbewerb und ein funktionierendes EPR-System in Deutschland, machte Kowoll deutlich.

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Philippe Doliger

Jetzt die richtigen Weichen stellen
Die EuRIC-Vertreter Philippe Doliger und Antoine Stilo appellierten an die EU, jetzt die richtigen Weichen zu stellen – für eine funktionierende textile Kreislaufwirtschaft und stabile internationale Absatzmärkte. Doliger blickte zugleich auf die Herausforderungen, mit denen die europäische Alttextilbranche derzeit konfrontiert sind. Angesichts wachsender regulatorischer Anforderungen – etwa durch die EU-Textilstrategie von 2022 – brauche es zukunftsfeste gesetzliche Rahmenbedingungen. Hersteller sollten künftig – verpflichtend ab 2030 – ausschließlich recyclingfähige, reparierbare, langnutzbare, schadstofffreie, aus überwiegend rezyklierten Fasern hergestellte und ethisch produzierte Textilien auf den Markt bringen dürfen.

Als zentrales Instrument zur Umsetzung dieser Ziele erläuterte Philippe Doliger (Policy Advisor bei EuRIC Textiles) das gemeinsam mit dem bvse erarbeitete EuRIC Textiles Manifesto 2025. Das Papier unterstreicht die Notwendigkeit von Stärkung und Ausbau der textilen Kreislaufwirtschaft und der Recyclinginfrastruktur in der Europäischen Union und hebt insbesondere die folgenden fünf Kernforderungen hervor:

  1. Die Einführung von klaren Ökodesign-Anforderungen für Textilien.
  2. Die Stärkung eines fairen Wettbewerbs für Textilien in der EU, insbesondere durch die Einführung von einheitlichen Abfallendekriterien für die Wiederverwendung und das Recycling von Textilien.
  3. Die schnelle Einführung von Systemen der Erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) für Textilien in den EU-Mitgliedstaaten.
  4. Harmonisierte und ausgeglichene EU-Chemikalienregelungen, die zwar zum Umweltschutz beitragen, die EU-Kreislaufwirtschaft aber nicht weiter erschweren.
  5. Ein verbesserter Informationsaustausch und textile Kennzeichnung durch klare Etiketten und einen Digitalen Produktpass für Textilien.

Ein weiteres zentrales Anliegen ist die Schaffung einheitlicher Abfallendekriterien. Das Manifest warnt zudem vor den Auswirkungen des Fast Fashion-Trends auf den Recycling- und Second-Hand-Markt. „In diesen ungewissen Zeiten für Sammel-, Sortier- und Recyclingunternehmen in der Alttextilbranche in der gesamten EU brauchen wir dringend robuste EU-weite Rahmenbedingungen, die echte textile Zirkularität vorantreiben und die bestehenden textilen Recycling- und Erfassungsstrukturen stärken“, verwies Doliger auf die Kluft zwischen politischen Vorgaben und betrieblicher Realität: „Die aktuell bestehenden europäischen rechtlichen Regelungen zeigen deutlich, dass die Diskrepanzen zwischen Politik und Business-Realität dringend eliminiert werden müssen, damit legislative Maßnahmen auch für KMUs möglichst unbürokratisch und praxisnah umgesetzt werden können. Erst, wenn regulatorische Anforderungen auch den Arbeitsalltag der EU-Alttextilbranche widerspiegeln, kann textile Kreislaufwirtschaft langfristig effizient gelingen.“

Exportmärkte sichern – Recycling global denken
Antoine Stilo (Senior Policy and Trade Advisor bei EuRIC) nahm die Teilnehmenden des Alttextiltages mit in die geplanten Veränderungen der EU-Abfallverbringungsverordnung, die ab dem 21. Mai 2026 in Kraft treten. Acht zentrale Punkte werden künftig den Export von Abfällen aus der EU, darunter Textilien, reglementieren – von der digitalen Voranmeldung über einheitliche Datenformate bis hin zur verpflichtenden Auditierung aller außereuropäischen Abfallverwerter. Kritisch für die Branche: Künftig dürfen Nicht-OECD-Staaten Abfälle aus der EU nur noch importieren, wenn sie zuvor auf eine offizielle Exportliste der EU-Kommission aufgenommen wurden. Andernfalls gilt ab Mai 2027 ein Exportverbot von mindestens zwei Jahren.

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Antoine Stilo

Stilo rief die Branchenunternehmen dazu auf, die Verbände bvse und EuRIC in ihrer europäischen und internationalen Arbeit zu unterstützen, damit weiterhin essentielle Exportmärkte auf dem Weltmarkt gesichert werden können. Das sei insbesondere in der Übergangsphase bis zum 21. Mai 2026 wichtig, also bevor die neuen Regelungen über den Export von Abfällen greifen. Nur gemeinsam und im proaktiven Austausch könne der globale Handel und Export nach vorne getrieben und wettbewerbstauglich gemacht werden. Der uneingeschränkte Handel mit sekundären Ressourcen, Gebrauchtgütern und Recyclingmaterial sei essentiell für eine funktionsfähige Kreislaufwirtschaft in Deutschland, der Europäischen Union und auf globaler Ebene. Von der EU wird mehr Flexibilität und Transparenz gefordert bei der Erstellung und Veröffentlichung dieser Exportliste sowie während des gesamten Transformationsprozesses, damit wichtige Absatzmärkte für die europä­ische Recyclingwirtschaft nicht verloren gehen.

Echte Kreislaufwirtschaft belohnen
Florian Werthmann (Mitglied im Vorstand des bvse-Fachverbands Textilrecycling) sprach über die Anforderungen an ein zukunftsfähiges EPR-System für Textilien. Er betonte die zentrale Rolle von Sammel- und Sortierunternehmen in einem zukunftsfähigen EPR-System und forderte den Erhalt des Eigentums an Sammelware sowie klare Anreize für Ökodesign und hochwertige Materialien.

Wertmann legte die Grundforderungen der Alttextilrecycler an ein EPR-System dar:

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Florian Werthmann

Die Ökodesign-Anforderungen der ESPR – Ecodesign for Sustainable Products Regulation und das nationale System zur Ökomodulierung von EPR-Gebühren müssten miteinander verknüpft werden, um Design for Recycling und Design for Circularity in der Textilproduktion zu inzentivieren. Echte Kreislauffähigkeit müsse belohnt werden, während minderwertige Fasern, die das Recycling (mechanisch oder chemisch) erschweren, „bestraft“ werden sollten. Denn sie verhindern die textilen Kreisläufe und führen zu minderwertigem Rezyklat. Dies betrifft insbesondere Ultra-Fast-Fashion-Plattformen, die den Markt mit Textilien minderer Qualität überschwemmen. Der bvse-Fachverband Textilrecycling spricht sich klar für ein nationales, wettbewerbsorientiertes EPR-System aus, in dem Systeme im fairen Wettbewerb zueinander stehen und das auch Online-Plattformen und Ultra-Fast-Fashion in die Verantwortung nimmt.

Die Beiträge von Uwe Feige vom VKU und Jonas Stracke vom Verband textil+mode vertieften weitere zentrale Aspekte zu internationaler Gesetzgebung, EPR-Anforderungen sowie Ökodesign. Nach Ansicht von Feige hat sich Produktverantwortung in Deutschland in den letzten 30 Jahren nie aus dem Ablasshandel entwickelt. Die Marktteilnehmer im Entsorgungssektor reagierten bis heute nur noch darauf. Produzentenverantwortung müsse neu gedacht werden. Alttextilien bildeten hier keine Ausnahme.

Der niederländische Ansatz
Sekhar Lahiri (Director Stichting UPV Textiel/Dutch EPR Textile Foundation) stellte den sogenannten niederländischen Ansatz vor. Wie kann ein funktionierendes System der erweiterten Herstellerverantwortung für Textilien aufgebaut werden? Das Modell in den Niederlanden hat das Potenzial, europaweit Schule zu machen. Die niederländische Verordnung zur erweiterten Herstellerverantwortung (EPR) für Textilien, die am 1. Juli 2023 in Kraft trat, zielt darauf ab, Nachhaltigkeit zu fördern und Abfall in der Textilindustrie zu reduzieren. Sie macht die Hersteller für den gesamten „Lebenszyklus“ ihrer Produkte verantwortlich, einschließlich deren Entsorgung. Das bedeutet, dass die Hersteller finanziell für Sammlung, Wiederverwendung und Recycling ausrangierter Textilien verantwortlich sind. Ziel ist es, bis 2050 eine Kreislaufwirtschaft in der Textilindustrie zu schaffen, wobei die Ziele für Recycling- und Wiederverwendungsraten im Laufe der Zeit steigen.

Hersteller, die Textilien auf den niederländischen Markt bringen, sind für die Entsorgung der dadurch entstehenden Abfälle verantwortlich. Sie müssen ein System zur Sammlung ausrangierter Textilien einrichten, das den Verbrauchern eine kostenlose Abgabe ermöglicht. Sie müssen außerdem eine fachgerechte Verarbeitung der gesammelten Textilien sicherstellen, wobei der Schwerpunkt auf Wiederverwendung und Recycling liegen muss. Die niederländische EPR-Verordnung legt Ziele für die Wiederverwendung und das Recycling gesammelter Textilien fest: Seit 2025 gilt eine Quote von 50 Prozent. Bis 2030 müssen 75 Prozent und bis 2050 ganze 100 Prozent der Verkäufe auf dem niederländischen Markt recycelt oder wiederverwendet werden. Hersteller sind verpflichtet, jährlich über die Menge der von ihnen in Verkehr gebrachten Textilien und die Einhaltung der Sammel-, Wiederverwendungs- und Recyclingziele zu berichten. Unternehmen können die Vorschriften entweder individuell oder über ein kollektives Rücknahmesystem der Hersteller, wie beispielsweise die Stichting UPV in den Niederlanden, einhalten. Die Hersteller tragen die Kosten für Sammlung, Transport und Entsorgung von Textilabfällen.

Wenn Schuhe nicht mehr im Restmüll landen
Thema des diesjährigen Altextiltages war auch Schuhrecycling. Vertreten waren das niederländische Unternehmen FastFeetGrinded und das Prüf- und Forschungsinstitut Pirmasens e.V. (PFI) in Deutschland, das insbesondere Konzepte für nachhaltige und recycelbare Sicherheitsschuhe entwickelt, die bekanntlich aufgrund ihrer komplexen Zusammensetzung oft im Restmüll landen. FastFeetGrinded setzt eine vollautomatische Schuhrecyclingmaschine (SRM) ein, die Sportschuhe schreddert und alle enthaltenden Schaumstoff-, Gummi- und Textilbestandteile voneinander trennen kann. Nach den Angaben des Unternehmens gewinnt die SRM aus 1.000 Sportschuhen 380 Kilogramm Schaumstoff, 230 Kilogramm Textilien und 170 Kilogramm Gummi zurück. Das zerkleinerte Material wird in verschiedenen Produkten wiederverwendet, wie etwa in Sportböden, Picknicktischen und sogar in den Sohlen neuer Schuhe.

Die Hochschule Niederrhein präsentierte erste wissenschaftliche Ergebnisse zur neuen bvse-Alttextilstudie mit aktuelle Daten zur Recyclingfähigkeit von Alttextilien. Start­ups wie eeden, Turns und matter zeigten im Pitch Updates ihrer zukunftsweisenden Ansätze für chemisches Recycling, digitaler Erfassung von Alttextilien und Faserverwertung. Der Ausstellerbereich des 12. Internationalen Alttextiltages 2025 des bvse in Stuttgart – unter anderem mit MEWA und T&B electronic – bot zudem praktische Einblicke in Lösungen rund um Arbeitsschutz, Digitalisierung und Brandschutz.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 07/2025, Seite 14, Fotos: Marc Szombathy, bvse 5x)