Der Kompass für Wettbewerbsfähigkeit: Lässt die EU endlich Taten folgen?

Er soll die europäische Volkswirtschaft wieder wettbewerbsfähig machen, nachhaltigen Wohlstand sichern und den ersten klimaneutralen Kontinent ermöglichen: der „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“, den die EU-Kommission am 29. Januar 2025 vorstellte. Die Reaktionen der Industrie auf ihn fielen gemischt aus.

Es steht außer Zweifel: In den letzten zwei Jahrzehnten ist Europa wegen einer seit längerer Zeit bestehenden Lücke im Produktivitätswachstum hinter anderen großen Volkswirtschaften zurückgefallen. Dennoch könne der Trend umgekehrt werden, erklärt Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission: „Europa hat alles, was es braucht, um bei diesem Rennen zu gewinnen. Gleichzeitig müssen wir jedoch unsere Schwächen überwinden und wieder wettbewerbsfähig werden.“ Als Fahrplan liegt nun der „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ vor, der als strategischer Leitfaden für die Wirtschaftspolitik in der Legislaturperiode 2024 bis 2029 dienen soll.

Die Änderungen im Einzelnen:
1. Schließung der Innovationslücke
2. Ein gemeinsamer Fahrplan für Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit
3. Die Verringerung übermäßiger Abhängigkeiten und Stärkung der Sicherheit
4. Drastische Reduzierung und Vereinfachung des Regelungs- und Verwaltungsaufwands
5. Abbau von Hindernissen für den Binnenmarkt
6. Finanzierung der Wettbewerbsfähigkeit
7. Förderung von Kompetenzen und hochwertigen Arbeitsplätzen
8. Bessere Koordinierung der politischen Maßnahmen auf EU- und nationaler Ebene

BDE: Kreislaufwirtschaft bleibt unterrepräsentiert
Der BDE findet im „Kompass für Wettbewerbsfähigkeit“ viele positive Ansätze, sieht aber eine entscheidende Lücke darin, dass die Kreislaufwirtschaft im Wettbewerbskompass nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dabei sei sie essenziell für Dekarbonisierung, Ressourcenschonung und die Reduzierung der Abhängigkeit von Rohstoffen aus Drittstaaten. Demgegenüber müsse die Recyclingindustrie stärker unterstützt werden, fordert BDE-Präsidentin Anja Siegesmund. Denn „ohne klare Rahmenbedingungen und gleiche Wettbewerbsbedingungen im Vergleich zur Primärstoffindustrie bleiben Rezyklate aufgrund höherer Produktionskosten nicht konkurrenzfähig“. Auch müsse die Recyclingwirtschaft vor unfairen Wettbewerbsbedingungen durch Importe aus Drittstaaten geschützt werden. Und schließlich dürften wichtige Gesetzesinitiativen wie die Revision der Richtlinie zur öffentlichen Beschaffung sowie der Circular Economy Act nicht erst 2026 oder noch später realisiert werden. Verzögerungen anstelle beschleunigter Gesetzesinitiativen würden wertvolle Zeit kosten und den Fortschritt gefährden.

In diesem Zusammenhang stellt sich für die EU-Kommission auch die Frage nach einem Abbau der Bürokratie. Geplant sind eine umfassende Entbürokratisierung, schnellere Genehmigungsverfahren und eine Vereinfachung bestehender Vorschriften – darunter die Taxonomie-Verordnung und das EU-Lieferkettengesetz. „Die Reduzierung bürokratischer Hürden ist ein überfälliger Schritt, den der BDE ausdrücklich unterstützt“, betont Anja Siegesmund. „Der Mittelstand, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, benötigt dringend effizientere Verwaltungsprozesse. Wir begrüßen, dass die Kommission einheitliche Wettbewerbsbedingungen in der EU schaffen will, und fordern die Bundesregierung sowie die Länderregierungen auf, beim Bürokratieabbau entschlossen mitzuwirken.“

VDM & BDSV: Klare Strategien und Planbarkeit gefordert
Die Europäische Kommission betont in ihrem „Kompass für die Wettbewerbsfähigkeit“ die entscheidende Rolle der Kreislaufwirtschaft für Dekarbonisierung, Wettbewerbsfähigkeit und wirtschaftliche Sicherheit. Die Verbände VDM und BDSV fordern in ihrer gemeinsamen Stellungnahme jedoch vor allem eine aktivere Rohstoffpolitik im Bereich der Recyclingrohstoffe: „Es reicht nicht aus, Verordnungen zu erlassen und darauf zu warten, dass andere Regierungen reagieren. Wir brauchen klare Strategien und Planbarkeit.“ Daher begrüßen beide Verbände die Bestrebungen, einen Binnenmarkt für recycelte Rohstoffe zu schaffen.

Allerdings sei zukünftig eine radikale Liberalisierung des EU-Binnenhandels notwendig, „damit recycelte Rohstoffe schnell und effizient von A nach B gelangen“. In diesem Zusammenhang sei es auch fraglich, ob in Zeiten, in denen weniger Bürokratie gefordert wird, weitere Gesetze wie der Circular Economy Act die Herausforderungen der Branche tatsächlich lösen können. „Wir brauchen weniger Hürden und mehr Flexibilität, um die Kreislaufwirtschaft nachhaltig zu stärken“, machen die Verbände deutlich. Um langfristige Entscheidungen treffen zu können, seien Planungssicherheit, Verbindlichkeit und Transparenz gefordert: Die bisherigen Gesetze aus Brüssel hätten zwar Gutes gewollt, aber in der Praxis vieles verkompliziert.

VKU: Gesetzgebung vereinfachen
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) unterstützt explizit die Bestrebungen, die europäische Wettbewerbsfähigkeit im globalen Kontext zu stärken und die Integration des Binnenmarktes voranzutreiben. Das gilt ganz besonders für das Ziel, Bürokratie und regulatorische Hürden abzubauen sowie Entscheidungsfindung und Genehmigungsprozesse zu beschleunigen.

Der Kompass für Wettbewerbsfähigkeit dient hier als zusammenfassendes Strategiedokument, das noch keine Gesetzgebungsvorschläge enthält, sie aber mit Quartalsangaben ankündigt. Darunter sind auch Vorhaben mit Relevanz für die Kommunalwirtschaft. Die Gesetzgebung soll besser koordiniert und vereinfacht werden, insbesondere über den Abbau von Berichtspflichten. Der Kompass greift auch die bereits angelaufene Überarbeitung des Vergaberechts auf. Konkrete Maßnahmen zum „Clean Industrial Deal“ zur besseren Verzahnung von Wettbewerbsfähigkeit und Dekarbonisierung, zum Omnibus-Paket für Bürokratieabbau und die Reduktion von Berichtspflichten sowie für einen Aktionsplan über bezahlbare Energie wollte die EU-Kommission am 26. Februar veröffentlichen (Redaktionsschluss dieser Ausgabe war der 17. Februar).

FEAD: Kreislauffond notwendig
Die FEAD begrüßt den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit als strategischem Instrument für die nächsten Jahre, das den Wettbewerbsvorteil der EU in einer schnell wechselnden globalen Wirtschaft verstärkt. Dazu seien finanzielle Anreize notwendig, insbesondere durch den vorgeschlagenen Fond für Wettbewerbsfähigkeit. Das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz diene dazu, Investitionen in Recyclingkapazitäten anzuregen, und ermutige die europäische Industrie, neues Material effektiv zu ersetzen. Finanzielle Unterstützung sei notwendig, um diesen Übergang voranzutreiben.

Laut Mario Dragi lassen wir eine Realität zurück, in der frisches Rohmaterial – auf Kosten von Umwelt und Klima – billiger ist als Recyclingmaterialien. Für Enrico Letta – Autor des Reports „Much more than a market“ – liegt die Zukunft in einem kreislauforientierten Binnenmarkt, dessen Grundlage die Gewährleistung gleicher Ausgangsbedingungen für zirkuläre Materialien, Produkte und Dienstleistungen bietet. Allerdings klafft eine Investitionslücke von 27 Milliarden Euro, weshalb die FEAD – zusätzlich zu anderen politischen Maßnahmen – nachdrücklich einen Kreislauffond fordert, um zu sichern, dass die strategische Autonomie Europas gestärkt wird – als Beitrag zu einem grünen und digitalen Übergang. „Die FEAD ist dazu bereit, mit der EU-Kommission den Kompass für Wettbewerbsfähigkeit in verwertbare Maßnahmen umzusetzen, die einen wettbewerbsfähigen, nachhaltigen und zirkulären EU-Binnenmarkt unterstützen“, erklärte FEAD-Präsidentin Claudia Mensi.

VCI: Endlich Taten folgen lassen
Für den Verband der Chemischen Industrie enthält der Wettbewerbs-Kompass wichtige und richtige Punkte für Chemie und Pharma wie Bürokratieabbau, smartere Regulierung, die Förderung von Produktivität und Innovation sowie die Vertiefung des Binnenmarkts. „Ein guter Plan ist ein Anfang, aber Willensbekundungen allein senken in unserer Branche nicht den Blutdruck. Entscheidend ist, dass endlich Taten folgen“, stellt VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup klar. Deshalb fordert er eine schnelle Umsetzung konkreter Maßnahmen; bislang habe die EU ihre Hausaufgaben sträflich vernachlässigt, bleibe bei ihrem Kurs des staatlichen Interventionismus, setze gar im Wettbewerb mit China und den USA zunehmend auf Protektionismus und Subventionen. „Noch mehr staatlicher Einfluss ist für die chemisch-pharmazeutische Industrie ein absolutes No-Go“, sagt Große Entrup. „Der Staat sollte sich aus der Wirtschaft zurückziehen. Und zwar jetzt.“

Plastics Europe: Gezielte finanzielle Anreize nötig
Plastics Europe begrüßt die Veröffentlichung des Wettbewerbsfähigkeits-Kompass‘. Die EU-Kommission erkenne das ungenutzte Wettbewerbspotenzial der Kreislaufwirtschaft sowie die Notwendigkeit, Investitionen in das Recycling zu fördern. Die Branche sei jedoch weiterhin besorgt, da es keine gezielte Strategie für Kunststoffe gibt, obwohl sie zu den meistgenutzten Materialien in Europa gehören. Außerdem wachse der Druck: In ganz Europa schließen bereits Produktionsanlagen – die Kunststoffindustrie, Arbeitsplätze und Investitionen wandern ab, während die Abhängigkeit von Importen wächst. Es bestehe dringender Handlungsbedarf für eine Kunststoffwende.

Europas Kunststoffhersteller fordern daher wiederholt einen Aktionsplan, der EU-Institutionen, Mitgliedstaaten und Industriepartner an einen Tisch bringt, um die spezifischen Herausforderungen der Kunststoffbranche anzugehen und eine maßgeschneiderte politische Strategie zu erarbeiten. Virginia Janssens, Managing Director von Plastics Europe, erklärt: „Es ist gut, dass der Competitiveness Compass zentrale Wettbewerbsprobleme der Industrie anspricht – etwa die Senkung der Energiekosten, den Abbau bürokratischer Hürden und die Schaffung eines besseren Investitionsklimas. Um mit der internationalen Konkurrenz mithalten zu können, sind gezielte finanzielle Anreize für Innovationen im Rahmen des Green Deal nötig.“

Eurofer: Falls Stahl aus Europa verschwindet
Für Eurofer zeigt der Wettbewerbs-Kompass zutreffend die Verwundbarkeit der europäischen Stahlindustrie in einem Klima niedriger Nachfrage, hoher Energiepreise und unlauterem Wettbewerb. Ohne sofortiges Handeln der Europäischen Union werde es weitere Anlagen-Schließungen und Arbeitsplatz-Verluste in der Stahlindustrie geben. „Falls Stahl aus Europa verschwindet, werden Wertschöpfungsketten und Prosperität ebenfalls verschwinden“, machte Eurofer-Generaldirektor Axel Eggert deutlich. Die Stahlindustrie erwarte die Umsetzung eines „European Steel Action Plans“, um eine echte Lösung für längst ausstehende Herausforderungen zu liefern. „Die Initativen, die die Kommission in den nächsten Wochen vorlegt, werden die Lebenserwartung der europäischen Stahlindustrie bestimmen und damit Europas Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit“, fügte Eggert hinzu.

Von einem einzigen Satz profitieren
Allerdings räumt die Eurofer nahestehende Media-Organisation Kallanish Commodities ein, dass die EU-Kommission unter anderem fortschrittliche Werkstoffe ebenso wie Roboter- und Weltraum-Technologien fördern und für weniger Bürokratie und Risiken, die neue Unternehmen vom Entstehen und Größerwerden abhalten, sorgen will. Laut Kommission werden Firmen von einem einzigen Satz an Regelungen profitieren, wo immer sie im Binnenmarkt investieren und operieren.

BDI: Entschlossen auf Wettbewerbsfähigkeit ausrichten
„Es ist höchste Zeit, dass die Europäische Kommission ihren politischen Kompass entschlossen auf Wettbewerbsfähigkeit ausrichtet“, postuliert BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner angesichts des EU-Kompasses für Wettbewerbsfähigkeit. Die Unternehmen erwarten dringend klare Maßnahmen für Innovation, Entbürokratisierung und niedrigere Energiepreise am Standort Europa. Nur aus einer Position der Stärke heraus werde es Europa gelingen, den USA sowie China in dieser geopolitischen Lage auf Augenhöhe zu begegnen.

Nach Darstellung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie bedeutet Bürokratieabbau Wachstumschancen zum Nulltarif. Statt immer kleinteiligerer Regulierungen, Verbote und Einzelfall-Interventionen – Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber unternehmerischer Tätigkeit – müssen marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen und unternehmerische Anreize gestärkt werden. Die Europäische Kommission muss mit dem angekündigten Omnibus nicht nur Berichtspflichten abbauen, sondern auch die Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen, das EU-Lieferkettengesetz sowie die Taxonomie-Verordnung substanziell ändern. Weitere Entlastungsinitiativen müssen folgen.

VBI: Omnibus bringt Entlastung
Der Verband Beratender Ingenieure (VBI) begrüßt die Bestrebungen der EU-Kommission, die europäische Wirtschaft zu stärken und zu entlasten. Vor allem in Zeiten großer Herausforderungen für Unternehmen ist der Abbau bürokratischer Hürden ein entscheidender Schritt, um die Wettbewerbsfähigkeit in Europa und Deutschland zu sichern. Insbesondere redundante Berichtspflichten binden sowohl Personal als auch Ressourcen in Ingenieurbüros und bei Auftraggebern. Die geplante Omnibus-Richtlinie der EU stellt hier einen wichtigen Entlastungsschritt dar. Bei der nationalen Umsetzung der Brüsseler Vorgaben muss zudem darauf geachtet werden, dass keine Dopplungen entstehen.

DNR: Deregulierung statt robustem Klimaschutz
Umweltorganisationen äußern scharfe Kritik am Kompass. Der Deutsche Naturschutzring (DNR) befürchtet, dass die geplante Deregulierung Umwelt- und Sozialstandards aushöhlen und zentrale Elemente des Green Deals schwächen könnte. Während der Fokus auf Elektrifizierung und erneuerbare Energien begrüßt wird, warnen Kritiker vor einer unklaren Technologieoffenheit, die öffentliche Gelder in ineffiziente oder wenig nachhaltige Projekte wie CCS oder Wasserstofftechnologien lenken könnte.

Als Streitpunkt gilt auch das Omnibus-Paket, das Berichtspflichten für Unternehmen reduzieren soll, jedoch zentrale Regelungen wie die CSRD Nachhaltigkeitsberichterstattung und CSDDD EU-Lieferketten-Richtlinie abschwächen könnte. Kritiker sehen darin eine „Lizenz für Unternehmen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen“, während die EU soziale und ökologische Standards opfert. Zudem fehlt eine direkte Bezugnahme auf den Green Deal als strategischer Leitlinie, was den Eindruck erweckt, dass Klimaschutz nur noch eine Nebenrolle spielt. Hinzu kommt eine unklare Finanzierung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen. Zwischen dem Ende der Aufbau- und Resilienzfazilität 2026 und dem nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2028 droht eine Finanzierungslücke, ohne dass die Kommission eine Lösung präsentiert hat. Kritiker fordern klare Investitionspläne und ambitionierte Klimaziele, anstatt Deregulierung als Wachstumsstrategie zu priorisieren.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck fasste die Aufgabenstellung des Wettbewerbskompass‘ ebenso kurz wie treffend zusammen: „Die Ziele sind dabei klar: Wir brauchen mehr Innovation, weniger Bürokratie und einfachere Regulierung, eine Beschleunigung der grünen und digitalen Transformation, massive Investitionen und eine Stärkung der Resilienz.“ Und Mariana Kühnel, stellvertretende Generalsekretärin der Wirtschaftskammer Österreich, formulierte es so: „Europa muss den Wettbewerbs-Turbo zünden, damit wir wieder zu unseren internationalen Konkurrenten aufschließen können.“

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 03/2025, Seite 6, Foto: Gerd Altmann / pixabay.com)