INGEDE-Herbstsymposium: Kann Papier Kunststoff ersetzen? Verpackungsdesign im Faserkreislauf
Europäische Lösungen sind bei der Bewertung der Rezyklierbarkeit von Verpackungen nötig.
Wie lässt sich Verpackung optimal für ein hochwertiges Recycling gestalten? Tiefkühlpizza in einer runden Aufreißpackung aus Papier, Bier in einer Flasche aus Faserstoff? Ist das die Zukunft der Verpackung: faserbasierter Schutz für Lebensmittel statt Plastik?
Über Möglichkeiten, den in „Ungnade“ gefallenen Kunststoff zu ersetzen, Voraussetzungen für eine gute Rezyklierbarkeit und deren Grenzen diskutierten Anfang Oktober Experten aus Industrie, Behörden und Verbänden beim INGEDE-Herbstsymposium in Schwedt. Die Referenten waren sich weitgehend einig: Bei neuen papierbasierten Verpackungen gibt es Handlungsbedarf in Bezug auf Rahmenbedingungen, Verbraucherinformation und Kennzeichnung sowie Weiterentwicklung der Sortiersysteme und Entsorgungswege. Man müsse weg von nationalen hin zu europäischen Lösungen bei der Bewertung von Verpackungen und deren Eignung für verschiedene Recyclingsysteme kommen.
Ist das Altpapier?
Papier, Pappe und Karton sind in Deutschland mit 89 Prozent stofflicher und mehr als zehn Prozent energetischer Verwertung auf Basis eines nachwachsenden Rohstoffs Spitzenreiter in Bezug auf Nachhaltigkeit. Aber immer noch landet zu viel potenziell verwertbares Papier im Verpackungsabfall und im Restmüll, beklagte Robin Huesmann, CIO der gastgebenden Leipa Unternehmensgruppe. In Schwedt werden Papiere mit dem Blauen Engel und anderen Umweltzeichen aus 100 Prozent Altpapier produziert. Huesmann konstatierte fehlende Information der Verbraucher, aber auch oft noch den mangelnden Willen zur Trennung. Dabei spiele auch die Unsicherheit eine Rolle: Was mache ich mit dem gewachsten Geschenkpapier, was mit der wasserabweisenden Tiefkühlverpackung? Ist das Altpapier?
Auch wenn Papier als Verpackungsmittel derzeit gefragt ist – nicht immer reicht es als Barriere. „Der Teufel steckt hier im Detail“, sagte Bernd Büsing, Leiter des Bereichs Verpackungen bei Nestlé Deutschland. Nestlé hat für mehrere Produkte „High-Barrier-Papiere“ entwickelt, die bis zu zehn Prozent einer Polymerdispersion als Beschichtung enthalten. Ist das Papier, Composit, Verbund? Oder eine Grauzone? In Deutschland, in Frankreich? Büsing will solche Verpackungen nicht als „Plastic free“ gekennzeichnet sehen. Ziel sei aber: „Sie sollen in die Blaue Tonne.“ Den Austausch zwischen Verpackern und der recycelnden Papierindustrie auf der Veranstaltung begrüßte Büsing.
Zehn Prozent Polymere im Papier seien „aus unserer Sicht nicht vorteilhaft“, bestätigte Almut Reichart, als Umweltingenieurin beim Umweltbundesamt zuständig für die Zellstoff- und Papierindustrie. Verpackungen zu vermeiden, stehe für die Behörde immer an oberster Stelle. Sie warnte vor einer undifferenzierten Abkehr vom Kunststoff: „Macht Papier noch Sinn, wenn Eigenschaften verlangt werden, die Papier nicht leisten kann?“ Vielleicht sei eine Folie doch das bessere Material, wenn diese dann sachgerecht entsorgt oder recycelt werde? Reichart sieht durchaus Anpassungsbedarf bei den Methoden und Maßstäben zur Bewertung der Rezyklierbarkeit. Nicht nur Hersteller und Verbände, auch die Behörden und insbesondere die Zentrale Stelle Verpackungsregister müssten hier mitwirken, forderte Reichart. „Ich sehe, dass wir hier unsere Überwachungsfunktion stärker wahrnehmen müssen.“
Wo fällt die Verpackung an, wie wird sie verwertet?
Auf die derzeit großen Unterschiede bei der Erfassung von Verpackungen schon in Europa wies auch Peter Désilets von Pacoon hin. Seine Münchner Agentur beschäftigt sich mit der Entwicklung nachhaltiger Verpackungen und Verpackungsstrategien. Je nach Markt und Region müsse man bei der Bewertung berücksichtigen, ob und wie an Ort und Stelle tatsächlich recycelt, gesammelt, kompostiert oder anders verwertet werde. Auch die Hersteller von Faserverpackungen und die Recycler seien gefragt, die Recyclingstandards international auf einem höheren Niveau zu etablieren. Es gebe durchaus Möglichkeiten, intelligente Kombinationen von Kunststoff und Fasern zu verwenden, die sich bei der Verwertung leicht wieder trennen ließen, wie jetzt schon manche Joghurtbecher.
Die Position der Papierindustrie verdeutlichte Martin Drews vom Verband Deutscher Papierfabriken (VDP): Die Blaue Tonne habe sich bewährt und müsse nicht nur geschützt, sondern idealerweise in ganz Europa umgesetzt werden. Eine hohe Faserqualität im Kreislauf zu erhalten „muss unser Ziel sein“. Dabei könne nicht alles, was aus Papier ist, auch industriell rezykliert werden; es sei zu beachten, welche Farbe, welcher Lack oder welche Beschichtungen damit verbunden seien. Barrieren müssten idealerweise leicht von den Fasern zu trennen sein, entweder maschinell oder schon per Hand vom Verbraucher. Der Experte lenkte das Augenmerk auch auf die Gelbe Tonne: Diese müsse der Weg sein für neue Verpackungsarten, die nicht im Hauptstrom des Altpapiers verwertet werden könnten. Hierfür seien neue Verwertungswege zu überlegen. Drews warnte vor dem Vorpreschen einzelner Verpackungshersteller mit neuen Systemen, bevor deren Verwertung geklärt sei: „Das erzeugt Verwirrung beim Verbraucher und behindert die Akzeptanz.“
Einheitliche Methoden notwendig
Die Vielzahl neuer Entwicklungen, bei denen es schwierig sei, den Überblick zu behalten, beklagte auch Prof. Samuel Schabel vom Institut für Papierfabrikation der TU Darmstadt. Gemeinsam mit weiteren Partnern, darunter der Papiertechnischen Stiftung (PTS), wird nach einer einheitlichen Bewertungsmethode für die Rezyklierbarkeit von Verpackungen gesucht. „Mittelfristig wird man noch einen weiteren technischen Schritt in der Aufbereitung brauchen“, befürchtete Schabel. Bis November, kündigte Tiemo Arndt von der PTS an, soll im Rahmen des INFOR-214-Projekts „eine vorzeigbare harmonische Methode“ als Diskussionsgrundlage vorgestellt werden.
(EU-Recycling 11/2020, Seite 22, Foto: INGEDE)