Von Co-Creation über Peer-Formate bis zu konkreten Piloten: Warum wir einen strukturierten Austausch zwischen Mittelstand und Start-ups brauchen – gerade jetzt. Ein Gastbeitrag von Tobias Rappers, Managing Director und Gründer des Ökosystems Maschinenraum.
Die Anforderungen an Recycling und Kreislaufwirtschaft steigen. Ob EU-Vorgaben zu Recyclingquoten, Anforderungen an Sortenreinheit oder digitalisierte Rückverfolgbarkeit – die Branche steht unter Innovationsdruck. Gleichzeitig formiert sich eine agile Start-up-Szene mit datengetriebenen, technologischen Lösungen.
Ein großer Teil der Entsorgungswirtschaft wird dabei aktuell von traditionsreichen Mittelständlern geprägt, die Verantwortung für ihre Region tragen, über Jahrzehnte gewachsen sind, und nun zukunftsfähige Wege suchen. Gleichzeitig fehlt es vielen Start-ups an Marktzugang, Verständnis für industrielle Komplexität und Erfahrung mit regulatorischen Realitäten. Die Kreislaufwirtschaft ist auch längst kein Nischenthema mehr – sie ist ein zentraler Baustein für Klimaschutz, Ressourcenschonung und wirtschaftliche Resilienz. Doch genau dort, wo es strukturelle Veränderungen braucht, treffen nun zwei Systeme aufeinander: Familiengeführte Entsorgungsbetriebe, die mit jahrzehntelanger Erfahrung und ausgefeilten Prozessen arbeiten, und technologiegetriebene Start-ups, die mit frischen Ideen, aber wenig Branchenkontakt an die Sache herangehen. Diese beiden Welten zusammenzubringen, ist mehr als ein Nice-to-have. Es ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit.
Familienunternehmen: Rückgrat der Kreislaufwirtschaft
Ob in Sammlung, Sortierung oder Rückführung – viele der tragenden Akteure der Kreislaufwirtschaft sind Familienunternehmen. Sie stehen für Substanz, Verantwortung und Langfristigkeit und verbinden oftmals regionale Verwurzelung mit industrieller Relevanz. Doch auch diese Betriebe spüren den Veränderungsdruck:
- Digitalisierungslücken in Stoffströmen
- ESG-Berichtspflichten und neue Nachweisketten
- steigende Kundenerwartungen an Transparenz und Nachhaltigkeit
- gleichzeitig Fachkräftemangel und wachsender Preisdruck
Die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, ist da, der Zugang zu Innovation jedoch schwerfällig. Was fehlt, ist die Brücke zwischen Praxiswissen und Technologiekompetenz.
Start-ups: Agilität trifft auf Realität
Auf der anderen Seite arbeiten Start-ups an Lösungen, die genau hier ansetzen: KI-gestützte Sortierung, Material-Tracking, zirkuläre Geschäftsmodelle. Doch vielen fehlt der direkte Zugang zur industriellen Realität und die Fähigkeit, regulatorische oder operative Anforderungen zu übersetzen. Denn die Ideen sind da – ob sensorbasierte Sortiertechnologien, CO2-Monitoring in Echtzeit oder digitale Rückverfolgbarkeit von Materialien. Doch viele Start-ups tun sich schwer, über den Proof of Concept hinauszukommen. Ihnen fehlen nicht nur reale Testumgebungen, sondern auch Einblicke in branchenspezifische Genehmigungsprozesse, Sicherheitsstandards oder Ausschreibungszyklen. Ohne erfahrene Partner, die bereit sind, den Weg gemeinsam zu gehen, bleiben viele Lösungen in der Theorie stecken und damit wertvolles Potenzial ungenutzt.
Maschinenraum als Kooperationsplattform
Der Maschinenraum bringt zusammen, was sich im Alltag vieler Unternehmen noch selten begegnet: Start-ups mit Innovationsdrang und Familienunternehmen mit tiefem Branchenverständnis. Als Plattform für fast 80 Familienunternehmen mit rund 450.000 Mitarbeitenden schafft der Maschinenraum Räume für Austausch, strategische Partnerschaften und die gemeinsame Entwicklung zukunftsfähiger Lösungen – insbesondere durch Peer-Formate und mehrmonatige Co-Creation-Programme. Auch in der Entsorgungs- und Recyclingwirtschaft wird dieser Brückenbau aktiv genutzt. So entstehen in Peer Groups zu Digitalisierung und Nachhaltigkeit konkrete Lösungsansätze, etwa wie Rücknahmelogistik, Sortierung und digitale Nachverfolgung zukunftssicher gestaltet werden können.
Lobbe, ein traditionsreiches Familienunternehmen aus Nordrhein-Westfalen in der vierten Generation, geht noch einen Schritt weiter: Mit der eigenen Innovationsgesellschaft Uventures testet Lobbe in Zusammenarbeit mit Start-ups beispielsweise, wie bestehende Müllfahrzeuge zur digitalen Datenerfassung genutzt werden können – ein Beispiel dafür, wie klassische Infrastruktur durch smarte Technologie aufgewertet wird.
Den Maschinenraum nutzt das Unternehmen dabei ganz konkret. Matthias Röhring, Geschäftsführer Uventures der Lobbe Gruppe: „Mit den Co-Creation-Programmen im Maschinenraum verbinden wir konsequent echte Praxis mit Innovationskraft. Lobbe (über Uventures) hat die Plattform genutzt, um systematisch passende Start-ups zu screenen und gemeinsam konkrete Pilotideen zu entwickeln. Der größte Mehrwert des Maschinenraums liegt dabei für uns im ehrlichen, ungefilterten Feedback. In einem vertraulichen Rahmen treffen wir hier auf Akteure aus völlig unterschiedlichen Branchen und Perspektiven, von Familienunternehmen über Start-ups bis zu VCs, die aber unsere Problemstellungen verstehen. Diese Offenheit hat uns in der Weiterentwicklung konkreter Ideen enorm geholfen – und Co-Creation weit über den Austausch hinaus möglich gemacht.“
Familienunternehmen bringen das richtige Fundament für Innovation mit: Sie kennen ihre Märkte, beherrschen Prozesse und wissen, wo die Herausforderungen liegen. Was ihnen oft fehlt, sind Ressourcen, Strukturen und die richtigen Partner, um neue Ideen gezielt weiterzuentwickeln. Der Maschinenraum schafft dafür den nötigen Raum: mit Impulsen, Austausch und erprobten Formaten. Damit aus Ideen Projekte werden, aus Partnerschaften marktfähige Lösungen und aus Tradition gelebte Zukunftsgestaltung.
Wie Zusammenarbeit gelingt: Drei Prinzipien
1. Vom Problem zur Partnerschaft
In Peer-Formaten tauschen sich Entscheider:innen regelmäßig über konkrete Fragestellungen aus – vertraulich, offen, lösungsorientiert. So entstehen gemeinsame Ausgangspunkte.
2. Co-Creation statt Konzeptpapier
In Programmen entwickeln Start-ups und Familienunternehmen über mehrere Monate gemeinsam Prototypen – nicht in PowerPoint, sondern im echten Betrieb. Erfolgreiche Co-Creation bedeutet mehr als nur Workshops. Es geht um iteratives Lernen im operativen Umfeld. Darum, gemeinsam zu testen, zu scheitern, neu zu denken und weiterzuentwickeln. Die Nähe zum Alltag eines Familienunternehmens eröffnet Start-ups dabei oft neue Perspektiven auf ihre Produkte: Was im Labor funktioniert, muss im Werkhof, im Logistikzentrum oder auf der Deponie bestehen. Diese Rückkopplung ist Gold wert – nicht nur für die Marktreife, sondern auch für tragfähige Geschäftsmodelle.
3. Netzwerke statt Silos
Familienunternehmen profitieren voneinander: durch geteilte Ressourcen, Erfahrungswerte und Pilotprojekte. In einem Maschinenraum-Programm arbeiteten elf Unternehmen gemeinsam an zirkulären Lösungen – mit einer Geschwindigkeit, die für Einzelne nicht erreichbar gewesen wäre.
Fazit: Jetzt ist die Zeit für echte Partnerschaften
Die Herausforderungen in der Kreislaufwirtschaft sind groß, aber die Potenziale auch. Familienunternehmen kennen die Praxis. Start-ups bringen neue Perspektiven. Was es braucht, ist ein Ort, an dem beides strukturiert zusammenkommt. Ökosysteme und Austauschplattformen wie der Maschinenraum schaffen diese Räume, sodass junge und etablierte Unternehmen gemeinsam den Innovationsmotor starten können.
Autor: Tobias Rappers
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 08/2025, Seite 18, Fotos: Maschinenraum GmbH)