E-Waste World 2023: Mehr in Verwertungsketten denken
Sie war laut Veranstalter ein „überwältigender Erfolg“: die diesjährige E-Waste World, die zusammen mit den Veranstaltungen der Battery Recycling and Metal Recycling Conference & Expos in Frankfurt stattfand. Trotz der Menge und Diversifizierung der Vorträge und Gremiensitzungen herrschte generelle Einigkeit über die Notwendigkeit eines elektronischen Produktpasses, der Auskunft über alle Mineralien entlang der Wertschöpfungskette des Produktes ermöglicht. Und es gab einen zweiten „roten Faden“: das Aufkommen an Elektroschrott und ein entsprechendes Recycling.
Nach Darstellung des United Nations Institute for Training and Reseach (Unitar) fallen jährlich weltweit 53,6 Millionen Tonnen (Mio. t) an Elektroabfällen an. Das Sekretariat der Basel Convention schätzt, dass davon weltweit nur 17 Prozent regelgerecht recycelt werden. Von den zwölf Millionen Tonnen in Europa werden nachweislich 5,1 Mio. t umweltverträglich behandelt: Sie setzen sich zusammen aus 1,5 Mio. t an kontrolliertem grenzüberschreitenden Material, dokumentierten 0,36 Mio. t an gehandelten Leiterplatten, aber auch 65 Prozent beziehungsweise 3,3 Mio. t an E-Waste, der unkontrolliert – oftmals vermischt mit anderen Materialtransporten – die Grenzen überschreitet.
Laut Eurostat haben sich die behandelten Mengen an Elektroschrott in den Jahren 2012 bis 2020 deutlich verändert. Während die auf den Markt gebrachten Elektro- und Elektronikgeräte in diesem Zeitraum von 7,7 auf 12,3 Mio. t (59 Prozent) zulegten, nahm die Menge der behandelten Abfälle von 3,1 auf 4,6 Mio. t (48 Prozent) zu, wuchs die Menge der durch Recycling oder thermische Verwertung wiedergewonnenen Materialien von 2,6 auf 4,3 Mio. t (65 Prozent), und der Anteil der wiederverwendeten und recycelten E-Abfälle stieg von 2,4 auf 3,9 Mio. t (62 Prozent). Dennoch hatten im Jahr 2020 laut Eurostat erst rund die Hälfte der EU-Mitgliedstaaten die vorgeschriebene Sammel- und Recyclingquote für Elektro- und Elektronikschrott von 45 Prozent erreicht, wenn auch Bulgarien, Kroatien und Finnland sogar bereits die 65-Prozent-Marke übertrafen.
International im Hintertreffen
In ihrem Vortrag über „Europas Kritische Rohstoff-Gesetze. Welche Rolle hat das Recycling?“ machte Britta Bookhagen von der Deutschen Rohstoffagentur (DERA) deutlich, welche Relevanz die Versorgung mit kritischen und strategischen Rohstoffen besitzt. Weltweit bestimmen 15 Länder rund 80 Prozent der globalen Produktion von mineralischen Rohstoffen, während China weltweit für 50 Prozent der Veredelung solcher Materialien verantwortlich zeichnet. Hinzu kommt, dass China in rund der Hälfte der Abbauprodukte der Risikogruppe 3 und in 18 von 19 der raffinierten Produkte der Risikogruppe 3 den Platz 1 einnimmt. Somit ist Europa trotz hohem Rohstoffbedarf hinsichtlich Abbau und Veredelung von Rohstoffen weltweit im Hintertreffen und sollte das Manko durch Recycling aufzufangen versuchen. Allerdings warnte Bookhagen sogleich vor zu hohen Erwartungen: „Es gibt kein hundertprozentiges Recycling.“
Bedarfsdeckungsrate im Sinken
Noch deutlicher wurde auf der Frankfurter Tagung Tilman Vahle, Geschäftsführer für Nachhaltige Mobilität und Batterien bei der „system change company“ Sustemiq. Seiner Darstellung nach deckt die EU zwar zehn Prozent ihres Bedarfs an Kobalt, 14 Prozent ihres Bedarfs an Kupfer und 20 Prozent ihres Bedarfs an Nickel aus hiesigem Abbau. Jedoch sei die Deckungsrate im Sinken, da teilweise keine neuen Schürfprojekte, keine Erweiterung der Raffinade geplant und keine Maßnahmen für steigende Nachfrage oder gegen Verarmung der Rohstoffquellen ergriffen werden.
Ähnliches gilt für die Bedarfsdeckung durch Platingruppen-Metalle (zwei Prozent) und Graphit (zwei Prozent). Bei Silikon würden zwar 70 Prozent des Bedarfs gefördert, aber nur 37 Prozent veredelt und auf neue Unternehmungen oder Maßnahmen im Falle stärkerer Nachfrage verzichtet. Lediglich Seltenen Erden (zurzeit: kein Abbau) und Lithium (zurzeit: weniger als ein Prozent) wird eine bessere Zukunft prognostiziert: Da sie strategische Priorität genießen, sind neue Projekte zu erwarten, die 20 bis 80 Prozent beziehungsweise bis zu 55 Prozent des europäischen Bedarfs erfüllen könnten.
In Wertschöpfungsketten denken
Im Moment klaffen jedoch in Europa bei wesentlichen Rohstoffen Nachfrage und Deckung durch Recycling weit auseinander. Der im internationalen Vergleich hohe Bedarf der Industrie an beispielsweise Gallium, Germanium, Dysprosium/Terbium und Lithium wird nur durch ein Prozent End-of-Life-Recycling gedeckt, während selbst Kupfer nur zu 44 Prozent und Platin zu 50 Prozent wiedergewonnen werden können. Bookhagens Schluss daraus: „Recycling kann (bislang) primären Materialabbau nicht ersetzen. Beide sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. Wir brauchen beides.“ Denn „wir sollten in Wertschöpfungsketten denken“. China ist hier Vorbild, da es nicht nur in Bergbau und Raffinadeproduktion investiert, sondern auch sozusagen einen Fuß in der Tür bei Herstellungs- und Verwendungsketten für Batterien, für Photovoltaik-Anlagen und für Windturbinen hat.
Eine Reihe von Erfordernissen
„Effektives Recycling erfordert optimierte Ketten“, meint auch Cristian Hagelüken (Umicore). Idealerweise würde ein Produkt – beispielsweise Gold – am Ende seiner Benutzungsdauer lokal gesammelt, regional manuell-mechanisch zerlegt und vorbehandelt und schließlich international chemisch-metallurgisch aufbereitet, sodass am Ende das recycelte Metall marktfähig vorliegt. Bei höchster Effizienz würde die Erfassungsquote 50 Prozent, die Zerlegungsquote 70 Prozent und die Aufbereitungsquote 95 Prozent betragen – also eine Recyclingquote von 70 x 90 Prozent und damit 67 Prozent erreichen. Am Ende der Behandlungskette stünde dann eine physikalische Kreislaufquote von 33 Prozent. Allerdings nur unter der Bedingung, dass es keine unzureichende Sammlung, keine dubiosen Exporte, keine falsche Fraktionierung der Materialien, keine Abfallreste und keine auf dem Markt nicht mehr verkäuflichen Rohstoffe gibt.
Würden diese Punkte auf Batterierecycling zutreffen, dann wäre die Sammlung unvollständig, würden Fahrzeuge oder -teile ebenso exportiert wie Batterien oder Schwarzmasse, würde Schwarzmasse in der Aluminium- oder Kupfer-Fraktion enden, würden Rückstände wie Abwässer, Schlämme oder Flugasche anfallen oder schließlich ein Produkt resultieren, das nicht marktfähig wäre. Zwar könnten dann Kobalt, Nickel oder Kupfer enorme und Lithium hohe Recyclingraten erzielen, aber die Effizienz der gesamten Behandlungskette wäre nicht mehr feststellbar und damit fraglich. Folglich muss ein technisch sauberes und ökonomisch sinnvolles Batterierecycling eine Reihe von Erfordernissen erfüllen.
Neue Bedeutung von Autobatterien
Der Frage, wie ein erfolgreiches Batterierecycling etabliert werden könne, ging auch Tim Lux, stellvertretender Direktor der Boston Consulting Group, nach. Seiner Meinung nach gibt es mehrere Faktoren, die der Wiederverwertung von Autobatterien Bedeutung verleihen. So werde unter anderem der Regulariendruck zunehmen, weshalb beispielsweise für Lithium ab 2031 eine Rückgewinnungsquote von 80 Prozent zu erwarten ist. Angesichts von einem in den letzten beiden Jahren um 80 Prozent gestiegenen Preises und Fluktuationen um bis zu 400 Prozent müsse mehr Preisstabilität erzielt werden. Und bei Geschäftsplanungen würde zwar Recycling über das zweite Leben einer Batterie hinaus befürwortet, aber auch die hohen Kosten einer Generalüberholung sowie steigende Rohstoff-Preise beklagt.
Unterschiedliche Nachfrage
Nach Ansicht von Tim Lux übt die Rohstoffknappheit (unterschiedlichen) Druck auf Materialien zur Batterieherstellung aus. Eisen, Phosphor und Mangan bereiten in diesem Zusammenhang wenige Probleme, da sie kaum beziehungsweise nur fünf oder sechs Prozent Anteil an der Batterie-Nachfrage haben. Nickel ist mit 14 Prozent daran beteiligt und zeigte während der letzten 20 Jahre ein moderates Wachstum. Ganz anders verhalten sich Graphit und Kobalt. Die Nachfrage nach ihnen erfolgt zu 50 beziehungsweise 60 Prozent aus dem Batteriesektor, und die durchschnittliche jährliche Steigerungsrate der Nachfrage liegt bei sechs Prozent für Kobalt und bis zu neun Prozent bei Graphit. Spitzenreiter ist Lithium mit einer durchschnittlichen jährlichen Steigerungsrate von 20 Prozent, die zudem auch langfristig zu erwarten ist, zumal die Nachfrage zu 90 Prozent batteriebezogen erfolgt. Während für alle genannten Elemente die Reservebestände wenig Sorgen bereiten, soll es beim Abbau von Lithium große Schwierigkeiten geben. Und auch bei der Raffinade von Nickel, Mangan, Graphit und Lithium ist mit Problemen zu rechnen.
Geändertes Kathodenmaterial
Den Angaben zufolge rechnet die Boston Consulting Group damit, dass sich über die Jahre die Zusammensetzung des Kathodenmaterials von Batterien ändern wird, wobei insbesondere solche aus Lithium-Eisen-Phosphat beziehungsweise Lithium-Mangan-Eisenphosphat-Akkus eine Rolle spielen werden. Eine besondere Bedeutung hat dabei ihre Verwendung. So gab es 2020 Batterien mit einer Gesamtleistung von 192 GWh, verteilt auf 140 GWh für Elektrofahrzeuge, 41 GWh für Unterhaltungselektronik und 11 GWh für stationäre Energiespeicherung.
Von 2025 bis 2035 werden sich die Kapazitäten zur stationären Energiespeicherung von 85 auf 589 GWh steigern, der Bedarf im Sektor Unterhaltungselektronik von 76 auf 226 GWh und die Nachfrage aus der Elektrofahrzeug-Branche von 1.378 auf 4.503 GWh – also in zehn Jahren von insgesamt 1.540 auf 5.319 GWh und damit 245 Prozent. Demgemäß wird in diesem Zeitraum die Nachfrage nach Lithium-Nickel-Cobalt-Aluminium-Oxiden von zwölf auf acht Prozent sinken und die nach Nickel-Mangan-Cobalt-Zusammensetzungen von 51 auf 47 Prozent schrumpfen, während Batterien aus Lithium-Eisen-Phosphat beziehungsweise Lithium-Mangan-Eisenphosphat-Akkus von 36 auf 41 Prozent zulegen sollen.
Steigerungen durch Elektrofahrzeuge erwartet
Für die kommenden Jahre erwartet die Boston Consulting Group mit Blick auf das für Elektrofahrzeuge notwendige Kathodenmaterial enorme Steigerungen im Batteriebereich. Der Lithiumbedarf beispielsweise soll zwischen 2020 und 2035 von 32.000 auf 625.000 Tonnen zulegen und schließlich 97.00 Tonnen Recyclingmaterial sowie 37.000 Tonnen recycelte post-consumer-Stoffe erreichen. Für Nickel wird in diesem Zeitraum mit einem Bedarfszuwachs von 27.000 auf 393.000 Tonnen gerechnet, während die gesamte Recyclingmenge auf 60.000 und die post-consumer-Menge von null auf 23.000 Tonnen steigen soll.
Die Nachfrage nach dem Rohstoff Mangan dürfte sich voraussichtlich auf 317.000 Tonnen erhöhen, wobei 2035 insgesamt 44.000 Tonnen an Recyclingmaterial und 1.000 Tonnen an post-consumer-Rezyklaten zu erwarten sind. Vorausgesetzt, dass Verbraucher- und dabei hauptsächlich Lithium-Kobalt-Batterien recycelt werden, soll sich der Kobalt-Bedarf im genannten Zeitraum von 7.000 auf 57.000 Tonnen steigern und die Recycling-Menge von 4.000 auf 23.000 Tonnen. Aus diesen Zahlen lässt sich hinsichtlich Wiederverwertung schließen, dass bis 2035 die vorgegebenen Recyclingquoten für Lithium (12 Prozent), Nickel (15 Prozent) und Kobalt (26 Prozent) nur zu erreichen sind, wenn auch industrielle und gewerbliche Abfälle erfasst werden.
Sechs Milliarden US-Dollar Profit
Was speziell Lithium-Batterien anlangt, geht Juan Castro, Projektkoordinator am Technologiecenter Cartif, von einer Marktgröße in Höhe von 2,6 TWh aus. Der jährliche Zuwachs soll bis 2030 bei 25 Prozent liegen, während zwischen 2022 und 2030 mit einer 30-prozentigen Steigerung zu rechnen ist. Es seien 120 bis 150 neue Fabriken notwendig, um 2030 eine Batterieproduktion von 500 GWh pro Jahr auf die Beine zu stellen. Laut einer Statistik von McKinsey soll – bei einer 25-prozentigen Steigerung über die Jahre – aber auch End-of-Life-Recyclingmaterial anfallen, beginnend mit rund 50.000 Tonnen im Jahr 2020, 1.850.000 Tonnen im Jahr 2030, 7.850.000 Tonnen im Jahr 2035 und 20,5 Millionen Tonnen in 2040. Der Anteil an Produktionsschrott werde im Laufe der Jahre prozentual abnehmen, während das End-of-Life-Material zwischen 2030 und 2040 von 57 auf 94 Prozent klettern soll. Ab 2040 werden laut Castro jährlich 355.000 Tonnen an Recyclingstoffen anfallen, eine Gewinngemeinschaft mit sechs Milliarden US-Dollar Profit entstehen und 18 Millionen neue Jobs entstehen. Insbesondere der weltweite Recycling-Markt für Blei-Batterien soll 2030 über einen Marktwert von 19,80 Milliarden US-Dollar und eine jährliche Steigerungsrate von zehn Prozent verfügen.
(Erschienen im EU-Recycling Magazin 11/2023, Seite 12, Foto: Marc Szombathy)