„Der Rezyklateinsatz bei der Kunststoffverarbeitung tritt auf der Stelle“
Interview mit Dr. Dirk Textor, Vorsitzender des bvse-Fachverbandes Kunststoffrecycling, und bvse-Vizepräsident Dr. Herbert Snell über die Situation des Kunststoffrecyclings.
Anlass ist die kürzliche Veröffentlichung der Studie „Stoffstrombild Kunststoffe“, die von vielen Verbänden, darunter auch dem bvse, herausgegeben wurde. Sie liefert ein umfassendes Bild zu Produktion, Verarbeitung, Verbrauch, Abfallaufkommen und Verwertung des Werkstoffs.
Herr Textor, die allgemeine Diskussion um den Einsatz von Kunststoffen läuft nach wie vor auf Hochtouren. Verpackungshersteller versuchen, auf den Einsatz von Kunststoffen zu verzichten, und bringen immer mehr Verpackungen auf den Markt, die aus Papier und Pappe bestehen. Eine Entwicklung, die Sie doch massiv stören müsste?
Dirk Textor: Da haben Sie völlig Recht, aber aus einem anderen Grund als der, den Sie vermuten. Diese Verpackungen bestehen nur zu einem Teil aus Papier und Pappe. Sie besitzen Barriereschichten aus Kunststoffen, die dazu führen, dass die tatsächliche Recyclingfähigkeit gegen Null tendiert. Diese Verpackungen werden in der Praxis also nicht recycelt, sondern gehen in die Verbrennung. Das gleicht einer ökologischen Amokfahrt.
Wie erklären Sie sich, dass Kunststoffe inzwischen ein so schlechtes Image haben, dass solche Ausweichmanöver gefahren werden?
Dirk Textor: Die Kunststoffindustrie und die kunststoffverarbeitende Industrie setzen seit Jahrzehnten vor allem auf die Verbrennung als bevorzugte Entsorgungsmöglichkeit für Kunststoffabfälle. Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt, und selbst in der gegenwärtigen prekären Situation sehen wir außer Absichtsbekundungen keine durchgreifenden Verhaltensänderungen.
Oftmals wird gesagt, dass die Corona-Pandemie wie ein Brennglas für offensichtliche Missstände wirkt. Herr Snell, wie stellt sich das fürs Kunststoffrecycling dar?
Herbert Snell: Corona hat tatsächlich eine Entwicklung, die schon vorher feststellbar war, verstärkt. Wir erkennen, dass die Rezyklat-Nachfrage deutlich eingebrochen ist und sich bisher nicht wesentlich erholt hat. Die kunststoffverarbeitende Industrie setzt in erster Linie auf Neuware, insbesondere bei den derzeit niedrigen Preisen für Neuware. Und Corona hat diese Fehlentwicklung verstärkt.
Vielfach wird aber angeführt, dass Rezyklate nicht in ausreichender Menge und Qualität zur Verfügung stehen. Muss sich die Recyclingbranche hier nicht an die eigene Nase fassen?
Herbert Snell: Das sind Ausreden. Es geht hier vor allem um betriebswirtschaftliche Erwägungen der kunststoffverarbeitenden Industrie. Dies zeigen die zurückliegenden Monate deutlich. Die Rezyklat-Einsatzquote sinkt, da es für die Kunststoffverarbeiter wirtschaftlicher ist, Neuware einzusetzen. Da in den Rezyklatkosten die Sammlung, Sortierung und das Recycling eingepreist wird, sind die Rezyklate mit dem hohen Anteil an Fixkosten derzeit zu teuer. Daher greift das Mengenargument nicht, es seien ausreichend Mengen verfügbar, und das nicht nur in der jetzigen Situation. Auch das Qualitätsargument greift nicht. Solange die kunststoffverarbeitende Industrie die Anforderungen zum „Design for Recycling“ nicht erfüllt, kann auch nicht erwartet werden, dass die gewonnenen Rezyklate zum Beispiel hell oder transparent sind oder kein PP im HDPE enthalten ist. Es wird gefordert, Standards für Rezyklate zu definieren. Das macht solange keinen Sinn, solange Standards (Design for Recycling) bei den Kunststoffprodukten nicht berücksichtigt werden. Es gibt bereits gute Einsatzmöglichkeiten für die vorhandenen Rezyklatqualitäten. Die kunststoffverarbeitende Industrie, Produktverantwortliche und Handel müssen diese nur noch stärker nutzen.
Die Autoren des Stoffstrombildes sprechen jedoch für den Zeitraum von 2017 auf 2019 von einem steigenden Rezyklateinsatz.
Dirk Textor: Da muss man genau hinsehen. Wenn man das tut, stellt man zuerst einmal fest, dass in diesem Wert in Höhe von 13,7 Prozent auch Produktionsabfälle zu 6,5 Prozent einfließen. Das heißt, der Anteil der Post Consumer Rezyklate (PCR) beträgt nur 7,2 Prozent. Das ist erschreckend gering. Nur 430.000 Tonnen Neuware wurde in 2019 durch PCR-Rezyklate ersetzt. Das ist viel zu wenig!
Trotzdem gibt es einen leichten Anstieg beim Rezyklateinsatz.
Dirk Textor: Dieser Anstieg ist ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass andere Werkstoffe als Kunststoff substituiert wurden; hierbei wurden 580.000 Tonnen eingesetzt. Im Bereich der Kunststoffverpackungen hat sich praktisch nichts getan. Der Rezyklateinsatz bei der Kunststoffverarbeitung tritt auf der Stelle. Für das laufende Jahr rechnen wir damit, dass der Rezyklatanteil sogar zurückgeht.
Das ist eine ernüchternde Zustandsbeschreibung. Wie kann man hier effektiv umsteuern?
Herbert Snell: Wir haben dazu einen klaren Vorschlag auf den Tisch gelegt, der das Recycling und den Klimaschutz gleichermaßen stärkt. Bislang bleibt nämlich der klimaschädliche CO2-Rucksack, der bei der Neuwaren-Produktion entsteht, bei der Preisbildung völlig außen vor. CO2-Emissionen können aber durch Rezyklateinsatz minimiert werden. Deshalb sollte in der ersten Stufe eine verbindliche Reduktion der CO2-Emissionen der eingesetzten Rohstoffe im Mittel um mindestens 25 Prozent festgeschrieben werden, wobei der Bezugspunkt die Produktion mit Neuware darstellt. In Stufe 2 sollte diese Quote dann auf 40 Prozent ab dem Jahr 2030 erhöht werden.
Quelle: bvse
(EU-Recycling 11/2020, Seite 24, Foto: Petra Hoeß, FABION Markt + Medien / abfallbild.de)