Recyclingbörsen – ein Marktplatz der Möglichkeiten?

Der Recyclinggedanke ließ ab der Jahrhundertwende eine Reihe von Recycling-, Abfall- oder Reststoff-Börsen entstehen. Trotz ihres unzweifelhaft ökologischen Nutzens fristen viele dieser Vermittlungsplattformen in Europa aber ein eher marginales Dasein. Die Gründe dafür sind mehrschichtig.

Eine der ersten Recyclingbörsen entwickelte die damalige Henkel KGaA. Der Service dieser sogenannten „Reststoffbörse“ umfasste die Vermittlung von Rest-Rohstoffe wie beispielsweise alten Lagerbeständen, Nebenprodukten oder Fehlchargen. In erster Linie sollten auf diesem Wege  Entsorgungskosten einspart werden. 1997 richtete das Unternehmen eine Datenbank ein, die zunächst im Intranet betrieben wurde, zu der sich Abnehmer telefonisch oder monatlich durch Faxabruf anmelden konnten. Wie dem Schema der Börse zu entnehmen, meldeten Produktion, Einkauf oder Marketingabteilung ihre Reststoffmengen an die Datenbank. Die aufgenommenen Informationen wurden betriebsintern weitergegeben und geprüft. Gab es eine Verwendungsmöglichkeit innerhalb des Unternehmens, wurde ein internes Angebot gemacht; ansonsten ging das Angebot an externe Interessenten, mit denen die Verkaufsabteilung in Abstimmung mit den Materialeigentümern im Bedarfsfall einen Preis aushandelte.

Die Strategie: Vermarktung statt Entsorgung
Im Jahr 1998 wurde eine Materialmenge von 3.264 Tonnen verhandelt, wovon 3.169 Tonnen aus der Produktion des Henkel-Werks in Holthausen an externe Abnehmer gingen; Henkel selbst kaufte auf diesem Wege nur 46 Tonnen von assoziierten Unternehmen. Insgesamt wurden dadurch über zwei Millionen Mark erwirtschaftet. Als sich im darauffolgenden Jahr die Umschlagmenge auf 4.150 Tonnen erhöhte, wuchs auch der Gewinn auf rund 2,8 Millionen Mark. Im Jahr 2000 ging die Anlage ins Internet  und stand für externe Interessenten unter reststoffboerse.com direkt zur Verfügung.

Die externe Öffnung der Börse kommentierte Sabine Busch, Leiterin der Henkel-Reststoffbörse, im April 2001 so: „Von der internationalen Umsetzung unserer Strategie Vermarktung statt Entsorgung profitieren nicht nur wir als Anbieter, sondern auch der Käufer, der hochwertige Artikel zu günstigen Preisen erwerben kann.“ Das System fand auch Erwähnung im Henkel-Nachhaltigkeitsbericht des Jahres 2005: „Ob Rohstoffe und Verpackungen, Fertigprodukte oder technische Geräte – Henkel führt alle Restbestände, für die intern keine Verwendung mehr besteht, einer virtuellen Reststoffbörse zu. Von dort werden sie an externe Interessenten verkauft, angefangen bei nicht mehr für Henkel verwendbaren Rohstoffen über Zwischenprodukte bis hin zu ausgemusterten Produktionsanlagen. Auf diese Weise sparen wir Kosten für die Entsorgung sowie für weitere Lagerhaltung. Mit dem Verkaufserlös kann auch ein Teil der Herstell- und Einkaufskosten dieser Reststoffe gedeckt werden.“


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Zunächst im Intranet
Auch das Pharma-Unternehmen Schering baute schon in den 1990er Jahren eine Reststoffbörse auf, die nicht mehr benötigte, sortenreine Reste per Intranet makelte. Größere Bestände wurden auch extern angeboten. Die Börse wurde streng betriebswirtschaftlich per Prozesskostenrechnung betrieben, die die Kosten für Vermittlungsvorgänge auf etwas über 1.000 Mark bezifferte. Während der Jahre 1991 bis 1996 errechnete sich aus vermiedenen Materialbeschaffungskosten, externen Erlösen und eingesparten Entsorgungskosten durch circa 200 Vermittlungen ein Gewinn von rund 4,5 Millionen Mark. Ziel der Börse war auch hier „Verwertung vor Entsorgung“.

Im Frühjahr 2007 startete die ISR Interseroh Rohstoffe GmbH als erstes Unternehmen der Abfallwirtschaft eine internetbasierte Handelsplattform für Altpapier und Altkunststoffe. Sie zielte ab auf Entsorger und industrielle Rohstofflieferanten auf der Anbieterseite und Papierfabriken oder Kunststoff-Recyclingunternehmen auf der Nachfragerseite; die Nutzung war ausschließlich gewerblichen Entsorgungs- und Verwertungsunternehmen nach Registrierung vorbehalten. Anbieter wie auch Kaufinteressenten konnten über verschiedene Kriterien wie Material, Menge oder Preisvorstellung Einzelheiten ihrer Rohstoffe online eingeben. Die Qualität der Ware wurde aufgrund europäischer Produktnormen festgestellt und durch Fotos dokumentiert. ISR suchte daraufhin einen Abnehmer für die angebotenen Rohstoffe und handelte mit dem Entsorger einen Preis aus. ISR koordinierte auch Altpapier- und Altkunststoff-Mengen gleicher Qualität und organisierte ihren Transport. Der damalige Geschäftsführer der ISR, Dr. Eric Bernhard, wurde mit dem Worten zitiert: „Mit unserer innovativen Online-Handelsplattform führen wir Sekundärrohstoff-Mengen zusammen, bündeln sie und optimieren Konditionen und Logistik für Käufer und Verkäufer.“

Foto: O. Kürth

Als Geschäftspartner für beide Seiten
Für Registrierung und Geschäftsabwicklung fielen keine Gebühren an. Das Interseroh-Rohstoffkontor soll aber nicht nur kosteneffektiv, sondern auch schnell und komfortabel für die Geschäftspartner gewesen sein. Da Interseroh für beide Seiten als Geschäftspartner fungierte, war zudem für jeden Teilnehmer die Zuverlässigkeit der Verhandlungen gewährleistet. Das beruhte vor allem darauf, dass die jeweilige Geschäftsabwicklung zwischen Anbietern, Abnehmen und ISR von allen anderen Marktteilnehmer nicht wahrgenommen werden konnte. Laut Eric Bernhard konnten so die Konditionen für alle Teilnehmer optimiert werden, und auch kleine und mittelständische Rohstoffanbieter erhielten nun die Möglichkeit, ihre Materialien an Großabnehmer im In- und Ausland zu Großhandelsbedingungen zu verkaufen. Der internationale Aspekt rückte immer mehr ins Blickfeld: „Über zwei Drittel unserer Altpapiermengen akquirieren wir inzwischen außerhalb Deutschlands. Unsere international zugängliche Plattform hilft uns jetzt, über klassische Vertriebswege hinaus neue Lieferanten und Abnehmer zu erschließen. Schwerpunkte liegen dabei in Europa und Asien,“ bilanzierte  Eric Bernhard. Die Anwendung wurde in fünf Sprachen übersetzt und in mehreren europäischen Ländern eingesetzt.

Weniger von Entsorgern genutzt
So wurde, wie es die Recyclingbörsen-Experten Stefan Kleine Stegemann und Burkhardt Funk 2010 formulierten, ISR zu einem „marktschaffenden Bindeglied zwischen Entsorgungsbetrieben und Endverwertern“. Allerdings ergab sich, wie die beiden berichteten, in der Praxis ein Überhang an Kaufgesuchen. Das Rohstoffkontor wurde weniger von Entsorgern genutzt als vorwiegend von Verwertungsunternehmen für den Kauf von Rohstoffen. Wie auch immer: Die Webseiten interseroh-isr.de sowie interseroh-rohstoffkontor.de und das wissenschaftlich begleitete Testportal interseroh-trading.com stehen heute nicht mehr im Netz. Wie erfolgreich die Börse arbeitete, ist nicht bekannt. Eine weitere Untersuchung durch ein Forscherteam der Leuphana Universität Lüneburg kam nicht zustande; die Nachfrage nach Recyclingbörsen konnte  Vorstandsvorsitzender Axel Schweitzer 2012 nur mit externen Daten belegen; und aktuell will Interseroh über keinerlei Unterlagen zu seinem ehemaligen Rohstoffkontor verfügen, zumal „das Ganze auch schon sehr in der Vergangenheit liegt“.

Auch andere Recyclingbörsen gehören der Vergangenheit an. So zum Beispiel „Oskar“, entwickelt von Informatikern der Universität Konstanz. Per Chiffre – also anonym – konnten hier Anbieter ihre Offerten einstellen und Nachfrager nach entsprechenden Materialen recherchieren. Dadurch entstand auch für Entsorger und andere Dienstleister die Möglichkeit, per Gesuch zu inserieren oder zu werben. Allerdings war Oskar in einen regionalen elektronischen Marktplatz eingebunden, der schon kurz nach der Jahrhundertwende in Liquidation ging. Auch an der Technischen Universität Delft arbeiteten Forscher im Rahmen der „Re-Use- und Recycling-Plattform für Kunststoffe“ an der Entwicklung einer Recyclingbörse. Das Projekt untersuchte, ob sich über Webseiten Effekte auf das Bewusstsein von Nebenprodukt- und Plastik-Reststoffe-Verarbeitern hinsichtlich anderer Kunststoffverwerter erzielen lassen und ob über das Internet eine Kooperation oder eine „industrielle Symbiose“ von Unternehmen zu erreichen ist. Das Forschungsprojekt endete 2014; die Webseite blieb erhalten und stellt Webseiten-Besuchern ausführliche Listen von Recyclern, Händlern oder speziellen Anlagenherstellern in den Niederlanden, Belgien und Deutschland  zur Verfügung.

Geringe Nachfrage
Andere Webseiten bestehen noch, fristen aber eher ein Schattendasein. So krankt beispielsweise MatFlow trotz hoher potenzieller Funktionalität und hoher Materialbreite daran, dass etliche Angebote mit Nonsense-Testtexten versehen sind, die redaktionell nicht bearbeitet wurden, und Angaben fehlen, wann Angebot oder Gesuch eingestellt wurden, sodass die Aktualität der Seite leidet. Das Schicksal teilt sie mit der RWR Rohstoff- und Recyclingbörse, die ähnlich ausgelegt ist: Hier stehen – mit nicht näher definierter Aktualität – rund 150 Angebote 25 Gesuchen gegenüber. Die abfallbörse.de präsentiert ein Dutzend Angebote aus dem Jahr 2010.  Dem AbfallShop.de mangelt es an Interessenten: Durfte das Portal im Juni 2006 angeblich die 10.000. Suchanfrage verzeichnen, so wurden zwischen Februar und Dezember 2016 insgesamt lediglich 21 Angebote eingestellt. Immerhin verzeichnete die Recyclingbörse des Informationsdienstes EuWiD im Dezember 2016 rund 50 Gesuche und Angebote, darunter rund die Hälfte aus dem Kunststoff-Bereich. Anfragen wegen Baustellenabfällen gab es drei, wegen Metallabfällen und Altelektronik nur jeweils eine. Und auch die Sekundärrohstoffbörse des bvse präsentiert sich als deutlich nachgefragter: Monatlich erscheint hier eine Liste mit Angeboten und Gesuchen, auf die direkt oder über Chiffre geantwortet werden kann. Immerhin wurden im Jahr 2016 hier über 350 Offerten und über 200 Anfragen zu den verschiedensten Abfallarten veröffentlicht.


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Die soeben aufgezählten Börsen könnten die Vermutung nahelegen, dass Vermittlungsplattformen, die prinzipiell für alle Wertstoffgruppen offenstehen, auf weniger Interesse stoßen als solche, die sich auf ein Material spezialisieren. Das trifft nicht zu: Auch der Österreichischen Recycling-Börse Bau scheint kein großer Erfolg beschieden zu sein, standen doch am Dezember  2016 den 138 Inseraten nur 40 Nachfragen entgegen, wobei vielfach dieselben Akteure zum Zuge kamen. Ebenso sind auf der auf „natürliche Baustoffe” ausgerichteten Seite der Resteboersebaustoffe.at lediglich knapp 80 Einträge für ganz Österreich in unbestimmtem Zeitraum zu finden. Inwieweit das auch auf die zahlreichen  Bodenbörsen wie die seit 1995 bestehende Boden-, Bauschutt- und Bauteilbörse Alois in Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zutrifft, bleibt zu untersuchen.

Erfolgreicher: Kunststoff-Börsen
Auf den ersten Blick erfolgreicher sind Internet-Börsen im Kunststoffbereich. So bot beispielsweise die Rohstoffbörse des online-Magazins plasticker im Dezember 2016 knapp 4.000 aktuelle Angebote und Gesuche, die 476 unterschiedliche Unternehmen aus 39 Nationen platziert hatten, um über 80.000 Tonnen Kunststoff-Rohstoffe zu vermitteln. Insgesamt sollen über 26.000 Nutzer aus 129 Nationen an diesem Marktplatz teilnehmen. Auch die Seite der KunststoffWeb GmbH konzentriert sich auf einen Materialbereich und verzeichnete allein im vergangenen Dezember über 2.300 Einträge. Ebenso vermarktet PRO-plast – Slogan „Wir handeln für Sie!“ – neben Kunststoff-Neuware auch Restposten und Produktionsrückstände. Das Unternehmen versteht sich als Zwischenhändler: „Was der eine nicht braucht, ist dem anderen oftmals sehr nützlich! Was jedoch alle brauchen, ist ein Ort, an dem Angebot und Nachfrage zusammentreffen: einen etablierten, unabhängigen Marktplatz der Möglichkeiten.” Die hohe Zahl an Einträgen dürfte zum einen damit zusammenhängen, dass im Kunststoffsektor mit geringeren Größenordnungen gehandelt wird als im Bau- und Abbruchbereich. Sie beruht aber zum anderen auch darauf, dass Plastik in den letzten Jahren zu den gefragtesten Abfallmaterialien gehörte: Selbst die Kommunikation über die IHK-Recyclingbörse drehte sich zu annähernd einem Drittel um Kunststoffe.

International: wenig Dauerhaftigkeit  
International betrachtet haben sich nur wenige Material-Plattformen durchgesetzt und erhalten, die für alle Rest- und Abfallstoffe offen ist. In Deutschland ist das die IHK-Recyclingbörse, die aus der früheren Abfallbörse der Handelskammer Hamburg hervorging und seit Herbst 1973 besteht. Ihr Ziel ist es, Erzeuger und Abnehmer von verwertbaren Abfällen und Produktionsrückständen zusammenzubringen, um Abfallvermeidung und Abfallverwertung zu unterstützen. Monatlich besuchen im Schnitt über 2.300 Interessenten die Vermittlungsseiten. Darüber hinaus unterstützen die Auslandshandelskammern deutsche Unternehmen  bei der Suche nach geeigneten Rohstoffbörsen. So ist bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer unter handelskammer.se zu lesen: „Als Repräsentant der Recyclingbörse helfen wir bei der Recherche in ganz Europa und vermitteln zwischen Unternehmen, die verwertbares Material oder Produktionsrückstände kaufen oder verkaufen wollen.“

In den Niederlanden gründete die dortige Handelskammer-Vereinigung 1986 eine Nationale Reststoffbörse, um Unternehmen bei der Suche nach Recyclingmöglichkeiten für Abfälle und Produktionsrückstände zu helfen. Nach etlichen paar Jahren verselbstständigte sich die Initiative, die aber immer noch enge Beziehungen zu den Handelskammern und ausländischen Handelskammern unterhält. Damit ist diese Abfallbörse die älteste private in Europa – „zurzeit“ allerdings nur eine virtuelle Baustelle. Als Ersatz wird auf Afvalgids.nl verwiesen: Mithilfe dieses „Abfallführers” kann für jede niederländische Provinz und für 24 Abfallarten eine Auswahl an zuständigen Entsorgungsunternehmen gefunden werden.

Die Liste der nicht mehr existenten Vermittlungs-Webseiten ist wesentlich länger. Die ehemalige „Luxemburgische Abfallbörse“ für private wie auch industrielle Anbieter wurde vom Netz genommen. Die Existenz einer belgischen Abfallbörse, die angeblich keine Online-Inserate erlaubte, lässt sich im Internet nicht mehr nachweisen. Eine spanische Institution namens Cámaras ist ebenso unauffindbar wie die im „Aktionsplan für Öko-Innovationen“ der EU-Kommission aufgeführte Seite der Green Buying Ltd. unter Scrapshop.co.uk. Das portugiesische Abfallportal „Centro para a Valorização de Resíduos“ enthält keinen Hinweis mehr auf eine Materialbörse. Und die vom italienischen Bologna aus agierende Garwer WasteXchange Europe, auf der 2009 täglich fünf bis zehn neue Angebote erschienen und die von Kleine Stegemann/Funke noch als „führender Online-Marktplatz für Sekundärrohstoffe in Europa“ angesehen wurde, ist weder unter den angegebenen Adressen wastexchange.it noch unter wastexchange.co.uk zu finden.

Foto: O. Kürth

Eine Frage der Präsentation …
Mit dem heutigen Stand der Internet-Soft- und Hardware ist das Betreiben einer Recyclingbörse eine technisch einfache Aufgabe. Ob sie jedoch von potenziellen Benutzern angenommen wird, ist eine andere Frage. Ihre Akzeptanz hängt von der Art der angebotenen Materialart und der jeweiligen Nachfrage ab: Zurzeit sind in erster Linie Kunststoffe gefragt. Ein weiterer Faktor: Aktualität und Akkuratesse. Webseiten ohne Datumsangaben, mit mehrfachen Testeingaben oder mit Phantasie-Texten lassen redaktionelle Betreuung vermissen und offerieren wenig Professionalität. Je detaillierter Angebot oder Gesuch kategorisiert und damit beschrieben werden können, umso schneller kommt ein Handel zustande: „15.1.2017/ PrA / MG / PVC ausrangiert / Mahlgut / 250 Tonnen / 0,82 € je kg / Anbieter Österreich / mit Bild“ lässt sich leichter vermarkten als „999.999 t Bauschutt“.

Ob sich eine Webseite mit nur einem Material oder mit der gesamten Abfallpalette besser vermarktet, lässt sich nur schwer beantworten. Leider folgten der Veröffentlichungswelle von oder über Recyclingbörsen im Zuge des aufkeimenden Recyclinggedankens in den ersten zehn Jahren dieses Jahrhunderts keine Untersuchungen, aus welchen Gründen viele der Plattformen wieder eingingen. Für den Betrieb einer Artikel-Börse für eine Abfallart spricht jedenfalls die interessenten-spezifische Ausrichtung; bei der Angebotspalette hingegen sollte der Bestand der Seite zu Buche schlagen, da sie auch bei Desinteresse für bestimmte Abfallarten weiterhin Benutzer findet. Das dies in der Praxis nicht immer zutrifft, zeigt die Geschichte der letzten fünfzehn Jahre.

… und der Rentabilität
Der letztlich ausschlaggebende Punkt ist aber zweifelsfrei die Rentabilität für den Betrieber der Abfallbörse. Denn ob deren „System sich letztlich selbst finanzieren und mit integrierten Abfallwirtschaftsmodellen kompatibel sein wird”, wie vor Jahren das portugiesische Umweltministerium glaubte, bezweifelte schon damals Jorge Araújo, geschäftsführender Direktor des Centro para a Valorização de Residuos: „Der potenzielle Marktwert ist schwer einzuschätzen, da nicht klar ist, welche Produktkategorien auf diesem Wege letztlich gehandelt werden.“ Auch  wenn die Kosten für Programmierung, Serverbetrieb und redaktionelle Betreuung nicht mehr – wie ehedem bei Schering – pro Vorgang „auf etwas über 1.000 Mark“ zu veranschlagen sind: Recyclingbörsen werden nicht aus altruistischen Motiven ins Internet gestellt. Ob für mehr Kundenbindung bei Online-Magazinen, wegen interner Kostenreduktion bei Herstellerfirmen oder – wie im Fall der portugiesischen Abfallbörse – für einen Beitrag zu „einer Rationalisierung der Ressourcenallokation, Reduzierung der Kosten und der Nachfrage nach Rohstoffen sowie möglicherweise einer Förderung industrieller Symbiosen“: Sie sind nicht – selbst im wenig aufwändigen Pdf-Format des bvse – zum Nulltarif zu erstellen und zu betreiben.

Die Betriebswirtschaft hat sich der Thematik mehrfach angenommen und tut dies noch heute. Zurzeit läuft an der Abteilung Wirtschaftsinformatik der Universität Oldenburg ein Projekt, das untersucht, inwieweit betriebliche Umweltinformationssysteme für überbetriebliche Verwertungsverbunde nutzbar gemacht werden können – mit anderen Worten: wie aus Unternehmenskooperationen Recyclingbörsen und Recyclingnetzwerke entstehen können. Die Forscher gehen der Fragestellung nach, „wie eine vielversprechende Möglichkeit aussehen kann, die es versteht, Recyclinggüter zwischen Produktionsunternehmen und Entsorgungsunternehmen zu vermitteln. Hierbei liegt das besondere Augenmerk auf den Mehrwerten einer Realisierung auf Basis moderner Internettechnologien.” Dadurch könnte ein überbetriebliches Recycling-Information-Center Informationen zu Recyclinggütern und deren Verwertungsmöglichkeiten bereitstellen und – agentenbasiert – mögliche Verwertungsbeziehungen elektronisch ermitteln.

Europa: Nur wenig freie Mengen
Doch auch hier bleibt die Frage der Rentabilität. Zumal sich gute Recyclingbörsen zum Teil selbst abschaffen: Wenn einmal zwischen Anbieter und Interessent ein Handel zustandekam, kann auch ein zweiter erfolgen – ohne Vermittlung über Börsen. Und – darin waren sich Stefan Kleine Stegemann und Burkhardt Funk zumindest bis 2010 sicher – eine erfolgreiche Marktetablierung der Recyclingbörsen scheint bisher fehlgeschlagen zu sein. Die zum damaligen Zeitpunkt führende Börse Garwer wickelte mit bis zu zehn Transaktionen pro Tag „nur einen verschwindend geringen Teil der in Europa anfallenden Recyclingmengen ab“. Das sei nicht auf technische Schwierigkeiten zurückzuführen, sondern auf die Industriestrukturen und – resultierend – auf nur geringe freie Mengen an interessanten Sekundärrohstoffen. Ihr Fazit: „Dies wiederum bedingt eine nur geringe Liquidität auf den Börsen und damit eine unzureichende Attraktivität für Marktteilnehmer.”

Außereuropäisch scheint sich demgegenüber eine Reihe von Abfall- und Restmaterial-Börsen etabliert zu haben. So führen die Betreiber des B2B-Portals Recycler‘s World unter dem Namen „The Recycler‘s Exchange“ eine umfangreiche und sehr detaillierte Tauschbörse für Broker, Händler, Importeure/Exporteure und Anbieter von Schrottartikeln. Wastechange.com bietet ein Informationssystem, das weltweit lokalen Recyclern den Austausch mit kommerziellen und industriellen Abfallverursachern ermöglicht. Und in Australien hat sich Illawarra Waste Exchange etabliert, in den USA das Waste Management‘s Online Recycling Trading Center.

Foto: MarcWeigert

(EUR0217S10)

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