Internationaler Automobilrecycling-Kongress (IARC) 2019: „Wir müssen Recycling noch lernen“

In keinem anderen Industriesektor vollziehen sich derzeit so viele „radikale“ Veränderungen wie in der Automobilindustrie. Der politische und öffentliche Druck, CO2-Emissionen zu senken, treibt die Entwicklung von Leichtbau und Elektromobilität voran, stellt jedoch die Recyclingwirtschaft vor große Herausforderungen – insbesondere wenn es darum geht, neue Arten von Verbundwerkstoffen aufzubereiten und dem Verwertungskreislauf zuzuführen.

Zu diesen Erkenntnissen gelangte der diesjährige Internationale Automobilrecycling-Kongress (IARC) vom 20. bis 22. März in Wien mit 220 Teilnehmern aus 24 Ländern. 21 namhafte Unternehmen im Ausstellerforum flankierten die Tagung und informierten über neue Produkte, Dienstleistungen und Technologien. Die Werksbesichtigungen gingen zu den Firmen Scholz Austria Group in Laxenburg und voestalpine in Linz.

Keynote Speaker Patrick Schaufuss vom Beratungsunternehmen McKinsey appellierte an die Automobilindustrie, recycelfähige Fahrzeuge zu bauen und entsprechend dem Trend zum Leichtbau Kunststoffrezyklate einzusetzen. Weiterhin gibt es hier starke Vorbehalte, wie auch der Referent von Volvo Car Corporation, Niklas Kilberg, festhielt: „Wir müssen Recycling noch lernen.“ In der Branche werde Kunststoffrecycling immer noch als Downcycling falsch verstanden und gleichgesetzt; dabei ließen sich im Ergebnis hervorragende Qualitäten erzielen. Volvo will hier mit gutem Beispiel vorangehen und im Jahr 2025 Neuwagen mit 25 Prozent Kunststoffrezyklat-Anteil auf den Markt bringen. 50 Prozent der Fahrzeugmodelle des schwedischen Herstellers würden dann reine E-Autos sein, kündigte Kilberg zudem an.

Immer nachhaltig und „grün“?

Der Elektromobilität kommt eine Schlüsselrolle zu, um die Klimaschutzziele – als größte Herausforderung unserer Zeit – zu erreichen. Das machte auch der Vortrag von Charles Stuych auf dem 19. IARC deutlich. Dabei räumte der Experte von Umicore Battery Recycling in Belgien mit dem Mythos auf, dass Recycling immer nachhaltig und „grünes“ Wirtschaften sei. „Es ist sogar eine sehr schmutzige Industrie, wenn man sich weltweit und insbesondere in vielen Ländern Afrikas und Asiens die Rückgewinnungsmethoden von Wertstoffen aus Altfahrzeugen oder Elektroschrott anschaut“, sagte Stuych, der darüber hinaus glaubt: Die Recyclingwirtschaft muss sich im anbrechenden Elektromobilität-Zeitalter auf gravierende Veränderungen in ihrem Geschäft einstellen.

In welchem Umfang sich die Elektromobilität in absehbarer Zeit durchsetzen wird, ist gegenwärtig jedoch kaum zu beantworten, da die Datenlage bislang nicht ausreicht, um verlässliche und belastbare Aussagen treffen zu können. Besondere Aufmerksamkeit erfuhr in diesem Zusammenhang auch die Frage: Wer ist zukünftig Eigentümer eines Fahrzeugs? So berichteten IARC-Teilnehmer von Gedankenspielen der Europäischen Kommission, dass das traditionelle Modell des privaten Eigentumserwerbs zum Beispiel durch ein Leasingmodell abgelöst werden könnte, um Fahrzeugflotten schneller auszutauschen und an technische Entwicklungen anzupassen.

Skeptischer gegenüber dem wirtschaftlichen Umfeld

Der Internationale Automobilrecycling-Kongress führte zum ersten Mal eine Umfrage unter den Teilnehmern zur Stimmungslage in der Branche durch. Ergebnis: Das wirtschaftliche Umfeld wird skeptischer betrachtet. Zwar beurteilen die Umfrage-Teilnehmer zu 56 Prozent mehrheitlich die aktuelle wirtschaftliche Situation als günstig, doch rund 30 Prozent sehen keine Veränderung zum Vorjahr und jeder siebte Befragte gab an, mit der aktuellen Entwicklung unzufrieden zu sein. Wie der Veranstalter des IARC, die Schweizer ICM AG, hinweist, ist die Umfrage nicht repräsentativ. Das Ergebnis wird als Stimmungsbarometer während des Kongresses gewertet.

Aber wie dem auch sei: Vielen Umfrage-Teilnehmern bereiten die Protektionismus-Politik der USA und anderer Staaten mit der Folge von Handelsbeschränkungen und -konflikten, die weltweit zunehmen, große Sorgen. Die Unsicherheit wachse in der Recyclingbranche und es werde immer schwieriger, die Marktpreisentwicklung bei Fe- und NE-Metallschrotten zu prognostizieren, äußerten einige Befragte. Andererseits werden die Aussichten für die europäische Wirtschaft und das Potenzial im Recyclinggeschäft überwiegend positiv eingeschätzt, obwohl sich die Konjunktur gerade eintrübt.

Fehlende Harmonisierung: Jede Richtlinie sagt was anderes

Bezüglich der rechtlichen Rahmenbedingungen stellte Artemis Hatzi-Hull von der Europäischen Kommission den aktuellen Stand der geplanten Überarbeitung der EU-Altfahrzeug-Richtlinie vor. In der Diskussion darüber wurde einmal mehr die Forderung nach einer Harmonisierung der verschiedenen nationalen und EU-weit gültigen Direktiven und Verordnungen zum Thema Recycling laut, die unterschiedliche Interpretationen in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten ermöglichen. So geht es zum Beispiel in jeder EU-Richtlinie um die Entsorgung und Behandlung von Altbatterien. Und jede sagt etwas anderes darüber, kritisierten IARC-Teilnehmer. Die Branche hätte dadurch gravierende Wettbewerbsnachteile.

Die Session „Gesetzgebung und Regulierung“ erfuhr auch einen viel beachteten Vortrag von Chris Slijkhuis, der die Veränderungen für die Recyclingwirtschaft durch die Chemisierung des Abfallrechts verdeutlichte. Der Experte von der Müller-Guttenbrunn Gruppe in Österreich zeigte hier detailliert auf, wie sich die Übernahme der Gefährlichkeitskriterien des Chemikalienrechts in das Abfallrecht auf die Branche auswirkt.

Die Risikofaktoren im Abfallrecht würden ausreichen

Chris Slijkhuis (Foto: ICM AG)

Nach Ansicht von Slijkhuis werden sich sektorale Prozessabläufe verändern und die Recyclingwirtschaft belasten. Der Verordnungsvorschlag zur Verschärfung der EU-Vorschriften für persistente organische Schadstoffe (POP) sei nicht nachvollziehbar und wissenschaftlich unbegründet, insbesondere was die Halbierung des Grenzwertes für das bromierte Flammschutzmittel DecaBDE von bisher 1.000 auf 500 parts per million (ppm) anlangt. Slijkhuis sieht dadurch die Fortschritte der letzten Jahre beim Recycling von Kunststoffen aus insbesondere Elektronikschrott gefährdet. Statt zu steigen, würden die stofflichen Wiederverwertungsquoten sinken und wieder mehr Kunststoffe in der thermischen Entsorgung landen – mit der Folge von weiteren Kapazitätsengpässen im Verbrennungsmarkt.

Die Einhaltung des neuen Grenzwerts für DecaBDE und andere bromierte Diphenylether erfordere neue Messtechniken, die noch nicht im Markt verfügbar seien. Recycler würden daher in der Praxis mehr Kunststoffe aussortieren, um den Grenzwert zu garantieren. Slijkhuis hält die im Abfallrecht verankerten Risikofaktoren für völlig ausreichend, um das Recycling umweltgerecht und nachhaltig zu gestalten. Das eingeführte Abfallgefährlichkeits-Kriterium HP 14 (ökotoxisch) hingegen würde das Recycling erschweren. So würden aufgrund mangelnder Harmonisierung des Kriteriums bestimmte Abfälle unterschiedlich von EU-Land zu EU-Land (und auch Regionen) definiert: als gefährlicher oder nicht-gefährlicher Abfall. Chris Slijkhuis sprach sich abschließend für einen offenen Markt in Europa für Sekundärrohstoffe und eine bessere Kommunikation von chemischer Industrie und Kreislaufwirtschaft aus. Weitere Vorträge zu den technologischen Entwicklungen im Automobilrecycling stellten dann vor allem neue Sortier- und Klassifizierungsverfahren für Metallschrott vor. So präsentierte zum Beispiel Lorenzo Bacchetti vom italienischen Unternehmen Danieli Centro Cranes den „automatischen Schrottplatz“: Angelieferter Schrott wird hier mithilfe künstlicher Intelligenz und dem Einsatz von Laserscanner und Sensoren, die an Hallenkränen installiert sind, klassifiziert.

Für eine andere Recyclingpolitik in Argentinien

Foto: ICM AG

Länderberichte aus Argentinien, Deutschland und Indien zu Chancen und Herausforderungen des Automobilrecyclings rundeten das Vortragsprogramm ab. Referent Maximiliano Marques vom argentinischen Unternehmen Nuevo Horizonte S.A. bezeichnete dabei die Verhältnisse in seinem Heimatland als sehr rückständig. Die Entwicklung hin zu einer modernen Recyclingwirtschaft mit entsprechender Infrastruktur werde durch eine seiner Meinung nach restriktive Gesetzeslage behindert. Der Markt könne sich dadurch nicht frei entfalten; Unternehmen würden mit Recycling kein Geld verdienen.

Die Verschärfung der Gesetze ist allerdings Folge zahlreicher Verstrickungen der argentinischen Recyclingbranche in kriminelle Aktivitäten. Nach Gesetzeslage ist es in Argentinien verboten, Fahrzeugkarosserien zu recyceln und gebrauchte Autoteile zu importieren. Der Verkauf beschädigter, ausrangierter Fahrzeuge zum Abwracken und Verschrotten obliegt Versicherungsgesellschaften. Die Demontagebetriebe müssen dazu staatlich registriert sein und ihre Registrierung jedes Jahr erneuern. Nur 30 bestimmte, in der Regel nicht wertvolle Fahrzeugkomponenten dürfen zum Zweck der Wiederverwendung in den Gebrauchtmarkt verkauft werden. Alles andere, darunter Sitze, Scheinwerfer, Reifen, Felgen, muss „zerstört“ und dem Materialrecycling zugeführt werden. Das Abwracken hat dabei in weniger als 15 Tagen zu erfolgen. Alle Prozesse müssen hier rückverfolgbar dokumentiert werden. Jeder Gesetzesverstoß zieht empfindliche Geld- und hohe Haftstrafen nach sich. Auch droht die sofortige Schließung des Unternehmens.

Maximiliano Marques warb auf dem Internationalen Automobilrecycling-Kongress um Unterstützung für eine andere Politik in seinem Land, die das Recycling voranbringt. Willy Tomboy von Recharge in Belgien und Mitglied im IARC-Lenkungsausschuss schlug in diesem Zusammenhang vor, Vertreter der argentinischen Regierung zum nächsten Kongress einzuladen, um mit ihnen die Standpunkte der argentinischen Recyclingindustrie zu diskutieren. 2020 findet der IARC vom 11. bis 13. März in Genf während des Internationalen Automobil-Salons statt.

Foto: Marc Szombathy

(EU-Recycling 05/2019, Seite 10)

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