INGEDE-Symposium 2021: „Die Kreislaufwirtschaft von Papier muss aktiv gestärkt werden“

Das INGEDE-Symposium 2021 am 2. März im digitalen Format deckte wieder alle Aspekte des Papierrecyclings ab: von der Rezyklierbarkeit über die Altpapiererfassung bis hin zum Deinkingprozess.

Erörtert wurden die Herausforderungen, die neue Druckfarben und eine Vielzahl von unterschiedlichen Klebstoff-Applikationen an das Recycling stellen. Angesichts steigender Mengen an weißen Verpackungen geht es für die Deinker weiterhin um die Frage: Wie kann die Papierindustrie von der neuen Verpackungsgesetzgebung profitieren? Im Fokus standen zudem Verfahren zur besseren Sammlung und Sortierung sowie Identifizierung von Fremdstoffen im Altpapierstrom.

Unter der Moderation von Axel Fischer (Ingede) beleuchtete die Fachtagung zunächst die Nachhaltigkeit bei der Herstellung von Büchern und das neue EU-Ecolabel für Druckprodukte. Referenten waren hier Wolfram Dietz (bifa Umweltinstitut), Andreas Steenbock (Steinbeis Papier), Antonia Pott (RAL gGmbH) und Malgorzata Kowalska (EU-Kommission).

Die Erfassung an der Quelle verbessern
Im Anschluss berichtete Martin Drews (Verband Deutscher Papierfabriken), dass in Europa Altpapier in ausreichender Menge verfügbar ist. Der VDP schätzt, dass es im vergangenen Jahr bei einem Altpapieraufkommen von circa 58,7 Millionen Tonnen und einem Verbrauch von 54,5 Millionen Tonnen einen deutlichen Überschuss von mehr als vier Millionen Tonnen in Europa gab. Die Verfügbarkeit ist in Europa aber von Land zu Land unterschiedlich, und auch die Qualitäten des verfügbaren Altpapiers variieren.

Der Anteil des Rohstoffes Altpapier bei der Papierherstellung wird voraussichtlich weltweit wachsen; damit steigt der Verbrauch. Dies kann auch Auswirkungen auf die Verfügbarkeit in Europa haben – mit der Wirkung, dass der bisherige Überschuss an Altpapier im europäischen Markt (inklusive der Türkei) in den kommenden Jahren zurückgeht. Um dem entgegenzuwirken, müsse die Kreislaufwirtschaft von Papier aktiv gestärkt werden.

Drews plädierte für die Entwicklung einer lückenlosen und qualitativ hochwertigen kommunalen Altpapiererfassung in ganz Europa. Die Kommunen sollten bei der langfristigen Rohstoffsicherung und der Erreichung ambitionierter Recyclingquoten mithelfen und unterstützen. Es gelte, die Erfassung an der Quelle zu verbessern. Die Sortierer und Lieferanten sollten das Altpapier den Altpapier-einsetzenden Unternehmen in einer richtigen Qualität bereitstellen, damit es auch für die Papierherstellung verfügbar ist – also die Sortiertiefe erhöhen. Rohstoffimporte nach Deutschland müssten im Hinblick auf die Rohstoffversorgung gesichert und erleichtert werden.

Martin Drews sprach sich in diesem Kontext für eine Stärkung des Binnenmarktes aus und zeigte sich überzeugt, dass gemeinsam mit allen Stakeholdern in der Wertschöpfungskette Altpapier dessen Verfügbarkeit in Europa auch in der Zukunft gesichert werden kann.

Rückkehr in den Status quo ante Corona?
Der Vortrag von Marc Ehrlich (Vipa) hatte die Verfügbarkeit von grafischem Altpapier und dessen Anteil in der Sammlung zum Thema. So hat sich in den letzten sechs Jahren die Zusammensetzung von haushaltsnah erfasstem Altpapier auffällig verändert: Immer weniger Broschüren, Illustrierte oder Anzeigenblätter. Die Printwerbung in Deutschland ist um 12,6 Prozent zurückgegangen. Es werden immer weniger grafische Papiere produziert, die dann dem Altpapierrecycling fehlen.

Der Trend geht eindeutig zu weißen Büro- und Verpackungspapieren, was auch der Pandemie – durch Homeoffice – geschuldet ist. Achim Wiese (ROWE Gesellschaft für Rohstoffhandel, Wertstoffrecycling Entsorgung mbH) beobachtet zudem einen Anstieg des Fremdstoff-Anteils in den Altpapiermengen aus der haushaltsnahen Sammlung durch Fehlwürfe und mangelnde Sortierleistung der Aufbereiter: „Es ist immer mehr Müll im Altpapier, der bei den Papierfabriken ankommt.“ Der Experte glaubt nicht, „dass die Mischung aus am Straßenrand gesammeltem Material in den Status quo ante Corona zurückkehren wird“.

Trend zur Digitalisierung beschleunigt
Nach Zahlen des VDP betrug 2020 die Altpapiereinsatzquote der deutschen Papierindustrie 79 Prozent, ein Prozent mehr als im Jahr davor. Insgesamt produzierte die Papierindustrie 2020 rund 21,4 Millionen Tonnen Papier, Karton und Pappe. Der Umsatz der Branche insgesamt fiel um 11,6 Prozent auf 12,7 Milliarden Euro. Die Produktion von Verpackungspapieren – der größten Sortengruppe in Deutschland – legte im Krisenjahr 2020 um 2,6 Prozent auf 12,4 Millionen Tonnen zu. Grund für die positive Entwicklung war die in der Corona-Pandemie gestiegene Nachfrage nach Verpackungen für Lebensmittel und den Online-Handel. Auch die Hygiene-Papiere verzeichneten ein Produktionswachstum von zwei Prozent. Die Hamsterkäufe bei Toilettenpapier hatten die Hersteller vor besondere Herausforderungen in Produktion und Logistik gestellt. 2020 wurden insgesamt 1,5 Millionen Tonnen Hygienepapiere produziert, etwa die Hälfte davon Toilettenpapier.

Deutlich zurück ging im Jahr 2020 die Produktion von grafischen Papieren. Hier sank die Produktion um 15,1 Prozent auf sechs Millionen Tonnen. Die Corona-Pandemie hat zum einen den Trend zur Digitalisierung weiter beschleunigt; zum anderen gab es besonders im zweiten Quartal 2020 durch den Lockdown hervorgerufene Einmaleffekte, zum Beispiel bei der Verschiebung von Werbemaßnahmen und der Schließung von Verkaufsstellen. Das trifft die gesamte Wertschöpfungskette Print. Nahezu unverändert blieb mit minus 0,2 Prozent die Produktion von Papieren und Pappen für technische und spezielle Verwendungszwecke; darunter fallen zum Beispiel Dekorpapiere für die Möbelindustrie. Hier lag die Produktion bei rund 1,4 Millionen Tonnen.

Grafische Papiere und Verpackungen getrennt sammeln?
Diskutiert wurde des Weiteren, ob grafische Papiere und Verpackungen getrennt an der Quelle erfasst werden können und sollten. Achim Wiese sieht das unter dem Kostenaspekt als nicht realisierbar an: „Wenn wir nur Verpackungen sammeln, dann hat man ein enormes Volumen im Sammelfahrzeug. Aber das Gewicht ist sehr gering. Und das ist vom CO2-Fußabdruck auch sehr fragwürdig. Wir müssen darüber nachdenken, ob das Single-Stream-Recycling, wie es in den USA und anderen Ländern praktiziert wird, zu einer Qualitätssteigerung führen kann – indem dann besser sortiert wird.“

Eine weitere Vertiefung und Ausweitung des Trennsystems würde auch auf keine Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen. Und es sei fraglich, ob eine getrennte Erfassung noch genügend Mengen an grafischen Papieren für das Deinking hervorbringt. Eine Qualitätssteigerung bei der Altpapiersortierung sei außerdem kostenintensiv. Sind die Papierfabriken bereit, höhere Preise für besser sortierte Ware zu bezahlen? Wie Sortierprozesse durch Digitalisierung und künstliche Intelligenz optimiert werden können, stellten Johannes Jacoby (Tomra Sorting Recycling) und Victor Reutenauer (Fotonower) vor. So hat das französische Unternehmen Fotonower eine kamerabasierte Lösung zur Qualitätserkennung bei der Eingangskontrolle in Sortierbetrieben entwickelt.

Neue mineralölfreie Druckfarben im Deinkingtest
Den aktuellen Stand der Forschung bei mineralölfreien Druckfarben überblickte Philipp Stolper (Fogra). Seit 2016 arbeitet das Fogra Forschungsinstitut für Medientechnologien e.V. in einem Förderprojekt an der Markteinführung von mineralölfreien Coldset-Farben. Ziel des Forschungsprojekts war es, zwei Farbserien so weit zu entwickeln, dass ihr dauerhafter Einsatz in Druckereien möglich ist. Dies sollte durch dreimonatige Praxisversuche nachgewiesen werden. Neben der Anwendbarkeit lag ein Schwerpunkt auf der Deinkbarkeit der Produkte sowie auf der Analyse der Mineralölgehalte nach der BfR-Methode. Die neu entwickelten Druckfarben wurden in der Druckmaschine der Frankfurter Societäts-Druckerei eingesetzt. So wurde die Funktionalität nur auf einem Coldset-Maschinentyp getestet.

Foto: Monsterkoi / pixabay.com

Erste Druckversuche auf der Coldset-Maschine begannen 2018; seitdem wurde die Deinkbarkeit durch Anwendung der Ingede 11-Methode auf Druckmuster aus der Coldset-Maschine überwacht. Im Jahr 2020 waren die Druckfarben bereit, in einem Langzeitversuch für drei Monate eingesetzt zu werden. Während dieser Zeit wurde die Deinkbarkeit regelmäßig überprüft. Zusätzlich konnten identische Druckmuster mit den konventionellen Farben eines Farbherstellers hergestellt werden. Für diese Deinkbarkeitstests wurden zwei Papiersorten verwendet: eine mit 50 Prozent DIP und eine, die aus 100 Prozent DIP bestand. So war es möglich, die Deinking-Eigenschaften der mineralölfreien Druckfarben mit denen der konventionellen, mineralölbasierenden Druckfarben zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Deinkbarkeit von mineralölfreien Coldset-Farben noch nicht vollständig gelöst ist und weitere Anstrengungen unternommen werden müssen, um dieses Ziel zu erreichen. Die detaillierte Auswertung der Deinkingtests wurde in diesem Vortrag von zwei verschiedenen Druckfarbenherstellern vorgestellt.

Frankreich ist das einzige europäische Land, das ein gesetzliches Verbot von Mineralölen auf Papier und Verpackungen definiert hat. Als verantwortliche Herstellerorganisation für Verpackungen und grafische Papiere in Frankreich hat sich Citeo 2018 an einem globalen Aktionsplan zur Mineralölproblematik beteiligt, ein Malus-System für Verpackungen (2020) und grafische Papiere (2021) eingeführt und einige F&E-Arbeiten geleistet, um bei der Entwicklung einiger mineralölarmer Alternativen zu helfen. Vertreten war die Organisation durch Jean-François Robert.

Deinkbarkeit von UV-Farben
Mit der Deinkbarkeit von UV-härtenden Druckfarben (IGF 20476) befasste sich der Vortrag von Beatrix Genest (SID). Ein Projekt untersuchte die Deinkbarkeit von UV-Drucken und den Verbleib von gesundheitlich bedenklichen Stoffen. Ziel war eine objektive Bewertung der Deinkbarkeit von UV-Druckprodukten in Abhängigkeit von den Druckbedingungen, unter Berücksichtigung der Druckfarbe, der Papierqualität und der Farbhärtung. Am Ende konnte das Deinkingverhalten von UV-Druckfarben mit konventionellen Bogenoffsetdrucken mit und ohne UV-Lack verglichen werden.

In Phase eins wurden UV-Akzidenzdrucke untersucht. Von 38 Druckaufträgen, die von verschiedenen Druckereien zur Verfügung gestellt wurden, wurden 28 getestet: 17 bestanden und elf fielen durch den Deinkbarkeitstest. Der Grund für das Nichtbestehen der Proben waren immer Schmutzpunkte. Bei der Betrachtung der Einflussfaktoren zeigte sich keine Einwirkung der Papierqualität. Probleme gab es bei einigen Proben, die mit einer Quecksilberlampe gehärtet wurden, und bei etlichen Proben, die mit einer eisendotierten Quecksilberlampe behandelt wurden. Alle Proben, die mit UV-LEDs gehärtet wurden, zeigten gute Ergebnisse. Im Allgemeinen gab es keine Korrelation zwischen Härtungsgrad und Deinkability Score.

Um mehr über die Korrelation zwischen Druckbedingungen und Deinkbarkeit herauszufinden, wurden Pilotversuche an einer Bogenoffsetmaschine CD 74 durchgeführt. Für diese Tests kamen Quecksilberlampen, eisendotierte Quecksilberlampen und UV-LEDs zur UV-Härtung zum Einsatz. Es wurden glänzend und matt gestrichene sowie ungestrichene Bedruckstoffe und 16 verschiedene UV-Farben bedruckt. Die UV-Dosierung, der Druck und die Zusammensetzung des Feuchtmittels wurden variiert, und zwar bei allen 180 Varianten. Auch hier ließ sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen UV-Farbenhärtung und Deinkbarkeit feststellen. Letztendlich erwiesen sich die Farbrezeptur und der Farbauftrag der gedruckten Muster als Haupteinflussfaktoren auf die Deinkbarkeit. Das bedeutet, dass es für eine generelle Beurteilung der Deinkbarkeit von UV-Farben wichtig ist, eine Testform mit definiertem Farbauftrag zu erstellen und mindestens eine Papierqualität zu bestimmen, folgerte Beatrix Genest.

Das weitere Programm umfasste die Präsentation der Allianz 4evergreen durch Susanne Haase, die schon 60 Mitglieder über die gesamte Wertschöpfungskette der faserbasierten Verpackungen hinweg für ihre Ziele gewonnen hat. Aus der Druckerpraxis berichteten Christian Aumüller (Aumüller Druck) und Volker Hotop (Frankfurter Societäts-Druckerei). Ulrich Leberle (CEPI) informierte über die Entwicklung einer europäischen Rezyklierbarkeitsmethode für Verpackungen und Laetitia Reynaud (Intergraf) über Trends im europä­ischen Markt für Druckprodukte. Der Vortrag von Hermann Onusseit (IVK) brach schließlich eine Lanze für Klebstoff-Applikationen, die das Altpapierrecycling nicht unbedingt erschweren würden.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2021, Seite 40, Foto: Franz W. / pixabay.com)

 

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