Ernst Ulrich von Weizsäcker: Recycling ist gut, Kreislauf ist besser

Auf der IFAT skizzierte der Co-Präsident des Club of Rome, welche Chancen eine ernst gemeinte Kreislaufwirtschaft bieten könnte.

Die Industrienationen bemühen sich um die Entkoppelung von Wohlstand und Naturverbrauch. Bei Schadstoffen funktioniert die Kontrolle, nicht aber für Ressourcen. Denn weniger Verbrauch an Ressourcen bedeutet statistisch gesehen Armut. Folglich erhöht sich der Ressourceneinsatz permanent. Würde jedoch die gesamte Weltbevölkerung mit dem jetzigen Lebensstil der USA leben wollen, würden fünf Erden benötigt, kritisiert Ernst Ulrich von Weizsäcker, Co-Präsident des Club of Rome. Und skizzierte am 16. Mai auf der IFAT, welche Chancen eine ernstgemeinte Kreislaufwirtschaft bieten könnte.

Eine Verfünffachung wäre technisch möglich

Je reicher ein Land ist, umso mehr Ressourcen verbraucht es. Das Verhältnis müsste sich umkehren – laut Weizsäcker eine gigantische zivilisatorische Aufgabe, die noch nicht einmal begonnen wurde. Mit dafür notwendigen politischen Optionen befasste sich der 2. UNEP-Entkoppelungsbericht. Abkoppelung vom Naturverbrauch durch bloße Reifung (Überwinden ursprünglicher Schwerfälligkeit, Infrastrukturverbesserungen) oder durch Handel (Export von Problemen) reichen nicht aus, sondern erst eine absichtliche Verschärfung der Ressourcenproduktivität, die eine Verfünffachung und spätere Verzehnfachung zum Ziel hat. Dabei muss den Entwicklungsländern geholfen werden, denn wenn diese erst einmal die Entwicklung der Industrieländer durchlaufen müssen, sei es zu spät. Eine Verfünffachung wäre technisch durchaus möglich, aber nicht ökonomisch, weil alle Länder der Welt dafür sorgen, dass alle Ressourcen – wie Energie und Wasser – so billig wie möglich sind.

Ressourcen möglichst billig verkauft

Wie eine Arbeitsgruppe der Yale-Universität herausfand, liegt die Recyclingrate von Hochtechnologiemetallen – mit Ausnahme von Platin und Gold – bei einem Prozent und darunter. 2010 war Europa bei etlichen Metallen zu 100 Prozent auf Importe angewiesen. Das müsse dringend korrigiert werden, der Mobilität willen. Recycling allein ist nicht gut genug; es müssten neue Geschäftsmodelle entwickelt werden: mehr Reparatur, mehr Wartung und mehr Leasing, um die Wertschöpfung nicht zu vermindern. Vermindert wird lediglich der Abfall. Noch lohne es sich nicht, unter anderem, weil Ressourcen möglichst billig verkauft werden.

Ein sorgfältiges Re-Design vorsehen

Recycling ist nur eine von fünf Komponenten der Kreislaufwirtschaft und nicht gut genug. Im Vereinigten Königreich wurden 2015 die Ressourcen zu 91 Prozent linear verbraucht und nur neun Prozent zirkulär. Ein UNEP-Bericht aus dem Jahr 2013 über Chancen, Grenzen und In­frastrukturen von Metallrecycling schlug demgegenüber vor, die „großen“ Metalle wie Aluminium, Eisen oder Zink über gewöhnliches Recycling rückzugewinnen, aber für die „kleinen“ Metalle wie beispielsweise im Handy ein sorgfältiges Re-Design vorzusehen.

Vorteile von bis zu 1,8 Billionen Euro

Wie Professor Nabil Nasr, Mitglied im Internationalen Ressourcen Gremium, betont, hielten früher Produkte länger als ihre Komponenten, weil sie Wartung und Reparaturen erforderten. Heutzutage jedoch halten Komponenten länger als die Produkte, in denen sie verbaut sind. Daher könne sich die Gestaltung der Komponenten als Module, die mehrfach wiederverwendet werden können und wertvolle seltene Metalle erhalten, lohnen: Laut dem Circular Economy Report von Ellen MacArthur Foundation und McKinsey aus dem Jahr 2015 liefert der Übergang zu einem Wachstum mit einem Kreislaufwirtschaftsmodell bessere Ergebnisse für die europäische Wirtschaft und jährliche Vorteile von bis zu 1,8 Billionen Euro bis 2030.

Bislang unterschätzt: eine Direktpreis-Vergabe

Ernst Ulrich von Weizsäcker (Foto: Dr. Jürgen Kroll)

Auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos erklärten 30 führende Firmen mit einem Gesamtumsatz von rund 1,3 Billionen US-Dollar, ihre Kräfte zur Einführung einer Kreislaufwirtschaft unter der Bezeichnung „Faktor 10-Initiative“ zu bündeln. Wie die letzten von Ernst Ulrich von Weizsäcker herausgegebenen Schriften „Come on!“ und „Wir sind dran. Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen“ belegen, lässt sich viel bewirken. Aber es müsse sich auch in der Politik einiges ändern, damit es richtig lukraktiv wird. Der typische Zugriff der Politik läuft über Standardisierung und administrative Regeln inklusive Verboten oder über handelbare Zertifikate zu Luft, Wasser oder Landverbrauch, die zumeist sofort von der Industrie kritisiert werden. Der Co-Präsident des Club of Rome plädiert in diesem Zusammenhang für eine dritte politische Option: die (bislang unterschätzte) Direktpreis-Vergabe. Selbstredend müssen dabei Kapitalvernichtung, industrielle Abwanderung und soziale Ungerechtigkeiten vermieden werden.

Ein neues Ressourcen-Ping-Pong

Seiner Ansicht nach empfiehlt es sich, Energie- und Ressourcen-Preise in Relation zu den nachgewiesenen durchschnittlichen Effizienzanstiegen anzuheben. Allerdings unter Beachtung lebenswichtiger Tarife für Arme und Umsatzneutralität für gefährdete Branchen. Dann könne es zu einem Ping-Pong-Effekt zwischen Recyclingraten und Preisen von Primärmaterialien beziehungsweise im Energiesektor zwischen Effizienzgewinnen und Strompreisen kommen. Ein solcher Effekt ist 150 Jahre alt: Seitdem stiegen die Löhne parallel zur Arbeitsproduktivität um das 20-fache. Vergleichbar könnte ein neues Ressourcen-Ping-Pong einen – möglicherweise fünffachen – Anstieg der durchschnittlichen Ressourcen-Produktivität innerhalb der nächsten 40 Jahre bewirken. Und dadurch die Recyclingindustrie forcieren, gleichzeitig Wartung, Wiederverwendung und Wiederaufarbeitung ankurbeln und Europas Abhängigkeit von Importen reduzieren.

Zwar rechnet Ernst Ulrich von Weizsäcker nicht damit, dass sich diese Vorstellungen sehr schnell umsetzen werden. Aber wenn Europa und andere innovative Ländern oder Unternehmen davon erste Vorteile genießen, würden andere folgen.

Foto: Dr. Jürgen Kroll

(EU-Recycling 07/2018, Seite 16)

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