Ist der Güterverkehr für die Zukunft gerüstet?

Einen „zukunftssicheren Güterverkehr“ wünscht sich Pro Mobilität, Initiative für Verkehrsinfrastruktur e. V. und gab beim Institut der deutschen Wirtschaft ein Gutachten in Auftrag. Der resultierende „Faktencheck Güterverkehr in Deutschland“ wurde am 2. Februar auf einer Online-Pressekonferenz vorgestellt.

Der Güterverkehr ist Rückgrat und Garant des wirtschaftlichen Wachstums in Deutschland. Er wird prosperieren: Waren es 2015 noch 640 Milliarden (Mrd.) Tonnenkilometer (tkm), so werden für 2030 rund 757 und für 2050 ganze 896 Mrd. tkm erwartet. Die Binnenschifffahrt soll in diesem Zeitraum von 60 auf 75 Mrd. tkm zulegen, die Schienenleistung sich von 121 auf 230 Mrd. tkm verdoppelt, und der Anteil der Straße von 463 auf 591 Mrd. tkm ansteigen. Alle Prognosen weisen aus, dass der Lkw das Haupttransportmittel bis 2050 bleibt, kommentierte Thomas Puls, Senior Economist für Verkehr und Infrastruktur beim Institut der deutschen Wirtschaft, bei der Vorstellung des Gutachtens.

Für andere Verkehrsträger uninteressant
Die divergierenden Mengen resultieren aus unterschiedlichen Transportprofilen. Erze, Steine und Erden (rund 925 Millionen Tonnen), Mineralerzeugnisse wie Glas, Zement und Gips (an die 400 Millionen Tonnen) sowie Abfälle und Sekundärrohstoffe (circa 275 Millionen Tonnen) transportieren Lkw im Kurzstrecken-Verkehr bis 75 Kilometer. Hier spielen Verkehre im Bauwesen eine zentrale Rolle. Zwar befördern Schiene und Binnenschiffe auch Erze, Steine, Erden sowie Kohle, rohes Erdöl und Erdgas, aber in weit geringeren Mengen (rund 50 Millionen Tonnen), dafür aber über wesentlich größere Distanzen ab 180 Kilometer.

Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.

Anders gesagt: Nur acht Prozent der wichtigsten Wirtschaftsgütern, die Lkw bewegen, werden über mehr als 300 Kilometer transportiert. Ausnahmen bilden Lkw-Fahrten aus Rumänien zur Abholung von Containern aus Duisburg oder aus Spanien, die in Frankreich keine Kombinierte Verkehrsmöglichkeit finden. Die Mehrzahl der Lkw-Verkehre liegt also in einem Streckenbereich weit unterhalb der Grenze, wo es für andere Verkehrsträger interessant wird.

Wachsende Marktanteile durch Wohnungsbau
Der Marktanteil der Schiene sollte zünftig steigen, was aber das spezifische Transportgut bremst. Die wichtigsten traditionellen Güter für die Schiene sind Kohle und Rohöl, deren Mengen durch den Kohleausstieg abnehmen werden, und Mineralöl-Erzeugnisse, die durch Elektrifizierung des Verkehrs und das Verbot neuer Ölheizungen mit Verlust rechnen müssen. Die zukünftigen Beförderungsmengen im Bereich von Steinen und Erzen sowie von Metallen und -erzeugnissen hängen stark von der zukünftigen Entwicklung der Stahlindustrie ab.

Wachsende Marktanteile sind vor allem aufgrund von Wohnungsbau, Infrastruktur-Offensive und dem Ausbau Erneuerbarer Energien durch Baumaterialien wie Steinen, Sand und Kies sowie Mineralerzeugnissen zu erwarten, aber auch bei steigendem Sanierungsbedarf im Bereich von Sekundärrohstoffen wie Bauschutt möglich. Diese Materialien werden jedoch in der überwiegenden Mehrzahl durch Lkw-Verkehre abgewickelt. „Bauindustrie und auch der E-Commerce in den kommenden Jahre boomen – davon profitiere der Lkw“, bringt es Pro Mobilität auf den Punkt.

Zukunftschancen im Kombinierten Verkehr
Bei wachsender Nachfrage nach Containern und Aufliegern könnten sich im Handelsbereich Zuwächse im Schienenverkehr realisieren lassen. Denn „im gemeinsamen Wachstum liegt die Zukunftschance“, ist Thomas Puls überzeugt. Tatsächlich war schon zwischen 2007 und 2019 der Kombinierte Verkehr (KV) von Straße und Schiene der Wachstumstreiber für den Gleistransport. Während in diesem Zeitraum der Einsatz von Containern und Wechselbehältern mit rund 31 Milliarden Tonnenkilometern in etwa gleich blieb, stieg das Aufkommen an unbegleiteten Sattelanhängern von vier auf 16 Milliarden Tonnenkilometer.

Doch es gibt eine Reihe von Hemmnissen für den KV, darunter den hohen Planungsaufwand für die Transportkette, unbekannte Angebote und Preise für die Schiene oder auch die mangelnde Zuverlässigkeit im Hauptlauf über Schiene. „Kein Verkehrsträger wird die Zukunft ohne die Hilfe der anderen meistern können. Dafür sind die Herausforderungen einfach zu groß“, betont Puls. „Wir brauchen alle Verkehrsträger und müssen auch in alle entsprechend investieren.“ Dazu sei allerdings auch die Verbesserung der multimodalen Übergänge zwischen den jeweiligen Transportbereichen unabdingbar.

Das Verkehrsnetz ist voll
Bereits jetzt seien die Hauptgüter-Korridore bei Straße und Schiene „am Anschlag“. Bei der Schiene konzentrieren sich die Beförderungen auf den Hafen Duisburg, den Zulauf nach Nürnberg, den Großraum Hamburg und den Zulauf nach der Schweiz; dieses Netz sei „voll“. Genau hier verlaufen aber auch die Routen für Langlauf-Container. Duisburg ist für sie ebenso Hauptanziehungspunkt, auch und gerade für die Polen- und Balkan-Verkehre. Diese Strecken seien schon jetzt überlastet. Verbesserungen für den Kombinierten Verkehr hält Thomas Puls nur bei gleichzeitigen Lösungen über den deutschen Transportraum hinaus für möglich. Schon in den Römischen Verträgen war ein europäischer Verkehrsraum angelegt. Der sei auf der Schiene noch keineswegs realisiert, sodass der beste KV nichts nützt, wenn die Züge an der Grenze stehenbleiben, weil im Nachbarland die Strecken nicht elektrifiziert sind.

Neben der Stärkung des KV erachtet er eine schnellere Sanierung und einen besseren Ausbau der Verkehrsin­frastruktur für dringend notwendig. Zahlen belegen, dass für 30 Kilometer Schiene samt Vorplanung, Entwurfs- und Genehmigungsplanung sowie Planfeststellungsverfahren insgesamt 171 Monate gleich 14 Jahre und für die Bauzeit bis zur Inbetriebnahme noch weitere 103 Tage benötigt werden – insgesamt 274 Monate beziehungsweise 23 Jahre. Der Bau einer 20 Kilometer langen Bundesfernstraße dauert mit 227 Monaten beziehungsweise 19 Jahre nicht ganz so lang. Wenn diese Vorgänge nicht deutlich verbessert werden, könne sich Deutschland die Ideen von einem funktionierenden Güterverkehr im Jahr 2050 „abschminken“.

Keine Lösungen der Politik
Die Bilanz, die der Experte für den deutschen Güterverkehr zieht, sieht düster aus. „Die Verkehrsmengen steigen bei allen Beförderungsarten, es bestehen Infrastrukturprobleme durch Kapazitätsengpässe und Sanierungsstaus bei sämtlichen Verkehrsträgern, in allen Bereichen droht gravierender Mangel an Fachkräften wie Bauingenieuren, Fahrpersonal oder Fahrdienstleiter, und darüber hinaus lautet die Zielvorgabe, bis 2045 den Verkehr defossilisiert zu haben.“ Die Themen beim letzten Bundestags-Wahlkampf – Tempo 130 auf Autobahnen und die Reduzierung von Inlandsflügen – hätten das Thema keineswegs angemessen behandelt. „An Herausforderungen mangelt es also nicht, aber die Lösungen der Politik werden dem gerade nicht gerecht“.

Das Gutachten kann unter https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2022/Brosch%C3%BCre-Pro_Mobilit%C3%A4t_Faktencheck_2021.pdf heruntergeladen werden.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 04/2022, Seite 12, Foto: fantasylife / pixabay.com)

 

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