Bringt die Mantelverordnung das Baustoffrecycling voran?

Das diskutierte der zurückliegende Baustoff-Recycling-Tag 2023. Die zum Zeitpunkt der Veranstaltung gezogene „100-Tage-Bilanz“ der Mantelverordnung fiel nüchtern aus.

Der Branchentreff wird jährlich vom ISTE und dem QRB veranstaltet. Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im Umweltministerium Baden-Württemberg, bezeichnete auf dem 26. Baustoff-Recycling-Tag am 25. Oktober 2023 in Filderstadt die Mantelverordnung als nicht perfekten Kompromiss zwischen Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung. Industrie und Verwaltung sollten gemeinsam an den Schwachstellen der Verordnung arbeiten – zum Beispiel in Form eines Landes-Dialogforums, auf dem sich Verwaltung und Industrie austauschen. Bedenklich stimmten Baumann die Entwicklungen in manchen Bundesländern, die die Schwachstellen der Ersatzbaustoffverordnung länderspezifisch neu auslegen. Der Bund müsse für länderübergreifende Einheitlichkeit sorgen.

Fehlstellen rasch beheben
Oliver Mohr, Präsident des ISTE, griff die Aussagen von Staatssekretär Baumann auf und appellierte, die Fehlstellen in der Ersatzbaustoffverordnung rasch bundeseinheitlich zu beheben. Anderenfalls drohten erneut länderspezifische Auslegungen. Seiner Meinung nach ist die Ersatzbaustoffverordnung zwar durchdacht und könne – „nach der ersten Ohnmacht“ – mittelfristig auch Chancen bieten. Was die Recycling- und Verfüllbranche jedoch dringend benötige, sei die Unterstützung durch Politik und Verwaltung. Denn ein großes Problem sei die fehlende Akzeptanz für Ersatzbaustoffe. So werde bei Ausschreibungen nicht produktneutral ausgeschrieben – Recyclingmaterial sei vielmehr häufig überhaupt nicht gewünscht.

Christa Szenkler, Vorsitzende der Fachgruppe Recycling-Baustoffe und Boden des ISTE, zog wegen der Komplexität und Unklarheiten ein ernüchtertes Fazit zur Ersatzbaustoffverordnung und appellierte an die Politik und Verwaltung, sich nicht dem illusorischen Konzept des „Up- und Downcyclings“ hinzugeben: „Mineralische Ersatzbaustoffe im R-Beton für den Hochbau zu nutzen, ist wichtig. Es ist aber nicht besser, als sie im Straßenbau, zum Beispiel als Frostschutzschicht, einzusetzen – beide Einsatzweisen sind in derselben Abfallhierarchiestufe. Sekundärrohstoffe sollten dort eingesetzt werden, wo sie am meisten Sinn ergeben.“

Dr. Andre Baumann, Staatssekretär im
Umweltministerium Baden-Württemberg, präsentierte die politischen Einschätzungen zur Mantelverordnung (Foto: ISTE/M. Moster)

Wie setzen die Unternehmen die Verordnung um?
Dass die Ersatzbaustoffverordnung noch Schwachstellen aufweist, untermauerten Oliver Mohr und Dr. Bernd Susset der Referent im ISTE für Wasser, Boden und Abfall und der Geschäftsführer des QRB, anhand einer Umfrage mit 50 Mitgliedsunternehmen. Darin berichteten mehr als 75 Prozent der Befragten, wie sie ihre Materialien über die neue QRB-Plattform gemäß Ersatzbaustoffverordnung bewerten und zertifizieren lassen konnten. Die Hälfte gab an, dass sie seit Einführung der Verordnung weniger mineralische Ersatzbaustoffe in Verkehr bringen konnten als noch vor dem 1. August 2023. Etwa 30 Prozent berichteten von einem massiven Einbruch der Nachfrage und lediglich 20 Prozent von einem problemlosen Absatz und Verwendung von Ersatzbaustoffen.

Grund für die nachlassende Nachfrage sei nach Einschätzung der befragten Unternehmen der bürokratische Mehraufwand durch die Ersatzbaustoffverordnung (25 Prozent), die allgemeine Verunsicherung des Marktes (25 Prozent) und falsche Ausschreibungen (25 Prozent). Zu jeweils etwa einem Achtel gaben die Unternehmen an, dass nach ihrer Einschätzung die Bauunternehmen weniger nachfragten oder Behörden die Zulassung verzögerten.

Güteüberwachung und Akzeptanz stärken
Auch in den Verwaltungen gibt es noch zahlreiche Fragezeichen. Das beschrieben Dr. Daniel Laux und Falk Fabian vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft sowie Dr. Thomas Chakar vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg in ihren Vorträgen. „Auch die Behörden brauchen Zeit, die neue Verordnung in die Praxis umzusetzen“, konstatierte Daniel Laux und betonte die Bedeutung der Zusammenarbeit von Politik, Verwaltung und Industrie, um die Herausforderungen gemeinsam zu lösen. Das sei insbesondere wichtig, wenn es um die Fortschreibung der Ersatzbaustoffverordnung ginge.

Insgesamt gelte es, die Güteüberwachung und die Akzeptanz von Ersatzbaustoffen zu stärken. Dass dies durch die Ersatzbaustoffverordnung möglich sei, zeigten die Zahlen. So seien von Seiten der Verwaltung noch keine Stoffstromverschiebungen feststellbar; lediglich beim Boden gebe es eine leichte Verschlechterung. Falk Fabian resümierte in seinem Vortrag, dass das neue Merkblatt M 23 zum Umgang mit asbesthaltigem Material sowie die Voruntersuchung und Selektion auf der Baustelle gewährleisteten, dass asbesthaltiges Material aus dem Stoffstrom ausgeschleust werde und gar nicht erst in RC-Anlagen ankomme.

Die neue Einbaukarte
Die Mantelverordnung im Blick zu behalten, versprach Thomas Chakar – vor allem bei der Produktneutralität, die in Ausschreibungen oft nicht gewährleistet sei: „Das ist der Mindeststandard, den wir einhalten müssen.“ Diesem Appell schloss sich auch Bernd Susset an, der die neue Einbaukarte der „qeb.app“ vorstellte, einer Anwendung zum Qualitätsmanagement für den Einsatz von Baustoffen. Sie dient als Hilfstool zur Bestimmung von Einbaumöglichkeiten für mineralische Ersatzbaustoffe, die mit dem ebenfalls neuen Güteüberwachungstool der „qeb.app“ zertifiziert wurden.

Dafür berücksichtigt die Einbaukarte alle Anforderungen der Ersatzbaustoffverordnung an die Bodenart des Untergrundes, die grundwasserfreie Sickerstrecke sowie der Lage zu Wasserschutzbereichen in Baden-Württemberg. Für 56 Prozent der Landesoberfläche gibt die Einbaukarte Hinweise auf überwiegend günstige Einbaumöglichkeiten. Für 34 Prozent der Landesoberfläche sind allerdings Einzelfallgenehmigungen erforderlich – aufgrund einer Fehlstelle in der Ersatzbaustoffverordnung. Denn entgegen den fachlichen Grundlagen wurden auch für die günstigsten Qualitäten von Ersatzbaustoffen Anforderungen an die Bodenart des Untergrundes gestellt, die in Kieslandschaften und auf Grundgebirge nicht klar geregelt sind – selbst bei Einhaltung des Grundwassermindestabstandes.

Wege der Dekarbonisierung
Tino Villano vom Zementhersteller Opterra Wössingen präsentierte Wege, wie die Zementindustrie die Dekarbonisierung vorantreiben möchte. Darunter zählen Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture and Utilisation (CCU). Hierbei wird das CO2 im Zementwerk abgeschieden und in geologischen Schichten verpresst beziehungsweise für chemische Prozesse genutzt. Auch Recyclingbaustoffe können hier eine bedeutende Rolle spielen. Durch Rekarbonatisierung können diese CO2 aufnehmen und als Substitute im Gesteinskörnungszuschlag und im Zement CO2 einsparen. Die Umstellung auf eine dekarbonisierte Zementindustrie koste Geld – verbunden mit einem höheren Zementpreis, so Villano. Wie auch seine Vorredner hob er die Bedeutung der öffentlichen Vergabe- und Ausschreibungspraxis hervor: „40 Prozent des weltweit hergestellten Zements geht in öffentliche Bauprojekte. Daher hat die öffentliche Hand im Vergabeprozess einen starken Hebel, welchen Zement sie für Bauvorhaben nutzt.“

Während Maximilian Meyer von der Bundesvereinigung Recycling-Baustoffe (BRB) europa- und bundesrechtliche Entwicklungen vorstellte, erläuterte Philipp Schwarz von der HPC AG – einem Beratungsunternehmen für Flächenrecycling, Umweltberatung und Infrastrukturplanung –, wie die Materialien auf der Baustelle vorerkundet werden müssen, damit sie ohne Risiko und nach Ausschleusung von asbesthaltigem Material gemäß dem neuem Merkblatt M 23 am Werkstor angenommen werden können.

Noch einiges zu tun
Zum Schluss machte sich Gregor Franßen von der Franßen & Nusser Rechtsanwälte PartGmbB auf die juristische Suche nach dem Ende der Abfalleigenschaft von natürlichen Bodenmaterialien und Steinen. Da die Ersatzbaustoffverordnung dies nicht bundeseinheitlich regelt, entstehe nun Wildwuchs in den Ländern. Dies machte er anhand der zahlreichen, teils sich widersprechenden FAQs der Länder und des Bunds deutlich. „Je nach Bundesland wird Bodenmaterial zum Nicht-Abfall oder nicht“, fasste Gregor Franßen die Sachlage zusammen. Das könne nicht das Ziel einer verbindlichen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern sein, folgerte der Anwalt mit den Schwerpunkten für Abfall- und Kreislaufwirtschaft.

Dem stimmte Michael Knobel, Vorsitzender des QRB zu: „Die Regelung war bundeseinheitlich geplant. Deshalb müssen Fehlstellen und Regelungslücken bundeseinheitlich repariert werden.“ Er gab in seinen Schlussworten zudem einen Ausblick auf die zukünftigen Herausforderungen. Denn auch bei diesem RC-Tag wurde deutlich: In puncto Recycling bleibt noch einiges zu tun.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 02/2024, Seite 18, Foto: ISTE/M. Moster)