Künstliche Intelligenz: Aus der Abfallbranche nicht mehr wegzudenken

Im Dezember 2018 veröffentliche der amerikanische Forschungsinformationsdienst PreScouter einen Artikel mit dem reißerischen Titel: „Der heilige Gral des Recyclings: von Künstlicher Intelligenz angetriebene Roboter“. Damit waren ein Sortierroboter gemeint, der Karton, Kunststoffflaschen und Gefäße erkennt, und ein smarter Abfallcontainer, der bei Einwurf per Sensoren die jeweilige Abfallsorte – Kunststoff, Papier, Metalle, Glas oder Sonstiges – separiert. War das wirklich schon der heilige Gral?

Der Artikel räumte allerdings auch ein, dass „diese Technologie noch in den Kinderschuhen steckt, man aber ihre Kraft nicht unterschätzen sollte und das Ausmaß ihres Einflusses auf die Recyclingindustrie noch nicht gesehen wurde“. Doch seitdem ist die Künstliche Intelligenz aus der Abfallbranche nicht mehr wegzudenken. Das hat seinen Grund: Sie ist „nicht das Resultat einer vorgegebenen Programmierung, sondern auf eine umfangreichen Datengrundlage und einem stetigen Lernprozess der KI zurückzuführen, in dem die KI mit jedem Ereignis lernt und sich stetig selbst optimiert“, wie es die tegos group definiert. Somit ergibt sich beispielsweise nach der Erkennung von KFZ-Kennzeichen und der identifizierten Qualität des angelieferten Materials die Möglichkeit, Abfälle auf einem Wertstoffhof automatisch zu verwiegen.

Routen-Planung per maschinellem Lernen
KI hilft unter anderem auch bei der Routen-Planung zur Abholung von Sperrmüll. So konnte beispielsweise in Herne auf Grundlage von maschinellem Lernen ein Prognosesystem installiert werden, das Schichtzeiten, Fahrzeug­eigenschaften, Fahrzeugkapazitäten, nicht planbare Tage oder auch gesperrte Straßen berücksichtigt und Tag und Zeitpunkt der Abholung errechnet. Und das – wie Vanessa Wolff vom Software-Anbieter adiutaByte in Aussicht stellt – auch fahrzeugspezifische Fahrtzeiten und -strecken, verschiedene Verkehrsaufkommen, Rush-Our-Effekte, Wettereinflüsse oder gar besondere Veranstaltungen und große Events einkalkuliert.

Sortiermengen rapide gestiegen
Unter anderem unterstützt KI auch das Bunkermanagement. Hierbei informieren Sensoren exakt über Füllstand sowie Befüllgeschwindigkeit und gleichen Volumenstrom sowie Soll-Werte ab. Mithilfe der Daten lässt sich festlegen, zu welchem Zeitpunkt welcher Bunker beschickt und wann er geleert werden soll. „Das automatisierte Bunkermanagement ist so in der Lage, sich selbst zu optimieren“, erklärte Dorothee Sänger von Sutco Recycling Technik in einem Interview mit dem Forschungszentrum Jülich.

Neben der Qualität sind auch die Mengen, die Sortiermaschinen mit KI-Unterstützung bewältigen können, in den letzten Jahren rapide gestiegen. So sind mittlerweile Sortierroboter wie die ZRR-Serie von ZenRobotics auf dem Markt, die laut Herstellerangaben rund um die Uhr laufen, bis zu acht Fraktionen unterscheiden können, je nach Zahl der Greiferarme 2.000 bis 6.000 Zugriffe pro Stunde realisieren und eine Sortenreinheit von 98 Prozent erzielen. Seit 2018 kommt bei Zanker Recycling, einem US-amerikanischen Unternehmen für Bau- und Abbruchabfälle, der ZenRobotics ZRR2 zum Einsatz und verarbeitet 150.000 Tonnen Material pro Jahr.

ReCirce: KI für mehr Kunststoffrecycling
Ohnehin hat die Entwicklung der Sortiertechnik hinsichtlich Materialerkennung einige Quantensprünge erlebt, was die Qualität von Schärfe und Tiefe anlangt. Aktuell spielt in diesem Zusammenhang auch das ReCirce-Projekt (kurz für: Digital Lifecycle Record for the Circular Economy) eine Rolle, das Transparenz über die gesamte Wertstoffkette von Kunststoffen schaffen soll, um deren Verwertung aus hochentwickelten Produkten zu erleichtern. Vom Umweltministerium gefördert, haben sich hier renommierte Partner aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung zusammengeschlossen, um den gesamten Sortiervorgang als Vorbereitung für ein hochwertiges Recycling neu aufzustellen. Ziel ist es, die Herkunft des Abfalls zu erkennen und die wahrscheinliche Zusammensetzung vorherzusagen.

Einzelne Molekülketten erkennen
Konkret wird dazu mithilfe eines Prototyps das Material – bereits vorsortiert – zu zähen Tropfen eingeschmolzen. In diesem Zustand soll KI zukünftig die einzelnen Molekülketten erkennen können und den geschmolzenen Kunststoff so behandeln, dass er in die jeweiligen Fraktionen zerfällt. Als Resultat entsteht kein Mischgranulat, sondern vier, fünf reine Sorten, deren Qualität mit Primärkunststoffen vergleichbar wäre. „Dabei könnten Molekülketten von Kunststoff theoretisch bis zu 20-mal eingesetzt werden“, prognostiziert Andreas Ciroth, Gründer von DeltaGreen, einem der ReCirce-Partner. Außerdem soll ein digitaler Produktpass, die sogenannte Lebenszyklusakte, Herstellern und Recyclern zukünftig den richtigen Umgang mit Kunststoff als einem wertvollen Rohstoff für die Industrie erleichtern.

OptiRoDig zur Optimierung von Schmelzen
Die Schrottdisposition in der Metallurgie zu digitalisieren und damit zu verbessern, hat sich das OptiRoDig-Projekt zum Ziel gesetzt. Wie Maximilian Hoffmann vom RHM-Rohstoffhandel auf dem REWIMET-Kongress im August dieses Jahres berichtete, will OptiRoDig genauere Kenntnisse über chemische und physikalische Eigenschaften verfügbarer Schrottsorten erlangen und deren Anteil am Rohstoffbedarf durch Sekundärrohstoffe erhöhen. Dazu werden im Labor zunächst die physikalischen und die chemischen Attribute der Schrottproben durch Spektroskopie und Röntgenfluoreszenz-Analyse erfasst. Unter Zuhilfenahme vom maschinellem Lernen wird ein Modell erstellt, das – im Unterschied zur Messung – die Güte von benötigten Ferrolegierungen unter Zugabe von Ferrovanadium und Ferromolybdän prognostiziert.

Gibt man nun das gewünschte Zielmaterial und dessen Menge in das System ein, berechnet es für jede beprobte Charge die Menge an gewünschtem Material, dessen Gesamtkosten und Kosten pro Kilogramm sowie die prozentualen Anteile von Kohlenstoff, Silizium, Mangan, Phosphor und Schwefel. Mit diesen Angaben lässt sich per Algorithmus die Zusammensetzung von Schmelzen hinsichtlich Kosten und Form optimieren und die dazu benötigten Einsatzstoffe in Schmelzen prognostizieren.

Die per maschinellem Lernen entwickelten Modelle werden auch in die weiteren Berechnungen hinsichtlich Metallverwendung und Gesamtkosten einbezogen. Als nächste Schritte sind – neben der Überprüfung der notwendigen Attribute und der Erstellung genügender Datenmengen aus mehreren Schmelzwerken – die Einrichtung eines digitalen Netzwerksystems und die Bereitstellung der Analysedaten an Projektpartner geplant. Ziel soll die Schaffung eines Marktplatzes in Form einer B2B-Plattform sein.

Zur Reduzierung von Demontage-Abfällen
In ähnlicher Weise machte sich Hendrik Poschmann von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften auf dem REWIMET-Symposium 2021 Gedanken über die bei Autodemontagen anfallenden und notwendigen Daten. Seiner Meinung nach wäre eine Verbindung der Demontage mit Robotik und Ansätzen einer Industrie 4.0 sowie eine durchgängige Nutzung von Daten des Produkts und des Prozesses und damit der Beginn einer Kreislaufwirtschaft bereits bei der Demontage wünschenswert (Ausführlicher Bericht in diesem Heft, Seite 24).

Am Beispiel des „Recycling 4.0“-Projekts orientiert, entwarf er ein System, in dem eine Schalt- und Entscheidungs-Zentrale die sensorischen und statistischen Informationen im Lernprozess verarbeitet, eine Werkseinheit das Material per Sensorik, Kamera und KI-Algorithmen erkennt und bewertet, eine weitere Einheit über die notwendigen Mitarbeiter, Werkzeuge und Instrumente für die Demontage verfügt, und ein sogenannter „Informations-Marktplatz“ Daten von Zulieferern, Erstausrüstern, Kunden und aus der Demontage erhält und seinerseits zur Verfügung stellt. Durch dieses System liegen für alle Abteilungen bekannte Datenmodelle und Informationen vor, die durch jeweils anfallende Rückbauten mit neuen Erkenntnissen aktualisiert und erweitert werden und so Stück für Stück Vorschub zur Automatisierung der Abläufe und der Reduzierung von Demontage-Abfällen leisten.

KI-Waste: Bilderkennung und Daten-Analyse
In ähnlicher Weise hat das österreichische Forschungsprojekt KI-Waste im Januar 2021 damit begonnen, Bilderkennung und Maschinendaten-Analyse zu kombinieren, um die Abfallaufbereitung zu optimieren. Das Problem dabei: Plastik, Verbundwerkstoffe, Papier, Kartons und Metalle werden oft in stark unterschiedlichen Mengen durcheinander gemischt durch die Anlagen geschleust, was es schwierig macht, sie quantitativ zu sortieren. Nach Darstellung des VDI erfassen bei dem neuen Forschungsprojekt spezielle 3-D-Sensoren wie etwa Time-of-Flight-Kameras die räumlichen Eigenschaften der Objekte; 2-D-Sensoren kümmern sich um die Farbinformationen.

Eine Pressemeldung zu KI-Waste erklärt: „Die hinterlegte Bildanalysesoftware nutzt Deep-Learning-Algorithmen, um den Abfall immer besser unterscheiden zu können. Die Messdaten fließen zudem in Modelle ein, anhand derer die Bilderkennung hinsichtlich von Messgenauigkeit und Position in der Sortieranlage optimiert wird.“ Dies soll die Recyclingausbeute erhöhen und den Energieverbrauch verringern. Zusätzlich liefern die Ergebnisse auch Vorarbeiten für andere Industriebereiche, wie zum Beispiel die Pharma- oder Stahlindustrie, in denen ebenfalls Bilddaten gemeinsam mit Zeitreihendaten analysiert werden müssen. Daraus können Handlungsempfehlungen zur Prozessoptimierung für die Abfall- und Kreislaufwirtschaft durch KI entstehen, die von einer Effizienzsteigerung, einer erhöhten Recyclingrate und einem verringerten Energieverbrauch profitiert.

Klassifizierungszentren für KI-Recycling
Möglichkeiten des KI-Einsatzes bei der Wiedergewinnung von industriellen Abfällen untersuchten 2020 auch Bin Liao und Ting Wang von der Universität Guizhou (China). In ihrer Studie kamen sie zu dem Schluss, dass KI bei der Vorhersage der Abfallproduktion und der bildlichen Wiedererkennung eingesetzt werden sollte, um die traditionellen Planungen für die Bewirtschaftung von Industrieabfällen zu verbessern. In sogenannten „Klassifizierungszentren für KI-Recycling“ könnten durch verbesserte Vorhersage und Abwicklung die Systemkosten gesenkt und die Systemeffizienz maximiert werden. Dazu müssen Parameter wie unter anderem die Positionen des Abfallproduzenten, des Recyclers oder des Deponiebetreibers, Angaben zu Behandlungskapazitäten, Kosten der Materialerkennung oder Transportkosten und schließlich Auskünfte wie über die zu transportierenden Abfallsorten vorliegen und in eine mathematische Berechnung einfließen. Alles in allem sind nach Ansicht der Autoren große ökonomische Vorteile zu erwarten, wenn sich die Abhängigkeit von menschlichen Angaben durch die Bildung eines Klassifizierungs-Zentrums auf KI-Basis verringert.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 10/2021, Seite 21, Foto: MASOTINA / ZenRobotics)

 

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