Mikroplastik – überall und in großen Mengen
Im Rahmen einer Studie hat Fraunhofer-Umsicht Kunststoffpartikel kategorisiert, die sich offenbar bereits in vielen Bereichen der Umwelt befinden.
Mikroplastik ist nicht immer direkt zu erkennen, man muss den Blick schon etwas schärfen. Doch dann kommen sie nahezu überall zum Vorschein: Kunststoffpartikel, kleiner als fünf Millimeter – so die weit verbreitete, jedoch nicht allgemeingültige Definition.
„Es ist schwierig, den regulatorischen, wissenschaftlichen und kommunikativen Ansprüchen gemeinsam gerecht zu werden. Durch die Abgrenzung der Größe und Einschränkung auf spezielle Kunststoffe oder Einsatzgebiete wird eine Grenze gezogen, die unter Umständen Problembereiche ungerechtfertigt ein- oder ausschließt. Eine Definition sollte vielmehr anhand der Umweltwirkung festgemacht werden. Doch dazu reicht der heutige Wissensstand nicht aus“, erklärt Jürgen Bertling vom Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht), Initiator und Hauptautor der „Konsortialstudie Mikroplastik“. Im Auftrag von Partnern aus der Kunststoffindustrie, Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Forschung hat Fraunhofer-Umsicht während der letzten zwei Jahre den Wissensstand zu Mikro- und Makroplastik zusammengetragen. Im Rahmen der Studie erfolgte zunächst eine neue Kategorisierung von Mikroplastik: Primäres Mikroplastik Typ-A sind industriell hergestellte Kunststoffpartikel, deren Verlust bewusst in Kauf genommen oder durch Unachtsamkeit verursacht wird. Hierzu zählen zum Beispiel Microbeads in Kosmetika oder Kunststoffpellets. Dagegen entsteht primäres Mikroplastik Typ-B erst in der Nutzungsphase durch Abrieb oder Verwitterung. Das ist etwa bei Autoreifen, Schuhsohlen, Textilien oder Farben der Fall. Gelangen Kunststoffabfälle, hauptsächlich Verpackungen, Plastiktüten oder Flaschen – sogenanntes Makroplastik – in die Umwelt und fragmentieren dort, werden sie dem sekundären Mikroplastik zugeordnet. Diese Einteilung ist insbesondere bei der Zuweisung von Verantwortung wichtig. Je nach Quelle liegt sie mehr beim Produzenten oder beim Konsumenten.
Die Autoren der Konsortialstudie ermittelten insgesamt 51 Mikroplastikquellen und berechneten die Emissionen. Reifenabrieb, Freisetzung bei der Abfallentsorgung, Abrieb von Bitumen in Asphalt, Pelletverluste sowie Verwehungen von Sport- und Spielplätzen liegen ganz vorne. Die Freisetzung von Mikroplastik aus Kosmetik etwa gelangt auf Platz 17. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass die Reduzierung von Emissionen aus jeder Quelle wichtig ist.
Weitere Faktoren wie Abbaubarkeit oder Kunststoffadditive spielen bei der Wirkung auf die Umwelt ebenfalls eine große Rolle und sollten daher bei der Priorisierung der Quellen berücksichtigt werden. Geht man davon aus, dass es noch weitere Quellen gibt, so ergibt sich für Deutschland eine Gesamtmenge von gut vier Kilogramm pro Kopf, die jährlich an Mikroplastik in die Umwelt freigesetzt wird. Dagegen betragen die Emissionen an Makroplastik nur etwa 1,4 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Das, was wir an Plastikmüll an Raststätten, in Parks und am Strand finden, ist also der sichtbare, aber weitaus kleinere Teil von Kunststoffen in der Umwelt.
Auf Kosten des Klärschlamms
Die Siedlungswasserwirtschaft spielt bei der Emission von Kunststoffen in die Umwelt eine wichtige Rolle, sowohl als Eintragspfad als auch für den Rückhalt. Etwa 78 Prozent des Abwassers werden innerhalb der Siedlungswasserwirtschaft durch Kläranlagen gereinigt. Die restlichen 22 Prozent, überwiegend Niederschlagswasser, werden nur teilweise gereinigt, sodass mit den Niederschlägen Makro- und Mikroplastik in die Ökosysteme gespült werden. Kläranlagen halten je nach technischer Ausstattung über 95 Prozent des zuströmenden Mikroplastiks zurück. „Der hohe Rückhalt der Kläranlagen geht jedoch auf Kosten des Klärschlamms, in dem sich die kleinteiligen Kunststoffe anreichern. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob eine vollständige Verbrennung des Klärschlamms der landwirtschaftlichen und landschaftsbaulichen Nutzung vorzuziehen ist, um eine Weiterverbreitung von Mikroplastik in der Umwelt und somit eine Problemverlagerung zu verhindern“, sagt Co-Autor Ralf Bertling (Fraunhofer-Umsicht), der sich im Rahmen der Studie der Siedlungswasserwirtschaft gewidmet hat.
Ralf Bertling weiter: „Auch ist die Siedlungswasserwirtschaft mehr als Kläranlagen. Dem Typus des Entwässerungssystems – Trenn- oder Mischsystem – und ebenso der Niederschlagsentwässerung inner- und noch mehr außerorts sollte viel mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Durch Regen und andere Wetterereignisse werden zum Beispiel Reifenabrieb oder Kunststoffabfälle nicht nur in die Kanalisation, sondern nahezu überall hin gespült.“ Vor allem außerorts werde nicht jeder Liter Regen behandelt, sondern fließe besonders bei Starkregen häufig ungereinigt, direkt oder indirekt, dem nächsten Gewässer zu.
Kunststoffen einen Wert geben
Die Ergebnisse der Studie wurden am 21. Juni in Berlin vorgestellt und im Anschluss mit Konsortialpartnern, Experten und Zuschauern diskutiert. Wichtig war es den Autoren, auch Lösungswege aufzuzeigen, Fazits zu ziehen und Empfehlungen zu geben. „Kunststoffen einen Wert geben“ war einer der am häufigsten betonten Aspekte auf der Veranstaltung.
„Wir können davon ausgehen, dass sich Mikroplastik bereits in allen Bereichen der Umwelt befindet. Das ergibt sich schlichtweg daraus, dass wir überall Kunststoffe einsetzen und die Emissionen über Wind und Wasser verbreitet werden. Es ist also kein Wunder, wenn wir Mikroplastik in der Luft, im Trinkwasser oder in Nahrungsmitteln finden“, fasste Co-Autorin Leandra Hamann (Fraunhofer-Umsicht) zusammen. Wenn sich bisher noch kein konkretes Gefahrenpotenzial zeigt, so sind sich die Beteiligten einig, dass die Kunststoffe in der Umwelt reduziert werden müssen. Neben dem Ausbau der Kreislaufwirtschaft, Verboten von bestimmten Produkten, der Entwicklung neuer Filtersysteme und der Anpassung der Siedlungswasserwirtschaft kann auch jeder selbst etwas tun: „Wenn man eh unterwegs ist, einfach mal herumliegenden Müll aufheben und in den nächsten Mülleimer entsorgen.“ Das ist für Haman selbstverständlich: Auf das Problem aufmerksam machen und andere dazu anzuregen, ebenfalls tätig zu werden.
Seit 2014 beschäftigt sich die AG Mikroplastik beim Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik (Umsicht) mit Mikroplastik und Kunststoffen in der Umwelt. Derzeit laufen Projekte zur Bewertung von Mikroplastik mittels Ökobilanzierung, zur Erstellung eines Modells zu Mengen und Verbreitung von Reifenabrieb, zur Entwicklung eines Waschmaschinenfilters zum Rückhalt von Mikroplastik sowie zu den Folgen von Kunststoffen auf landwirtschaftlichen Flächen.
Foto: Fraunhofer Umsicht
(EU-Recycling 08/2018, Seite 24)