Der Unterschied zwischen Maschine und Mensch wird kleiner

Automatische Abfalltrennung und KI: Ein Beitrag von Prof. Dr. Andreas Reichert, Studiengangleiter DHBW Heilbronn für das Studienangebot BWL-Technical.

Die positive Nachricht: Die technologischen Entwicklungen im Bereich der Abfalltrennung sind in den letzten Jahren weit vorangeschritten. Von der Platzierung der Ware auf dem Förderband bis hin zur Sortierung kann man den Prozess in drei Abschnitte unterteilen: sense (fühlen und detektieren), analyze (analysieren und verarbeiten) und act (die Reaktion mit der Aktuatorik nach den vorangegangenen Schritten). Dabei ist die Technologie den Schritten nachempfunden, die der Mensch bei der Sortierung am Band vornimmt: die Erfassung des Abfalls mit allen Sinnen (Seh-, Geruchs- und Tastsinn), die Analyse (Verarbeitung im Gehirn) und die Aktion (Sortierung mit der Hand). Doch unhomogene Abfallströme und die ungenaue Platzierung des Abfalls auf dem Förderband stellen die Entwickler vor große Herausforderungen.

Die von Industrie und Handel finanzierten dualen Systeme müssen zukünftig deutlich höhere Recyclingquoten erreichen. Warum, das zeigt eine aktuelle Analyse des Forschungsinstituts der Deutschen Wirtschaft (IW Consult): Das Institut schätzt die Verfügbarkeit von 27 seltenen Erden, wichtigen Metallen und Mineralien als „sehr kritisch“ ein. Doch viele dieser Rohstoffe wie Nickel, Palladium und Kupfer sind für die Digitalisierung und die Energiewende notwendig.

Prof. Dr. Andreas Reichert (Foto: DHBW Heilbronn)

Wie groß diese Mengen mindestens sein müssen, legen die Quoten fest. Diese Quoten sind laut dem Verpackungsgesetz für das Jahr 2022 wie folgt vorgesehen: 90 Prozent für Glas, Papier und Metall und bei Kunststoff 63 Prozent. Manche Stoffe werden sortenrein entsorgt, und die Vorgaben sind leichter zu erreichen: Für Glas lag die Verwertungsquote bereits im Jahr 2014 bei 89 Prozent (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz). Doch bei Kunststoff und selbst bei Papier stellt sich die Angelegenheit wesentlich schwieriger dar. Denn nur 25 Prozent der Kunststoffe werden laut einem FAZ-Artikel (3/2022) überhaupt verwertet.

Unterschiedliche Systeme bieten verschiedene Vorteile
Ein Vergleich: Im Wertstoffhof Warngau fischen die Arbeiter ungefähr 80 Prozent der Wertstoffe in den Sortieranlagen vom Band; das geschieht mit einer Geschwindigkeit von 0,6 Metern pro Sekunde (Süddeutsche Zeitung, 2010). Bis zu 10.000 Zugriffen pro Minuten schaffen mittlerweile automatisierte Systeme und sind damit um 50 Prozent schneller als ein menschlicher Sortierer (EU-Recycling, 2018). Um möglichst effizient zu recyceln, steht der Abfallwirtschaft mittlerweile eine Vielzahl an Systemen zur Verfügung, die einzeln oder aneinander gekoppelt verschiedene Möglichkeiten der Abfalltrennung bieten.

Oberflächenanalyse
Mit NIR (Nah-Infrarot-Spektroskopie) ausgestattete Systeme arbeiten wie auch Hyperspectral Imaging Sensoren mit einer reinen Oberflächenanalyse. Dabei können – gekoppelt mit einer umfangreichen Datenbank und Künstlicher Intelligenz (KI) – eine Vielzahl von Stoffen detektiert werden. Diese Stoffvielfalt ist für das menschliche Auge oft nicht sichtbar. Die Herausforderung liegt hierbei bei der optischen Erkennung der Oberflächen bei ungeordneten Müllsammlungen.

Verpackungserkennung
Die Leistung, von der Verpackung in Form, Farbe und Beschriftung auf den Inhalt zu schließen, ermöglichte im Endeffekt bisher der Mensch. Doch bildgebende Verfahren (Kamerasysteme) können gekoppelt mit einer KI aus Form, Farbe und Beschriftung darauf schließen, ob ein Milchkarton-Tetrapack oder eine Waschmittelflasche auf dem Band durchläuft. Das bedeutet, dass mit entsprechender Soft- und Hardware Menschen an dieser Stelle immer öfter ersetzbar sind.

Mittels lasergestützter Detektion, welche sich in der Entwicklung befindet, können chemische und biologische Stoffe mit größerem Abstand detektiert werden. Die zeitnahe Identifikation zum Beispiel von Schadstoffen, kann eingesetzt werden, um die Prozessabläufe und Sicherheitsstandards zu erhöhen und zu optimieren.

Neue Terahertz-Technologie für Abfalltrennung entwickelt
Auch Terahertz ist Teil des elektromagnetischen Spek­trums zwischen Mikrowellen und Infrarot; im Allgemeinen befindet sich der Frequenzbereich von 0,3 THz bis 10 THz. Lange Zeit war die Terahertz-Strahlung nicht praktikabel einsetzbar, aber mittlerweile ist sie zu einer Zukunftstechnologie avanciert. Sie findet zum Beispiel Einsatz in der Sicherheitstechnik, um Drogen oder Sprengstoffe aufzuspüren, oder auch in der Produktion, um Materialfehler sichtbar zu machen. Aber auch in der Abfallverwertung ist diese Art der Sensorik vielfach nutzbar: Mittels Terahertztechnologie können viele Stoffe durch Verpackungsmaterialien hindurch sichtbar gemacht werden. Das heißt, die Sensorik erkennt, ob im Inneren der dicken Papiertüte noch Verschmutzungen von Lebensmitteln kleben oder ob in der Plastikverpackung noch Cremereste haften. Wird die Terahertz-Technologie in vollautomatischen Anlagen eingesetzt, können verschiedenartige Abfälle vom Band befördert werden.

Ein weiterer Vorteil: Die Technologie erkennt auch gefährliche Stoffe in Verpackungen, zum Beispiel Metalle, Batterien und Flüssigkeiten. Batterien können, wenn sie geschreddert werden, in den Anlagen und im Gebäude einen Brand auslösen; Flüssigkeiten können den Rest des aussortierten Wertstoffes kontaminieren. Bei manuellen Sortieranlagen können künftig Laserpointer die detektierten Gegenstände visuell markieren, zum Beispiel mit einem roten Licht. Der Gefahrstoff kann dann per Hand oder später auch automatisiert aussortiert werden. Im Gegensatz zur Nah-Infrarot-Technologie (NIR) agiert die Terahertz-Technologie aus einer Entfernung bis zu einigen Metern. Das heißt, es gibt einen größeren Spielraum bei der Anbringung der Sensoren.

Können neue Systeme den Faktor Mensch ersetzen?
Die klare Antwort hier lautet immer noch: nein. Obwohl die Technologien im Bereich von Sensorik, Datenverarbeitung, Künstlicher Intelligenz und Sortierung fortschreiten, sind Abfallberge noch so uneinheitlich, dass Maschinen nur Teile der Sortierung bewältigen können. Nur bei Materialströmen, die entsprechend vorsortiert sind, können Maschinen eingesetzt werden. Das kann Teil der Problemlösung sein, denn der Arbeitskräftemangel betrifft auch die Abfallwirtschaft. Die monotone Arbeit am Band erfordert höchste Konzentration. Dazu kommen intensive Gerüche im Sommer und gefrorener Abfall im Winter. Die positive Nachricht für die Abfallsortierer ist, dass mit der Entwicklung moderner Technologien die Arbeit der Sortierer nicht nur effizienter, sondern auch gefahrloser gestaltet wird.

Fazit
Neue Entwicklungen in allen drei Bereichen sense – analyse – act werden Arbeitsschritte weiter vereinfachen, neue Materialien erkennen und in den Kreislauf zurückführen und so Rohstoffe wieder nutzbar machen. Nicht zu vergessen ist allerdings, dass Recycling eine zivilgesellschaftliche Herausforderung darstellt und die Zusammenarbeit verschiedener Bereiche der Gesellschaft erfordert: Industrie und Hersteller, Handel, Politik, Abfallwirtschaft und jeden Einzelnen. In den letzten Jahren hat sich aufgrund des Klimawandels die Gesetzgebung für das Recycling immer mehr verschärft. Industrie und Abfallwirtschaft werden sich dementsprechend weiterentwickeln und modernste Technologien zunehmend Einzug im Bereich Sensorik, Rechnersysteme, KI, Robotik und Aktuatorik halten.

Studienprofil Technical Management/Wertstoffmanagement und Recycling

Wertvolle Rohstoffe dem Kreislauf wieder zuzuführen und Abfälle kontrolliert zu entsorgen: Dafür sorgen die Recycling-Manager von morgen. Mit dem neuen Angebot „BWL-Technical Management Wertstoffmanagement und Recycling“ bietet die DHBW Heilbronn einen zukunftsorientierten Studiengang. Das interdisziplinäre Studienangebot enthält technische und BWL-Studieninhalte und setzt sich mit allen Stufen des Recyclings auseinander. Hier erlangen Studierende Kenntnisse aus dem Maschinenbau, der Informatik, der Sensorik und Elektrotechnik.

Das Studium ist ein duales Vollzeitstudium und dauert sechs Semester. Die Theoriephasen verbringen die Studierenden am modernen Bildungscampus in Heilbronn, die Praxisphasen beim Unternehmen. Die Dualen Partner kommen aus der privaten Abfallwirtschaft, kommunalen Betrieben und Recyclinganlagen. Als Technical Manager*innen sind sie an der Schnittstelle von Betriebswirtschaft und Technik, vorwiegend in Abfalllogistik, in Sortierung, im Nachhaltigkeitsmanagement sowie in Konzeption und Beratung tätig.

Link zur Website: www.heilbronn.dhbw.de/wertstoffmanagement-recycling

 

(Erschienen im EU-Recycling Magazin 01/2023, Seite 36 -Gastbeitrag-, Foto: Gerd Altmann / pixabay.com)