Kognitive Robotik: Wie Roboter bei flexiblen Fahrzeugdemontagen helfen können

Inwieweit sind flexible automatisierte Demontagen durch Roboter möglich? Lohnen sie sich wirtschaftlich oder ist das nur Science Fiction? Diese Frage versuchte Hendrik Poschmann von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften beim REWIMET-Symposium am 26. August 2021 zu beantworten.

Der Ist-Zustand heutiger Demontagen lässt sich durch einen niedrigen Technisierungsgrad charakterisieren, der viel manuelle Tätigkeit erfordert. Oftmals besteht zwischen dem Demontageprozess und den Produktdaten keine Verknüpfung; zudem macht eine Vielzahl von Produktvarianten eine Automatisierung vielfach unwirtschaftlich. Wünschenswert wären eine Verbindung der Demontage mit Robotik und Ansätzen einer Industrie 4.0 sowie eine durchgängige Nutzung von Daten des Produkts und des Prozesses und damit der Beginn einer Kreislaufwirtschaft bereits bei der Demontage. Wie also lässt sich der Rückbau automatisieren und optimieren, und inwiefern kann der Einsatz von Robotern dabei nützlich sein?

Verlässliche Informationen sind noch Mangelware
Derzeit erweisen sich vor beziehungsweise bei der Demontage verlässliche Informationen zu Bedarf nach dem Material, zu Alter, Marktwert und Allokation der einzelnen Komponenten sowie zu Einzelheiten des anstehenden Prozessverlaufs als problematisch. Hinsichtlich des zu zerlegenden Produkts sorgen die stoffliche Zusammensetzung, seine möglichen verschiedenen Material-Varianten und -Zustände, diverse Verbindungsarten und die Demontierbarkeit für Unklarheit. Somit benötigt eine Demontage auf solchem Niveau hohen Planungs- und Personalaufwand, führt zu niedriger Maschinenauslastung und wirft für die Logistik Fragen auf.

An menschlicher Arbeitskraft messen
In den letzten Jahren hat der Einsatz von Industrierobotern enorm zugenommen. Waren es 2014 noch rund 220.000, erfüllten 2014 bereits etwa 420.000 Aggregate ihre Arbeit. Für 2022 wird eine Installationsquote von annähernd 600.000 vermutet. Aktuelle Entwicklungen bei Leichtbaurobotik, Künstlicher Intelligenz, intuitiven Benutzerschnittstellen, der Mensch-Roboter-Kollaboration und der unter Industrie 4.0 subsummierten Sensorik und Netzwerktechnologie sowie der Zwang zur Kosteneffizienz unterstützen den Trend zu moderner Technologie. Allerdings warnt Hendrik Poschmann vor überzogenen Erwartungen: „Die Anforderungen an eine automatisierte Robotiklösung im Recyclingbereich müssen sich mit den grundlegenden Vorteilen menschlicher Arbeitskräfte messen!“

Noch viele Fragen offen
Eine Reihe von Faktoren muss dazu in Betracht gezogen werden: Wie lassen sich die Bewegungssequenzen und die sinnvollste Reihenfolge bestimmen? Bis in welche Tiefe soll demontiert werden, sodass es technisch machbar, aber auch noch wirtschaftlich realisierbar ist? Wie kann die durch Derivate und Zustände mehrdimensionierte Variantenvielfalt abgebildet werden? Welche Werkzeuge ermöglichen eine optimale Trennung aller Materialverbindungen? Wie lassen sich Produktänderungen und Informationen zum Lebenszyklus berücksichtigen? Und auf welche Art und Weise kann die Marktvolatilität der einzelnen Produktkomponenten einkalkuliert werden? Die Antwort: Nur durch einen durchgängigen und umfassenden Informationsfluss, der Datenverfügbarkeit und -qualität gewährleistet.

Erkenntnis – Wahrnehmung – Demontage
Hendrik Poschmanns Zauberformel hierfür lautet: „Kognitive Robotik“, die Schnittmenge zwischen einerseits Künstlicher Intelligenz/Maschinellem Lernen/Deep Learning und Robotik andererseits. Ihr Ziel: die Integration von Informationen entlang der Vorwärts- und Rückwärts-Lieferkette als Beginn einer sich weiterentwickelnden Kreislaufwirtschaft. Am Beispiel des „Recycling 4.0“-Projekts von TU Clausthal, Ostfalia, TU Braunschweig und Industriepartnern wie MAN, Bosch und VW, das zwischen 2018 und 2021 stattfand, lässt sich das System erklären.

Im Zentrum steht der „Erkenntnisprozessor“ als Schalt- und Entscheidungs-Zentrale, welcher sensorische und statistische Informationen im Lernprozess verarbeitet. Er erhält Informationen aus der Werkhalle der „Systemwahrnehmungs“-Einheit, die per Sensorik, Kamera und KI-Algorithmen das Material identifiziert, erkennt und bewertet. Der Rückbau wird in der Werkstatt der „Demontage“-Einheit“ ausgeführt, die über die notwendigen Mitarbeiter, Werkzeuge, Greifertechniken, Überwachungsinstrumente und Transportsysteme verfügt; sie greift dabei zur Erfüllung ihrer Hauptaufgabe – der Pfadplanung – auf Anweisungen und sensorische Daten der beiden anderen Abteilungen zurück. Die Schaltzentrale steht darüber hinaus in Kontakt mit einem „Informations-Marktplatz“, der Daten von Zulieferern, Erstausrüstern, Kunden und aus der Demontage erhält und seinerseits zur Verfügung stellt.

Simulation per Fallstudie
In einer Fallstudie wurde am Beispiel einer Traktions-Batterie die Recycling 4.0-Vorgehensweise und der zugehörige Kognitionsprozess simuliert. Dazu standen 1.200 generische Datenmodelle von Batteriesystemen zur Verfügung. Es existierte eine direkte Verknüpfung zwischen der Simulation eines bestimmten Fahrzeugmodell-Typs und der experimentellen Zerlegung, deren Daten durch ein einfaches Messaging-Protokoll übertragen wurden. Die Informationen wurden zwischen dem „Erkenntnisprozessor“, der mit einer Genauigkeit von 81,1 Prozent arbeitete, und einer Cloud transferiert.

Lohnender Aufwand
Die Fallstudie brachte deutliche ökonomische Ergebnisse. Die Demontage in Zusammenarbeit von Mensch und Roboter ging um etwa 35 Prozent schneller über die Bühne. Die Erfolgsquote der Roboteraktionen stieg auf rund 90 Prozent. Und der „Erkenntnisprozessor“ erreichte – im Vergleich zur Erstausrüstung – 82 Prozent des wirtschaftlich möglichen Optimums, zumal die Künstliche Intelligenz auch Nachhaltigkeitsaspekte mitkalkulierte. Hinzu kommt die Einsparung von Demontagezeit aufgrund des Erkenntnisgrads über das Produkt: Somit rechnet sich die Automatisierung abhängig von den Stückzahlen; als Investition in die Moduldemontage werden 250.000 Euro pro Zelle veranschlagt. Doch bereits jetzt lohnt sich der Aufwand insbesondere für kostenintensive Produkte mit hohen Wertanteilen, wobei Material-Varianten und -Zustände durch KI flexibel angepasst werden können.

Gewinnbringender Einsatz
Unter dem Strich ermöglichen die genannten Technologien eine sowohl ökonomische wie ökologische Strategie zur Automatisierung von Demontagen, die von Daten-Beschaffenheit und -Vorhandensein abhängen. Allerdings braucht dazu nicht immer die KI einbezogen und sollten Einzelfallbetrachtungen auf keinen Fall außer Acht gelassen werden. Doch sind in diesem Bereich sowohl Fachwissen wie auch Prozesswissen unumgänglich, um Robotik in der Demontage gewinnbringend einzusetzen.

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 10/2021, Seite 24, Foto: nmcandre / stock.adobe.com)

 

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