Feess bindet CO2 in rezykliertem Bauschutt
Am 15. November 2024 startete bei der Firma Feess in Kirchheim/Teck der Betrieb einer Anlage, die verflüssigtes Kohlendioxid (CO2) in rezykliertem Bauschutt bindet. Das kornförmige Material geht als angereicherter Zuschlagstoff großteils als Frostschutzmaterial in den Straßenbau und zu einem geringeren Teil in die Betonproduktion, so der Plan.
Die 2019 in Bern gegründete Neustark AG hat das Verfahren entwickelt und die Anlage gebaut. „Es ist bereits die 22. Anlage europaweit, die in Betrieb geht,“ erläuterte Valentin Gutknecht, Mitgründer und Co-CEO von Neustark, bei der Einweihung mit 150 Gästen aus Politik, Behörden, Bauwirtschaft und Forschung. Unternehmer Walter Feeß stand mit den Schweizern seit 2018 in Kontakt und hatte vor zwei Jahren eine Pilotanlage in seinem Wertstoffhof Rabailen an der A8 zum Testen.
„Das ist doch klüger“
Die Kirchheimer Anlage, die in vier Kammern klimaschädliches Gas in das mineralische Gestein eindampft, kann in 100.000 Tonnen RC-Beton pro Jahr 1.000 Tonnen CO2 binden. Das entspricht der Kompensation von 100.000 Bäumen. Walter Feeß appellierte in diesem Zusammenhang an die Anwesenden, dieses karbonatisierte Rezyklat regional nachzufragen und zu verbauen. Der 70-jährige Recycling-Visionär: „Das ist doch klüger, als das verflüssigte CO2 zur Küste zu fahren und im Meer in 4.000 Metern Tiefe in den Boden zu verpressen.“ Umweltstaatssekretär Dr. Andre Baumann (Grüne) kündigte bei der Einweihung an, Rezyklat in Ausschreibungen künftig zu priorisieren statt es bei einer Produktneutralität zu belassen. So würden die RC-Zuschlagstoffe zum neuen Standard, der dann auch überall verfügbar sei. Ähnlich müsse es eines Tages mit dem karbonatisierten Material sein, das den CO2-Footprint des Betons beim Bauen allein schon um zwölf Prozent senke.
Ziel der Eidgenossen bis 2030: Mit ihren Anlagen eine Million Tonnen CO2 pro Jahr in RC-Baustoffen binden. Wie Walter Feeß forderte Valentin Gutknecht die Verwaltungschefs auf, karbonatisiertes Rezyklat einzusetzen. Die Stadt Zürich gehe hier vorbildlich voran. Aktuell dränge Neustark in der Schweiz auf ein Pilotprojekt, einen Kilometer Autobahn mit karbonatisiertem Rezyklat zu bauen. Zweispurig erfordere das 10.000 Tonnen Material, in denen CO2 gebunden werden könne. Bauschuttrecycler Feess, der 2016 den Deutschen Umweltpreis für seine Innovationskraft erhalten hatte, gehört auch mit dieser Investition wieder zu den Pionieren. Nur in Berlin betreibt Neustark bereits selbst seit 2023 in Deutschland eine solche Anlage, deren Material gut nachgefragt werde.
Auf diesen Effekt hofft nun auch Feeß: „Wir brauchen jetzt dringend die Nachfrage der öffentlichen Hand, die diesen rezyklierten und karbonatisierten Zuschlagstoff für ihre Hoch- und Tiefbauten nachfragt, damit wir unsere Anlage auslasten und refinanzieren können.“ Der Landesregierung von Baden-Württemberg dankte der Unternehmer für die Förderung der Anlage mit 400.000 Euro. Zu seinem Eigenanteil von 600.000 Euro kämen nochmals 150.000 Euro Eigenleistungen hinzu, mit denen er in Vorleistung gegangen sei, „um endlich enkeltauglich bauen zu können“.
Mindestens gleichwertig
Eine Tonne RC-Split in einer Körnung von zwei bis 16 Millimetern aus recyceltem Bauschutt bindet fünf Kilogramm CO2. Bei Betonbrechsand, der ab April 2025 für die Frischbetonherstellung in Deutschland beigemischt werden darf, liegt der Wert je Tonne sogar bei 22 Kilogramm. Das belegen bisherige Erfahrungen. Beide mit CO2 angereicherte Materialien werden in der Schweiz seit 2021 als Zuschlagstoff im Hoch- und im Tiefbau verwendet.
In der Praxis kippt ein Radlader den mit Zement versetzten recycelten Split tonnenweise in einen Silobunker, aus dem ein Spezialcontainer mit 40 Tonnen randvoll befüllt wird. Nun wird der Container, der im Inneren mit Rohren versehen ist, luftdicht verschraubt, und das flüssige CO2 aus einem Tank, das zuvor in Biogasanlagen neben Methan abgeschieden wurde, wird mit einem Verdampfer gasförmig gemacht und nun präzise in den Splitcontainer zudosiert. Da das Gas schwerer als Luft ist, durchdringt es den Behälter von unten nach oben. Nach gut drei Stunden haben die Zementpartikel im Split knapp 200 Kilogramm CO2 aufgenommen und der Prozess ist abgeschlossen.
Das Material kann nun auf die Baustelle oder ins Betonwerk gefahren werden. In drei Durchläufen pro Tag, so der Plan, werden rund 500 Kilogramm CO2 gebunden. Hersteller Holcim, der sich dem möglichst nachhaltigen Beton verpflichtet fühlt, ist mit seinem Werk im 25 Kilometer entfernten Stuttgarter Neckarhafen Kooperationspartner. Dessen Regionalleiter Hagen Aichele, der bei der Einweihung vor Ort war: „Versuche in unserem Prüflabor haben bereits 2021 ergeben, dass der karbonisierte Zuschlagstoff mindestens gleichwertig ist.“
Zement einsparen
Neustark-Geschäftsführer Gutknecht meint sogar, man könne dadurch einige Prozentpunkte an Zement einsparen, weil durch die CO2-Zugabe ein Teil des im Zuschlagstoff enthaltenen alten Zements reaktiviert werde. Aktuell erlaubt die deutsche Baunorm, dass RC-Beton zu 35 Prozent aus recyceltem Zuschlagstoff hergestellt werden darf. Ein Fünftel dieses Zuschlagstoffs wiederum soll künftig aus Betonbrechsand bestehen dürfen, der sogar 22 Kilogramm CO2 je Tonne bindet. Der Grund: Bei der Produktion von Zement werden oberhalb von 1.000 Grad Celsius bei der Kalkverbrennung 60 Kilo des klimaschädlichen CO2s je Tonne Zement freigesetzt. Im Labor kann der Kalk bereits wieder bis zu 30 Kilogramm aufnehmen. Auch die Oberflächen von Betonwänden absorbieren deshalb über die Jahrzehnte wieder in geringem Maß das klimaschädliche Gas, das in der Luft einen Anteil von fünf Prozent hat.
Gutknecht rechnet vor, dass die Herstellung von einer Tonne Zement 500 Kilogramm CO2 emittiert. Mit der stationären Anlage im Dauerbetrieb könne Feess täglich 800 bis 1.000 Kilogramm CO2 vor allem in Frostschutzmaterial für den Straßen-, Garten- und Landschaftsbau, Betonbrechsand, aber auch in Split binden. Gutknecht: „Was unser Container mit einer Füllung Split in drei Stunden an CO2 bindet, entspricht der Jahreskapazität von zehn Buchen.“ Allein die weltweite Zementproduktion verursache pro Jahr mehr als zwei Milliarden Tonnen CO2. Insgesamt emittiere die Weltwirtschaft 40 Milliarden Tonnen pro Jahr.
Dank Feess‘ Zuschlagstoffen
Die Logik des Betriebswirts: 90 Prozent dieser Emissionen würden bis 2050 durch Kreislaufwirtschaft, regenerative Energien und Vermeidung eingespart. Die verbleibenden zehn Prozent müssten permanent gespeichert werden. In der Schweiz hat Neustark bislang acht stationäre Anlagen verkauft, zum Beispiel an Holcim. Diese lassen die Berner bei einem Anlagenbauer nach ihren Konstruktionsplänen produzieren. Das Unternehmen selbst beschränkt sich auf das Engineering, die Zertifizierung der Anlagen und Prozesse, deren Vertrieb und die CO2-Logistik. So kauft etwa Google deren Zertifikate, um in der Bilanz CO2-neutral zu sein. Dank Feess‘ Zuschlagstoffen liegt in der Region Stuttgart seit Jahren die Recyclingquote bei bundesweit einmaligen 50 Prozent – der bundesweite Wert dürfte allenfalls auf zwei Prozent kommen. Mit den zehn Silos auf dem Stuttgarter Holcim-Werksgelände hat der Hersteller die nötige Variabilität; meist verfügen Betonwerke nur über fünf Silos. Zudem müsse ab April der dann auch in Deutschland zugelassene Betonbrechsand möglichst tagesaktuell verarbeitet werden, da er wegen seines Zementanteils rasch verklumpt, sagt Hagen Aichele. Hinzu kämen immer neue Rezepturen im Zementbereich.
Erfahrungen mit „Öko-Beton“
Vom baden-württembergischen Umweltministerium war der Vize-Referatsleiter für mineralische Abfälle, Dr. Daniel Laux, in das Projekt involviert. Seinen Zuspruch werden die Akteure noch brauchen, wenn es um baurechtliche Verfahren, Normen, Genehmigungen und verwaltungsinterne Aufklärung geht. Zumal eine Straße für 500.000 Euro mit karbonatisiertem Rezyklat maximal 1.000 Euro mehr kostet, um die Investition zu refinanzieren. Über die CO2-Zertifikate dagegen finanziert Feess seine Personal- und Stromkosten. In der Schweiz gilt dagegen ein deutlich liberaleres Baurecht, weil der Gesetzgeber auf die Eigenverantwortung der Bauherren und -verantwortlichen setzt. Auch ist die CO2-Steuer seit Jahren um ein Mehrfaches höher. Auf der Berliner Großbaustelle „Friedenauer Höhe“ wurde bereits 2022 karbonatisiertes Betonrückbaumaterial von Neustark eingesetzt. Dort sind zehn Kilogramm CO2 je Kubikmeter Beton gebunden. Saidah Bojens, Projektentwicklerin von Bauträger Instone, war es wichtig, mit „Öko-Beton“ Erfahrung zu sammeln. Und in Rubigen bei Bern bringt Gutknecht auf dem Gelände der Kästli Bau AG 30 Tonnen flüssiges CO2 aus einem Tank in den recycelten Bauschutt ein. Das Gas stammt aus der Berner Abwasserreinigungsanlage, in der das Faulgas aus dem Klärschlamm in die Fraktionen Methan und Kohlendioxid aufgespalten wird. Und während das Methan ins Erdgasnetz eingespeist wird, nimmt Neustark dem Klärwerk 2.000 Tonnen CO2 pro Jahr ab und bindet es mineralisch.
Autor: Leonhard Fromm, freier Journalist
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2025, Seite 33, Fotos: Leonhard Fromm)