sensis GmbH: Wie aus analogen Ist-Prozessen digitale Soll-Prozesse werden
Die Software TRAS für die Abfallwirtschaft zählt zu den funktional umfangreichsten Branchenlösungen. Sowohl der gewerbliche als auch der kommunale Betrieb werden vollumfänglich abgedeckt. Das Produkt lässt sich maximal individualisieren und in die IT- und Prozess-Architektur des Kunden einbetten. Und Dipl. Betriebsw. Margit Klinken, Gesellschafterin der sensis GmbH in Viersen am Niederrhein, macht im Gespräch mit EU-Recycling einen weiteren Vorteil aus: „Das ist die Dienstleistung, die dahinter steckt.“
Margit Klinken vertritt bei sensis organisatorisch den Bereich Vertrieb und ist fachlich auf die Themen Schnittstellen, Finanzbuchhaltung, Controlling und Aufbau von Management-Informations-Systemen (MIS) spezialisiert. Seit 1984 ist sie in der Kreislaufwirtschaft tätig.
Frau Klinken, die sensis GmbH, der Sie gemeinsam mit Jörg Boland, Raimund Crynen und Reimund Kann vorstehen, ist im Jahr 2006 durch ein sogenanntes Management-Buy-Out entstanden. Das heißt, sensis ist eine Unternehmensausgründung?
Genau. Die Software TRAS, die wir vertreiben, war ehemals die Inhouse-Lösung eines bekannten Entsorgers mit Sitz am Niederrhein. Wir gehörten diesem Unternehmen an, das von einem großen Konzern aufgekauft wurde. Infolge der Gründung von sensis 2006 hatten wir die Chance, die Produktlizenz zu erwerben und frei für den Entsorgungsmarkt verfügbar zu machen.
Jeder Ihrer vier Gesellschafter ist ein „alter Hase“ der Branche, hat langjährige Berufserfahrung in der Abfallentsorgungs- und Recyclingwirtschaft sowie in den Fachgebieten IT-Consulting und Projektmanagement. Sind Sie schon in dem Vorgängerunternehmen tätig gewesen?
Ja, Jörg Boland, Raimund Crynen, Reimund Kann und ich waren alle zusammen in diesem Unternehmen. Wir arbeiten schon seit über 30 Jahren zusammen und sind heute Teil des Kernteams der sensis GmbH. Dabei haben wir uns als eigene Marke etabliert. Unsere Expertise ist in der Tat, dass wir alle schon sehr lange in der Branche unterwegs sind und damit auch die Prozesse aus einem Unternehmen der Abfallwirtschaft heraus kennen. So ist TRAS auch ursprünglich entstanden – nicht aus der Hersteller-, sondern aus der Anwendersicht. Wir stellen das Produkt zwar mit IT-Know-how her, pflegen aber bei unseren Kunden und Interessenten auch den Consulting-Ansatz, im Sinne von Best Practise.
Was unterstützt die Branchenlösung?
TRAS bildet im Prinzip alle analogen Prozesse in einem Entsorgungs- oder Recyclingunternehmen digital ab. Die ERP-Lösung unterstützt in kommunalen und gewerblichen Betrieben der Abfallwirtschaft die Arbeitsabläufe von Mitarbeitern in Vertrieb, Disposition, Logistik, Lagerverwaltung und Waage bis hin zur Fakturierung. Mit der Software können alle Angebote und Aufträge eines Unternehmens abgewickelt, Rechnungen und Gebührenbescheide erstellt sowie Sammeltouren und Containerdienste geplant und durchgeführt werden. Eine Besonderheit ist auch der ViLa – Virtuelle Laufzettel via eines Mobil-Handhelds, der den klassischen Laufzettel ersetzt. Das Annahmepersonal ist online und immer aktuell über die auf das Betriebsgelände erfolgten Anlieferungen informiert.
Worin liegt der Vorteil für Unternehmen, gerade TRAS einzusetzen?
Der Vorteil liegt in der Chance, das Prozesswissen der Branche, kundenindividuell im Produkt so umzusetzen, dass es in die Struktur einzelner Unternehmen passt. Unser Motto lautet dabei: Ihre Individualität ist unser Standard. Das heißt: Wir haben zwar ein Standard-Produkt, aber wir können das Produkt maximal individualisieren und in die IT- und Prozess-Architektur des Kunden einbetten.
Wodurch unterscheidet sich TRAS von vergleichbaren Produkten anderer Anbieter?
Das ist die Dienstleistung, die dahinter steckt: Prozess-Know-how einfach und sehr individuell beim Kunden einzubringen. Es ist unsere Vorgehensweise bei der Implementierung der Branchenlösung und damit die Flexibilität, auf die kundenspezifischen Prozesse einzugehen. Wir gehören dabei zu den Anbietern, die sowohl den gewerblichen als auch den Kommunalprozess vollumfänglich abdecken können.
Wie läuft die Implementierung beim Kunden ab?
In einem ersten, Workshop-ähnlichen Schritt nehmen wir die Ist-Prozesse des Kunden auf und diskutieren mit ihm intensiv, ob er im Rahmen einer Soll-Prozess-Modellierung bestimmte Veränderungen vornehmen will. Eine IT-Implementierung ist ja immer ein guter Anlass zu sagen: „Jetzt verändere ich etwas.“ Darunter auch – Stichwort: Digitalisierung – analoge Prozesse. Auf diesen Soll-Prozessen, die mit den einzelnen Fachabteilungen beim Kunden erarbeitet werden, folgt dann die Anpassung und Implementierung von TRAS an die Bedürfnisse des Anwenders.
Sie machen sich also zuerst ein Bild von den analogen Geschäftsprozessen?
Die Besprechungen mit den Fachabteilungen eines Unternehmens könnten so ablaufen: „Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, ob man das digital nicht so machen könnte.“ Dann kommen vielleicht Gegenargumente: „Das können wir nicht machen, soweit sind wir noch nicht, das ist noch nie so gemacht worden.“ Oder aber es kommen Kollegen dazu und sagen: „Ach ja, das ist ja schon eine gute Idee, das können wir schon so machen, das würde die Sache vereinfachen.“ Oder ein Anwender sagt: „Mit dem heutigen Prozess habe ich ein Problem, der ist störanfällig, da habe ich viel Aufwand mit.“ Dann nehmen wir diese Anregungen mit auf und entwickeln dafür eine Lösung.
Ihre Leistungen umfassen demnach auch Unternehmensberatung und Qualitätsmanagement?
Qualitätsmanagement bieten wir allein dadurch, dass Kunden unsere Produkte einsetzen, weil sie einen strukturierten, dokumentierten und datenbankgestützten Prozess für ihre Aktivitäten haben wollen. Das ist zum Beispiel bei Entsorgungsfachbetriebs-Prüfungen sehr hilfreich. Das Thema Unternehmensberatung betrifft Consulting-Leistungen rund um die Projekt-Einführung und wenn es um die Veränderung von Prozessen geht.
Und da gibt es auch noch den „Virtuellen Berater“?
Der Virtuelle Berater regt den Kunden – im Prinzip über Funktions-Features – zum Nachdenken an: „Wie könnte
ich Prozesse verändern?“ Also wir fragen einfach bestimmte Funktionalitäten ab und ergänzen das mit unserem Produkt. Nach dem Motto: „Haben Sie dieses oder jenes Problem, dann gibt es bei uns dafür diese oder jene Lösung.“
Ein schönes Beispiel ist unsere Drive-In-Waage (DIWA). Damit können Sie ohne Personal an Ort und Stelle an einer Lkw-Waage Wiegevorgänge durchführen: Der Anlieferer löst über einen Transponder oder Barcode, durch einen Anruf von einem registrierten Handy oder über die Eingabe einer Code-Nummer eine Verwiegung aus. Diese wird in Form eines Wiegescheins dokumentiert und dem Entsorgungsauftrag zugeordnet – auch eine Fotodokumentation der Anlieferung ist möglich. Der Lkw-Fahrer erhält die Rückmeldung der erfolgten Verwiegung über eine Ampel, einen Rückruf oder über ein Display. Nun, der Virtuelle Berater würde in diesem Zusammenhang fragen: „Haben Sie vor der Waage Platz für Fahrzeuge, ist die Waage noch personell besetzt?“ Der interaktive Dialog würde dann raten: „Denken Sie doch mal über eine Drive-In-Waage nach.“ Das sind so Teaser, um die Kunden anzuregen, digitale Prozesse im Rahmen einer Umstellung zu implementieren.
Aber man muss doch bei der Anlieferung die Ware in Augenschein nehmen. Lässt sich das schon digital realisieren?
Ein Platzmeister ist sicher auch in Zukunft nötig, der die Anlieferung kontrolliert und gegebenenfalls das Material analysieren lässt. Wenn der Entsorger oder Recycler nicht weiß, was angeliefert wird, dann kann er selbst mit Foto-Unterstützung nur oben draufgucken; ob darunter noch ein Kühlschrank liegt, ist nicht zu sehen. Das ist keine technologische, sondern eine organisatorische Herausforderung. Mit den Funktionen DiWa und ViLa lässt sich der komplette Annahmeprozess an den Lkw-Waagen digitalisieren, bis hin zur Automatisierung.
Wohin entwickelt sich aus Ihrer Sicht der Markt für ERP-Systeme für die Abfallwirtschaft?
Die Prozesse in der Abfallwirtschaft sind immer noch stark analog. Bei der Digitalisierung von Abläufen hat die Fakturierung enormes Potenzial und Priorität. Auch die Schaffung von interaktiven Kunden-Kommunikationssystemen wird immer wichtiger. Aus der Erfahrung mit der kommunalen Abfallwirtschaft gesprochen: kein Formular mehr ausfüllen, irgendwohin abschicken und auf eine Rückmeldung warten müssen. Sondern über ein Bürgerportal interaktiv Prozesse steuern können, die im Hintergrund direkt und unmittelbar verarbeitet werden. Es ist noch kein Fortschritt, wenn ich als Kunde auf einer Webseite online ein Formular ausfüllen und abschicken kann, dieses dann aber ausgedruckt und im weiteren Prozess analog weitergegeben wird. Ziel sollte sein, diese Prozesse vollautomatisiert ablaufen zu lassen, sodass sie am Ende direkt in der Disposition und Auftragsweiterverarbeitung landen.
Welchen herausragenden Trend beobachten Sie?
Aktuell bieten viele Plattformen nur Einzellösungen an. Die Herausforderung wird sein, dass wir als ERP-Hersteller offene Standard-Schnittstellen anbinden, damit der Kunde im Rahmen seiner IT-Architektur und Bedürfnisse beliebige Fremdservices nutzen kann. Wie zum Beispiel eine Rohstoff-Preise-App oder eine Plattform, auf der ein Unternehmen seine Wertstoffe vermarkten kann. Wir sind damit auch Systemintegrator.
In der Branche sind noch starke Vorbehalte gegenüber dem Zukunftsthema Digitalisierung festzustellen, und mit Veränderungen allgemein tun sich Menschen oft sehr schwer. Wie können hier „Ängste“ überwunden werden?
Sie sprechen dieses Urstör-Gefühl an, wenn man aus seiner Wohlfühl-Komfortzone gerissen wird – in einer Geschwindigkeit, die man vielleicht so nicht kannte. Aber Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung äußert doch eher die ältere Generation, die nicht in der digitalen Welt großgeworden ist. Junge Erwachsene, die jetzt ins Arbeitsleben eintreten, ans Ruder kommen und in Firmen bereits Verantwortung übernehmen, stellen die Entwicklung meistens nicht in Frage und gehen ganz selbstverständlich mit IT-Technologien, Internet & Co. um. Diese Generation der 20- und 30-jährigen will Prozesse in Unternehmen digital-kreativ und online-interaktiv gestalten. Denn die Digitalisierung reduziert nicht – wie gern behauptet – Arbeitsplätze, sondern stattet diese als solche in einer ganz anderen Qualität aus – zum Vorteil des Unternehmens: Abläufe werden vereinfacht und sind darüber hinaus weniger fehler- und störanfällig. Im Ergebnis gibt es weniger Kritik, und es wird ein deutlich angenehmeres Arbeitsumfeld geschaffen. Das muss vermittelt werden! Wichtig auf dem Weg zur Digitalisierung ist dabei, die Mitarbeiter vom ersten Schritt an einzubinden.
Digitalisierung ist also ein Kriterium, damit Unternehmen Fachkräfte kriegen können?
Demografisch betrachtet, steht der Branche zukünftig immer weniger Fachpersonal zur Verfügung. Und das, was verbleibt, darum werden wir uns streiten. So sehe ich das bei vielen Unternehmen der Abfallwirtschaft: Sie müssen als Arbeitgeber attraktiver werden. Wer modern aufgestellt ist, ist ein attraktiver Arbeitgeber. Digitalisierung ist ein Nachfragemarkt, und junge Menschen sind getrieben von dieser Technologie-Unterstützung. Sie können es sich heute schon aussuchen, in welchem Unternehmen sie arbeiten wollen. Das ist anders als früher: Den jungen Leuten geht es nicht nur um einen sicheren und regionalen Arbeitsplatz. Nein, die wollen auch sehen, dass ein Unternehmen innovativ ist!
Welche Innovationen sind aus Ihrem Haus zu erwarten?
Derzeit erweitern wir TRAS e-Billing. Mit unserer Branchenlösung wird es schon bald möglich sein, digitale Rechnungen im ZUGFeRD- und XRechnung-Format zu erzeugen. ZUGFeRD ist ein Standard für einen allgemeinen Rechnungsaustausch, ein hybrides Rechnungsformat nach einer europäischen Norm. Das heißt, die Rechnung besteht aus einer menschenlesbaren PDF- und einer maschinenlesbaren, standardisierten XML-Datei. Hierdurch können ZUGFeRD-Rechnungen sowohl mit Privatpersonen als auch mit Großkonzernen sowie kommunalen Empfängern ausgetauscht werden.
Wir sind dazu Mitglied im BDE-Arbeitskreis „IT-Systeme/Digitale Prozesse“ und beschäftigen uns mit AvaL: Eine standardisierte Schnittstelle soll eine einheitliche Kommunikation der Entsorger untereinander und künftig auch zwischen Entsorgern, deren Kunden und den Behörden ermöglichen. Die zu definierende Schnittstelle zum „Austausch von auftragsbezogenen Leistungsdaten“ (AvaL) wird dabei bewusst offen gestaltet, um systemübergreifend in der Branche den Austausch gleicher oder ähnlicher Leistungsdaten zu gewährleisten. Auf der Tagung der VKU-Landesgruppe Ost in Leipzig, der Berliner Klärschlammkonferenz und der VDI/ITAD-Tagung in Würzburg in diesem sowie im nächsten Jahr auf der IFAT stellen wir unsere Aktivitäten vor.
Frau Klinken, vielen Dank für das Gespräch! (Das Gespräch führte Marc Szombathy)
(EU-Recycling 09/2019, Seite 10, Foto: sensis GmbH )